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Prophezeiungen für das Jahr 1920
Januar
In der Neujahrsnacht läßt sich Bethmann bei der
Wahrsagerin Euphemia Senkblei (Referenzen aller-
höchster Herrschaften) wahrsagen, welche Politik er
eigentlich in seiner glorreichen Kanzlerzeit getrieben hat.
Es vergeht ein ganzer Tag ohne eine Drohnote Lls-
menceaus. Man spricht allgemein von Altersschwäche.
Februar
An Stelle der ehemaligen Hofbälle werden in Berlin
Nacktbälle veranstaltet. Der Unterschied fällt kaum auf.
Bei dem Pariser Faschingszug fällt eine drollige
Puppe „Völkerversöhnung" auf, bei deren Namen durch
ein Versehen das „s" durch ein „h" ersetzt ist.
März
Die Entente untersagt die revolutionärenMärzstürme
in Europa.
Unsere Nationalisten gründen auch ein Witzblatt
„Der dumme Aujust" und drucken darin ihre einstigen
U-Boot-Prophezeiungen ob.
April
England verbietet den deutschen Störchen die Abreise
aus Ägypten, um einer Volksvermchrung in Deutsch-
land vorzubeugen.
In einem hohlen Zahn der Frau Metzgermeister
Wämperl wird eine Goldplombe entdeckt. Daraufhin
gründet sich eine Goldschieber-G.m.b.H.
Mai
Der Vesuv speit immer noch aus Ekel über die Fric-
densfärce.
Die Freiheitsstatue in New Port wird durch eine
Statue des Generaldirektors des Stahl- und Lisentrusts
Die Entente schafft Polizei-Seehunde an, um die
deutschen Küsten besser zu kontrollieren.
Der Araberhäuptling Abn-El-Murkser wird Präsi-
dent des Kultur- und Völkerbundes.
Juli
Da Michel auf die Entente-Noten nichts antworten
kann, geht er in ein Trapistenkloster und legt das Ge-
lübde des Schweigens ab. Das Gelübde der Armut
braucht er nicht mehr abznlegen.
Ein Landwirt wird entdeckt, der stets sein Getreide,
Butter und Eier richtig abgeliefert hat. Auf einstinl-
migen Beschluß der Nationalversammlung soll er, na-
türlich nach dem Tode, ausgestopft und in Eastans Pa-
noptikum ausgestellt werden.
August
Die Polen beantragen die Einverleibung von New
York und Paris in Eroßpolen, da auch dort Polen
wohnen.
Da die Lustbarkeitssteuer zu hoch ist, veranstalten die
Antisemiten keine Versammlungen mehr.
September
Die Entente fordert die Auslieferung der Mond-
kälber und nimmt als Ersatz etliche alldeutsche Pro-
fessorcn.
Del Großherzog von Oldenburg handelt, da feine
Bilder alle verramscht sind, mit Orden und anderem
Kinderspielzeug.
Oktober
Hindenburg erinnert sich in einer schwachen Stunde,
daß er vor zwei Jahren den Waffenstillstand bean-
tragte. Ludendorff verbietet ihm diese unzeitgemäße
Erinnerung.
Die Ammen streiken, bis der Spreewald zum Herzog,
tum der Wenden erhoben wird.
November
Ex-Wilhelm stiftet einen Orden für seine Getreuen.
Er ist am Hintern zu tragen.
Die Entente feiert den hundertsten völligen Sieg
Über die Bolschewisten.
Dezember
Die Völker der noch Übriggebliebenen europäischen
Königreiche hängen ihre Monarchen an den Weihnachts-
bäumen auf.
Riesige Auswanderung zum Vesuv ist zu konstatieren.
Es ist die einzige warme Stelle in Europa.
Silvestermärchen
Es waren mal ein paar Männer.
Lochst weise offenbar.
Die sprachen: „Am ersten Jänner
. Beginnt ein ncnes Jahr.
Ist erst das Jahr im Schwünge,
Wer weiß, was werden mag.
Es kriegt fortlaufend Junge
Bekanntlich jeder Tag.
Den Anfug zu bezwingen.
Das sei uns heilige Pflicht.
Laßt uns ein Werk vollbringen.
Davon noch die Nachwelt spricht!"
Da wackelten alle Köpfe
And kicherten dreimal: Ja!
Es bebten begeistert die Zöpfe,
Worauf dann dies geschah:
Sie schlichen, putzige Zwerge,
Gar emsig, wie beschwingt,
Lin, wo die Zeit vom Berge
Tief in den Abgrund springt.
And als das Jahr vom Berge
Linabgerauscht fast ganz.
Da packten es die Zwerge
Mit aller Kraft beim Schwanz.
Auf daß es nicht entweiche
In seinem tollen Lauf,
Banden sie's an die Eiche
And setzten sich darauf.
And sprachen: „Mag es wintern,
Mag's lenzen, wir sind draufl
Wir halten mit dem Linkern
Die Weltgeschichte auf."
And während sie so saßen,
Arplötzlich, jäh und jach.
Ganz über alle Maßen
Gab's einen schweren Krach.
Der Baum riß sich vom Berge
In Blitz und Donner los
And schleuderte die Zwergs
Tief in des Abgrunds Schoß. Pan
Matthias Erzberger
in seinem glänzenden Balanceakt.
Das große Geschäft -
Eines Schiebers Sllvestertraum und Erwachen
Herr Samuel Posekiel, ein ehrenhafter Kauf-
mann, der es infolge seiner geschäftlichen Tüch-
tigkeit im Laufe der letzten Jahre zu einem be-
scheidenen Reichtum gebracht hatte — man
schätzte ihn auf ungefähr drei Millionen —,
saß am Silvesterabend in der behaglichen
Dämmerungszeit, wenn die ersten Baumlichtcr
angezündet werden, im Sessel am Fenster,
schaute an die weißbeschneite Landschaft hinaus
und ärgerte sich. Einmal, weil ein Waggon
toter Karpfen verspätet eingetroffen und zum
Fest nicht mehr abzusetzen war, und zum an-
dern, weil ihm noch immer nicht das ganz
große Geschäft, auf das jeder Kaufmann hofft,
in dcn Wurf gekommen war. Daß es einmal
kommen werde, daran zweifelte er nicht. Es
kam eben nur darauf an, irgendeinen genialen
Einfall und die Kühnheit zu haben, ihn ohne
schwächliche Bedenken zu verwirklichen.
Samuel Posekiel ging ans Büfett, trank
einen Kognak und sah nach der Uhr. Zwei
Stunde» noch, bis Lizst, seine kleine Freundin,
kam, um sich ihr Perlenhalsband zu holen und
dem Junggesellen seinen einsamen Silvester-
abend zu verschönen. Bis dahin konnte man
an die toten Karpfen denken, die im Laufe
der. ärgerlichen Feiertage immer toter werden
würden, man konnte sich seinen Verlust aus-
rechnen und — Posekiel schüttelte energisch
den Kopf, trank einen zweiten Kognak und
zog mit Flasche, Glas und Zigarrenkiste zum
Fenster. Er wollte nicht mehr an die toten
Fische denken, wollte Neujahrsstinimung in sich
werden lassen, wollte lieber die weiße Land-
schaft betrachten, die sich hier, am Rande der
großen Stadt, noch in strahlender Reinheit
bot. Eine breite, schneegefüllte Talmult e, hinter
der sich hochragender Kiefernwald mit be-
schneiten Kronen erhob, lag vor seinen Augen.
Schneewülle säumten auch die Straße zu bei-
den Seiten. Und wenn Posekiel dies unend-
lich reiche, glitzernde Weiß sah, mußte er stets
an Zucker denken, mit dem sich Geschäfte machen
ließen, die einfach „süß" waren.
Samuel trank und rauchte, lehnte sich be-
haglich in den Sessel zurück und träumte. Wem,
der Schnee Zucker wäre und man könnte ihn
verschieben. Herrgott, das wär'ne Sache. Das
wäre ein großes Geschäft! Er hatte die Idee
kürzlich mal im Schiebercasö zum besten ge-
geben, und der Witz war gehörig belacht wor-
den. Aber in ihm selber war er wie ein halb
ernsthafter Gedanke zurückgeblieben und wirkte
dort weiter. Samuel träumte. Von endlosen
Prophezeiungen für das Jahr 1920
Januar
In der Neujahrsnacht läßt sich Bethmann bei der
Wahrsagerin Euphemia Senkblei (Referenzen aller-
höchster Herrschaften) wahrsagen, welche Politik er
eigentlich in seiner glorreichen Kanzlerzeit getrieben hat.
Es vergeht ein ganzer Tag ohne eine Drohnote Lls-
menceaus. Man spricht allgemein von Altersschwäche.
Februar
An Stelle der ehemaligen Hofbälle werden in Berlin
Nacktbälle veranstaltet. Der Unterschied fällt kaum auf.
Bei dem Pariser Faschingszug fällt eine drollige
Puppe „Völkerversöhnung" auf, bei deren Namen durch
ein Versehen das „s" durch ein „h" ersetzt ist.
März
Die Entente untersagt die revolutionärenMärzstürme
in Europa.
Unsere Nationalisten gründen auch ein Witzblatt
„Der dumme Aujust" und drucken darin ihre einstigen
U-Boot-Prophezeiungen ob.
April
England verbietet den deutschen Störchen die Abreise
aus Ägypten, um einer Volksvermchrung in Deutsch-
land vorzubeugen.
In einem hohlen Zahn der Frau Metzgermeister
Wämperl wird eine Goldplombe entdeckt. Daraufhin
gründet sich eine Goldschieber-G.m.b.H.
Mai
Der Vesuv speit immer noch aus Ekel über die Fric-
densfärce.
Die Freiheitsstatue in New Port wird durch eine
Statue des Generaldirektors des Stahl- und Lisentrusts
Die Entente schafft Polizei-Seehunde an, um die
deutschen Küsten besser zu kontrollieren.
Der Araberhäuptling Abn-El-Murkser wird Präsi-
dent des Kultur- und Völkerbundes.
Juli
Da Michel auf die Entente-Noten nichts antworten
kann, geht er in ein Trapistenkloster und legt das Ge-
lübde des Schweigens ab. Das Gelübde der Armut
braucht er nicht mehr abznlegen.
Ein Landwirt wird entdeckt, der stets sein Getreide,
Butter und Eier richtig abgeliefert hat. Auf einstinl-
migen Beschluß der Nationalversammlung soll er, na-
türlich nach dem Tode, ausgestopft und in Eastans Pa-
noptikum ausgestellt werden.
August
Die Polen beantragen die Einverleibung von New
York und Paris in Eroßpolen, da auch dort Polen
wohnen.
Da die Lustbarkeitssteuer zu hoch ist, veranstalten die
Antisemiten keine Versammlungen mehr.
September
Die Entente fordert die Auslieferung der Mond-
kälber und nimmt als Ersatz etliche alldeutsche Pro-
fessorcn.
Del Großherzog von Oldenburg handelt, da feine
Bilder alle verramscht sind, mit Orden und anderem
Kinderspielzeug.
Oktober
Hindenburg erinnert sich in einer schwachen Stunde,
daß er vor zwei Jahren den Waffenstillstand bean-
tragte. Ludendorff verbietet ihm diese unzeitgemäße
Erinnerung.
Die Ammen streiken, bis der Spreewald zum Herzog,
tum der Wenden erhoben wird.
November
Ex-Wilhelm stiftet einen Orden für seine Getreuen.
Er ist am Hintern zu tragen.
Die Entente feiert den hundertsten völligen Sieg
Über die Bolschewisten.
Dezember
Die Völker der noch Übriggebliebenen europäischen
Königreiche hängen ihre Monarchen an den Weihnachts-
bäumen auf.
Riesige Auswanderung zum Vesuv ist zu konstatieren.
Es ist die einzige warme Stelle in Europa.
Silvestermärchen
Es waren mal ein paar Männer.
Lochst weise offenbar.
Die sprachen: „Am ersten Jänner
. Beginnt ein ncnes Jahr.
Ist erst das Jahr im Schwünge,
Wer weiß, was werden mag.
Es kriegt fortlaufend Junge
Bekanntlich jeder Tag.
Den Anfug zu bezwingen.
Das sei uns heilige Pflicht.
Laßt uns ein Werk vollbringen.
Davon noch die Nachwelt spricht!"
Da wackelten alle Köpfe
And kicherten dreimal: Ja!
Es bebten begeistert die Zöpfe,
Worauf dann dies geschah:
Sie schlichen, putzige Zwerge,
Gar emsig, wie beschwingt,
Lin, wo die Zeit vom Berge
Tief in den Abgrund springt.
And als das Jahr vom Berge
Linabgerauscht fast ganz.
Da packten es die Zwerge
Mit aller Kraft beim Schwanz.
Auf daß es nicht entweiche
In seinem tollen Lauf,
Banden sie's an die Eiche
And setzten sich darauf.
And sprachen: „Mag es wintern,
Mag's lenzen, wir sind draufl
Wir halten mit dem Linkern
Die Weltgeschichte auf."
And während sie so saßen,
Arplötzlich, jäh und jach.
Ganz über alle Maßen
Gab's einen schweren Krach.
Der Baum riß sich vom Berge
In Blitz und Donner los
And schleuderte die Zwergs
Tief in des Abgrunds Schoß. Pan
Matthias Erzberger
in seinem glänzenden Balanceakt.
Das große Geschäft -
Eines Schiebers Sllvestertraum und Erwachen
Herr Samuel Posekiel, ein ehrenhafter Kauf-
mann, der es infolge seiner geschäftlichen Tüch-
tigkeit im Laufe der letzten Jahre zu einem be-
scheidenen Reichtum gebracht hatte — man
schätzte ihn auf ungefähr drei Millionen —,
saß am Silvesterabend in der behaglichen
Dämmerungszeit, wenn die ersten Baumlichtcr
angezündet werden, im Sessel am Fenster,
schaute an die weißbeschneite Landschaft hinaus
und ärgerte sich. Einmal, weil ein Waggon
toter Karpfen verspätet eingetroffen und zum
Fest nicht mehr abzusetzen war, und zum an-
dern, weil ihm noch immer nicht das ganz
große Geschäft, auf das jeder Kaufmann hofft,
in dcn Wurf gekommen war. Daß es einmal
kommen werde, daran zweifelte er nicht. Es
kam eben nur darauf an, irgendeinen genialen
Einfall und die Kühnheit zu haben, ihn ohne
schwächliche Bedenken zu verwirklichen.
Samuel Posekiel ging ans Büfett, trank
einen Kognak und sah nach der Uhr. Zwei
Stunde» noch, bis Lizst, seine kleine Freundin,
kam, um sich ihr Perlenhalsband zu holen und
dem Junggesellen seinen einsamen Silvester-
abend zu verschönen. Bis dahin konnte man
an die toten Karpfen denken, die im Laufe
der. ärgerlichen Feiertage immer toter werden
würden, man konnte sich seinen Verlust aus-
rechnen und — Posekiel schüttelte energisch
den Kopf, trank einen zweiten Kognak und
zog mit Flasche, Glas und Zigarrenkiste zum
Fenster. Er wollte nicht mehr an die toten
Fische denken, wollte Neujahrsstinimung in sich
werden lassen, wollte lieber die weiße Land-
schaft betrachten, die sich hier, am Rande der
großen Stadt, noch in strahlender Reinheit
bot. Eine breite, schneegefüllte Talmult e, hinter
der sich hochragender Kiefernwald mit be-
schneiten Kronen erhob, lag vor seinen Augen.
Schneewülle säumten auch die Straße zu bei-
den Seiten. Und wenn Posekiel dies unend-
lich reiche, glitzernde Weiß sah, mußte er stets
an Zucker denken, mit dem sich Geschäfte machen
ließen, die einfach „süß" waren.
Samuel trank und rauchte, lehnte sich be-
haglich in den Sessel zurück und träumte. Wem,
der Schnee Zucker wäre und man könnte ihn
verschieben. Herrgott, das wär'ne Sache. Das
wäre ein großes Geschäft! Er hatte die Idee
kürzlich mal im Schiebercasö zum besten ge-
geben, und der Witz war gehörig belacht wor-
den. Aber in ihm selber war er wie ein halb
ernsthafter Gedanke zurückgeblieben und wirkte
dort weiter. Samuel träumte. Von endlosen