-—. 9855
So fuhr dcr alte Mann in seinem kläglichen
Ton fort. Er schien völlig gebrochen. Er er-
klärte, er sei pensionierter Offizier und mit
Giücksgütern nicht überreich gesegnet, und
lebe von seiner Löhnung. Sie hätten doch so
lange gemeinsam miteinander dem Vaterland
ihre Arbeitskraft gewidmet, und sie wollten
es auch in den neuen Verhältnissen tun.
Es war erschütternd, wie der Gefürchtete
plötzlich von der Höhe seiner Unnahbarkeit
herabstieg. Wie er so nett reden konnte! Die
beiden Soldaten beruhigten ihn und verspra-
chen, im Sinne der Ordnung und des An-
standes auf die Kameraden einzuwirken. Zwar
verhehlte Winter nicht die Mißstimmung, die
gegen den Herrn Major herrschte wegen ver-
schiedener Anordnungen. Der Major sagt«
Abstellung aller Beschwerden zu und entließ
die beiden mit einem dankbaren Händedruck,
indem er sie bis zur Tür begleitete.
Die Mannschaft hatte inzwischen die Parole
ausgegeben: Um drei Uhr Versammlung im
Sitzungssaal. Z>t Winter kamen sie und
fragten, ob er die Sache leiten wolle.
„Wenn es die Kameraden wünschen, ja,"
antwortete er.
In der Versammlung herrschte eine geho-
bene Stiinlnung. Winter hielt eine zündende
Ansprache, die auf die Aufforderung hinaus-*
lief, Ruhe und Besonnenheit zu bewahren,
den Dienst auch ferner treu zu tun und durch
keine schinrpfliche Handlung den großen ge-
schichilichen Augenblick zu beschmutzen, der
ihnen Erlösung, Freiheit und Menschenwürde,
aber auch schwere Verantwortung brachte. Die
Wahl der Soldatenräte fiel aus Winter und
Specht. Es wurde eine Liste der Beschwerde-
punkte ausgestellt, mit der die zwei Gewählten
sich zum Major begaben.
Die Mannschaft forderie außer Abstellung
aller schikanösen Anordnungen die Absetzung
zweier Offiziere, darunter des Adjutanten. Der
Major versprach, die Herren sofort als ver-
fügbar zu melden. Die Beschwerdepunkle wur-
den durchgegangen ; der Dienst erfuhr auf
Grund von Vorschlägen der Mannschaft eine
neue Regelung.
„Sehen Sie," sagte der Major, „wenn ich
das früher gewußt hätte, hätte ich es längst
abgestellt. Warum sind Sie nicht schon vor
einem Jahr zu inir gekommen?"
„Bor einem Jahr mären ivir vierzehn Tage
ins Loch geflogen," erwiderte Specht.
Vom Dienstag, den 12. November ab,
herrschte wieder Friede iin Amt. Die Leute
freuten sich ihrer Erleichterungen und scharrten
fröhlich drein wie noch nie.
Ganz vermochten die Offiziere ihren Miß-
mut natürlich nicht zu unterdrücken. Einmal
kamen sie zu Winter und fragten, ob es eine
notwendige Begleiterscheinung des Vöikerfrüh-
lings und ein Stück des sozialistischen Evan-
geliums wäre, daß die Mannschaften nun
auch den Offiziersabort benutzten und zrvar
so stark, daß er am dritten Tag dcr glorreichen
Revolution bereits total verstopft und auch
sonst in einem unbeschreiblichen Zustand sei.
Der So'datenrat mußte »ach einer» Augen-
schein das Berechtigte der Beschwerde aner-
kennen. Es war nicht zu leugnen, daß arn ge-
nannten Ort der junge Freiheitsdrang sich in
einfach blindrvütender Weise ausgetobt halte,
Wahrheitsbeweis
Meine Herren Geschworenen! Lassen Sie keine
Milde walten. Der Angeklagte hat einen wissent-
lich falschen Eid geschworen, denn der Gerichts-
diener Greifenklaue hat ganz deutlich gesehen, wir
Jnkulpat bei Eid mit dcr linken Hand eine Gabel
gemacht hat.
„aber" — sagte Winter — „auch die Sonne
der Freiheit hat ihre Flecken".
Dies war in der Tat der einzige namhafte
Schatten, der auf die hellen Tage des Um-
sturzes aus dem Bureau fiel. Eine objektive
Darstellung durfte an dieser Feststellung nicht
Vorbeigehen im Interesse der historischen
Wahrheit.
Zur Charakteristik
Wilhelms des Glorreichen
Eine Hofdame der Kaiserin hat in England
ein Buch erscheinen lassen über das „Geheim-
leben des Berliner Hofes", das auch in
deutscher Übersetzung vorliegt und manches
Merkwürdige enthält. Zum Beispiel wird er-
zählt, Wilhelm II. habe bei seiner Geburt
keinerlei Lebenszeichen von sich gegeben, so
daß die Hebamme „siirchtete", das Kind sei
stumm geboren. — Welch eine Perspektive,
hätte die Befürchtung recht gehabt! Wilhelm II.
stumm geboren! Es ist nicht zum Ausdenken.
Eine andere Stelle handelt von des Kaisers
krankhafter Angst vor Ansteckung. Wenn er
erfuhr, daß irgend ein weitläufiger Verwand-
ter einer Person, mit der er gerade sprach,
an Erkältung oder Masern litt, „flüchtete der
Allerhöchste Kriegsherr wie ein Löwe, der
einen Hahn krähen hört". — Und dieser über-
ängstliche Schwächling wollte 1914 „die Welt
vor sich zittern lassen"!
Obwohl Wilhelm kein religiöser Mensch sei,
glaube er, daß Frömmigkeit sehr gut für das
gewöhnliche Volk passe. — Das hat er von
seinem „verehrten Herrn Großvater", der auch
immer stark dafür war, daß dem Volk die
Religion erhalten werde. •
Wilhelm der Gernegroße litt an dcr Ein-
bildung, er ähnle in allen Gesichtszügen seinem
Ahnherrn Friedrich dem Großen. Er habe oft
neben dem Porträt Friedrichs sein Gesicht in
einem Wandspiegel studiert. Insbesondere
glaube er, er habe die berühmten Augen des
Siegers von Roßbach. — Nun wisse» wir
wenigstens, warum er immer so geblitzt hat.
Jeden vierten Tag im Jahre huldigte der
Kaiser dem edlen Weidwerk, wenn man das
hunderkweise Abschießen aus Hürden losge-
lassener Tiere so nenne» will. Der königliche
Nimrod rühmte sich einst, seine sünfzigtausendsle
Kreatur erledigt zu haben, und sprach: „Ich
hoffe, meinen Jagdrekord die nächsten zehn
Jahre zu verdoppeln oder zu verdreifachen."
— Das ist ihm zwischen 1914 und 1918 gründ-
lich gelungen.
Auf der Schule und der Universität sei
Wilhelms beste Zensur „genügend" gewesen.
— In der Politik hat er nur ein „durchaus
ungenügend" erreicht, laut Abgangszeugnis
vom 9. Novembeic 1918. Pankraz Bittermaut
Lieber Wahrer Jacob!
In einerVersammlung zählte ein alldeutscher
Redner alle Vorteile auf, die >vir im Falle
einer Wiederherstellung der Monarchie jit ge-
nießen hätten. Aus dem Saal kam ein Zwischen-
m>: „Sie haben eins vergessen! Wir dürfen
uns dann auch wieder zur Stammrolle an-
melden!" ^
Wilson ist schwer erkrankt. Die Ärzte sprechen
von einer krankhaften Veränderung des Ge-
hirns. So etwas hat man ihm schon während
der Friedensverhandlungen angemerkt.
4c
Der Platzkommandant von Speier hat die
Bürgerschaft verwarnt, die farbigen Besatzungs-
soldaten als „Schwarze" oder „Neger" zu be-
zeichnen, weil sich die Herrschasten dadurch
beleidigt fühlen könnten. Wenn ein toll ge-
ivordener Militarismus befiehlt, daß schwarz
weiß ist, muß der Untergebene „Zu Befehl"
sagen und das Maul hallen. Ein Glück, daß
die Deutschen durch den eigenen Militaris-
mus daran gewöhnt wurden.
•k
Ein Hauptmann rief an einem Großkampf-
tag 1918 seiner Mannschaft zu: „Kinder, wenn
der Tankangriff glücklich abgeschlagen ist,
machen wir einen schneidigen Gegenstoß. Ihr
kriegt dann auch ein gutes Marmeladenbrot
zum Nachtessen." ^
Die bayerischen Bischöfe schreiben in einem
Hirtenbrief: Kein Gesetz des Staates kann im
Gewissen verpflichten, wenn es mit den Ge-
boten Gottes im Widerspruch steht. Gewissens-
recht bricht Staatsrecht. — Wie schade, daß
diese Jünger Christi diesen Grundsatz erst
jetzt hervoryoleu, ivo es um die weltliche
Schule geht, und nicht int August 1914, als
sie die Waffen segneten int Namen des Gottes,
der gesagt hat: „Du sollst nicht töten."
So fuhr dcr alte Mann in seinem kläglichen
Ton fort. Er schien völlig gebrochen. Er er-
klärte, er sei pensionierter Offizier und mit
Giücksgütern nicht überreich gesegnet, und
lebe von seiner Löhnung. Sie hätten doch so
lange gemeinsam miteinander dem Vaterland
ihre Arbeitskraft gewidmet, und sie wollten
es auch in den neuen Verhältnissen tun.
Es war erschütternd, wie der Gefürchtete
plötzlich von der Höhe seiner Unnahbarkeit
herabstieg. Wie er so nett reden konnte! Die
beiden Soldaten beruhigten ihn und verspra-
chen, im Sinne der Ordnung und des An-
standes auf die Kameraden einzuwirken. Zwar
verhehlte Winter nicht die Mißstimmung, die
gegen den Herrn Major herrschte wegen ver-
schiedener Anordnungen. Der Major sagt«
Abstellung aller Beschwerden zu und entließ
die beiden mit einem dankbaren Händedruck,
indem er sie bis zur Tür begleitete.
Die Mannschaft hatte inzwischen die Parole
ausgegeben: Um drei Uhr Versammlung im
Sitzungssaal. Z>t Winter kamen sie und
fragten, ob er die Sache leiten wolle.
„Wenn es die Kameraden wünschen, ja,"
antwortete er.
In der Versammlung herrschte eine geho-
bene Stiinlnung. Winter hielt eine zündende
Ansprache, die auf die Aufforderung hinaus-*
lief, Ruhe und Besonnenheit zu bewahren,
den Dienst auch ferner treu zu tun und durch
keine schinrpfliche Handlung den großen ge-
schichilichen Augenblick zu beschmutzen, der
ihnen Erlösung, Freiheit und Menschenwürde,
aber auch schwere Verantwortung brachte. Die
Wahl der Soldatenräte fiel aus Winter und
Specht. Es wurde eine Liste der Beschwerde-
punkte ausgestellt, mit der die zwei Gewählten
sich zum Major begaben.
Die Mannschaft forderie außer Abstellung
aller schikanösen Anordnungen die Absetzung
zweier Offiziere, darunter des Adjutanten. Der
Major versprach, die Herren sofort als ver-
fügbar zu melden. Die Beschwerdepunkle wur-
den durchgegangen ; der Dienst erfuhr auf
Grund von Vorschlägen der Mannschaft eine
neue Regelung.
„Sehen Sie," sagte der Major, „wenn ich
das früher gewußt hätte, hätte ich es längst
abgestellt. Warum sind Sie nicht schon vor
einem Jahr zu inir gekommen?"
„Bor einem Jahr mären ivir vierzehn Tage
ins Loch geflogen," erwiderte Specht.
Vom Dienstag, den 12. November ab,
herrschte wieder Friede iin Amt. Die Leute
freuten sich ihrer Erleichterungen und scharrten
fröhlich drein wie noch nie.
Ganz vermochten die Offiziere ihren Miß-
mut natürlich nicht zu unterdrücken. Einmal
kamen sie zu Winter und fragten, ob es eine
notwendige Begleiterscheinung des Vöikerfrüh-
lings und ein Stück des sozialistischen Evan-
geliums wäre, daß die Mannschaften nun
auch den Offiziersabort benutzten und zrvar
so stark, daß er am dritten Tag dcr glorreichen
Revolution bereits total verstopft und auch
sonst in einem unbeschreiblichen Zustand sei.
Der So'datenrat mußte »ach einer» Augen-
schein das Berechtigte der Beschwerde aner-
kennen. Es war nicht zu leugnen, daß arn ge-
nannten Ort der junge Freiheitsdrang sich in
einfach blindrvütender Weise ausgetobt halte,
Wahrheitsbeweis
Meine Herren Geschworenen! Lassen Sie keine
Milde walten. Der Angeklagte hat einen wissent-
lich falschen Eid geschworen, denn der Gerichts-
diener Greifenklaue hat ganz deutlich gesehen, wir
Jnkulpat bei Eid mit dcr linken Hand eine Gabel
gemacht hat.
„aber" — sagte Winter — „auch die Sonne
der Freiheit hat ihre Flecken".
Dies war in der Tat der einzige namhafte
Schatten, der auf die hellen Tage des Um-
sturzes aus dem Bureau fiel. Eine objektive
Darstellung durfte an dieser Feststellung nicht
Vorbeigehen im Interesse der historischen
Wahrheit.
Zur Charakteristik
Wilhelms des Glorreichen
Eine Hofdame der Kaiserin hat in England
ein Buch erscheinen lassen über das „Geheim-
leben des Berliner Hofes", das auch in
deutscher Übersetzung vorliegt und manches
Merkwürdige enthält. Zum Beispiel wird er-
zählt, Wilhelm II. habe bei seiner Geburt
keinerlei Lebenszeichen von sich gegeben, so
daß die Hebamme „siirchtete", das Kind sei
stumm geboren. — Welch eine Perspektive,
hätte die Befürchtung recht gehabt! Wilhelm II.
stumm geboren! Es ist nicht zum Ausdenken.
Eine andere Stelle handelt von des Kaisers
krankhafter Angst vor Ansteckung. Wenn er
erfuhr, daß irgend ein weitläufiger Verwand-
ter einer Person, mit der er gerade sprach,
an Erkältung oder Masern litt, „flüchtete der
Allerhöchste Kriegsherr wie ein Löwe, der
einen Hahn krähen hört". — Und dieser über-
ängstliche Schwächling wollte 1914 „die Welt
vor sich zittern lassen"!
Obwohl Wilhelm kein religiöser Mensch sei,
glaube er, daß Frömmigkeit sehr gut für das
gewöhnliche Volk passe. — Das hat er von
seinem „verehrten Herrn Großvater", der auch
immer stark dafür war, daß dem Volk die
Religion erhalten werde. •
Wilhelm der Gernegroße litt an dcr Ein-
bildung, er ähnle in allen Gesichtszügen seinem
Ahnherrn Friedrich dem Großen. Er habe oft
neben dem Porträt Friedrichs sein Gesicht in
einem Wandspiegel studiert. Insbesondere
glaube er, er habe die berühmten Augen des
Siegers von Roßbach. — Nun wisse» wir
wenigstens, warum er immer so geblitzt hat.
Jeden vierten Tag im Jahre huldigte der
Kaiser dem edlen Weidwerk, wenn man das
hunderkweise Abschießen aus Hürden losge-
lassener Tiere so nenne» will. Der königliche
Nimrod rühmte sich einst, seine sünfzigtausendsle
Kreatur erledigt zu haben, und sprach: „Ich
hoffe, meinen Jagdrekord die nächsten zehn
Jahre zu verdoppeln oder zu verdreifachen."
— Das ist ihm zwischen 1914 und 1918 gründ-
lich gelungen.
Auf der Schule und der Universität sei
Wilhelms beste Zensur „genügend" gewesen.
— In der Politik hat er nur ein „durchaus
ungenügend" erreicht, laut Abgangszeugnis
vom 9. Novembeic 1918. Pankraz Bittermaut
Lieber Wahrer Jacob!
In einerVersammlung zählte ein alldeutscher
Redner alle Vorteile auf, die >vir im Falle
einer Wiederherstellung der Monarchie jit ge-
nießen hätten. Aus dem Saal kam ein Zwischen-
m>: „Sie haben eins vergessen! Wir dürfen
uns dann auch wieder zur Stammrolle an-
melden!" ^
Wilson ist schwer erkrankt. Die Ärzte sprechen
von einer krankhaften Veränderung des Ge-
hirns. So etwas hat man ihm schon während
der Friedensverhandlungen angemerkt.
4c
Der Platzkommandant von Speier hat die
Bürgerschaft verwarnt, die farbigen Besatzungs-
soldaten als „Schwarze" oder „Neger" zu be-
zeichnen, weil sich die Herrschasten dadurch
beleidigt fühlen könnten. Wenn ein toll ge-
ivordener Militarismus befiehlt, daß schwarz
weiß ist, muß der Untergebene „Zu Befehl"
sagen und das Maul hallen. Ein Glück, daß
die Deutschen durch den eigenen Militaris-
mus daran gewöhnt wurden.
•k
Ein Hauptmann rief an einem Großkampf-
tag 1918 seiner Mannschaft zu: „Kinder, wenn
der Tankangriff glücklich abgeschlagen ist,
machen wir einen schneidigen Gegenstoß. Ihr
kriegt dann auch ein gutes Marmeladenbrot
zum Nachtessen." ^
Die bayerischen Bischöfe schreiben in einem
Hirtenbrief: Kein Gesetz des Staates kann im
Gewissen verpflichten, wenn es mit den Ge-
boten Gottes im Widerspruch steht. Gewissens-
recht bricht Staatsrecht. — Wie schade, daß
diese Jünger Christi diesen Grundsatz erst
jetzt hervoryoleu, ivo es um die weltliche
Schule geht, und nicht int August 1914, als
sie die Waffen segneten int Namen des Gottes,
der gesagt hat: „Du sollst nicht töten."