9914
Die Zukunft
Was wir sind, wozu wir leben.
Meldet einst das Buch der Zeit,
Wenn am höchsten Galgen schweben
Sorge, Elend, Mcnschenleid.
Wenn die Erde nicht mehr blutend
Durch den ewigen Äther jagt.
And der Mammon nicht mehr knutend
Alle Erdenkinder Plagt.
Beugend unsere starken Nacken,
Seufzen wir noch unterm Joch,
Einmal enden wird das Placken,
Denn die Erde dreht sich doch!
Aus den hart verschwielten Händen
Wächst ein Saatfeld riesengroß;
Von den ehernen Felsenwänden
Reißet sich Prometheus los.
Frei sind dann die lang Gequälten,
Heilige Wahrheit leuchtet nackt.
Jubelnd ziehn die Anserwähltcn
Durch den neuen Schöpfungsakt.
Aug. Franz
Fasching
Die Welt hält Fasching, und die Weltge.
schichte stellt sich aus den Kopf und schlägt
Purzelbäume. Erst hat man viele Jahre lang
alle» Schweiß des Volkes in die Armeen und
ihre Rüstungen gesteckt, dann haben sich diese
Armeen über vier Jahre lang gegenseitig tot-
geschlagen und alles vernichtet-und nun baut
man das Zerstörte mühevoll und notdürftig
wieder aus! Ist das nicht verrückt? Ist das
nicht Tollheit?
Und als die Völker erschöpft lagen vom
langen Ringen, da hätte ein Friede werden
köifften — ein Friede des Rechts und der
Gerechtigkeit! Die, die sich bisher für die
Sieger hielten, waren genug be-
straft und gedemütigt durch den
Zusammenbruch ihrer Hoffnungen
und hielten ihre Herzen bereit zur
Versöhnung. Aber die, die eben noch
gezittert unter der Faust des Fein,
des und die das Unrecht der Ge-
ivalt schwer genug am eigenen Leib
empfunden, berauschten sich jetzt an
der Macht und taten in der Wollust
der Vergeltung, was sie bisher an
ihren Gegnern so bitter verurteilt,
traten die Rechtsgrundsätze, die sie
vorher selber festgestellt, mit Füßen
und tanzten auf ihnen den Cancan
der Rache. Alle Regungen eines
wirklichen und dauernden Völker-
friedens wurden so im Keim erstickt.
Ist das nicht Wahnwitz? Ist das
nicht Narrheit?
Nach dem Zusammenbruch von
außen sollten wir alle Kräfte zusam-
menfassen, wenigstens den inneren
zu verhüten. Wir sollten gerecht und
verträglich sein gegeneinander, soll-
ten arbeiten mit aller Macht, um
wieder emporzukommen aus dem
Elend. Denn vier Jahre lang haben
wir keine neuen Werte geschafft, ha-
ben alles verbraucht und verzehrt,
was wir hatten, haben eine er-
drückende Schuldenlast aufgehäuft
und stehen nun am Rand des Ruins.
Wucher und Korruption nagen an
unsermMark, unversöhnliche Feinde
rauben uns das Letzte, und unge-
zählte Krüppel, Witwen und Waisen
Darren, daß wir ihre Not lindern.
Wir aber füttern sie mit Papierscheinen, statt
mit Brot, hemmen die Produktion und hin-
dern den Verkehr — alles mißverstandenen
Idealen zuliebe! Ist das nicht lächerlich? Ist
das nicht Narretei?
Wir haben ein Joch abgeschüttelt, das uns
in Krieg und Verderben geführt. Zwei Dutzend
Kronen rollten in den Sand, und der Träger
der Hauplkrone weilt als Verbannter im Aus-
land und zittert um sein Schicksal. Millionen
Flüche hallen ihm nach.
Aber da gibt es Leute, die vergessen, welch
furchtbares Geschehen zwischen jetzt und ehe-
mals liegt. Sie glauben, wenn der Träger der
Krone zurückkehren würde, kehre auch der
Wohlstand von früher zurück — und sie geben
ihre Seufzer und Klagen dem Winde. Und
die Nutznießer der früheren Gewalt nehmen
sie gierig auf und trachten, die Vergangenheit
wieder herbeizuführen, übereifrige aber, denen
das Rad der Weltgeschichte nicht rasch genug
sich dreht, bereiten ihnen unbewußt und un-
gewollt die Bahn, indem sie den neuen Kern,
der allmählich aus dem Chaos heraus sich
bildet, zu vernichten suchen. Ist das nicht
Wahnsinn? Ist das nicht Narrheit?
Ja, die Narrheit sitzt auf dem Thron und
streicht ihre Fiedel. Und ihre Puppen tanzen
und tanzen über einem Abgrund, der jederzeit
sich öffnen kann. Aber da hinten im Winkel,
da sitzt eine, die macht die Narrenkomödie
nicht mit. Sie ist verhöhnt und verspottet wie
Christus von den Landsknechten, aber sie läßt
sich nicht irren — sie weiß, daß ihre Stunde
kommt, und eines Tages wird sie hervortreten
in strahlender Pracht und Herrlichkeit. Das
ist die Vernunft, die ewige Richterin und
Lenkerin der Geschicke! Und wenn sie ihr
Zepter ergreift, werden die Völker der Erde
begeistert ihr zuströmen, und sie werden freudig,
und froh ihre Pflicht tun, und Tollheit und
Narretei werden ein Ende haben. Ernst Klaar
Reaktionäre Geschwister
Und kjerr von Graefe sprach: Ihr lieben Wcktder
ver Deutschen Volkspartei,
Rommt endlich zu uns. Laßt euch bei uns nieder,
wozu die Ziererei?
Ihr tragt, bei Licht bejehn, die gleiche ljos«.
Nichts, das uns trennt.
Ihr oder wir — es ist dieselbe Ehose.
Leid konsequent!
Die Untwort säuselte mit leisem Nummer:
Die kjose hat ein Loch.
Ihr oder wir - es ist dieselbe Nummer,
Indes, jedoch —
Seit alters blakt in uns die trübe §unze!
von wegen liberal.
Und ziert das Ideal auch manche Runzel -
Man hat's doch mal!
Nanu?! wieso?! Das ganze Deutschland steht
vor Staune» ans den, Ropfe.
Die beiden löffeln, wie ihr täglich seht,
Uns einem Topfe. .
was, liberal? kjähä. Es präsentiert
vergnügt das kjeer deutschnationaler Zorken.
Und kjerr von Graefe stammelt tiefgerührt:
Mensch, davon hat ja Keener wat jemorken! pan
Wie ich meine Gesinnung änderte
Dicht neben meinem Hause ivohnt der Bar-
bier, ein seelenguter Mensch, der, glaube ich,
wenn es kein Rasiermesser gäbe, jedes Bart-
haar einzeln auszurupfen imstande wäre. Er
ist seelengut — nur in einem Punkte ist er
empfindlich, wenn nämlich das Gespräch auf
Politik kommt. Leider kommt er beim Haar-
schneiden und Rasieren immer auf Politik,
das ist seine schwache Seite. Er bildet sich ein,
ohne politische Gespräche iverde keine Haar-
frisur glatt und kein Kinn stubenrein.
Es war gerade am Tage nach
den Demonstrationen in Berlin, die
bekanntlich bedauernswert blutig
verlaufen sind und ihren Ursprung
in der verschiedenen Beurteilung des
vorliegenden Rätegesetzes haben.
„Rasieren?"
„Bitte sehr."
Mit der gewohnten Gewandtheit
seifte mich der Meister ein.
„Ja, wissen Sie," fing er dabei
an, „das ist so eine eigene Sache
mit der Rätevorlage. Nichts Halbes,
nichts Ganzes. Ich habe das Un-
heil längst kommen sehen. Wenn
der Arbeiter Rechte haben soll, so
muß er sie auch ganz haben. Nicht
wahr?"
„Hm."
„Kampf gegen den Kapitalismus,
das ist die Sache, und wenn man
da nicht mit gespornten Stiefeln
auflritt, fällt die Sache ins Wasser.
Mit Lackstiefeln tritt man keine
Ratte tot. Das Rätegesetz, so wie
es die Mehrheitsparteien wolle»,
ist eben nicht radikal genug — nicht
wahr, Herr ...?"
Der Meister spritzte den Schaum
von den Fingern.
„Lieber Meister," erlaubte ich
mir zu erwidern, „Vollkommen-
heiten sind nie mit einem Male zu
erreichen. Bietet das neue Räte-
gesetz radikal gesinnten Männern
nicht alles, so bietet es eben etwas.
Und dieses Etwas ist der Fo«t-
schritt, der Anfang zu zielbewußter
Fm Schuhbasar
„Vierhundert Mark für die reizenden Stiefel? Für dich, Mieze, ist mir nichts
zu teuer. Bei der nächsten Mehlschiebung verdiene ich das Zehnfache."
Die Zukunft
Was wir sind, wozu wir leben.
Meldet einst das Buch der Zeit,
Wenn am höchsten Galgen schweben
Sorge, Elend, Mcnschenleid.
Wenn die Erde nicht mehr blutend
Durch den ewigen Äther jagt.
And der Mammon nicht mehr knutend
Alle Erdenkinder Plagt.
Beugend unsere starken Nacken,
Seufzen wir noch unterm Joch,
Einmal enden wird das Placken,
Denn die Erde dreht sich doch!
Aus den hart verschwielten Händen
Wächst ein Saatfeld riesengroß;
Von den ehernen Felsenwänden
Reißet sich Prometheus los.
Frei sind dann die lang Gequälten,
Heilige Wahrheit leuchtet nackt.
Jubelnd ziehn die Anserwähltcn
Durch den neuen Schöpfungsakt.
Aug. Franz
Fasching
Die Welt hält Fasching, und die Weltge.
schichte stellt sich aus den Kopf und schlägt
Purzelbäume. Erst hat man viele Jahre lang
alle» Schweiß des Volkes in die Armeen und
ihre Rüstungen gesteckt, dann haben sich diese
Armeen über vier Jahre lang gegenseitig tot-
geschlagen und alles vernichtet-und nun baut
man das Zerstörte mühevoll und notdürftig
wieder aus! Ist das nicht verrückt? Ist das
nicht Tollheit?
Und als die Völker erschöpft lagen vom
langen Ringen, da hätte ein Friede werden
köifften — ein Friede des Rechts und der
Gerechtigkeit! Die, die sich bisher für die
Sieger hielten, waren genug be-
straft und gedemütigt durch den
Zusammenbruch ihrer Hoffnungen
und hielten ihre Herzen bereit zur
Versöhnung. Aber die, die eben noch
gezittert unter der Faust des Fein,
des und die das Unrecht der Ge-
ivalt schwer genug am eigenen Leib
empfunden, berauschten sich jetzt an
der Macht und taten in der Wollust
der Vergeltung, was sie bisher an
ihren Gegnern so bitter verurteilt,
traten die Rechtsgrundsätze, die sie
vorher selber festgestellt, mit Füßen
und tanzten auf ihnen den Cancan
der Rache. Alle Regungen eines
wirklichen und dauernden Völker-
friedens wurden so im Keim erstickt.
Ist das nicht Wahnwitz? Ist das
nicht Narrheit?
Nach dem Zusammenbruch von
außen sollten wir alle Kräfte zusam-
menfassen, wenigstens den inneren
zu verhüten. Wir sollten gerecht und
verträglich sein gegeneinander, soll-
ten arbeiten mit aller Macht, um
wieder emporzukommen aus dem
Elend. Denn vier Jahre lang haben
wir keine neuen Werte geschafft, ha-
ben alles verbraucht und verzehrt,
was wir hatten, haben eine er-
drückende Schuldenlast aufgehäuft
und stehen nun am Rand des Ruins.
Wucher und Korruption nagen an
unsermMark, unversöhnliche Feinde
rauben uns das Letzte, und unge-
zählte Krüppel, Witwen und Waisen
Darren, daß wir ihre Not lindern.
Wir aber füttern sie mit Papierscheinen, statt
mit Brot, hemmen die Produktion und hin-
dern den Verkehr — alles mißverstandenen
Idealen zuliebe! Ist das nicht lächerlich? Ist
das nicht Narretei?
Wir haben ein Joch abgeschüttelt, das uns
in Krieg und Verderben geführt. Zwei Dutzend
Kronen rollten in den Sand, und der Träger
der Hauplkrone weilt als Verbannter im Aus-
land und zittert um sein Schicksal. Millionen
Flüche hallen ihm nach.
Aber da gibt es Leute, die vergessen, welch
furchtbares Geschehen zwischen jetzt und ehe-
mals liegt. Sie glauben, wenn der Träger der
Krone zurückkehren würde, kehre auch der
Wohlstand von früher zurück — und sie geben
ihre Seufzer und Klagen dem Winde. Und
die Nutznießer der früheren Gewalt nehmen
sie gierig auf und trachten, die Vergangenheit
wieder herbeizuführen, übereifrige aber, denen
das Rad der Weltgeschichte nicht rasch genug
sich dreht, bereiten ihnen unbewußt und un-
gewollt die Bahn, indem sie den neuen Kern,
der allmählich aus dem Chaos heraus sich
bildet, zu vernichten suchen. Ist das nicht
Wahnsinn? Ist das nicht Narrheit?
Ja, die Narrheit sitzt auf dem Thron und
streicht ihre Fiedel. Und ihre Puppen tanzen
und tanzen über einem Abgrund, der jederzeit
sich öffnen kann. Aber da hinten im Winkel,
da sitzt eine, die macht die Narrenkomödie
nicht mit. Sie ist verhöhnt und verspottet wie
Christus von den Landsknechten, aber sie läßt
sich nicht irren — sie weiß, daß ihre Stunde
kommt, und eines Tages wird sie hervortreten
in strahlender Pracht und Herrlichkeit. Das
ist die Vernunft, die ewige Richterin und
Lenkerin der Geschicke! Und wenn sie ihr
Zepter ergreift, werden die Völker der Erde
begeistert ihr zuströmen, und sie werden freudig,
und froh ihre Pflicht tun, und Tollheit und
Narretei werden ein Ende haben. Ernst Klaar
Reaktionäre Geschwister
Und kjerr von Graefe sprach: Ihr lieben Wcktder
ver Deutschen Volkspartei,
Rommt endlich zu uns. Laßt euch bei uns nieder,
wozu die Ziererei?
Ihr tragt, bei Licht bejehn, die gleiche ljos«.
Nichts, das uns trennt.
Ihr oder wir — es ist dieselbe Ehose.
Leid konsequent!
Die Untwort säuselte mit leisem Nummer:
Die kjose hat ein Loch.
Ihr oder wir - es ist dieselbe Nummer,
Indes, jedoch —
Seit alters blakt in uns die trübe §unze!
von wegen liberal.
Und ziert das Ideal auch manche Runzel -
Man hat's doch mal!
Nanu?! wieso?! Das ganze Deutschland steht
vor Staune» ans den, Ropfe.
Die beiden löffeln, wie ihr täglich seht,
Uns einem Topfe. .
was, liberal? kjähä. Es präsentiert
vergnügt das kjeer deutschnationaler Zorken.
Und kjerr von Graefe stammelt tiefgerührt:
Mensch, davon hat ja Keener wat jemorken! pan
Wie ich meine Gesinnung änderte
Dicht neben meinem Hause ivohnt der Bar-
bier, ein seelenguter Mensch, der, glaube ich,
wenn es kein Rasiermesser gäbe, jedes Bart-
haar einzeln auszurupfen imstande wäre. Er
ist seelengut — nur in einem Punkte ist er
empfindlich, wenn nämlich das Gespräch auf
Politik kommt. Leider kommt er beim Haar-
schneiden und Rasieren immer auf Politik,
das ist seine schwache Seite. Er bildet sich ein,
ohne politische Gespräche iverde keine Haar-
frisur glatt und kein Kinn stubenrein.
Es war gerade am Tage nach
den Demonstrationen in Berlin, die
bekanntlich bedauernswert blutig
verlaufen sind und ihren Ursprung
in der verschiedenen Beurteilung des
vorliegenden Rätegesetzes haben.
„Rasieren?"
„Bitte sehr."
Mit der gewohnten Gewandtheit
seifte mich der Meister ein.
„Ja, wissen Sie," fing er dabei
an, „das ist so eine eigene Sache
mit der Rätevorlage. Nichts Halbes,
nichts Ganzes. Ich habe das Un-
heil längst kommen sehen. Wenn
der Arbeiter Rechte haben soll, so
muß er sie auch ganz haben. Nicht
wahr?"
„Hm."
„Kampf gegen den Kapitalismus,
das ist die Sache, und wenn man
da nicht mit gespornten Stiefeln
auflritt, fällt die Sache ins Wasser.
Mit Lackstiefeln tritt man keine
Ratte tot. Das Rätegesetz, so wie
es die Mehrheitsparteien wolle»,
ist eben nicht radikal genug — nicht
wahr, Herr ...?"
Der Meister spritzte den Schaum
von den Fingern.
„Lieber Meister," erlaubte ich
mir zu erwidern, „Vollkommen-
heiten sind nie mit einem Male zu
erreichen. Bietet das neue Räte-
gesetz radikal gesinnten Männern
nicht alles, so bietet es eben etwas.
Und dieses Etwas ist der Fo«t-
schritt, der Anfang zu zielbewußter
Fm Schuhbasar
„Vierhundert Mark für die reizenden Stiefel? Für dich, Mieze, ist mir nichts
zu teuer. Bei der nächsten Mehlschiebung verdiene ich das Zehnfache."