- 9818
Auf Druckposten
Erzählung aus der .großen Zeit" von Fcrd. Madlingcr
Ganz draußen am Rand der Vorstadt, wo
der geschlossene Block der Stadt sich auf-
löst in verstreute Brocken, Mietkasernen mit
schrecklichen Backsteinwänden, da steht eine
Fabrik. Eine stillgelegte Weberei; es fehlt au
Rohstoffen. Den langen Bretterschuppen hat
die Heeresverwaltung gemietet. Wer weiß, zu
welchem Zweck?
Jedenfalls der Posten, der im grellen Sonnen-
brand an der geteerten Bretterwand auf und
ab geht, weiß es nicht. „Viehdepot" hat man
gesagt. Aber da ist kein Muhen zu hören, kein
Keltenklirren; kein Knecht ist zu
sehen. Die Baracke ist lotterleer.
Trotzdem muß Wache geschoben
werden. Man hat vergessen, den
Posten eingehen zu lassen. Darum
müssen Männer aus dem Erwerbs-
leben, die zu Hause nötiger wären,
in ermüdendem Stumpfsinn vor-
der Baracke auf und ab wandern.
Monatelang, jahrelang, bei Tag
und Nacht, in Frost und Hitze, in
Regen und Schnee. Die Heeres-
verwaltung, die die Arbeitskräfte
nichts kosten, kann sich den Luxus
leisten. Und der Michel ist ein ge-
duldiges Stück Vieh.
Der Posten, eine behäbige Zivil-
figur mit Fettpolsterchen im Nacken,
scheint schlechter Laune. Sein Name
ist Bctzel, er betreibt ein mittleres
Weißivarengeschäst und steckt erst
seit gestern in der übel riechenden,
schlecht sitzenden Uniform. Gestern
früh trank er noch den Kaffee mit
seiner Frau, dann fuhr er hierher,
wurde eingekleidet und gleich auf
Wache gestopft.
Er hatte gebeten, ihn am Wohn-
ort einzuziehen. Aber die großen
Herren mit den Raupen tun mit
Vorliebe das Gegenteil von dem,
was der Untergebene gern möchte.
Aus Gründen der Disziplin! Jeder
muß weg von seinem Platz, und
wenn es nur ein paar Dutzend
Kilometer sind. Betzel hat sein Geschäft seiner
Frau überlassen müssen, und hier steht er sich
unnütz die Beine in den Leib, getreu dem
Soldatensprichivort: Die Hälfte seines Lebens
steht der Soldat vergebens.
Er brütet. Was wird ihm die Zukunft
bringen? Alle paar Tage wird ein Transport
ins Feld zusammengestellt, nach Flandern,
nach den Vogesen, nach den Karpathen, an
die russische Front, in die Türkei, nach Rumä-
nien. Man hat Auswahl. Zahlreich sind die
Kanäle, durch die das deutsche Lebe» rinnt
ins Nichts, ins Leere.
Betzeis Sohn liegt in üsküb schwer krank
am Fieber; jeder Tag kann die Nachricht
bringen, daß er gestorben. Fürs Vaterland!
Eine Gemeinheit, die Fiktion ausrechlznerhal-
ten, als verteidige man am Doiran-See seine
Heiinat. Ein Ekel vor allem Militärischen
steigt ihm den Hals hinauf. Nein, Betzel hat
keine Lust, für den Ruhm der Hohenzollern
sich Löcher in die Haut schießen zu lassen.
Natürlich, öffentlich tritt man heldisch auf,
als brenne man daraus, an den Feind zu
kommen. Das ist die vorgeschriebene Maske.
Aus den Augen jedes dieser braven Familien-
väter lugt die bleiche Angst, der Abscheu vor
Gemetzel, die Sehnsucht »ach dem Heim und
dem Frieden. Warum lügen alle Leute ein-
ander an?
Dabei schaut dem Militarismus der Bank-
rott schon zu allen Knopflöchern heraus. Ver-
fallserscheinungen, wo man hinsieht. Betzel
wurde auf Posten geschickt, ohne einen Tunst
zu haben von seinen Pflichten und Befug-
nissen. Wie sorgsam hat man in Friedenszeiten
den Wachdienst geübt. Nun aus den Zivil-
mci l'iaba-"
kleidern heraus und gleich auf Wache. Es war
sonst niemand da. Das Ersatzbataillon hat so
viele Kommandierte, Beurlaubte, Kranke. ES
laufen entsetzlich viel Menschen in der Kaserne
herum, und doch fehlt es an Mannschaften.
Komisch!
Und wie sie ihn ausstaffiert haben! Eine
graue Tuchhose, abgeschabt und dünn wie
Fließpapier, ein. blauer Wafsenrock mit mehr
Flicken als ein Landstreicherskittel. Dem ge-
dienten Soldaten mußte sich das Herz im Leib
umdrehen ob dieser Lumpeuherrlichkeit. Betzel
ist mit Gewehr 89 ausgebildet. Er erhält aber
ein Modell 99, das er nicht kennt, das er
nicht laden kann. Es geht drunter und drüber,
und man merkt vieles, das nicht nach Sieg
aussieht. * *
Um die Ecke biegt ein Mann mit weißein
Strohhut. Er stapft den sandigen Weg herauf,
sein verzogener Schatten läuft an der Bretter-
wand mit ihm. Soldat Betzel sieht ihn gleich-
gültig daherkommen. Plötzlich spannt sich sein
Blick, er wirft die Knarre aus die Schulter
und läuft dem Mann entgegen.
„Grüß Gott, Schwager; wie kommst du
da her?"
„Sehr einfach." Der Ankömmling nimmt
seinen Panama ab, um die Stirn zu trocknen.
„Deine Frau hat uns telephoniert, daß sie dich
militarisiert haben, da bin ich denn gleich her-
gefahren, um dich zu placieren, wenn es geht."
„Dafür sind schlechte Aussichten."
„Nur nicht schwarz sehen, alter Junge. Ich
habe doch geschäftlich auch mit militärischen
Stellen zu tun und kenne den Rummel. Laß
mich nur mal machen."
„Es ist nichts zu machen, Her-
mann, das habe ich gleich gesehen,
wie ich hierherkam. Alle paar Tage
geht ein Transport ab, und gerade
auf die gedienten Kv-Lente haben
sie es abgesehen."
„Quatsch, sage ich dir. Du mußt
nicht verzweifeln. Sag mal, kennst
du deinen Feldwebel schon?"
„Nein."
„Was, du bist einen Tag Soldat
und hast deinen Feldwebel noch
nicht eingeladen? Ja, mein Lieber,
so geht es freilich nicht. Wann
willst du denn warm werden? Du
hast keine Zeit zu verbummeln."
„Das denkst du'dir so einfach."
„Nicht einfacher, als es ist. Sage
mir wenigstens, was ist er für eine
Art Mensch? Nimmt er?"
„Woher soll ich das wissen? Ich
habe die Soldaten unauffällig ge-
fragt, aber nichts Genaues erfahren
können. Er soll Musikdirigent sein,
Musikdirektor, Kapellmeister oder
so was. Darunter kann man sich
Verschiedenes vorstellen. Er kann
ebensogut Kapellmeister von einem
Hofthealerorchester sein wie Leiter
einer Feuerwehrkapelle oder eines
Kaffeehausquartetts. Soviel ist
sicher, daß man bei dieser Sach-
lage bös die Nase anrenuen kann,
wenn man ihm eine Kiste Zigarren
schickt."
„Eine Kiste Zigarren," spottete Hermann.
„Bei solchen Leuten kannst du damit nicht
anfangen. Ist der Mann wirklich etwas Bes-
seres, dann nimmt er dir eine Kiste Zigarren
nicht ab, aber einen Blüthner-Flügel wird er
dir nicht abschlageu. Oder glaubst du?"
„Du bist verrückt, Hermann."
„Ich sehe schon, ich muß die Sache in die
Hand nehmen; du traust dir nichts zu. Wie
heißt denn dein Feldwebel?"
„Hildebrand."
„Hildebrand, gut. Wo wohnt er? Ich muß
heute noch mit ihm sprechen."
„Keine Ahnung."
„Paß auf, ich. gehe jetzt in die Stadt zurück
und kundschafte. Dann komme ich wieder zu
dir. Wann siehst du wieder hier?"
„Zwischen -10 und 12 heute nacht. — Aber
wenn es schief geht?"
„Dann heißt du Haase und weißt von nichts.
Mich können sie nicht belangen. Adieu und
Kops hoch! Polen ist noch nicht verloren."
Festliches Ereignis
„Sagen Sc mal, Männeken, wat is denn in dicsein Rest los? Js etwa
wieder eine Nevolulion ausjebrochen?"
„DoS net, — aba das Bier wird nach dem Fricdensschlnß stärker cin-
gebraut,
Auf Druckposten
Erzählung aus der .großen Zeit" von Fcrd. Madlingcr
Ganz draußen am Rand der Vorstadt, wo
der geschlossene Block der Stadt sich auf-
löst in verstreute Brocken, Mietkasernen mit
schrecklichen Backsteinwänden, da steht eine
Fabrik. Eine stillgelegte Weberei; es fehlt au
Rohstoffen. Den langen Bretterschuppen hat
die Heeresverwaltung gemietet. Wer weiß, zu
welchem Zweck?
Jedenfalls der Posten, der im grellen Sonnen-
brand an der geteerten Bretterwand auf und
ab geht, weiß es nicht. „Viehdepot" hat man
gesagt. Aber da ist kein Muhen zu hören, kein
Keltenklirren; kein Knecht ist zu
sehen. Die Baracke ist lotterleer.
Trotzdem muß Wache geschoben
werden. Man hat vergessen, den
Posten eingehen zu lassen. Darum
müssen Männer aus dem Erwerbs-
leben, die zu Hause nötiger wären,
in ermüdendem Stumpfsinn vor-
der Baracke auf und ab wandern.
Monatelang, jahrelang, bei Tag
und Nacht, in Frost und Hitze, in
Regen und Schnee. Die Heeres-
verwaltung, die die Arbeitskräfte
nichts kosten, kann sich den Luxus
leisten. Und der Michel ist ein ge-
duldiges Stück Vieh.
Der Posten, eine behäbige Zivil-
figur mit Fettpolsterchen im Nacken,
scheint schlechter Laune. Sein Name
ist Bctzel, er betreibt ein mittleres
Weißivarengeschäst und steckt erst
seit gestern in der übel riechenden,
schlecht sitzenden Uniform. Gestern
früh trank er noch den Kaffee mit
seiner Frau, dann fuhr er hierher,
wurde eingekleidet und gleich auf
Wache gestopft.
Er hatte gebeten, ihn am Wohn-
ort einzuziehen. Aber die großen
Herren mit den Raupen tun mit
Vorliebe das Gegenteil von dem,
was der Untergebene gern möchte.
Aus Gründen der Disziplin! Jeder
muß weg von seinem Platz, und
wenn es nur ein paar Dutzend
Kilometer sind. Betzel hat sein Geschäft seiner
Frau überlassen müssen, und hier steht er sich
unnütz die Beine in den Leib, getreu dem
Soldatensprichivort: Die Hälfte seines Lebens
steht der Soldat vergebens.
Er brütet. Was wird ihm die Zukunft
bringen? Alle paar Tage wird ein Transport
ins Feld zusammengestellt, nach Flandern,
nach den Vogesen, nach den Karpathen, an
die russische Front, in die Türkei, nach Rumä-
nien. Man hat Auswahl. Zahlreich sind die
Kanäle, durch die das deutsche Lebe» rinnt
ins Nichts, ins Leere.
Betzeis Sohn liegt in üsküb schwer krank
am Fieber; jeder Tag kann die Nachricht
bringen, daß er gestorben. Fürs Vaterland!
Eine Gemeinheit, die Fiktion ausrechlznerhal-
ten, als verteidige man am Doiran-See seine
Heiinat. Ein Ekel vor allem Militärischen
steigt ihm den Hals hinauf. Nein, Betzel hat
keine Lust, für den Ruhm der Hohenzollern
sich Löcher in die Haut schießen zu lassen.
Natürlich, öffentlich tritt man heldisch auf,
als brenne man daraus, an den Feind zu
kommen. Das ist die vorgeschriebene Maske.
Aus den Augen jedes dieser braven Familien-
väter lugt die bleiche Angst, der Abscheu vor
Gemetzel, die Sehnsucht »ach dem Heim und
dem Frieden. Warum lügen alle Leute ein-
ander an?
Dabei schaut dem Militarismus der Bank-
rott schon zu allen Knopflöchern heraus. Ver-
fallserscheinungen, wo man hinsieht. Betzel
wurde auf Posten geschickt, ohne einen Tunst
zu haben von seinen Pflichten und Befug-
nissen. Wie sorgsam hat man in Friedenszeiten
den Wachdienst geübt. Nun aus den Zivil-
mci l'iaba-"
kleidern heraus und gleich auf Wache. Es war
sonst niemand da. Das Ersatzbataillon hat so
viele Kommandierte, Beurlaubte, Kranke. ES
laufen entsetzlich viel Menschen in der Kaserne
herum, und doch fehlt es an Mannschaften.
Komisch!
Und wie sie ihn ausstaffiert haben! Eine
graue Tuchhose, abgeschabt und dünn wie
Fließpapier, ein. blauer Wafsenrock mit mehr
Flicken als ein Landstreicherskittel. Dem ge-
dienten Soldaten mußte sich das Herz im Leib
umdrehen ob dieser Lumpeuherrlichkeit. Betzel
ist mit Gewehr 89 ausgebildet. Er erhält aber
ein Modell 99, das er nicht kennt, das er
nicht laden kann. Es geht drunter und drüber,
und man merkt vieles, das nicht nach Sieg
aussieht. * *
Um die Ecke biegt ein Mann mit weißein
Strohhut. Er stapft den sandigen Weg herauf,
sein verzogener Schatten läuft an der Bretter-
wand mit ihm. Soldat Betzel sieht ihn gleich-
gültig daherkommen. Plötzlich spannt sich sein
Blick, er wirft die Knarre aus die Schulter
und läuft dem Mann entgegen.
„Grüß Gott, Schwager; wie kommst du
da her?"
„Sehr einfach." Der Ankömmling nimmt
seinen Panama ab, um die Stirn zu trocknen.
„Deine Frau hat uns telephoniert, daß sie dich
militarisiert haben, da bin ich denn gleich her-
gefahren, um dich zu placieren, wenn es geht."
„Dafür sind schlechte Aussichten."
„Nur nicht schwarz sehen, alter Junge. Ich
habe doch geschäftlich auch mit militärischen
Stellen zu tun und kenne den Rummel. Laß
mich nur mal machen."
„Es ist nichts zu machen, Her-
mann, das habe ich gleich gesehen,
wie ich hierherkam. Alle paar Tage
geht ein Transport ab, und gerade
auf die gedienten Kv-Lente haben
sie es abgesehen."
„Quatsch, sage ich dir. Du mußt
nicht verzweifeln. Sag mal, kennst
du deinen Feldwebel schon?"
„Nein."
„Was, du bist einen Tag Soldat
und hast deinen Feldwebel noch
nicht eingeladen? Ja, mein Lieber,
so geht es freilich nicht. Wann
willst du denn warm werden? Du
hast keine Zeit zu verbummeln."
„Das denkst du'dir so einfach."
„Nicht einfacher, als es ist. Sage
mir wenigstens, was ist er für eine
Art Mensch? Nimmt er?"
„Woher soll ich das wissen? Ich
habe die Soldaten unauffällig ge-
fragt, aber nichts Genaues erfahren
können. Er soll Musikdirigent sein,
Musikdirektor, Kapellmeister oder
so was. Darunter kann man sich
Verschiedenes vorstellen. Er kann
ebensogut Kapellmeister von einem
Hofthealerorchester sein wie Leiter
einer Feuerwehrkapelle oder eines
Kaffeehausquartetts. Soviel ist
sicher, daß man bei dieser Sach-
lage bös die Nase anrenuen kann,
wenn man ihm eine Kiste Zigarren
schickt."
„Eine Kiste Zigarren," spottete Hermann.
„Bei solchen Leuten kannst du damit nicht
anfangen. Ist der Mann wirklich etwas Bes-
seres, dann nimmt er dir eine Kiste Zigarren
nicht ab, aber einen Blüthner-Flügel wird er
dir nicht abschlageu. Oder glaubst du?"
„Du bist verrückt, Hermann."
„Ich sehe schon, ich muß die Sache in die
Hand nehmen; du traust dir nichts zu. Wie
heißt denn dein Feldwebel?"
„Hildebrand."
„Hildebrand, gut. Wo wohnt er? Ich muß
heute noch mit ihm sprechen."
„Keine Ahnung."
„Paß auf, ich. gehe jetzt in die Stadt zurück
und kundschafte. Dann komme ich wieder zu
dir. Wann siehst du wieder hier?"
„Zwischen -10 und 12 heute nacht. — Aber
wenn es schief geht?"
„Dann heißt du Haase und weißt von nichts.
Mich können sie nicht belangen. Adieu und
Kops hoch! Polen ist noch nicht verloren."
Festliches Ereignis
„Sagen Sc mal, Männeken, wat is denn in dicsein Rest los? Js etwa
wieder eine Nevolulion ausjebrochen?"
„DoS net, — aba das Bier wird nach dem Fricdensschlnß stärker cin-
gebraut,