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„Friede auf Erden!"
über Deutschlands verschneite Fluren Hallen
die Weihnachlsglocken. „Ehre sei Gott in der
Höhe! Friede auf Erden! Und den Menschen
ein Wohlgefallen!" Die junge Frau im sünslen
Stock der großstädtischen Mietkaserne hört's.
Müde lehnt sie am Fenster, die Stirne an die
Scheiben gepreßt. An einen Gott glaubt sie
schon längst nicht mehr. Wenn er „allgütig"
ist — warum hat er das furchtbare Unglück
über die Menschheit kommen lassen — er, der
doch angeblich die Macht hatte, es zu verhüten?
„Friede aus Erden!" Nahezu fünf Jahre
hatte es gedauert, ehe er gekommen — und
nun war er seit einem halben Jahr unter-
zeichnet, und die Gefangenen waren immer
noch nicht frei! Als im September 1914 die
Nachricht kam, daß ihr Mann von den Fran-
zosen gefangen sei, hatte sie innerlich gejubelt,
denn nun war er ja allen Gefahren des Krie-
ges entrückt. Aber als daun Jahr um Jahr
verging — und als Nachrichten Purch die
Blätter liefen über schlechte Behandlung —
und als seine Briefe immer karger und trost-
loser wurden — da war sie doch zuweilen der
Verzweiflung nahe. Wenige Jahre erst waren
sie verheiratet gewesen, und sie hatte» sich lieb
gehabt, und drei Kinder waren ihrer Ehe ent-
sprossen — da riß der Krieg ihn von ihrer
Seite! Seit mehr als einem Jahrfünft war
sie nun schonso gut wie Witwe. Ihre Tage
verrannen in trauriger Einsamkeit. Ihre Ju-
gend schwand trostlos dahin. Wann würde
er wiederkehren? Und wie? Die lange Tren-
nung und das unsägliche Elend mußten ihn
sehr verändert haben. Und sie selber war eine
andere geworden in all der Not und Sorge.
Ihr Lebensmut, ihr fröhliches Lachen war
verflogen. Ihre Glieder waren verwelkt unter
der schlechten Ernährung. Und Hans, seinen
besonderen Liebling, würde er überhaupt nicht
Wiedersehen. Der hätte den schrecklichen Kohl-
rübenwinler nicht Überstunden, trotzdem sie
ihr Letztes gegeben. Dicke Tränen rannen über
ihre Wangen. Sie wollte ja auch gar nicht
klagen, aber sie könnte doch nun ihr bißchen
Glück wieder haben — und die Kinder könnten
ihren Vater haben — und nur die grausame
Rachsucht herzloser Feinde verhinderte es!
Das war das „Wohlgefallen", welches best
Menschen verheißen wurde!
Die Glocken waren verhallt, und die ersten
Weihnachtskerzen fflammten auf in den Nach-
barhäusern. Schluchzend trat sie vom Fenster
zurück; sie mochte nichts mehr hören und sehen.
Sterben hätte sie mögen! Nicht mal ihren
Kindern konnte sie was bescheren!
„Mutter, wollen wir uns nicht wenigstens
die Straßen ansehen?" Ihre Älteste war es,
die schüchtern bat. Und Fritz, der Jüngere,
schloß sich an. Wenigstens sehen wollten sie
die Weihnachtsherrlichkeit, von der sie nichts
selber haben konnten. Die Mutter willfahrte
den Bitten, und hinaus ging es auf die be-
schneiten Straßen. Die Kinder bestauüten den
Lichtcrglanz, der aus Läden und Fenstern
schimmerte, und vergaßen darüber ihr eigenes
Leid. Auf einem freien Platz blieb sie.stehen,
den Blick gegen Westen gewandt, und suchte
einen Stern, der wohl gerade über jener Gegend
stehen mochte, wo ihr Gatte weilte. „Kinder,"
sprach ffie, „dort im Westen, da lebt euer Vater
— hinter Stacheldraht gefangen gehalten wie
ein wildes Tier! Und sein Herz sehnt sich zu
uns wie das unsrige zu ihm! Aber sie lassen
ihn nicht los, diese Bestien in Menschengestalt,
weil sie ihre Rache haben wollen! Und die
nennen sich Christen und singen heute wohl auch:
„Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden
und den Menschen ein Wohlgefallen!"
-i- *
*
Irgendwo im Westen dehnt sich weit, weit
ein Gefangenenlager. Dreifach mit Stachel-
draht ist es umzäunt, und draußen patrouil-
lieren die Posten mit geladenem Gewehr. Und
sind doch keine wilden Raubtiere, die darin
hausen, sondern Menschen — Menschen, die
der Krieg von Heimat und Vaterland, von
Weib und Kind gerissen. Run hocken sie in
ihren Baracken und gedenken wehmütig der
fernen Lieben. Da und dort regt sich ein
Weihnachtslied, aber es erstickt bald wieder.
Sie alle hatten gehofft, diesmal daheim zu
sein, doch die Brutalität entmenschter Sieger
verhinderte es. Und einer schlich sich hinaus
und suchte nach den Sternen, die da im Osten
leuchten — über dem Vaterland und über den
Seinen! Und eine Träne rollte ihm in den
Bart und eine Faust ballte sich in ohnmäch-
tigem Grimm. Ernst Klaar
Schöne Bescherungen
Skizzen von Paul Enderling
Weihnachts-Legende 1919
Und es begab sich, daß die heiligen drei Könige
nach Bethlehem zogen und in der Hütte Joseph,
Maria und das Kindlein in der Krippe fanden.
„Aha," sagte Joseph erfreut. „Ihr bringt
Geschenke. Die kann man bei den schlechten
Zeiten wohl brauchen. Ihr bringt Gold, Weih-
rauch und Myrrhen, nicht.wahr?"
„Wir bringen leider nur Myrrhen," sagte
der älteste der drei betrübt.
„Wo habt ihr denn das andere gelassen, he?"
„Der Weihrauch ist im Krieg total bei der
Beweihräucherung der Feldherren verbraucht
worden."
„Und das Gold?"
„Das haben wir alles an die Entente ab-
liefern müssen."
Der heilige Joseph schlug die Hände über
dem Kopf zusammen. „Am Ende seid ihr wohl
auch gar nicht mal richtige Könige, wie?"
„Nein," sagte der älteste kleinlaut. „Unsere
Volker haben uns die Türe vor der Nase zu-
geschlagen. Sie sind jetzt so merkwürdig rabiat."
Da wurde der heilige Joseph ganz unheilig.
Er nahm die Mistgabel, die hinter der Krippe
stand, schlug damit auf die drei ein und schmiß
sie raus. „Recht haben sie gehabt, eure Völ-
ker," sagte er.dabei erbost. „Für solche nichts-
nutzigen Trottel, die immer auf Reisen sind,
ist kein Platz mehr."
Und er begab sich zu seinem Weibe, das
eben das Kind trocken legte.
Der Revolutionär
Herr Sekretär Nettebohm setzte den Hut auf
und zog sich den Mantel an. Es war uner-
„Friede auf Erden!"
über Deutschlands verschneite Fluren Hallen
die Weihnachlsglocken. „Ehre sei Gott in der
Höhe! Friede auf Erden! Und den Menschen
ein Wohlgefallen!" Die junge Frau im sünslen
Stock der großstädtischen Mietkaserne hört's.
Müde lehnt sie am Fenster, die Stirne an die
Scheiben gepreßt. An einen Gott glaubt sie
schon längst nicht mehr. Wenn er „allgütig"
ist — warum hat er das furchtbare Unglück
über die Menschheit kommen lassen — er, der
doch angeblich die Macht hatte, es zu verhüten?
„Friede aus Erden!" Nahezu fünf Jahre
hatte es gedauert, ehe er gekommen — und
nun war er seit einem halben Jahr unter-
zeichnet, und die Gefangenen waren immer
noch nicht frei! Als im September 1914 die
Nachricht kam, daß ihr Mann von den Fran-
zosen gefangen sei, hatte sie innerlich gejubelt,
denn nun war er ja allen Gefahren des Krie-
ges entrückt. Aber als daun Jahr um Jahr
verging — und als Nachrichten Purch die
Blätter liefen über schlechte Behandlung —
und als seine Briefe immer karger und trost-
loser wurden — da war sie doch zuweilen der
Verzweiflung nahe. Wenige Jahre erst waren
sie verheiratet gewesen, und sie hatte» sich lieb
gehabt, und drei Kinder waren ihrer Ehe ent-
sprossen — da riß der Krieg ihn von ihrer
Seite! Seit mehr als einem Jahrfünft war
sie nun schonso gut wie Witwe. Ihre Tage
verrannen in trauriger Einsamkeit. Ihre Ju-
gend schwand trostlos dahin. Wann würde
er wiederkehren? Und wie? Die lange Tren-
nung und das unsägliche Elend mußten ihn
sehr verändert haben. Und sie selber war eine
andere geworden in all der Not und Sorge.
Ihr Lebensmut, ihr fröhliches Lachen war
verflogen. Ihre Glieder waren verwelkt unter
der schlechten Ernährung. Und Hans, seinen
besonderen Liebling, würde er überhaupt nicht
Wiedersehen. Der hätte den schrecklichen Kohl-
rübenwinler nicht Überstunden, trotzdem sie
ihr Letztes gegeben. Dicke Tränen rannen über
ihre Wangen. Sie wollte ja auch gar nicht
klagen, aber sie könnte doch nun ihr bißchen
Glück wieder haben — und die Kinder könnten
ihren Vater haben — und nur die grausame
Rachsucht herzloser Feinde verhinderte es!
Das war das „Wohlgefallen", welches best
Menschen verheißen wurde!
Die Glocken waren verhallt, und die ersten
Weihnachtskerzen fflammten auf in den Nach-
barhäusern. Schluchzend trat sie vom Fenster
zurück; sie mochte nichts mehr hören und sehen.
Sterben hätte sie mögen! Nicht mal ihren
Kindern konnte sie was bescheren!
„Mutter, wollen wir uns nicht wenigstens
die Straßen ansehen?" Ihre Älteste war es,
die schüchtern bat. Und Fritz, der Jüngere,
schloß sich an. Wenigstens sehen wollten sie
die Weihnachtsherrlichkeit, von der sie nichts
selber haben konnten. Die Mutter willfahrte
den Bitten, und hinaus ging es auf die be-
schneiten Straßen. Die Kinder bestauüten den
Lichtcrglanz, der aus Läden und Fenstern
schimmerte, und vergaßen darüber ihr eigenes
Leid. Auf einem freien Platz blieb sie.stehen,
den Blick gegen Westen gewandt, und suchte
einen Stern, der wohl gerade über jener Gegend
stehen mochte, wo ihr Gatte weilte. „Kinder,"
sprach ffie, „dort im Westen, da lebt euer Vater
— hinter Stacheldraht gefangen gehalten wie
ein wildes Tier! Und sein Herz sehnt sich zu
uns wie das unsrige zu ihm! Aber sie lassen
ihn nicht los, diese Bestien in Menschengestalt,
weil sie ihre Rache haben wollen! Und die
nennen sich Christen und singen heute wohl auch:
„Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden
und den Menschen ein Wohlgefallen!"
-i- *
*
Irgendwo im Westen dehnt sich weit, weit
ein Gefangenenlager. Dreifach mit Stachel-
draht ist es umzäunt, und draußen patrouil-
lieren die Posten mit geladenem Gewehr. Und
sind doch keine wilden Raubtiere, die darin
hausen, sondern Menschen — Menschen, die
der Krieg von Heimat und Vaterland, von
Weib und Kind gerissen. Run hocken sie in
ihren Baracken und gedenken wehmütig der
fernen Lieben. Da und dort regt sich ein
Weihnachtslied, aber es erstickt bald wieder.
Sie alle hatten gehofft, diesmal daheim zu
sein, doch die Brutalität entmenschter Sieger
verhinderte es. Und einer schlich sich hinaus
und suchte nach den Sternen, die da im Osten
leuchten — über dem Vaterland und über den
Seinen! Und eine Träne rollte ihm in den
Bart und eine Faust ballte sich in ohnmäch-
tigem Grimm. Ernst Klaar
Schöne Bescherungen
Skizzen von Paul Enderling
Weihnachts-Legende 1919
Und es begab sich, daß die heiligen drei Könige
nach Bethlehem zogen und in der Hütte Joseph,
Maria und das Kindlein in der Krippe fanden.
„Aha," sagte Joseph erfreut. „Ihr bringt
Geschenke. Die kann man bei den schlechten
Zeiten wohl brauchen. Ihr bringt Gold, Weih-
rauch und Myrrhen, nicht.wahr?"
„Wir bringen leider nur Myrrhen," sagte
der älteste der drei betrübt.
„Wo habt ihr denn das andere gelassen, he?"
„Der Weihrauch ist im Krieg total bei der
Beweihräucherung der Feldherren verbraucht
worden."
„Und das Gold?"
„Das haben wir alles an die Entente ab-
liefern müssen."
Der heilige Joseph schlug die Hände über
dem Kopf zusammen. „Am Ende seid ihr wohl
auch gar nicht mal richtige Könige, wie?"
„Nein," sagte der älteste kleinlaut. „Unsere
Volker haben uns die Türe vor der Nase zu-
geschlagen. Sie sind jetzt so merkwürdig rabiat."
Da wurde der heilige Joseph ganz unheilig.
Er nahm die Mistgabel, die hinter der Krippe
stand, schlug damit auf die drei ein und schmiß
sie raus. „Recht haben sie gehabt, eure Völ-
ker," sagte er.dabei erbost. „Für solche nichts-
nutzigen Trottel, die immer auf Reisen sind,
ist kein Platz mehr."
Und er begab sich zu seinem Weibe, das
eben das Kind trocken legte.
Der Revolutionär
Herr Sekretär Nettebohm setzte den Hut auf
und zog sich den Mantel an. Es war uner-