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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 36.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.8264#0226
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9842

Die teßte Kanone

TiTutj bem Gemälde von Vierß im Wierü-Akukeum in Vriilkel

Bild der Zeit

Du willst- Vollendung sehen
Und siehst das Nächste nur:

Wie tausend Lände drehen
Blind an der Zeiten Uhr.

Wie faustgewalt'ge Stärke
Wild nach den Zeigern packt.

Und hörst: es knarrt und knackt
In dem bedrohten Werke.

Siehst Lirne, kaum entfettet.

Noch von der Knechtschaft stumpf.
Und Lerzen, unerrettet
Aus altem Sklavensumpf.

Siehst Augen, die in trüber
Furcht wichen allem Streit —
Nun lodern sie im Fieber
Nach Glanz und Lerrlichkeit.

Und was aufs Laupt geschlagen
Schon tot für immer schien
In den Novembertagen —

Es wird schon wieder grün.

Es drängt sich dreist zum Lichte,
Was in den Orkus sank,

Und pfuscht mit Trug und Zank
Frech in die Weltgeschichte.

Wohin du blickst, erscheinen
Dir Labsucht, Torheit, Laß,

Und schiefe Mäuler greinen:

Ist das die Freiheit, das?

Getanzt, gepraßt, getrunken.

Geschoben und erpreßt!

Das Leben ist ein Fest

Für Schwindler und Äalunken. ...

Du willst Vollendung sehen
Und siehst das Nächste nur.

Wo aber ohne Wehen
Gebäret die Natur?

Wir sind noch in der Wende,

Da alles wild sich dreht.

Was werden will, es steht
Am Anfang, nicht am Ende! Pec.

Der 9. November

Zwei Skizzen von P. E.

Das Auto

Durch Belgien saust der holländischen Grenze
zu ein graues, fest verschlossenes Auto. Es hat
keine besonderen Abzeichen, die auf seinen Be-
sitzer hindeuten. Und doch bleibt alles stehen,

wenn das Auto vorbeikommt. In den Dörfern
bleiben die Bewohner in den Türen, und ihre
Fäuste ballen sich. Zu sagen wagen sie nichts:
denn eine Anzahl anderer Autos, aus denen
Uniformen hcrvorblitzen, folgt jenem.

In dem geheimnisvollen Auto vorn sitzt
einsam, in die Polster zurückgelehnt, der ge-
stürzte Kaiser. Gestern noch ein gewaltiger
Monarch, der Millionen Bewaffneter in den
Tod schicken konnte — heute ein Nichts, ein
zitternder, elender Mensch.

An der Rückwand des Autos ist ein ovaler
Spiegel angebracht. Der Einsame wagt nicht
hineinzublicken: sein zerfallenes, aschgraues
Gesicht flößt ihm nur noch mehr Schrecken ein.

Er blickt aus dem Fenster. Am Wege stehen
Weidenbäume. Gespenstisch recken sie die
schwarzen Zweige in die Luft. Sind es nicht
Arme, die drohend gegen den Himmel und
gegen ihn gerichtet sind? Nebelschleier ziehen
über die Felder/ Sie bewegen sich und formen
sich zu Menschengestalten. Das Nebelmecr
wird zu einem unabsehbaren Heer von Toten.
Menschen ohne Arme, ohne Beine, ohne Kopf
drängen sich immer dichter a» den Wagen
heran. Warum fährt der Chauffeur nichl
schneller?!
 
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