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10115

Diktatur

Die Zeit der Erfüllung war da. Nicht bloß
die 21 Punkte der russischen Diktatur waren
durchgedrungen; mehr, weit niehr, alles war
Ereignis..-Ich saß an meinem Schreib-

tisch, als ein großer kräftiger Mann bei mir
eintrat, nicht erst grüßte, sondern einfach mit
der Frage herausrückte:

„Was machen Sie da?"

„Ich dichte."

„Unsinn," versicherte mein Gegenüber, „da-
von wird die Menschheit nicht satt. Also sonst
arbeiten Sie nichts?"

„Wenn Sie das keine Arbeit nennen, nein."

Der Mann setzte eine gehörige Amtsmiene
auf:

„Sie werden hiermit zum Kartoffelbuddeln
kommandiert nach dem Vorwerk Nummer 6".
Und damit überreichte er mir eine Hacke, die,
der Satan weiß wie, plötzlich in seiner Hand
war.

„Aber sagen Sie mal, Bester, ich bin ein
schwacher Mensch und verstehe eigentlich bloß
mit der Feder umzugehen, das Kartoffelbud-
deln wird mir blutsauer werden, könnten da

nicht kräftigere Leute herangezogen werden,
zum Beispiel wie Sie?"

„Ich?" lächelte der Unerbittliche, „ich ge-
höre zum internationalen Recherchechor."

„So was gibt's auch?"

„Natürlich gibt's so was. Die Menschen sind
eingeteilt in Direktoren, Propagandisten, Re-
chercheure und Arbeiter. Weiter gibt's nichts."

„Das kostet aber Geld," meinte ich ehrlich.

„Geld? Wir drucken ja täglich genug, und
wer's nicht nimmt, wird erschossen. Übrigens,
wo ist denn Ihre Frau?"

„Sie wird in der Küche sein, Mittagessen
bereiten."

„Auch das noch," murrte der Rechercheur,
„eigene Küche! Ich werde dafür sorgen, daß
Ihre Frau sofort nach der Zentralküche des
15. Bezirks abgeschoben wird. Vorwärts,
Mann, hier ist Ihre Hacke!"

Merkwürdig, wie schnell ich auf dem Vor-
werk Nr. 5 war. Die Sonne schien so goldig,
warum soll ich nicht Kartoffelbuddeln und der
hungernden Menschheit helfen? Also 'ran an
die Arbeit.-

„Sie müssen aber tiefer hacken, lieber Mann,
und die Kartoffeln nicht zerschneiden," sagte

eine Stimme neben mir. Es war ein dralles
Bauernmädchen.

„Willst du mir Gesellschaft leisten — wie
heißt du?"

„Anneliese," lachte sie, und dieses gutmütige,
fröhliche Lachen machte sie noch anmutiger.

„Ihr habt's gut," bandelte ich an, „so in
frischer, freier Luft. Das Landleben ist doch
schön."

„Wenn's jetzt nicht so streng wäre," erwi-
derte sie leise.

„Streng? Drangsaliert man euch hier auch?"

„Jesses," meinte Anneliese treuherzig, „so-
weit ging's ja, aber der Rechercheur vom Welt-
direklorinm hat neulich gesagt, ich wäre nun
in den mannbaren Jahren und müßte für
Kinder sorgen. Bis Mai muß ich eins haben,
sonst"-sie stockte.

„Sonst?"

„Sonst komme ich ins Moskauer Bermeh-
rungsinstitut, und davor habe ich Angst."

„Du gutesKind, gibt's dennda kein Mittel?"

„Ach, bester Herr, es gibt schon eins. Wenn
Sie nämlich so gut sein wollte» . . ."

Da erwachte ich aus meinem Traum.

-—--0-

❖ Der wilde Streik *


Was wir in Jahren aufgcbant.
Hast du in kurzer Zeit versaut.
 
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