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9911

Der Lausagrarier

„Den Herren Mietern wollen wir zeigen, was 'ne Harke ist, —
wir streiken einfach, — da können die Mieter sehen, wo sie am
Monatsschluß ihre Miete loswerden!"

Sir UovelsMne LT

Immer, wenn der Seismograph der Wetterwarte eine starke Erd-
erschülterung meldet, muß man sich fragen, ob ein Entente- oder ein
deutscher General zu feste auf den Tisch gehauen hat.

*

Sinkt im Februar Schnee hernieder,

Sinkt auch die Valuta wieder.

Fällt hingegen im Februar Regen,

Bringt's der Valuta auch keinen Segen.

Herrscht Trockenheit im Februar,

Valuta trocknet ein fürwahr.

*

Unsere Wucherer verdienen die „Zuviel-Verdienst-Medaille" am
hänfenen Strick um den Hals. -

•k

„Wat machen eijentlich die vielen ausrangierten Majestäten?" fragte
mir mein Jüngster, wo jetzt.Laufbursche in der Konfektion is. „Wenn
se jescheit sind," sagte ick, „machen se billige weiße Hermelin-Woche."

Dein getreuer Säge, Schreiner.

„Heil dir im Siegerkranz,
Netter des Vaterlands,
Held Clemenceau!"

So klang es ohne End' —
Es sah als Präsident
Sich schon im Glorienlicht
Herr Clemenceau.

Verflucht und zugenäht!

Es ward sein Stoßgebet
Ihm nicht erhört:

Man setzte glatt ihn matt.
Der alte Knabe hat
Halt Frau Marianne nicht
Genug betört. . . .

*

Neues-von „ILM"

In einem seiner temperamentvollen Briefe
an seinen kongenialen Busenfreund Niki aus
dem Jahre 1895 schlüpfte Sr. Unverantwort-
lichkeit der damaligen Majestät des Deutschen
Reiches, „Admiral des Atlantik", die auf einen
frommen Wunsch und starke landesväterliche
Zuneigung deutende Äußerung aus der Feder,
daß die rote und die schwarze Partei im Lande
reif wären, gehenkt zuJverden. Die utopistisch
anmutende Sehnsucht des sonderbaren poli-
tischen Schwärmers hat sich jäh erfüllt, freilich
in etwas differenzierter Gestalt. Die beiden
Genannten hängen schon! „Aber nicht am
Baume, nicht an einem Strick", könnte man
flngen, sondern mit ganzer Seele an dem in-
zwischen wahrgewordenen Traume der deut-
schen Republik. *

Einem jener jetzt so häufig durch den Blät-
terwald rauschenden und aus das Mitleid un-
ausrottbarer deutscher Michel spekulierenden
Feuilletons über das Leben des erlauchten Ver-
bannten in Doorn entnimmt man die auffal-
lende Bemerkung, die psychische Depression und
Qeifttge Zerrüttung des ehemaligen Zerschmet-
terers habe eine starke Zunahme seines Kör-
pergewichts und -umfangs im Gefolge gehabt.
Bei gewöhnlichen Sterblichen pflegt sich weder
ein ursächlicher Zusammenhang noch ein Neben-
einander von Seelenqual und Leibesfülle zu
zeigen. Im vorliegenden Fall muß es sich also
um den Ansatz jenes berühmt gewordenen
„Kummerspecks" handeln, den eine Persönlich-
keit von ähnlicher historischer Bedeutung bei
sich festgestellt hat: Sir John Falstaff.
k

In seinen reichlich bemessenen Mußestunden
zerbricht sich Se. Exmajestät Allerhöchstihren
Kopf über das künftige Schicksal Deutschlands,

das ihm schwere Sorgen bereite. Diese posthume
Gravität und Gewissenhaftigkeit kann uns lei-
der jetzt nichts mehr helfen. Es nötigt uns
darum auch nur ein Achselzucken ab, wenn
„ER" orakeln zu müssen glaubt: Deutschland
ist verloren! — Für ihn wohl; da mag er recht
haben. ' Pankraz Bittermaul

Folge der Preisanarchie

Linst sah man jeden als verkommen an,

Der an Gewand und Schuh zerrissen war,

Weil in der Regel jeder rechte INann
Huf Ganzheit seiner Kluft beflissen war.

Heut ist es anders, und der Vorwurf schweigt,
Du wirst an deinem Ruf nicht mehr gekränkt,
Wenn deine Hose rückwärts Löcher zeigt,
flus denen ein zerfetztes Hemde hängt.

2m Gegenteil! Wer Grütze hat, versteht,

Heut, wo des Wohlstands Zeit vorüber ist,

Daß jeder, der nicht abgerissen geht,

Lin Kriegsgewinnler oder Schieber ist. M

Lieber Jacob!

Indem det wir nu wieder jlicklich in'n Be-
lagerungszustand drinstechen, erinnere ick mir
an dem beriehmten Weisheetsspruch: „Mlt'n
Belagerungszustand kann jeder Esel rcjieren."
Ick jestatte mir nich, de Wahrheet dieses
Spruches zu widersprechen, aber da,wir je-
rade von Esel reden, muß ick in diesen Fall
doch ooch an det nich minder zutreffende
Wort jedenken: „Wenn den Esel zu wohl is,
jeht er uff't Jlatteis." Denn kaum det der
Belagerungszustand uffjehoben un de Ber-
liner in jeornte un jesetzliche Verhältnisse rin-
jetreten waren, da juckte jewisse Elemente
ooch schon wieder det Leder, un se mußten,
wenn se ooch selber erjebenst zu Hause blie-

ben, ihre polliteschen Unterjebenen uff det
Jlatteis verlocken, det se sich trotz dem Tau-
wetter usf'n Keenigsplatz injericht't hatten.
De Foljen sin natierlich nich ausjeblieben, un
det se eene tragischere Jestalt annahmcn, als
wie et uff jewehnliche Schlidderbahnen flegt
ieblich zu sind, det wird jeder Mensch uff-
richtig beklagen, aber wundern kann sich drieber
bloß ’n Esel. Denn wenn ick in Hehe von
vierzigdausend Mann dem Reichsdag um-
zingele, denn werde ick keene Menschenseele
nich zu den Jlooben veranlassen kennen, det
ick det versammelte Parlament meine Hoch-
achtung ausdricken will. Un wenn de deitschen
Volksvertreter keene Wollust nich verspieren,
sich wie Rixdorfer Stadtverornte behandeln
un von de kochende Spartakantenseele sich in
ihre eigene Bude veräppeln zu lassen, denn
mag ick det vielleicht als öffentlicher Kom-
muniste for 'ne hundsjemeene Niederträchtig-
keet der menschlichen Verworfenheit erklären,
in mein innerlichstes Herze aber werde ick et
for selbstverständlich erachten. Vor allem aber
derf ick det Jottvertrauen niemals' nich so
weit treiben, det ick mir inbilde, een bewaff-
neter Menschenbruder, dem ick ans de Fille
meines Jemiets 'n Tritt vor'» Bauch jede un
ihm dabei als Bluthund bezeichne, wird sich
det aus Hochachtung vor meine pollitesche
Jberzeijung ruhig jesallen lassen. Un wenn
ick mir in de schwächere Minderheit befinden
tue, denn soll ick et jejenieber de stärkere
Mehrheet nich uff 'ne kerperliche Machtprobe
ankommen lassen, widrijenfalls ick mir nich
beklagen darf, wenn et mir — verjleiche det
oben Jesagte — ebentso- seht wie den Esel
uff de Schlidderbahn.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthils Rauke,

an 'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.

Siedattiansschlutz 27. Januar 1920
 
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