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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 36.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.8264#0223
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9839


Der kranke Wilson oder Ursache und Wirkung

Während seiner Anwesenheit in Europa hat Wilson seinen Verbündeten
Kricgstänzc ausführcn müssen, die ihn schließlich in den Glauben versetzten,
er sei wirklich der letzte Mohikaner.

M UoveWäne eT

Am 9. November kam die Faust
Des Volkes wuchtig niedergesanst.

Und Königskronen wie welke Blätter
Rollten im heiligen Donnerwetter.

Am 9. November vor siebzig Jahren
Haben die Völker andres erfahren.

Als Robert Blnm, des Volkes Sohn,

Als Opfer fiel der Reaktion.

Es schuf die eiserne Gegenwart
Ein Denkmal ihm besondrer Art:

Gebaut aus Fürstenthronen,

Geschmückt mit Königskronen.

*

Europa schläft schlecht. Das kommt daher, weil Mars immer noch
als Alpdruck auf ihm lastet.

•k

Bald will man durch Blockaden uns
Das Wams noch enger schnüren;

Bald will man, daß die Russen wir
Von uns aus noch blockieren.

Herr Clömenceau fetzt stündlich fort
Die Noten-Kanonade.

Am besten wär's schon, die Entente
Blockierte — die Blockade.

k

Am Stammtisch bei Mudicken in die Prenzlauer Straße wurde mit
jebührender Jründlichkeit die Frage erörtert, ob der „Sang an Agir"
oder „Wilhelmus von Nassauen" immer noch Ex-Wilhelms Lieblings-
lied sei. „Nee," entschied ick die Streitfrage. „Jetzt singt er die Arie
aus ,Zar und Zimmermann': Einst spielt ick mit Zepter und Krone
und Stern. ..." Dein getreuer Säge, Schreiner.

Die Friedensfreunde

o o

Vielerlei bat sich verändert
In dem jüngst verfloßnen Jahr,

And so manche Biederseele
Ist nicht mehr, wie einst sie war.
„Kriegsmann, Streiter, Leld und Sieger"
Ließ die Losung ehedem —

Aber heute dünkt dies manchem
Deplaciert und unbequem.

Menschenfreunde, Friedenshüter
Sind sie alle. Man» für Mann,

And in ehmals hohen Sphären
Lebt ein edler Wettstreit an:

„Wer die große Zeit verschuldet?"

Fragt die Stimme Theobalds,

„Ludendorff ist es gewesen
And der Tirpitz ebenfalls!"

„Frei von Schuld ist meine Seele!"
Äußert Ludendorff pikiert,

„Bethmann, dieser Icsuiter,

Lat die Suppe angerllhrt!"

Tirpitz aber greift zur Feder
And beweist uns klipp und klar.

Daß nebst Ludcndorff und Bethmann
Wilhelm das Karnickel war.

Also streiten sich die Edlen —

And cs spricht der Untertan:

„Daß ihr alle, alle stinket.

Sagt mir mein Geruchsorgan;

Bor der Loheit eurer Seelen
Lat mir jederzeit gegraut —

Aber dieses Maß von Feigheit

Lätt' ich euch nicht zugetraut." Tobias

Lieber Jacob!

Ick jratuliere Dir sehr zum »einten Novem-
ber nn winsche Dir, det De dem Tag noch
recht oft erleben mechtest! Det heeßt — von
wejen langes Leben un jute Jesundhcet, Denn
sonst: an neie Revoluzjonen verspiere ick vor-
leifig keenen Bedarf nich, un ick jloobe, det et
kliejer is, erst mal det, wat wir vor'n Jahr
jeschafft jehabt haben, sachteken unter Dach
un Fach zu bringen. Wer jloobt, det er an
dem eenen »einten November noch nich jenug
hat, dem wird ooch een zweeter un dritter
wahrscheinlich nich jlicklich machen. Stänker-
fritzen, die et bloß wohl is, wenn se Krach
un Randal machen kennen, jibt et ja immer
un ieberall, denn se jeheeren zu die Sorte, die
bekanntlich nich alle wird. Wer sich aber jar
inbild't, det sich det joldene Zeitalter mit eenen
Hieb herbeifiehren läßt, der fächelt sich mit
eenen janz fulminösen Irrwisch. Mit eenen
Hieb kannste 'ne janze schwere Menge Zeig
zerteppern — aber zum Uffbauen jeheert Zeit
un Jeduld un ooch 'n janz kleen bisken Klug-
heet. Diesem letztjenannten Umstand lassen
leider diejenijen vermissen, die der unmaß-
jeblichen Meinung sind, det eene Minderheet
von Bolschewisten ejal als Konsorzjum von
allen Edelmut un alle Staatsweisheit selten
misse. Ick halte noch au den Jrundsatz fest,
det jedes Volk det Recht hat, sich selber zu
rejiere» un seine Rejierung selber zu ivählen,
un det mir Deitsche keene Bevormundung
weder von rechts noch von links nich brauchen
tun. Diktatur mag for de Herren Diktatoren
janz anjenehin un bequem sind, aber erst missen
se de Dummen finde», die sich heitzutage noch

wat diktieren lassen. Icke wenigstens danke
erjebenst for dieset östliche Südobst un be-
jniege mir mit die demokrateschen Kartoffeln,
die uff unsere eijenen Felder jewachsen sind
un die wir unter Anleitung von Marx»,
Lassallen, Liebknecht» un Bebeln een halbet
Jahrhundert lang mit unfern Schweiße be-
ackert haben. Wer meent, det wir aus diese
deitsche» Kartoffeln erst russeschen Wutki
brennen missen, eher det se for uns nahrhaft
un jenießbar sind, der kennt denn doch dem
Magen unseres Volkes nicht!

Det wollte ick man bloß jesagt haben, da-
mit mir keener nich for'n Dussel hält. Im
iebrijen jede ick durchaus zu, det uns trotz
dem »einten November noch lausig ville zu
tun iebrig jeblieben is un det et jut wäre,
wenn et een bisken schneller vorwärts jinge.
Ooch jestehe ick jeden det heilije nn unver-
eißerbare Menschenrecht zu, uff de Rejierung
zu schimpfen. Wem Jott der Herr een Amt
jibt, dem muß er ooch 'ne dicke Pelle jeden,
un wer durch det Vertrauen seiner Mitbirjer
uff 'ne hohe amtliche Stelle berufen is, der
soll sich nich wundern, wenn er jelegentlich
mit faule Äppel beschmissen ivird. Bloß derfen
et keene Ferdeüppel un keene Handjranateu
nich sind — det iS unanständig. Denn ooch ’n
Minister is jewissermaßeu doch immerhin 'n
Mensch un hat Anspruch uff det barmherz-
liche Mitjefiehl, det wir nich bloß de vier-
beenijen, sondern am Ende ooch de zwee-
beenijen Kreaturen schuldig sind!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
Jotthilf Rauke,
an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

RcdattionSlchlud -o. Ottvber 1519
 
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