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9814

Der neue

Aus grauer Vorzeit Tagen
Erzählt der Sänger Mund
Die alten, schnurrigen Sagen
Von Zerberus, dem Hund.

Es saß am Tor des Schlosses
Das dreiköpfige Vieh;

And was von sern sich nur gerührt.
Entging dem Anlier nie.

Zerberus

Wir wären arme Tröpfe,

An Trost und Hoffen leer.

Doch dieses Köters Köpfe
Sind nicht ganz einig mehr:

Sie schielen auseinander.

Der Neid erwachte schnell.

Sie fauchen schon. Die Lust erfüllt
Ihr Knurren und Gebell.

Heut wacht in unsrer Mitte
Nach höherem Beschluß
Ob jedem unsrer Schritte
Ein neuer Zerberus.

And drei Entente-Köpfe
Glotzen in unser Haus,

Daß ihrem Scharfblick nicht entgeh
Die kleinste Kirchenmaus.

In wildem Beutedrange
Fletscht jeder sein Gebiß.

And dauert es noch lange, —

Sie beißen sich gewiß.

And Zerberus, der Wächter,

Verfehlt sein Dasein ganz.

Am Ende geht er wieder heim
Mit eingezognem Schwanz. P. E.

Den Kriegsgefangenen

Einst Kommt der Tag, dann seid ihr alle da,
Dann wird euch Keine Fessel länger halten,
Dann werden wirkungslos die hahgewalten
In Frankreich, England und Amerika.

Bald kommt der Tag, fast ist er greifbar nah,
Sann wird der Heimat Liebe um euch walten,
Die Freiheit wird ihr Banner froh entfalten,
vereinend, die sie lang geschieden sah.

Tragt nicht aus jenen schrecklichen Bezirken
Ser stacheldrahtumzännten Seelennot
Sen Bruderhatz hinein ins neue wirken.

Ser Bruder nicht, der euch aus Zwang bedroht,
Sei der Vergeltung Strafgericht verfallen —
Doch jene, die ihm schärften seine Uralten.

Walter S-chr

Die Kohle

Millionen Jahre ist's her — da strahlte die
Sonne in stärkerer Kraft und liest üppige
Sumpfwälder wuchern. Zahllose Pflanzen-
geschlechter blühten auf und vergingen; ihre
Riesenleiber sanken dahin, aber wie in natür-
lichen Speichern blieb in ihnen all die Wärme
und das Licht von der Sonne erhalten, daS
sie zeitlebens verbraucht Hallen.

Tastend kam nach Millionen von Jahren
der Mensch darauf, diese Kraft wieder frei-
zumachen. Seine Industrie wuchs empor, sie
verdankte alles der Kohle. Und die Kohle
machte gar keine Schwierigkeiten: brauchte
man sie, war sie da! Darum fiel's auch dem
Menschen nicht ein, sie etwa höher zu achten
als irgendein anderes ihm dienendes Gestein.

Doch nun kam im Gefolge des Krieges die
Not. Der Riesenkörper der Industrie wurde

krank, weil die tägliche Kohle zu fehlen be-
gann. Und da merkte auch der Mensch, daß
die Kohle kein gewöhnlicher Stein sei: wo sie
fehlte, fehlte Kraft, Wärme, Licht! Seitdem
hat er gelernt, sie zu achten und den Schweiß
nicht zu scheuen, den es kostet, sie wieder her-
beizuschafsen.

Das Märchen vom klugen Gockel

Offenbar war er ein Hahn ganz besonderer
Art und stolzierte auch so auf dem Gutshofe
'rum. Aber der preußische Landjunker, der
dort regierte und auf den er so gern Eindruck
gemacht hätte, hatte überhaupt keine Zeit, ihn
anzugucken.

So zum Beispiel lag der Gutsherr neulich
auf seinem Sofa und schnarchte, denn er war
früh um neun aus den Feldern gewesen und
wollte gegen Abend zu einem Spiel in die
Stadt. Den klugen Gockel aber juckte der
Wunsch, seinem Herrn endlich mal aufzufallen,
und da sagte er sich: Vielleicht ist es ganz gut,
ihn für seine bevorstehende Nachtschicht zu
wecken, denn die Dorfkirche schlug eben vier.
Also sprang er entschlossen auf den Leiter-
wagen vor dem historischen Eckfenster und
krähte nun begeistert sein „großes Wecken"
hinein.

Drinnen fluchte es lästerlich; dann flog die
zum Knäuel geballte „Kreuzzeitung" aus dem
Fenster dem Gockel an den Kopf. Natürlich
wollte das treue Geschöpf zunächst ausreißen,
es besann sich jedoch, daß der Knäuel ein
Geschenk seines Herrn sei, und zerrte so
lange dran 'rum, bis das Blatt sich entfal-
tete. Und dann las es voll Mißtrauen den
Fettdruck:

„Schamlose Erdrosselung der preußischen
Landwirte durch einen Erlaß, des Ministers!

Tarifzwang und Enteignungswillkür gegen
Arbeitgeber, die ihr Selbstbestimmungsrecht
wahrnehmen!"

Allzuviel verstand der kluge Gockel hiervon
nicht. Nur die beiden ersten Worte begriff er,
denn er hatte eine „schamlose Erdrosselung"
schon mehrfach mitangesehen. Diese Kennt-
nis genügte ihm aber, und er fand es sehr
richtig, daß sein Herr drüber wütend ge-
worden sei.

Gleich nach fünf Uhr sah er ihn wieder; da
ging der Gutsherr über den Hof und kam
dicht an dem Gockel vorbei.

„Nanu. . .?" Er blieb stehen und grübelte:
„Das ist doch die bunte Canaille, die mich
vorhin so erschreckt hat?"

Der Gockel wußte vor Freude nicht, was
er zuerst machen sollte, um dem Herrn seine
Arbeitslust, Pflichttreue und Intelligenz zu
beweisen. Er suchte, pickte und scharrte, dann
ließ er das sein, exerzierte sei» Hühnervolk
und ging dazu über, seinen wahren Beruf
auszuüben.

Doch er heiterte seinen Gebieter nicht auf!
Der wurde vielmehr dabei böse und knurrte:
„Während unsereinem heute der Kopp raucht,
denkt so'n Vieh nur an Fressen und Wollust!"
Ein tückischer Gedanke blitzte plötzlich in seinen
Augen auf. Er lockte den Hahn: „Tuck, tuck,
tuck . . . komm mal her, mein Prinz. . . tuck,
tuck, tuck!"

Der Gockel ließ sich prompt anschmieren.
Er marschierte seinem Herrn an den Stiefeln
vorbei, und .. . wuppdich, da war er schon
gepackt und ihm der Kragen umgedreht.

„So, du Hanswurst, wenn du morgen als
Braten auf meinem Tisch stehen wirst, habe
ich das sichere Gefühl, daß für uns das Ende
aller Tage noch nicht gekommen ist." t
 
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