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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 36.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.8264#0241
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9857

Schwächliche Tugenden

Eine englische Zeitung warnte vor kurzein
oor den „schwächlichen Tugenden" Güte und
Freundlichkeit. Wer die letzten Jahre mit
wachen Sinnen erlebt, wer gesehen hat, wie
oas überströmende<Herz der Menschheit sich
in Güte und Freundlichkeit aufzulösen drohte,
wird den ganzen Ernst dieser höchst zeitge-
mäßen Mahnung begreifen. Es gibt gegen-
wärtig gewiß nichts Dringenderes, als die
Völker'beschwörend darauf hinzuweisen, daß
ihre unselige Neigung zu verständnisvoller
Nachsicht endlich einmal aufhören und tat-
kräftige Gewalt zu ihrem vernachlässigten
Rechte kommen muß. Zwar hat die Erde in
jüngster Zeit siebeneinhalb Millionen entseelter
Menschenleiber verschluckt, die nicht an über-
triebener Güte zugrunde gingen; zwar ist die
Welt bevölkert von zerschossenen und zer-
hauenen Körpern, die ihre Leiden nicht der
Freundlichkeit ihrer Mitmenschen verdanken,
— aber hier und da hat verstehende Milde
die Qual zu lindern versucht, hier und da
sind Stimmen in der blutigen Wüste erwacht,
die von der Sinn- und Nutzlosigkeit, von der
menschenunwürdigen Barbarei des Mordens
und Verstümmelns sprachen und nach Güte
und Vernunft schrien — und diesen elenden
Schwachherzigkeiten gegenüber, die schließ.ich
das Grauen vor zwecklosem Blutvergießen
auch in die noch zukunftskriegerischcn Herzen
senken, muß natürlich das hohe Ideal muskel-
kräftiger Menschlichkeit immer von neuem auf-
gepflanzt werden. Muß es um so mehr, als auch
der Frieden ein höchst schwächliches Erzeug-

nis larmoyanter Gemütsmenschen ist, die uns
die Kehle nur halb zuschnürten, während es
doch in ihrer Macht lag, auch den letzten Ruck
zu tun. Güte und Freundlichkeit hinderten sie
bekanntlich daran; deshalb ist das englische
Blatt und sind einige andere Leute mit Recht
entrüstet, und sie sehen die Welt schon in
einem Brei allgemeiner Rührseligkeit versinken.
Man soll nichts halb tun! Man soll seinem
Gegner, wenn man die Macht hat, den letzten
Atemzug aus der Brust drücken. Und es liegt
durchaus ini Interesse einer gesunden und
kräftigen Zukunft, wenn jener Geist systema-
tisch gepflegt wird, der auS ganzen Völkern
eine interessante Sammlung von Hungerge-
rippen macht und Menschen gleichmütig wie
lästige Fliegenschwärme an die Wand klatscht.

Dieser Geist, der jenseits unserer Grenzen
an der Erstarkung des Menschengeschlechts
wirkt, ist auch in Deutschland nicht ganz un-
bekannt. Er gehört zu den internationalen
Erscheinungen, die wir als schönstes Erbteil
aus dem Steinzeitalter übernommen haben;
er läßt sich in die Worte prägen: Güte ist
.Kultur des Herzens — und Herz und Kultur
sind Entartungen des Menschengeschlechts.
Die Liebknechtmörder in Berlin und die Geisel-
nrörder in München waren dieser Entartung
noch nicht verfallen. Der Soldat, der Rosa
Luxemburg mit dem Kolben über den Schädel
schlug, und jene heldischen Zeitgenossen, die
den sächsischen Kriegsminister Neuring in der
Elbe ersäuften, sie alle gehören zu dem ur-
wüchsigen Stamme, der nicht an schwächlichen
Tugenden krankt. Der Kürassierstiefel Bis-
marcks und das Henkerbeil Lenins, die ost-

elbische Reitpeitsche und die Gewehre Bela
Kuns — sie alle sind Attribute jener erhabenen
Stärke, die Güte und Freundlichkeit restlos
und verachtungsvoll überwunden hat.

Ja! Wir müssen aus der unseligen Weich-
heit heraus. Wir dürfen den schwächlichen
Tugenden keine Konzessionen mehr machen,
dürfen die Forderungen einer echt männlichen
Stärke nicht mehr mit den lahmen Einwen-
dungen menschheitverbildender Kultur ver-
schleiern. Wir wollen endlich daS Zeitalter
absoluter Wahrheit und Aufrichtigkeit begrün-
den und auf den elenden Plunder der Tugen-
den verzichten, die bisher als ein. Unterschei-
dungsmerkmal zwischen Mensch und Raub-
tier galten. Laßt uns stark sein und offen und
ganz das, was wir sind: Bestien! Par

Anerkennung

Die Kindsmutter weiß beim Amtsgericht
in einer Alimentationssache gegen Unbekannt
mit dem besten Willen den Namen des Kinds-
vaters nicht anzugeben. Sie wiederholt nur
immerzu: „Es war halt ein Herr vom Kom-
munalverband."

Der Richter: „So, vom Konrmunalverband!
Na, Gott sei Dank, da hat doch der Kom-
munalverband wenigstens ein mal etwas ge-
macht, das Hand und Fuß hat." FM.

Unfern Kapitalisten kann nur ein deutsches
Gefühl beigebracht werden, nämlich das
Heimweh nach ihren ins Ausland verscho-
benen Wertpapieren.

'Infernte finden hn "Wafiven Jacob die weitefte Uerbreitung^e)
 
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