. 10102
Der neue Tell
fylffcricf) wurde auf dem deutfchnationalen Parteitag
mit Wilhelm Teil verglichen.
Helfferich-Tell:
Durch diese hohle Gasse muß er kommen.
(Es führt kein andrer Weg zum Reichstag, fjier
vollend ich's. Die Gelegenheit ist günstig.
Mach deine Rechnung mit dem ljimmel, Geist
Der Republik! Die Uhr ist abgelaufen.
Ruf diese Bank von Stein will ich mich setzen,
Bis eine Uaiserkrone wieder winkt..
Sonst bleibt es finstre Nacht. Lin jeder treibt
Rn meinem Schicksal rasch und fremd vorüber,
lver kümmert sich um meinen bittren Schmerz?
Der Junker allenfalls, kaum noch der Schieber.
Sie ziehen alle ihres Weges fort
Rn ihr Geschäft - und meines ist der Mord!
Ich habe oft geschossen in das Schwarze.
Traf in das Zentrum. Darum haßt es mich.
Und auch die Roten zittern, wenn ich rede,
Ingrimmig, vorwärts denn. Tell-kjelfferich!
heraus den Pfeil, spann deinen Bogen,
vielleicht stirbt auch — der Bande zum Verdruß -
Oie Republik an meinem Meisterschuß. Pec.
Poesies...
Eiir Gewitter zivang mich, in einer Dorf-
kneipe Schutz zu suchen. Ein armseliges Lokal.
An den grüngetünchten Wänden billige Öl-
drucke von gekrönten Häuptern, über und über
besät mit den Spuren der zahlreichen Fliegen.
Eine Photographie mit dem Gruppenbild des
Westliche Demokratie
Die westlichen Länder sind be-
kanntlich die Ursprungsländer der
Demokratie, und sie bemühen sich
nach Kräften, auch den Demos,
das Volk, außerhalb ihrer eigenen
Grenzen glücklich zu machen. Sie
haben ja auch den Weltkrieg nur
geführt, um unseren Militarismus
allSzilrotten und Freiheit und Ge-
rechtigkeit zu verbreiten. J»> Ver-
sailler Friedensvertrag haben sie
uns das schriftlich gegeben. Damit
dies Gesetz exakte Erfüllung'finde,
sitzen in Deutschland wie Rosinen
in einem Kuchen die interalliierten
Kommissionen. Wieviele weiß kein
Mensch. Zum grüßten Teil sind es
Soldaten, die als Sachverständige
unfern geknickten Militarismus
überwachen und uns demokratische
Gerechtigkeit demonstrieren. Dafür
werden sie von uns bezahlt. Ein
Präsident solcher Kommission er-
hält fünfmal mehr als der deutsche
Reichskanzler, siebenmal mehr als
der Reichswehrminister. Ein Oberst
hat das Dreifache, ein Leutnant das
Zweieinhalbfache des Kanzlers —
und jeder einfache Soldat wird be-
zahlt wie unser Reichswehrminister.
Das erscheint uns nicht ganz denio-
kralisch. Warum erhält der Soldat
»cht auch das Siebenfache des
Wehrministers? Eine Demokratie
der Tat hat auch den wirtschaft-
lichen Ausgleich anzustreben. Die
Ilnterschiede erscheinen ungerecht —
ober nur auf den ersten Blick. In
Wahrheit nämlich werden sie aus
Gesangvereins „Harmonie" prangte zwischen
zwei gipsernen Rehköpsen, von denen die Farbe
abblälterte.
Die Wirtin schob mit dienstlichem Gesicht
einen Fuhrmannsschoppen vor mich hin und
schlurfte wieder in die Küche. Draußen pras-
selte der Regen.
In der Ecke träumte ein gebrechliches Kla-
vier. Darauf lagen Stöße von Note» und alten
Zeitschriften durcheinander. Ich wühlte aus
Langeweile in dem Papierkram. Da fiel mir
ein Notizbüchlein in die Hände. Es trug auf
dem grünen Papierdcckel die sichtlich von
Mädchenhand geschriebene Jnschrist:
„Roösies cksckiöss k la personne que j’aime.“
(Gedichte, gewidmet der Person, die ich liebe.)
Ich öffnete; aber da stand nichts von Ge-
dichten. Die ersten Blätter ivaren herausge-
rissen. Ich las:
Haus Nr. 186 belegt mit 3 Mann, 1 Pferd,
Haus Nr. 187 lOOffiziere, SMann, 3Pferde,
Haus Nr. 188 eng. 3 Mann.
So ging es fort durch das ganze Büchlein.
Zwischendurch kamen Notizen über Hafer-
rationen, Regimentsbefehle, Meldungen von
Posten.
Am unteren Rand war das Büchlein ein
wenig von Flammen angesengt. Der Zusam-
menhang war unschwer zu erraten. Ich konnte
mir die Situation ausmalen. Das französische
Mädchen, das die zarten Gefühle ihrer ersten
Liebe diesem Büchlein anvertraute, das Lie-
besgedichte abschrieb oder selbst machte. Wie
viele Seufzer mögen diese schlichten Blätter
gehört, wie viele verstohlene Tränen gesehen
haben, wenn die junge Besitzerin sich über sie
-o-
beugte. Wie viele Gedanken von Schönheit und
Erdenglück. . . . Dann kam der August 1014.
liberstürzte Flucht der Bewohner, Beschießung,
Brand. Das Büchlein fängt an zu glimmen.
Der Regen löscht es wieder.
Ein deutscher „Barbar" findet das Büchlein.
Er kann es als Korporalschaftsbuch gut brau-
chen. Von der Aufschrift versteht er nichts,
noch weniger von dem Inhalt. Die rauhe Hand
reißt die beschriebene» Blätter heraus. Kritzelt
die Notizen hinein, die momentan wichtiger
sind als Gedichte. ^
Wo sind sie hingeflattert, die beschriebenen
Blättchen, die einmal dem Geliebten Kunde
geben sollten von den Gedanken und der Sehn-
slicht der jungen Schreiberin? Wo ist sie selbst,
die Jungfrau? Hat sie ihr Heim wiedergefun-
den nach dem Abzug der Feinde? Lebt sie
noch, hat ein Geschoß sie erreicht, eine Sei,che
sie iveggerasst? Und ihr Angebeteter? Ist er
von, Feld glücktich zurückgekehrt, hat er feine
Liebste beimgeführt? Modert er irgendwo in
der Kreive der Champagne?
So gehen meine Gedanken; ich kann nichts
dafür.
Ich kan» auch nichts dafür, daß sie die Form
der besten Wünsche für das Mädchen und ihren
Liebhaber annehmen. Sie sind Franzosen, „Erb-
feinde", ich kenne sie nicht. Aber ich muß ihnen
Gutes wünschen, weil sie Menschen sind, stre-
bende, leidende, arme Menschen mit einem
sein empfindenden Herzmuskel wie ich.
Und der Versailler Gewaltfriede und die
Negerschande und so manches andere tritt in
den Hintergrund. Das Menschliche steht über
dem Nationale». F. W.
Amerikanischer Sühnegottesdienst
In fjatli wurden von der amerikanischen Militärherrschast 3250 Neger
getötet (Zeitungsnachricht)
„Ts sind unter der Negierung Wilsons viele schwarze Mitbürger in Haiti und
aus dem Festland getötet worden; zu deren Gedächtnis sind wir hier ver-
sammelt. Ihnen ist jetzt wohl, denn der allmächtige hat sie zu sich genommen
in sein Neich, wo eitel Lust und Wonne herrscht."
Rücksicht auf uns gemacht — aus
Billigkeitsgründen, wenn sie uns
auch teuer Vorkommen. Die Unter-
haltung unseres alten Militaris-
mus kostete uns jährlich etwa drei-
hundert Millionen. Die Entente
zeigt uns demonstrativ, daß der be-
freiende Militarismns der west-
lichen Demokratie wesentlich billiger
ist. Die interalliierten Kommissio-
nen kosten uns nämlich nur zirka
zweihundert Millionen. Wir sparen
also: na, rechne selbst, lieber Leser,
und knurre nicht. Es hat schon seine
Richtigkeit. pe.
<32 32
Deutsch-völkisches Leid
Es verlautet, daß der ehemalige
Kronprinz eines deutschen Bundes-
staates sich mit der Tochter eines
Bankiers und Kommerzienrats ver-
lobt habe. Dieser Geldmensch ist
ein Jude, und der gewesene Kron-
prinz ist natürlich ein Vollblutger-
mane. Das hindert ihn nicht, ins
Geschäft zu heiraten. Wenn der
monarchistische Betrieb pleite ist,
muß man sich nach einem anderen
Beruf Umsehen und die deutsch-völ-
kischen Grundsätze von Rassenrein-
heit usw. in die Ecke stellen. Der
blondblütige Deutsche sieht es mit
Schmerzen, wenn der zukünftige
Kronprätendent eine krumme Nase
und schwarzgelocktes Haar kriegen
sollte und damit die Aussicht näher
rückt, daß bei Aufrichtung der Mon-
archie ein Isaak I. zur Regierung
gelangen könnte.
Der neue Tell
fylffcricf) wurde auf dem deutfchnationalen Parteitag
mit Wilhelm Teil verglichen.
Helfferich-Tell:
Durch diese hohle Gasse muß er kommen.
(Es führt kein andrer Weg zum Reichstag, fjier
vollend ich's. Die Gelegenheit ist günstig.
Mach deine Rechnung mit dem ljimmel, Geist
Der Republik! Die Uhr ist abgelaufen.
Ruf diese Bank von Stein will ich mich setzen,
Bis eine Uaiserkrone wieder winkt..
Sonst bleibt es finstre Nacht. Lin jeder treibt
Rn meinem Schicksal rasch und fremd vorüber,
lver kümmert sich um meinen bittren Schmerz?
Der Junker allenfalls, kaum noch der Schieber.
Sie ziehen alle ihres Weges fort
Rn ihr Geschäft - und meines ist der Mord!
Ich habe oft geschossen in das Schwarze.
Traf in das Zentrum. Darum haßt es mich.
Und auch die Roten zittern, wenn ich rede,
Ingrimmig, vorwärts denn. Tell-kjelfferich!
heraus den Pfeil, spann deinen Bogen,
vielleicht stirbt auch — der Bande zum Verdruß -
Oie Republik an meinem Meisterschuß. Pec.
Poesies...
Eiir Gewitter zivang mich, in einer Dorf-
kneipe Schutz zu suchen. Ein armseliges Lokal.
An den grüngetünchten Wänden billige Öl-
drucke von gekrönten Häuptern, über und über
besät mit den Spuren der zahlreichen Fliegen.
Eine Photographie mit dem Gruppenbild des
Westliche Demokratie
Die westlichen Länder sind be-
kanntlich die Ursprungsländer der
Demokratie, und sie bemühen sich
nach Kräften, auch den Demos,
das Volk, außerhalb ihrer eigenen
Grenzen glücklich zu machen. Sie
haben ja auch den Weltkrieg nur
geführt, um unseren Militarismus
allSzilrotten und Freiheit und Ge-
rechtigkeit zu verbreiten. J»> Ver-
sailler Friedensvertrag haben sie
uns das schriftlich gegeben. Damit
dies Gesetz exakte Erfüllung'finde,
sitzen in Deutschland wie Rosinen
in einem Kuchen die interalliierten
Kommissionen. Wieviele weiß kein
Mensch. Zum grüßten Teil sind es
Soldaten, die als Sachverständige
unfern geknickten Militarismus
überwachen und uns demokratische
Gerechtigkeit demonstrieren. Dafür
werden sie von uns bezahlt. Ein
Präsident solcher Kommission er-
hält fünfmal mehr als der deutsche
Reichskanzler, siebenmal mehr als
der Reichswehrminister. Ein Oberst
hat das Dreifache, ein Leutnant das
Zweieinhalbfache des Kanzlers —
und jeder einfache Soldat wird be-
zahlt wie unser Reichswehrminister.
Das erscheint uns nicht ganz denio-
kralisch. Warum erhält der Soldat
»cht auch das Siebenfache des
Wehrministers? Eine Demokratie
der Tat hat auch den wirtschaft-
lichen Ausgleich anzustreben. Die
Ilnterschiede erscheinen ungerecht —
ober nur auf den ersten Blick. In
Wahrheit nämlich werden sie aus
Gesangvereins „Harmonie" prangte zwischen
zwei gipsernen Rehköpsen, von denen die Farbe
abblälterte.
Die Wirtin schob mit dienstlichem Gesicht
einen Fuhrmannsschoppen vor mich hin und
schlurfte wieder in die Küche. Draußen pras-
selte der Regen.
In der Ecke träumte ein gebrechliches Kla-
vier. Darauf lagen Stöße von Note» und alten
Zeitschriften durcheinander. Ich wühlte aus
Langeweile in dem Papierkram. Da fiel mir
ein Notizbüchlein in die Hände. Es trug auf
dem grünen Papierdcckel die sichtlich von
Mädchenhand geschriebene Jnschrist:
„Roösies cksckiöss k la personne que j’aime.“
(Gedichte, gewidmet der Person, die ich liebe.)
Ich öffnete; aber da stand nichts von Ge-
dichten. Die ersten Blätter ivaren herausge-
rissen. Ich las:
Haus Nr. 186 belegt mit 3 Mann, 1 Pferd,
Haus Nr. 187 lOOffiziere, SMann, 3Pferde,
Haus Nr. 188 eng. 3 Mann.
So ging es fort durch das ganze Büchlein.
Zwischendurch kamen Notizen über Hafer-
rationen, Regimentsbefehle, Meldungen von
Posten.
Am unteren Rand war das Büchlein ein
wenig von Flammen angesengt. Der Zusam-
menhang war unschwer zu erraten. Ich konnte
mir die Situation ausmalen. Das französische
Mädchen, das die zarten Gefühle ihrer ersten
Liebe diesem Büchlein anvertraute, das Lie-
besgedichte abschrieb oder selbst machte. Wie
viele Seufzer mögen diese schlichten Blätter
gehört, wie viele verstohlene Tränen gesehen
haben, wenn die junge Besitzerin sich über sie
-o-
beugte. Wie viele Gedanken von Schönheit und
Erdenglück. . . . Dann kam der August 1014.
liberstürzte Flucht der Bewohner, Beschießung,
Brand. Das Büchlein fängt an zu glimmen.
Der Regen löscht es wieder.
Ein deutscher „Barbar" findet das Büchlein.
Er kann es als Korporalschaftsbuch gut brau-
chen. Von der Aufschrift versteht er nichts,
noch weniger von dem Inhalt. Die rauhe Hand
reißt die beschriebene» Blätter heraus. Kritzelt
die Notizen hinein, die momentan wichtiger
sind als Gedichte. ^
Wo sind sie hingeflattert, die beschriebenen
Blättchen, die einmal dem Geliebten Kunde
geben sollten von den Gedanken und der Sehn-
slicht der jungen Schreiberin? Wo ist sie selbst,
die Jungfrau? Hat sie ihr Heim wiedergefun-
den nach dem Abzug der Feinde? Lebt sie
noch, hat ein Geschoß sie erreicht, eine Sei,che
sie iveggerasst? Und ihr Angebeteter? Ist er
von, Feld glücktich zurückgekehrt, hat er feine
Liebste beimgeführt? Modert er irgendwo in
der Kreive der Champagne?
So gehen meine Gedanken; ich kann nichts
dafür.
Ich kan» auch nichts dafür, daß sie die Form
der besten Wünsche für das Mädchen und ihren
Liebhaber annehmen. Sie sind Franzosen, „Erb-
feinde", ich kenne sie nicht. Aber ich muß ihnen
Gutes wünschen, weil sie Menschen sind, stre-
bende, leidende, arme Menschen mit einem
sein empfindenden Herzmuskel wie ich.
Und der Versailler Gewaltfriede und die
Negerschande und so manches andere tritt in
den Hintergrund. Das Menschliche steht über
dem Nationale». F. W.
Amerikanischer Sühnegottesdienst
In fjatli wurden von der amerikanischen Militärherrschast 3250 Neger
getötet (Zeitungsnachricht)
„Ts sind unter der Negierung Wilsons viele schwarze Mitbürger in Haiti und
aus dem Festland getötet worden; zu deren Gedächtnis sind wir hier ver-
sammelt. Ihnen ist jetzt wohl, denn der allmächtige hat sie zu sich genommen
in sein Neich, wo eitel Lust und Wonne herrscht."
Rücksicht auf uns gemacht — aus
Billigkeitsgründen, wenn sie uns
auch teuer Vorkommen. Die Unter-
haltung unseres alten Militaris-
mus kostete uns jährlich etwa drei-
hundert Millionen. Die Entente
zeigt uns demonstrativ, daß der be-
freiende Militarismns der west-
lichen Demokratie wesentlich billiger
ist. Die interalliierten Kommissio-
nen kosten uns nämlich nur zirka
zweihundert Millionen. Wir sparen
also: na, rechne selbst, lieber Leser,
und knurre nicht. Es hat schon seine
Richtigkeit. pe.
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Deutsch-völkisches Leid
Es verlautet, daß der ehemalige
Kronprinz eines deutschen Bundes-
staates sich mit der Tochter eines
Bankiers und Kommerzienrats ver-
lobt habe. Dieser Geldmensch ist
ein Jude, und der gewesene Kron-
prinz ist natürlich ein Vollblutger-
mane. Das hindert ihn nicht, ins
Geschäft zu heiraten. Wenn der
monarchistische Betrieb pleite ist,
muß man sich nach einem anderen
Beruf Umsehen und die deutsch-völ-
kischen Grundsätze von Rassenrein-
heit usw. in die Ecke stellen. Der
blondblütige Deutsche sieht es mit
Schmerzen, wenn der zukünftige
Kronprätendent eine krumme Nase
und schwarzgelocktes Haar kriegen
sollte und damit die Aussicht näher
rückt, daß bei Aufrichtung der Mon-
archie ein Isaak I. zur Regierung
gelangen könnte.