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Zum 9. November 1918

Willkommen, Tag der Tage!
Willkommen, roter Herbst,

Der wie mit Zauberschlage
Du rot mein Deutschland färbst! —
Der Purpur r- Raub des Schimmels!
And der sich einzig hielt? —

Das Instrument des Himmels
Hat heute ausgespielt!

Frei steige auf die Straßen,

Volk, das nur Arbeit kennt.

And lerne fürder blasen
Dein eigen Instrument!

Heut freu' dich des Gewimmels,
Denn der dich niederhielt,

— Das Instrument des Himmels —
Hat endlich ausgespielt!

21- S.B.

3m Felde, am 9. November 1918 nachts

Ungarischer Fortschritt

In Ungarn, dem Lande der wiederherge-
stellten Ordnung, aus dem uns schon so viele
Zeugnisse edelsten Menschentums überkommen
sind, hat das sogenannte Parlament beschlossen,
die Prügelstrafe wieder einzuführen.

Unsere Agrarier und ihre bureaukratischen
Bundesgenossen wurden ohnehin schon gelb
vor Neid, wenn sie an das herrliche Ungarn
Horthys dachten. Wenn sie nun aber lesen.

daß man dort wieder prügeln darf, werden
sie sehnsüchtige Krämpfe in die Ellbogen be-
kommen, und ihr Herz wird schmerzlich zittern
bei dem Gedanken, daß „wir" so weit noch
nicht wieder sind; denn es geht bei uns immer-
hin etwas langsamer auf dem Wege zu den
hinteren Idealen. Aber geben wir die Hoff-
nung nicht auf, lieber Leser! Mit Gott und
Orgesch kommt vielleicht auch der Knüppel
und die Reitpeitsche wieder zu Ehren. Und
dann —

Und dann könnte es sich Herausstellen, daß
die rückseitigen Fortschrittler ein Gesetz für
den eigenen Hintern gemacht haben! Pcc.

Selbstschutz

Läuse, Wanzen, freche Schnaken,

Die uns arme Menschen plagen.

Die zu sonst nichts weiter taugen.

Als das Blut uns auszusauge».

Wenn man müd im Bette nächtigt, —
Sind sie existenzberechtigt?

Soll man ihnen nicht verwehren.

Sich von unsrem Blut zu nähren.

Die nichts schaffend sich vom besten
Lebensstoff des Menschen mästen.

Die schmarotzend ganz im stillen
Ihre großen Bäuche füllen
And dem Menschenvolk auf Erden
Leid nur bringen und Beschwerden? —
Jeder soll hier etwas tuen.

Keiner freffen nur und ruhen.

Keiner aus der Faulbank liegen
And von andern Futter kriegen;

Niemand soll man um sich haben.

Der nur dran denkt, sich zu laben;

Jeder soll durch Fleiß und Streben
Von der eignen Nahrung leben.

And wer sich nicht danach richtet.

Wird als Parasit vernichtet. f. m.

6S 6S

Die Auferstehung des Fleisches

Frohlockend wogt die Rinderbrust,

Äell blinken Schweinebäuche,

And stolzer schwillt der Pökelkamm
Ringsum im Deutschen Reiche:

„Der Feffeln sind wir ledig jetzt
And frei von allen Banden!

Der Kauf ist frei, der Preis ist frei.

Das Fleisch ist auferstanden!

Seit mit dem Fluch der Zwangswirtschaft
Batocki uns beschwerte.

Fühl' heut ich mich zum erstenmal
In meinem vollen Werte!"

So triumphiert das Rindsfilet
And glänzt in rosiger Frische —

Mit fünfzig Mark das Pfund bezahlt —
Auf Schiebers Frühstückstische.

„Ein stolzer Los ward mir zuteil.

Als je geahnt ich hätte!" —

Mit selbstbewußtem Wiehern ruft's
Die Lottehü-Bulette —

„Mich speisen jetzt zum Festdiner
Nur noch die bessern Kreise,

And der Prolet, der einst mich fraß,

Weicht stumm vor meinem Preise!" Tobias

Das Vaterland

Im Warteraum eines Kleinstadt-
bahnhofs

An meinem Tisch sitzt eine
Dame mit ihrem kleinen Töch-
terchen. Außerdem ein wohlge-
nährter Herr, am Rockkragen
das Hakenkreuz tragend. Ein
Kriegsbeschädigter kommt an
unseren Tisch gehiunpelt und
bietet Ansichtskarte» seil. Nach-
dem er weggegangen ist, fragt
die Kleine: „Mutter, der Mann
war wohl auch im Kriege, weil
er bloß noch ein Bein hat?" —
„Ja, mein Kind." — „Nicht
wahr, Mutter, das sind böse
Menschen gewesen, die ihn in
den Krieg geschickt haben?"

Noch ehe aber die Mutter
antworten kann, sagt der wohl-
genährte Herr: „Nein, mein
Kind, das Vaterland hat ihn
geschickt."

Das Kind sieht ihn erstaunt
an, dann wendet es sich wieder
zur Mutter: „Was ist denn das
eigentlich, das Vaterland?" —
„Ach was, frag' nicht so dumm!"
antivortete die Mutter.

Als jedoch der Kriegsbeschä-
digte wieder an unserem Tisch
vorbeigeht, steht das Kind auf:
„Mutter, ich iverde einmal den
armen Mann danach fragen,
der muß es doch wissen." —
„Nein, Kind, frage lieber nicht!"

Warum durfte die Kleine nicht
fragen? Der Mann hätte ihr
gewiß Aufklärung über den Be-
griff „Vaterland" geben können.

In der republikanischen Schmiede

Eine gut geschmiedete eiserne Iakobinerhaube ist haltbarer
als eine goldene Kaiserkrone

Bonus

Wissen Sie, wer Bonus ist?

Ein ganz verteufelter Kerl
muß das sein, dachte ich. Ein
hervorragender Erfinder, ein
höchst talentvoller Kaufmann,
ein unermüdlicher, allgegenwär-
tiger Arbeiter oder so was, in
jedem Falle ein Genie. Sein
Name wird immer wieder ge-
nannt, wo es Bilanzen gibt.
Zum Beispiel: Chemische Fa-
brikey A.-G.: Dividende 20 Pro-
zent, Bonus 30 Prozent, oder
Textilwerke A.-G.: Dividende
28 Prozent, Bonus 200 Mark,
oderSchuhindustrieoderMetall-
waren oder Papier-, Mostrich-,
Zucker-, Nähfaden-, Drahtzaun-
fabriken — imnier kriegt Bonus
sein Teil ab. Wie rührig, wie
ideenreich, wie übermenschlich
fleißig muß dieser Mann sein,
dachte ich. Von den Aktionären
weiß man ja, daß sie weder
einen Schuh noch einen Näh-
faden noch ein Pfund Zucker
.Herstellen. Dafür erhalten sie
dann eben ihre Dividende. Aber
Bonus — das muß doch wohl
die Tatkraft und Produktivität
selbst "sein.

So also dachte ich. Und fragte
einen Eingeweihten, und zwar
einen Mann, der mehr Aktien
als Haare hat.

„Hm," sagte der. „Im Ver-
trauen: Bonus ist ein Gott.
Eine.Art Verwandter von dem
Gott der alten Römer, den sie
 
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