Von den Thronen ins Panoptikum
Da das Panoptikum mit der bisherigen Verbrechergalerie immer schlechtere Geschäfte machte, hat sich der Besitzer entschlossen,
diese durch die verflossenen deutschen Fürsten zu ersetzen.
Bonus Eventus nannten. Dessen Aufgabe war
es bekanntlich, für dicke Ähren bei den Feld-
früchten zu sorgen. Das Eventus haben wir
gestrichen, weil es zu sehr an .eventuell' er-
innert. Man geht gern sicher, und wer Aktien
hat, der will auf alle Fälle dicke Körner. Dar-
um sägen wir an der Börse einfach Bonus".
„Aha, ein Gott. Daher diese übermensch-
liche Tätigkeit. Und man opfert ihm also einen
Teil der Gewinne?"
„Hahaha." Der Aktionär grinste. „Ja ja,
ganz recht. Man opfert ihm alle Überschüsse,
die sich sonst nirgends mit Anstand unter-
bringen lassen. Denken Sie doch, wenn man
fünfzig, sechzig oder gar hundert Prozent
Dividende an uns zahlen würde. Der Auf-
stand, die Empörung bei den Arbeitern! Sie
schimpfen uns jetzt schän Parasiten! Nee, da
mögen sie lieber auf Bonus schimpfen. Der
macht sich nichts draus. Der lacht in unserer
linken Tasche, während die Dividende in die
rechte rutscht."
„Schade, daß das Wort nicht von jedem
verstanden wird."
„Schade?" Der Aktionär hob entsetzt die
Arme. „Aber Mensch, das Wort ist doch bloß
darum erfunden, daß es nicht jeder versteht.
Wenn es jeder verstände, — wer weiß —,
möglicherweise hätten sie diesen Gott mitsamt
seinen Gläubigen schon abgeschafft!" Pan
Am 9. November 1918 ist unser herrliches
Heer von hinten erdolcht worden. So behaup-
ten die Bürger. — Gesehen haben sie es aller-
dings nicht, da sie zufällig an diesem Tage
alle verfügbaren Mauselöcher Deutschlands
besetzt hielten. *
Es wird immer gepredigt: „Die Liebe höret
nimmer auf!" Wenn sie doch erst einmal
anfangen würde! A. H.B.
Eine gefallene Größe
Skizze von E.
Der Zug hält schnaufend in der Station.
Einige Dutzend Passagiere steigen aus. Sogar
aus dem Abteil erster Klasse steigen zwei, ein
Älterer mit Bartkoteletten und ein Jüngerer,
der immer einen geflissentlichen Abstand zu ihm
einnimmt. Der Ältere sieht sich fragend um.
„Ist es möglich, lieber Knallwitz? Niemand
scheint mich hier wieder zu erkennen?"
„In der Tat, Hoheit," sagte der andere.
„Und früher—diese Spaliere der froh jubeln-
den Schüler, die Kriegervereine, die Ehren-
jungfrauen, die Girlanden und Triumphbogen,
die Reden und Treueschwüre — wo ist das
alles geblieben?"
„Es kommt wieder, Hoheit," sagte der Ad-
jutant tröstend.
• „Natürlich. Wo bliebe sonst Gerechtigkeit?"
„Sehr wahr, Hoheit."
Serenissimus lenkt seine» Weg in die innere
Stadt. Er geht so gedankenvoll, daß der Ad-
jutant die allerhöchste Hirnarbeit nicht mit
der Frage zu unterbrechen wagt, ob man nicht
lieber ein Auto nehmen solle, wenn man schon
den Arzt aufsuchen wolle. Früher wurde der
Kerl in die Residenz kommandiert. Jetzt mußte
man die Ruhe des Lustschlosses verlassen, um
in die frühere Residenz sich selbst zu bemühen.
Auch das war so ein Zeichen der Zeit. — -
Draußen auf dem Schloß war es viel ge-
mütlicher: man amüsierte sich beim Sport,
ging auf die Jagd oder machte Autotouren.
Na, und Errrährungsschwierigkeiten waren
nach wie vor nur für die große Masse da.
Daran hatte selbst diese gottverfluchte Revo-
lution nichts geändert.
Aber das Beste fehlte halt doch: der Re-
spekt und das Ansehen waren zum Teufel, der
Glanz war erloschen.
War es nicht zum Beispiel ein Skandal, daß
die Menge an Hoheit vorüberging, als sei er
ei» ganz gewöhnlicher Mensch? Sie sahen ihm
dreist ins Gesicht. Ein paar Arbeiter stieße»
sich an, deuteten auf ihn und lachten sogar.
Herr von Knallwitz blitzte sie zornig an. Aber
da lachten sie laut heraus. Es war empörend.
Er hatte das Gefühl, Spießruten zu laufen.
Da geschah etwas Unerwartetes. Ein dicker
Herr, den eine goldene Uhrkette und ein blanker
Zylinder schon von weitem als einen „besse-
ren" Bürger zu erkennen gaben, stutzte beim
Anblick des Fürsten, sprang vom Trottoir
herab und riß seinen Hut vom Kopf. „Hoch!"
rief er dabei. Es klang nicht sehr deutlich, da
die Erregung den wackeren Mann zu über-
wältigen drohte, aber zu verstehen war es doch.
Auch Hoheit hatte es verstanden. Eilig, wie
nie zuvor in seiner Regierungszeit, erwiderte
er den Gruß des Untertans, der noch immer
entblößten Hauptes dastand und ihm verzückt
nachstarrte.
„Lieber Knallwitz — äh, sagen Sie mal?"
„Hoheit befehlen?"
„Dieser Mann da hat mir wieder Hoffnung
gegeben. Sagen Sie mal, könnte man ihn nicht
durch einen Orden belohnen?"
Herr von Knallwitz sah ihn entgeistert an.
„Orden, Hoheit?! Nein, das wird leider nicht
gehen." Sein hoher Herr hatte bisweilen selt-
same Begriffsstörungen: er lebte dann noch
im Traum in der guten alten Zeit, da er die
Sonne seiner Gnade über die Gutgesinnten
leuchten lassen konnte.
„Ach so, ja. Ich vergaß. Die Bande braucht
uns ja nicht mehr, und wir müssen froh sein,
wenn sie uns noch leben lassen. Ach, lieber
Knallwitz, die Gerechtigkeit ist tot."
„Sehr richtig, Hoheit!" Und er versuchte, ein
ungewöhnlich trauriges Gesicht zu schneiden.
Es sah aber nur ungewöhnlich dumm aus....
Da das Panoptikum mit der bisherigen Verbrechergalerie immer schlechtere Geschäfte machte, hat sich der Besitzer entschlossen,
diese durch die verflossenen deutschen Fürsten zu ersetzen.
Bonus Eventus nannten. Dessen Aufgabe war
es bekanntlich, für dicke Ähren bei den Feld-
früchten zu sorgen. Das Eventus haben wir
gestrichen, weil es zu sehr an .eventuell' er-
innert. Man geht gern sicher, und wer Aktien
hat, der will auf alle Fälle dicke Körner. Dar-
um sägen wir an der Börse einfach Bonus".
„Aha, ein Gott. Daher diese übermensch-
liche Tätigkeit. Und man opfert ihm also einen
Teil der Gewinne?"
„Hahaha." Der Aktionär grinste. „Ja ja,
ganz recht. Man opfert ihm alle Überschüsse,
die sich sonst nirgends mit Anstand unter-
bringen lassen. Denken Sie doch, wenn man
fünfzig, sechzig oder gar hundert Prozent
Dividende an uns zahlen würde. Der Auf-
stand, die Empörung bei den Arbeitern! Sie
schimpfen uns jetzt schän Parasiten! Nee, da
mögen sie lieber auf Bonus schimpfen. Der
macht sich nichts draus. Der lacht in unserer
linken Tasche, während die Dividende in die
rechte rutscht."
„Schade, daß das Wort nicht von jedem
verstanden wird."
„Schade?" Der Aktionär hob entsetzt die
Arme. „Aber Mensch, das Wort ist doch bloß
darum erfunden, daß es nicht jeder versteht.
Wenn es jeder verstände, — wer weiß —,
möglicherweise hätten sie diesen Gott mitsamt
seinen Gläubigen schon abgeschafft!" Pan
Am 9. November 1918 ist unser herrliches
Heer von hinten erdolcht worden. So behaup-
ten die Bürger. — Gesehen haben sie es aller-
dings nicht, da sie zufällig an diesem Tage
alle verfügbaren Mauselöcher Deutschlands
besetzt hielten. *
Es wird immer gepredigt: „Die Liebe höret
nimmer auf!" Wenn sie doch erst einmal
anfangen würde! A. H.B.
Eine gefallene Größe
Skizze von E.
Der Zug hält schnaufend in der Station.
Einige Dutzend Passagiere steigen aus. Sogar
aus dem Abteil erster Klasse steigen zwei, ein
Älterer mit Bartkoteletten und ein Jüngerer,
der immer einen geflissentlichen Abstand zu ihm
einnimmt. Der Ältere sieht sich fragend um.
„Ist es möglich, lieber Knallwitz? Niemand
scheint mich hier wieder zu erkennen?"
„In der Tat, Hoheit," sagte der andere.
„Und früher—diese Spaliere der froh jubeln-
den Schüler, die Kriegervereine, die Ehren-
jungfrauen, die Girlanden und Triumphbogen,
die Reden und Treueschwüre — wo ist das
alles geblieben?"
„Es kommt wieder, Hoheit," sagte der Ad-
jutant tröstend.
• „Natürlich. Wo bliebe sonst Gerechtigkeit?"
„Sehr wahr, Hoheit."
Serenissimus lenkt seine» Weg in die innere
Stadt. Er geht so gedankenvoll, daß der Ad-
jutant die allerhöchste Hirnarbeit nicht mit
der Frage zu unterbrechen wagt, ob man nicht
lieber ein Auto nehmen solle, wenn man schon
den Arzt aufsuchen wolle. Früher wurde der
Kerl in die Residenz kommandiert. Jetzt mußte
man die Ruhe des Lustschlosses verlassen, um
in die frühere Residenz sich selbst zu bemühen.
Auch das war so ein Zeichen der Zeit. — -
Draußen auf dem Schloß war es viel ge-
mütlicher: man amüsierte sich beim Sport,
ging auf die Jagd oder machte Autotouren.
Na, und Errrährungsschwierigkeiten waren
nach wie vor nur für die große Masse da.
Daran hatte selbst diese gottverfluchte Revo-
lution nichts geändert.
Aber das Beste fehlte halt doch: der Re-
spekt und das Ansehen waren zum Teufel, der
Glanz war erloschen.
War es nicht zum Beispiel ein Skandal, daß
die Menge an Hoheit vorüberging, als sei er
ei» ganz gewöhnlicher Mensch? Sie sahen ihm
dreist ins Gesicht. Ein paar Arbeiter stieße»
sich an, deuteten auf ihn und lachten sogar.
Herr von Knallwitz blitzte sie zornig an. Aber
da lachten sie laut heraus. Es war empörend.
Er hatte das Gefühl, Spießruten zu laufen.
Da geschah etwas Unerwartetes. Ein dicker
Herr, den eine goldene Uhrkette und ein blanker
Zylinder schon von weitem als einen „besse-
ren" Bürger zu erkennen gaben, stutzte beim
Anblick des Fürsten, sprang vom Trottoir
herab und riß seinen Hut vom Kopf. „Hoch!"
rief er dabei. Es klang nicht sehr deutlich, da
die Erregung den wackeren Mann zu über-
wältigen drohte, aber zu verstehen war es doch.
Auch Hoheit hatte es verstanden. Eilig, wie
nie zuvor in seiner Regierungszeit, erwiderte
er den Gruß des Untertans, der noch immer
entblößten Hauptes dastand und ihm verzückt
nachstarrte.
„Lieber Knallwitz — äh, sagen Sie mal?"
„Hoheit befehlen?"
„Dieser Mann da hat mir wieder Hoffnung
gegeben. Sagen Sie mal, könnte man ihn nicht
durch einen Orden belohnen?"
Herr von Knallwitz sah ihn entgeistert an.
„Orden, Hoheit?! Nein, das wird leider nicht
gehen." Sein hoher Herr hatte bisweilen selt-
same Begriffsstörungen: er lebte dann noch
im Traum in der guten alten Zeit, da er die
Sonne seiner Gnade über die Gutgesinnten
leuchten lassen konnte.
„Ach so, ja. Ich vergaß. Die Bande braucht
uns ja nicht mehr, und wir müssen froh sein,
wenn sie uns noch leben lassen. Ach, lieber
Knallwitz, die Gerechtigkeit ist tot."
„Sehr richtig, Hoheit!" Und er versuchte, ein
ungewöhnlich trauriges Gesicht zu schneiden.
Es sah aber nur ungewöhnlich dumm aus....