Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 36.1919

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8264#0238
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9854

«) Baltikum cs?

3m Baltikum, im Baltikum —

Da geht der große Plumpsack um.
Da träumt man noch vom Siege-,
Da lebt die Soldateska wie
3m Dreißigjähr'gen Kriege.

3m Baltikum, im Baltikum
Lebt man im Kriegsdelirium:

Man schießt nach vorn und hinten;
Es gehen halt von selber los
Die scharf geladnen Flinten.

3m Baltikum, im Baltikum

Schießt man und weiß oft kaum, warum.

Bon dem besondren Holze,

Aus dem man Bonapartes schnitzt.

Sind die verschiednen Goltze.

3m Baltikum, im Baltikum

Stellt man sich dümmer noch als dumm.

Als müßt man nichts vom Frieden.

Sperrt nur die Löhnung! Glaubt, das stört
Die Napoleoniden!

3m Baltikum, im Baltikum
Tönt immer noch Geschütz-Gebrumm
Und stört uns unfern Schlummer.
Wann wird der Eisenmund wohl stumm
Und unser Balti—Kummer?

P. E.

-ooo-

Der Umsturz im Bureau

Militärische Revolutionsskizzc von F. Madltnger

Von einer eigentlichen Revolutionspropa-
ganda hat die nach Hunderten zählende Mann-
schaft des Stellvertretenden Generalkomman-
dos zu X. nichts gemerkt. Propaganda trieb
nur Ludendorff, und zwar so dick, daß man
nach Goethes Wort die Absicht merkte und
verstimmt wurde.

Im Hotel National, das die Heeresverwal-
tung für die zahlreichen Bureaus gemietet
hatte, brüllten den Eintretenden Dutzende,
meist in schreienden Farben gehaltene Plakate
an mit kategorischen Imperativen, deren Wir-
kung durch die vielfache Wiederholung nicht
zunahm. Man wußte längst, daß man Apfel-
und Traubcnkerne nicht ausspucken, sondern
auf die nächste Sammelstelle tragen solle. Man
wußte, daß wer Brotgetreide in gesetzlich nicht
zulässigen Mengen verfüttert, sich am Vater-
lande versündige. Niemals durste Belgien Auf-
marschgebiet unserer Feinde werden. Die Fol-
gen dieser an die Wand gemalten Möglichkeit
waren flammende Städte im Rheinland, ein-
stürzende Fabriken, berstende Hochöfen, über
denen englische Flieger schwebten.

Man erfuhr auch aus diesen amtlichen Anf-
klärungsblätiern, mit denen Ludendorff der
Papiernot zum Trotz jede Wandfläche tape-
zierte, wer die eigentlichen Kriegs-
schuldigen sind. Da prangten die
Bilder Eduards Vil. und des Zaren
Nikolaus mit dem ganze» Gefolge
ihrer Staatsmänner. Einen Beweis
für die abgestumpfte Aufnierksamkeit
der Vorbeigehenden darf man in dem
Umstand sehen, daß eines Nachts die
Bildnisse Wilhelms II. und Franz
Josephs aus dem Plakat „Nibelungen-
treue" herausgeschnitten und auf jenes
der „rvahren Kriegsschuldigen" ver-
pflanzt wurden, ohne daß jemand die
Veränderung merkte.

Neben dem alten Werbeplakat mit
der Versicherung: „Die achte Kriegs-
anleihe ist der letzte Streich" hing
frohgemut ein neues, das zur Zeich-
nung der neunten einlud.

In diesem Stadium des Weltkriegs
war die Mannschaft natürlich nicht
mehr so empfänglich dafür. Die meisten
hatten an der Front gedient und
brachten das summarische Urteil zu-
rück: Schwindel! — das meistgehörte
Wort im Munde soldatischer Erzähler.

Im Scherz sprach man schon vom Arbeilcr-
und Soldatenrat. Fand ein Offizier eine Gruppe
Leute beisammen, so pflegte er mit frostigem
Lächeln zu fragen: „Na, was hat der hohe
Soldalenrat beschlossen?" Auf einmal gefror
ihr Lächeln ganz ein. In Kiel ging's los, Lübeck
folgte, — Hamburg! Kaum blieb Zeit, die
überstürzten Ereignisse zu verfolgen, so schnell
sprang der Funke das Aufruhrs auch in an-
dere Städte. Ein Donnerschlag: Bayern ist
Republik!

Der Vorstand der Ämter im Hotel National,
Major E., spielte den Kaltblütigen. Er las
sein Militärwochenblatt, das von diesen Be-
wegungen noch nichts brachte, und rauchte
dicke Zigarren, in denen auch der beste Bo-
taniker kein Fäserchen Kirschblatt oder Vuchen-
laub hätte entdecken können. Noch war in der
Stadt alles still; vom Schloß wehte beruhigend
die landesherrliche Fahne. Allerdings standen
bereits einige Gruppen Soldaten, die vom
Feld oder aus den Lazaretten kamen, ausfällig
herum und meinten: „Es muß was losgehen."

Samstags, den 9. November, um 4 Uhr
sollte Dienstschluß sein. Aber kurz vorher gab
es ein wildes Telephonieren; die „Herrn"
wurden zum Major befohlen. Sie kamen mit
steinernen Gesichtem zurück. „Sämtliche Mann-
schaften haben auf den Stuben zu bleiben und
weiterzuarbeitcn." Die Leute ärgerten sich und

Das neue Tippfräulein

„Unterbrechen Sie mich nicht fortgesetzt. Sie verderben mir ja daS
Konzept zu meiner Rede über die Aufhebung der Zwangswirtschaft,
die ich in der Natioualversaiumluiig halten will."

lachten. Man wo.llte sie von der Straße weg-
haben. Die Telephonistin hatte bereits ver-
raten, es sei ein Zug Soldaten im Anmarsch
gegen das Schloß. „Morgen, Sonntag, ist für
alle Mannschaften Vormittagsdienst anzu-
setzen", lautete ein neuer Befehl des Majors,
der indessen fast augenblicklich widerrufen
wurde, so daß nur die Hälfte der Leute zu
kommen brauchte. Gegen 5 Uhr entließ er die
Mannschaft. Sie kamen gerade recht zum all-
gemeinen Abreißen der Kokarden und der
Osfiziersachselstücke auf der Hauptstraße.

Sonntag, den 10. November, dem Revolu-
tionssonntag, trat die halbe Mannschaft um
10 Uhr zum Dienst an. Die Republik war
ausgerufen. Manche Offiziere trugen Zivil,
selbst der Herr Major.

Der Haupt mann trug noch Uniform, nur
ohne Achselstücke, und auf dein Bureau riß er
auch noch seine breite, durch weitreichende Be-
ziehungen zusammen gegaunerte Ordensschnalle
ab und schleuderte sie in den Papierkorb.
„Weg mit dem Zeug, die Scheiße hat ja doch
keinen Wert mehr!"

Um halb elf erschien der Personalfeldwebel
Schnarrenberger bei dem Unteroffizier Winter.
„Der Herr Major lassen den Unteroffizier
Winter zu sich bitten." Winter sagte bloß
„Nanu?" und ging. Vor der Tür des Gewal-
tigen traf er mit Vizefeldwebel Specht zu-
sammen. „Sie auch?" fragten beide
gleichzeitig.

Der Major in seiner Zivilkluft, die
alle Ehrfurcht verscheuchte, erhob sich
mühsam und näherte sich den beiden
langsam. Er zitterte an den Händen,
die unsicher an der Lehne eines Stuhles
herumtaslelen und Halt suchten.

„Ich habe Sie bitten lassen, meine
Herrn, weil — na, Sie wissen ja wohl,
nicht wahr, wie es steht, — also da
wollte ich Sie doch gebeten haben,
weil mir nämlich gesagt wurde, es
käme im Hause ein Soldatenrat zu-
stande und — Sie beide sollten Wort-
führer sein - ."

Die beiden Leute erhoben abweh-
rend ihre Hände.

„Ja nu, noch is ja nich so weit, aber
nich wahr, für den Fall, da möchte ich
Sie doch bitten, weil —.mir nämlich zu
Ohren gekommen ist, daß — mein«
Absetzung beantragt werden solle, wir-
ken Sie doch ja bitte darauf hin, daß
davon abgesehen wird, wenn es möglich
ist, denn sehen Sie, meine Herrn, — —"
 
Annotationen