Entwicklung — aber bitte, rasteren Sie mich
nun, ich habe wenig Zeit."
„Das ist eben die Lauheit bei Ihnen, lieber
Herr, wozu Anfänge; wir brauchen keine An-
fänge, wir wollen was Kompaktes und Ganzes
haben. Schieben, schieben kann jeder, aber durch-
drücken, mit Gewalt durchdrücken, das erfor-
dert Kraft — daran hapert's."
„Aber rasieren Sie mich doch, Meister!"
„Hm — rasieren — ist auch eine Gegen-
leistung. Wenn Sie meinen, unsere Anschau-
ungen passen nicht zueinander, dann wäre es
doch besser, Sie ließen sich bei einem Gesin-
nungsgenossen weiter rasieren."
„Aber Mann, ich kann doch nicht mit einem
eingeseiften Gesicht über die Straße rennen!"
„Mir gleichgültig. Wen» Sie eben meinen—"
„Nein, ich meine gar nichts," platzte ich
heraus. „Das Rätegesetz ist unter aller Kanone,
viel zu mäßig, radikaler muß es sein, es ist
eine Schande —"
Weiter konnte ich mich leider nicht ereifern,
denn der Meister setzte sein geschärftes Messer
an und putzte sorgsam um Kinn und Nase
herum.
„Ja ja," fuhr er bei der Arbeit fort, „eS
ist ein Jammer mit der Regierung. Die De-
monstrationen. Warum sollen die Leute nicht
demonstrieren für ihre gute Meinung. Start
dessen wird auf wehrlose Massen geschossen."
„Bester Meister," quetschte ich so gut es ging
unter dem Rasiermesser heraus, „Demonstra-
tionen an sich verbietet doch niemand. Aber
wenn diese in Gewalttätigkeiten ausarten, dann
hat doch die Obrigkeit ein Recht —"
Der Meister hielt mit dem Rasieren inne.
„Nein, mein Herr, das Volk war ruhig;
provoziert ist es durch Gewaltmittel, Revolver
und Kanonen. Das muß jeden Menschen er-
regen, der einfach von seinen politischen Rech-
ten Gebrauch macht. Ich will Ihnen
mal ein Beispiel erzählen —"
„Erzählen Sie gar nichts, Mei-
ster, rasieren Sie mich doch lieber
zu Ende."
„Sie scheinen sich aus meinen
Erklärungen nichts zu machen."
„Doch, Meister, ein andermal.
Ich habe heute keine Zeit und Sie
sind erst mit der einen Gesichtshälfte
fertig."
„Ausflüchte, immer Ausflüchte,
das ist so die Mode von pflaumen-
weichen Politikern. Wissen Sie,
lassen Sie sich die andere Seite
doch bei Leuten rasieren —"
„Donnerwetter noch einmal, ich
kann doch nicht mit halb rasiertem
Kinn in der ganzen Stadt herum-
laufen !"
„Warum denn nicht — ein prin-
zipientreuer Anhänger des —"
„Meister, ich will Ihnen etwas
sagen. Mir fällt eben ein, Sie haben
vollkommen recht, die Regierung hat
unrecht. Wozu braucht man Ma-
schinengewehre? Demonstranten
sind keine Engländer und Fran-
zosen! — Hoch lebe die Freiheit!"
Der Meister rasterte mit Behen-
digkeit zu Ende, wusch, puderte,
glättete — es war eine Lust.
„Sonst noch was gefällig? Bart
ausziehen, Zahnziehen?"
„Danke sehr."
„Ja ja," lächelte der Meister
vom Seifenschaum, „von mir kön-
ne« Politiker immer noch etwas
lernen."
„Aber sehr! —
Armenspende.
veutfche klusfchmückung der Rafferfchloffes voorn in tzol-
Iaub! Holsteinische 5rauen wollen den park mit Rosen aus
der Heimat schmücken, pommersche Zraucn spenden für die
Wirtschaft einen Raslehühnerliof. <hamd. Nachr.)
hast du, mein Freund, noch überflüssig Geld,
Sieh, wohltun, das verschönert uns das Leben,
versäume nicht um alles in der Welt,
Den Annen einen Teil davon zu geben.
Ne ich nur dem Würdigen die Gabe. Schau
Dabei, wenn möglich, auf den eignen Nutzen
Und richt', wie Goethe sagt, dich nach der Frau —
Doch ducherstehst mich nicht, — ich seh dich stutzen.
So höre denn: In wilhelmintje; Land
Scht Wilhelm jetzt, der cinst'ge Deutschs Kaiser.
vei Nacht und Nebel ist er durchgebrannt,
Nun weint nach ihm die „deutsche Frau" sich heiser.
Tr hat die Völker in den Krieg gehetzt,
Nach Holland hingeschafft sich Millionen,
Als schief es ging, ins Auto sich gesetzt.
Ts läßt sich dort als Millionär gut wohnen.
Nun wollen Holsteins Frauen ihm von vorn
Den park mit Rosen aus der Heimat schmücken,
Und hinten soll im „Kaiserschlosse" Ooorn
Ein Rassehühnerhof den Herrn entzücken-
Einst wollte er den Siegeslorbeerkranz
Im Völkerkrieg der ganzen Welt entreißen,
Jetzt freut er sich, wenn wackelnd mit dem Schwanz
Die Pommerngänse, die man schenkt, nicht beißen.
_^ __ Mäxchen
Schlojme, der Chochem und Melech
Von Lad. L. Lakatvs, New Dort
Der Titel gehört zum Text, sonst fehlt dem
Ganzen die Würze.
Also zur Erklärung: Schlojine bedeutet in
der jüdischen Sprache Salomon, Chochem ist
der Weise, und Melech ist der König.
Nach dieser Einleitung und Erklärung kann'k
losgehen.
In Neumarkt in Galizien wohnte ein Rab-
biner, den man gar nicht anders kannte alS
„Schlojme, der Chochem". Er war dort be-
kannt, daß er wohlüberlegte Gedanken aus-
sprach, wenn er ab und zu etwas zu sagen
Lust hatte. Sonst lebte er Nur der Heiligen
Schrift, aus°der er all seine Weisheiten schöpfte
und der er sein ganzes Leben widmete.
Es geschah, daß der Sandezer Rabbiner
starb. Und als die Sandezer Gemeindemit-
glieder zusammentraten, eine» neuen Rabbiner
zu wählen, da schlug jemand den Chochem
von Neumarkt vor. Man machte Einwen-
dungen. Der Näbbe mag wohl e Chochem
sein, aber er weiß nichts von der Welt. Da
sagten seine Anhänger zur Antwort:
„Nu, und wenn schon, brauchen wir denn
e Näbbe für die ganze Welt, oder brauchen
wir ihn für Sandez?"
Das überzeugte auch die anderen, und so
wurde„Schlojme, der Chochem von Neumarkt,"
Rabbiner in Sandez.
Wie Schlojine in Sandez schon warm ge-
worden war, fing er an, darüber nachzugrü
bei», daß laut der Bibel Schlojme nicht nur
ein Chochem, sondern auch ein Melech war,
und wenn er Schlojme der Chochem ist, ist
er auch Schlojme der Melech, und konsequenter-
weise sind die Menschen in Sandez nicht seines-
gleichen.
Eines Tages verkündete Schlojme, er wolle
nach Wien fahren.
„Schlojme Räbbe, was wollt Ihr in Wie: ?
Ihr kennt Euch nicht aus in Wien!"
„Nu, was will ich in Wien? In Wien will
ich Gast sein bei Rothschild, beim König der
Juden; dann geh ich zu Grünschild, zum König
der Börse; dann geh ich zu Blauschild, zum
König der Eisenbahnen; dann geh
ich ... dann geh ich zu die kleinere
König. Denn ich Hab' ein Recht da-
zu, ich bin doch Schlojme der Cho-
chem, Schlojme der Melech und will
meinesgleichen besuchen...."
Die Juden in Sandez waren sehr
überrascht. Sie sagten, sie hätten
ihn zum Rabbiner von Sandez ge-
wählt, nicht für Wien; sie machten
noch andere Einsprüche, dann aber
erklärte ihnen Schlojme, daß seine
Reise nach Wien die Sandezer
Gemeinde noch berühmter machen
werde. Und als schöne Worte nichts
nützten, drohte er, daß er die Oppo-
nenten aus der Gemeinde ausstoßen
werde. Seine Gegner schwiegen;
er verstand es, sie mundtot zu
machen; er reiste von Sandez nach
Wien, nahm auch seine Frau mit
und wollte mal — als König unter
Königen leben.
Als er in Wien ankam, meldete
er sich bei Rothschild an:
„Schlojme, der Chochem und Me-
lech von Sandez."
Der Sekretär war im ersten Augen-
blick überrascht, dann aber fiel ihm
ein, daß er schon oft von diesem
Rabbiner gehört hatte. Und da er
annahm, daß der Herr Rothschild
ihn dem Namen nach auch kennt,
meldete er ihn beim Judenkönig an.
Rothschild liebte diese Sorte Men-
schen und ließ ihn vor.
„Schlojme Räbbe, Euer Name
ist mir bekannt, Ihr seid der Cho-
chem von Sandez, was ist Euer
Begehr? . . ."
Beim Schuhmacher
„Det Besohle» kostet jetzt vierzig Mark, Frau Nachbarin. Billiger is et
nich zu machen."
Mahlzeit!" P. R. „Ach Jotte doch, da muß ick mit de Jöhren wieder vierzehn Tage hungern!"
nun, ich habe wenig Zeit."
„Das ist eben die Lauheit bei Ihnen, lieber
Herr, wozu Anfänge; wir brauchen keine An-
fänge, wir wollen was Kompaktes und Ganzes
haben. Schieben, schieben kann jeder, aber durch-
drücken, mit Gewalt durchdrücken, das erfor-
dert Kraft — daran hapert's."
„Aber rasieren Sie mich doch, Meister!"
„Hm — rasieren — ist auch eine Gegen-
leistung. Wenn Sie meinen, unsere Anschau-
ungen passen nicht zueinander, dann wäre es
doch besser, Sie ließen sich bei einem Gesin-
nungsgenossen weiter rasieren."
„Aber Mann, ich kann doch nicht mit einem
eingeseiften Gesicht über die Straße rennen!"
„Mir gleichgültig. Wen» Sie eben meinen—"
„Nein, ich meine gar nichts," platzte ich
heraus. „Das Rätegesetz ist unter aller Kanone,
viel zu mäßig, radikaler muß es sein, es ist
eine Schande —"
Weiter konnte ich mich leider nicht ereifern,
denn der Meister setzte sein geschärftes Messer
an und putzte sorgsam um Kinn und Nase
herum.
„Ja ja," fuhr er bei der Arbeit fort, „eS
ist ein Jammer mit der Regierung. Die De-
monstrationen. Warum sollen die Leute nicht
demonstrieren für ihre gute Meinung. Start
dessen wird auf wehrlose Massen geschossen."
„Bester Meister," quetschte ich so gut es ging
unter dem Rasiermesser heraus, „Demonstra-
tionen an sich verbietet doch niemand. Aber
wenn diese in Gewalttätigkeiten ausarten, dann
hat doch die Obrigkeit ein Recht —"
Der Meister hielt mit dem Rasieren inne.
„Nein, mein Herr, das Volk war ruhig;
provoziert ist es durch Gewaltmittel, Revolver
und Kanonen. Das muß jeden Menschen er-
regen, der einfach von seinen politischen Rech-
ten Gebrauch macht. Ich will Ihnen
mal ein Beispiel erzählen —"
„Erzählen Sie gar nichts, Mei-
ster, rasieren Sie mich doch lieber
zu Ende."
„Sie scheinen sich aus meinen
Erklärungen nichts zu machen."
„Doch, Meister, ein andermal.
Ich habe heute keine Zeit und Sie
sind erst mit der einen Gesichtshälfte
fertig."
„Ausflüchte, immer Ausflüchte,
das ist so die Mode von pflaumen-
weichen Politikern. Wissen Sie,
lassen Sie sich die andere Seite
doch bei Leuten rasieren —"
„Donnerwetter noch einmal, ich
kann doch nicht mit halb rasiertem
Kinn in der ganzen Stadt herum-
laufen !"
„Warum denn nicht — ein prin-
zipientreuer Anhänger des —"
„Meister, ich will Ihnen etwas
sagen. Mir fällt eben ein, Sie haben
vollkommen recht, die Regierung hat
unrecht. Wozu braucht man Ma-
schinengewehre? Demonstranten
sind keine Engländer und Fran-
zosen! — Hoch lebe die Freiheit!"
Der Meister rasterte mit Behen-
digkeit zu Ende, wusch, puderte,
glättete — es war eine Lust.
„Sonst noch was gefällig? Bart
ausziehen, Zahnziehen?"
„Danke sehr."
„Ja ja," lächelte der Meister
vom Seifenschaum, „von mir kön-
ne« Politiker immer noch etwas
lernen."
„Aber sehr! —
Armenspende.
veutfche klusfchmückung der Rafferfchloffes voorn in tzol-
Iaub! Holsteinische 5rauen wollen den park mit Rosen aus
der Heimat schmücken, pommersche Zraucn spenden für die
Wirtschaft einen Raslehühnerliof. <hamd. Nachr.)
hast du, mein Freund, noch überflüssig Geld,
Sieh, wohltun, das verschönert uns das Leben,
versäume nicht um alles in der Welt,
Den Annen einen Teil davon zu geben.
Ne ich nur dem Würdigen die Gabe. Schau
Dabei, wenn möglich, auf den eignen Nutzen
Und richt', wie Goethe sagt, dich nach der Frau —
Doch ducherstehst mich nicht, — ich seh dich stutzen.
So höre denn: In wilhelmintje; Land
Scht Wilhelm jetzt, der cinst'ge Deutschs Kaiser.
vei Nacht und Nebel ist er durchgebrannt,
Nun weint nach ihm die „deutsche Frau" sich heiser.
Tr hat die Völker in den Krieg gehetzt,
Nach Holland hingeschafft sich Millionen,
Als schief es ging, ins Auto sich gesetzt.
Ts läßt sich dort als Millionär gut wohnen.
Nun wollen Holsteins Frauen ihm von vorn
Den park mit Rosen aus der Heimat schmücken,
Und hinten soll im „Kaiserschlosse" Ooorn
Ein Rassehühnerhof den Herrn entzücken-
Einst wollte er den Siegeslorbeerkranz
Im Völkerkrieg der ganzen Welt entreißen,
Jetzt freut er sich, wenn wackelnd mit dem Schwanz
Die Pommerngänse, die man schenkt, nicht beißen.
_^ __ Mäxchen
Schlojme, der Chochem und Melech
Von Lad. L. Lakatvs, New Dort
Der Titel gehört zum Text, sonst fehlt dem
Ganzen die Würze.
Also zur Erklärung: Schlojine bedeutet in
der jüdischen Sprache Salomon, Chochem ist
der Weise, und Melech ist der König.
Nach dieser Einleitung und Erklärung kann'k
losgehen.
In Neumarkt in Galizien wohnte ein Rab-
biner, den man gar nicht anders kannte alS
„Schlojme, der Chochem". Er war dort be-
kannt, daß er wohlüberlegte Gedanken aus-
sprach, wenn er ab und zu etwas zu sagen
Lust hatte. Sonst lebte er Nur der Heiligen
Schrift, aus°der er all seine Weisheiten schöpfte
und der er sein ganzes Leben widmete.
Es geschah, daß der Sandezer Rabbiner
starb. Und als die Sandezer Gemeindemit-
glieder zusammentraten, eine» neuen Rabbiner
zu wählen, da schlug jemand den Chochem
von Neumarkt vor. Man machte Einwen-
dungen. Der Näbbe mag wohl e Chochem
sein, aber er weiß nichts von der Welt. Da
sagten seine Anhänger zur Antwort:
„Nu, und wenn schon, brauchen wir denn
e Näbbe für die ganze Welt, oder brauchen
wir ihn für Sandez?"
Das überzeugte auch die anderen, und so
wurde„Schlojme, der Chochem von Neumarkt,"
Rabbiner in Sandez.
Wie Schlojine in Sandez schon warm ge-
worden war, fing er an, darüber nachzugrü
bei», daß laut der Bibel Schlojme nicht nur
ein Chochem, sondern auch ein Melech war,
und wenn er Schlojme der Chochem ist, ist
er auch Schlojme der Melech, und konsequenter-
weise sind die Menschen in Sandez nicht seines-
gleichen.
Eines Tages verkündete Schlojme, er wolle
nach Wien fahren.
„Schlojme Räbbe, was wollt Ihr in Wie: ?
Ihr kennt Euch nicht aus in Wien!"
„Nu, was will ich in Wien? In Wien will
ich Gast sein bei Rothschild, beim König der
Juden; dann geh ich zu Grünschild, zum König
der Börse; dann geh ich zu Blauschild, zum
König der Eisenbahnen; dann geh
ich ... dann geh ich zu die kleinere
König. Denn ich Hab' ein Recht da-
zu, ich bin doch Schlojme der Cho-
chem, Schlojme der Melech und will
meinesgleichen besuchen...."
Die Juden in Sandez waren sehr
überrascht. Sie sagten, sie hätten
ihn zum Rabbiner von Sandez ge-
wählt, nicht für Wien; sie machten
noch andere Einsprüche, dann aber
erklärte ihnen Schlojme, daß seine
Reise nach Wien die Sandezer
Gemeinde noch berühmter machen
werde. Und als schöne Worte nichts
nützten, drohte er, daß er die Oppo-
nenten aus der Gemeinde ausstoßen
werde. Seine Gegner schwiegen;
er verstand es, sie mundtot zu
machen; er reiste von Sandez nach
Wien, nahm auch seine Frau mit
und wollte mal — als König unter
Königen leben.
Als er in Wien ankam, meldete
er sich bei Rothschild an:
„Schlojme, der Chochem und Me-
lech von Sandez."
Der Sekretär war im ersten Augen-
blick überrascht, dann aber fiel ihm
ein, daß er schon oft von diesem
Rabbiner gehört hatte. Und da er
annahm, daß der Herr Rothschild
ihn dem Namen nach auch kennt,
meldete er ihn beim Judenkönig an.
Rothschild liebte diese Sorte Men-
schen und ließ ihn vor.
„Schlojme Räbbe, Euer Name
ist mir bekannt, Ihr seid der Cho-
chem von Sandez, was ist Euer
Begehr? . . ."
Beim Schuhmacher
„Det Besohle» kostet jetzt vierzig Mark, Frau Nachbarin. Billiger is et
nich zu machen."
Mahlzeit!" P. R. „Ach Jotte doch, da muß ick mit de Jöhren wieder vierzehn Tage hungern!"