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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 36.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.8264#0203
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9819

Um halb elf traf der Schwager Hermann
wieder ein. Es war eine sternklare Nacht. Sie
setzten sich ins Gras. Hermann hatte einen
Imbiß und eine Flasche Wein mitgebracht.
Betzel machte sich darüber her mit dem Heiß-
hunger eines Holzmachers.

„Was hast du erreicht?"

„Also ich ging erst mal auf die Polizeiwache
und ermittelte die Privatwohnung. Dort er-
fuhr ich auch, daß der Mann verheiratet ist.
Das vereinfachte die Sache wesentlich. Weißt
du, die Weiber sind viel zugänglicher; wenn
du das Weib auf deiner Seite hast, kriegst
du den Mann sicher. Ich kaufte
einige Päckchen feinste Pralines für
sie und wickelte sie in fünf blaue
Lappen. Zu Anfang muß man auf-
trumpfen. Ich wollte die Festung
im ersten Anlauf nehmen."

„Aber fünfhundert Emm schmeißt
man doch nicht so hinaus!"

„Ist dein Leben nicht soviel
wert? Soll meine Schwester als
Witwe herumlaufen? Sei doch nicht
so kleinlich! — Dann kaufte ich also
noch ein paar prima Straußfedern
und fuhr nach der Wohnung. Dusel
habe ich gehabt. Das Weibsen ivar
selbst da. Kleine Leute, unterer
Mittelstand. Ich stellte mich vor
und fragte, ob ihr Herr Gemahl
meinem Sohn Geigenstunden geben
wollte. ,Sehr gern,' sagte sie, na
und dann kamen wir eben ins Ge-
spräch. Eine Stunde war ich dort
und habe alles dort gelassen. Mit
den fünf Blauen zierte sie sich ein
Weilchen. Ich beruhigte sie und
empfahl ihr, sie für Kriegsanleihe
anzulegen, dann würde sie sich ein
patriotisches Verdienst erwerben.

Wir schieden als gute Freunde.

Siehst du, so dreht man das Ding.

Der Spieß wird schon reagieren.

Wenn nicht, muß man ihn eben
noch mal anwärmen. Der wäre der
erste, den ich nicht herumkriegte."

Die Kompagnie stand zum Be-
fehlsempfang angetreten. Der Feldwebel las
aus seinem dicken Notizbuch vor. Die Mann-
schaft döste. Unterernährung und dauernde
Überanstrengung hatten sie schlapp gemacht.
Erst beim Abschnitt „Strafen" ruckten sie aus
und spitzten die Ohre».

„Der Landsturmmann Morath erhält drei
Tage Mittelarrest, weil er einen Leutnant nicht
stramm genug grüßte."

Die Leute versanken wieder in den Schlaf-
zustand. Es kamen die Kommandierungen.

„Landwehrmann Betzel zum Schießunter-
offizier Wigger kommandiert." Der Spieß las
es, ohne aufzusehen.

Betzel meldete sich gleich bei Wigger und
fragte nach seinen Obliegenheiten. Da war
guter Rat teuer. Wigger hatte selbst fast nichts
zu tun. Er hatte beim Feldwebel einen Ge-
hilfen nur desivegen angesordert, weil es

ihm zu schwer fiel, die viele Zeit allein tot-
zuschlagen.

Der Schießunteroffizier hatte einen hübschen
Raum zur Verfügung für seine Gewehre,
Seitengewehre, Patronen. Hier saßen nun die
beiden den lieben langen Tag, tranken Wein

und rauchten Zigaretten, solange es noch gute
gab. Als sie ausgingen, gingen sie zur Pfeife
über. Sie.schwatzten und spielten Karten, wäh-
rend auf den Kriegsschauplätzen große Schlach-
ten geschlagen wurden. Sie hüteten sich, den
Vorgesetzten vor der Nase herumzulaufen. Das
Hauptkunststück des erfahrenenKommißknechtes
besteht darin, sich nie blicken zu lassen und doch
immer da zu sein, wenn man verlangt wird.

Wigger, ein prächtiger Vorgesetzter, war
Weinhändler und blieb oft den ganzen Tag
Geschäfte halber in der Stadt. Wurde nach
ihm gerufen, so sagte Betzel den Spruch
her: „Er ist soeben in die Waffen-
meisterei gegangen." Dafür blieb
Wigger auch wieder da, wenn
Betzel in Zivil nach Hause zu seiner
Familie auskniff. Es war ein Ver-
hältnis von idealer Kameradschaft-
lichkeit zwischen dem Unteroffizier
und seinem Adjutanten. Betzel ver-
säumte nicht, einige Kisten Wein
bei ihm zu bestellen.

Auf dem Kasernenhofe mochten
sie Ersatztransporte zusammenstel-
len, wohin sie wollten, — Betzel
blieb. Es wurden kommissarische
Untersuchungen gehalten, Leute
wurden zu anderen Waffengattun-
gen herausgezogen, zur Sünität
umgeschrieben, die Bureaus wur-
den geleert, die Rekrutendepots
vollständig ausgeschüttet, — Betzel
blieb. An ihn kamen sie nicht heran.
Gottes Hand schützte ihn sichtbarlich.

Mannschaften freuten sich, wenn
sie garnisondienstfühig befunden
wurden. Sie jubelten zu früh. In
den vordersten Gräben bei Ba-
ranowitschi erhielten sie die Äus-
llärung, daß man auch „garnison-
. dienstfähig fürs Feld" sein könne.
Solch ein Schwindel! Halbkurierte
schrieb man av. Im Trommelfeuer
in Nordfrankreich mußten sie Tele-
graphenleitungeu flicken. Kein Be-
fund schützte mehr.

„Neugierig wäre ich doch, was
sie mich geschrieben haben," sagte
Betzel eines Tages zu seinem Unteroffizier.

„Sie haben den feinsten Befund: Uv Hei-
mat! Damit können Sie es bei uns aushalten
bis Friedensschluß oder bis Kriegsschluß, was
das Gegenteil und doch dasselbe ist. Darauf-
hin wollen wir eins trinken. Prosit!"

Der praktische Amerikaner

„Ich empfehle dem verehrten Europa, diesen Herrn als Verkehrspolizisten
auzuerkenncn. Er wird meistens den Knüppel gebrauchen, seltener die Pistole."

Die Macht der Gewohnheit

Als frommer Priester war im Land
Herr Pfarrer Jakob wohlbekannt.

Er hütet' eifrig seine „Schafe",

Er schalt die Bösen, lobte Brave.

Den Bischof aber freute nicht.

Was er vernahm durch ein Gerücht.

Er machte deshalb sich auf Reisen,

Den Bösewicht zurechtzuweisen.

Als er des Pfarrers Wohnung sah.
Staunt er: zwei Betten standen da!

Der Pfaff jedoch mit Unschuldsmienen
Könnt' gleich mit dieser Antwort dienen:

„Zwei Zimmer, ach, es ist ein Graus,
Sind nur bewohnbar hier im Laus.

Dort hinten schläft die Köchin immer.
Dies ist mein Schlaf- und Arbeitszimmer.

„Doch kommt mal so ein hoher Gast,

Den lad' ich hier alsdann zur Rast;
Deswegen Eminenz hier sehen
Zwei Betten in der Stube stehen."

Der Bischof schaut ihm ins Gesicht,

Des Ausdruck für die Wahrheit spricht.
Und gibt getrost, also beschieden.

Mit dieser Antwort sich zufrieden.

Sie trinken tapfer, gehn zu Bett
Und schnarchen bald drauf um die Wett',
Bis früh man hört die Lausglock' klingen;
Der Michel kommt, die Milch zu bringen.

Der Bischof fährt erschreckt empor —

Der Pfarr' legt sich aufs andre Ohr;

Ihm macht das weiter keine Quaken.

Die Glocke tönt zu andern Malen.

Da pufft — in der Gewohnheit Macht —
Der Pfaff den Bischof, daß es kracht.

Und spricht zu seines Obern Grausens
„Kathi, der Michel steht schon draußen!" 6
 
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