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Betlane zum wavrm Jacob

Nummer 898___Stuttgart, 30. Dezember 1920_37. Jahrgang

Und es rinnt öie Zeit wie Strom unü Bach,
Neuer Bogen krümmt öen alten Lauf,

Neue Hoffnung wird aus träumen wach,
wünsche schlagen ihre Klugen auf.

Zuversicht hallt durch das Tal der Plage:
von den Gipfeln wandeln junge Tage.

Aum neuen Jahre *

halte deinen Hammer, Schmied, bereit,

Rüste deines Zeuers Hellen Zug,-
wesenlos vom Berge steigt die Zeit,
wandle sie zu sslckertat und Pflug.

Soll sie lächelnd golüne Zeucht versprechen,
Müssen vorher harte Schollen brechen.

Tummle, Schiffer, deinen breiten Kahn
durch der Tage sturmbewegte Zlut,

Zühre Mörtel, Holz und Stein heran,
daß die bgubereite Hand nicht ruht.

Kampf ist Schaffen. Jluf ertrotztem Grunde
Bildet sich zu stolzem Haus die Stunde.

Und so rinnt die Zeit wie Strom und Bach,
Und so wirkt die Kraft in Tag und Streit:
Neue Sonne leuchtet überm dach,

§rohe Siege sind dir noch bereit.

Zukunft will von ihrer Zreuöe borgen:
wachsend in dem heute reift das Morgen. p°n

o

Silvestertraum

Von Pan

Ich wohnte damals an der See. kaum einen
Steinwurf weit vom Deich. Das Rauschen des
Wassers erfüllte mein kleines Haus wie fernes
gedämpftes Singen. Ein harter Nordost warf
klatschende Schneeschwaden an die geschlossenen
Fensterladen. Am Dach klapperte ein loser
Ziegel. Auf dem Boden rumorten unerklär-
liche Geräusche. Und der Schornstein stieß zu-
weilen einen tiefen, heulenden Ton aus wie
eine erschrockene, jäh geweckte Orgel.

Pfifft, mein Wolfsspitz, der am Ofen lag,
hob schnell den Kopf, spitzte die Ohren und
knurrte leise. Dann legte er die Schnauze be-
ruhigt wieder auf die Borderpfote».

Zu immer gewaltigeren Akkorden erhob sich
die Natursinfonie, die den letzten Tag des
Jahres zu Grabe musizierte.

Nun betete wohl mancher wie im Binnen-
lande beinr Gewitter, andere tranken Grog.
Ich geriet allmählich ins Träumen und sah
mich auf einer Wanderung in einem Tunnel.
In einem enge», unendlich langen Gange.

Hinter mir brütete Nacht, war dickes, klo-
biges Dunkel: ein Gestein der Finsternis.

Wo kam ich her? Ich wußte es nicht.

Wo ging ich hin? Niemand gab Antwort.

Vor mir, weit, weit in der Ferne, endete
der Tunnel. Eine kleine, himmelblaue, wunder-
helle Öffnung tat sich auf — klein, aber großen,
seligen Ahnens: dort ist das Licht. Dort ist
das Ende der fürchterlichen Mauern, das Ende
der Finsternis — ist Freiheit, Sonne, wallende
Luft und Schönheit. Blühende Gärten breiten
sich hinter der blauen Rundung, und hinter
den Gärten leuchtet das Meer und atmet ruhig,
friedlich lächelnd wie ein schlafendes Kind.

Ich wanderte.

Von den dunklen Wänden tropfte leise
singend das Wasser: lick-tack, tick-tack. Immer-
zu, immerzu. Wie das Sekundenticken einer
Uhr. Eine Sekunde nach der anderen fiel in
das Dunkel. Hörbar und schmerzhaft fast.
Wan—de—re, sangen sie. Wan—de—re.

Ich wanderte. Die Zeit hatte nicht Anfang
noch Ende. Wanderte, wanderte. Und hörte
plötzlich neben mir das Geräusch vieler Schritte.
Hatte der Tunnel sich geweitet? Unzählige
Köpfe strebten vorwärts in der schwachen
Dämmerung. Männer, Frauen, Kinder. Von
allen Seiten kamen sie — man sah nicht wo-
tzer. Und mit jeder Sekunde sank irgendeiner
dahin am Wege. Spurlos, ohne die übrigen
zu hindern, ohne eine Lücke zu hinterlassen.
Denn immer neue strömten herzu.

Wan—de—re... Vor uns die blaue, wun-
derhelle Öffnung. Wandere. Die Sekunden
sangen es, die Minute», Stunden, Tage,
Wochen, Monde, Jahre... Wan—de—re.

Weit der Weg. Endlos schier.

Hier und da streckte einer verzweifelt die
Arme empor, lachte gellend, kämpfte sich auf
die Seite und versank. Spurlos wie die andern.

Unbekümmert sangen die Sekunden: Wan-
dere, wandere.

Da drang ein seltsames Rauschen zu uns her.

Das Meer! schrie einer.

Und andere lächelten selig, weil sie im Geiste
schon die blühenden Gärten sahen.

Dann ein tiefer heulender Ton. .. .

Dasi heut ein neues Jahr beginnt.
Darüber herrscht kein Zweifel,

Doch was es bringt und plant und sinnt.
Das — weih der Teufel!

Das Blau der fernen Öffnung weitete sich,
schoß flammend und krachend empor und
spaltete mit jähem Ruck die Mauer zu unse-
re» Köpfen. . . .

Ich stand wach, erschrocken mitten in der
Stube. Das Haus bebte und schwankte unter
den Sturmstößen. Die Ziegel auf dem Dache
klapperten, als ob der Tod auf den Latten
mit knöchernen Fäusten spiele. Der Schorn-
stein blies Posaune wie die vor Jericho.

Pfifft stand mit steifen Ohren, aufgestemm-
ten Pfoten und gesträubtem Nackenhaar vorm
Ofen und kläffte ihn in wilder Erregung an.

Stimmen wurden vorm Fenster laut. Die
Kirchenglocke begann kurz und heftig zu wim-
mern. Eine Sirene heulte vom Deich her, und
am fernen Leuchlturm krachte ein Signalschuß
nach dein anderen.

Als ich hinauskam, kämpften Menschen mit
fliegenden Gewändern sich durch de» weißen
tobenden Orkan. Die einen schrien, die ande-
ren flüsterten es: Sturmflut! . ..

In dieser Nacht träumte keiner mehr. Der
erste Tag des neuen Jahres aber sah grollend
auf Trümmer, Tod und schneeweiße Felder.

Neujahr in Preußen

Wer hätte dies gedacht:

Daß sie sogar in Preußen
So die Verfassung schmeißen
Gewissermaßen über Nacht.

Indem es duster war
Hier einst am hellen Tage.

Besieht man jetzt die Lage,

Sagt man: Prosit Neujahr!

Grundgütiger Oldenburch,

Wie ist dir bloß zuitzute.

Nu ist die große Schnute
Wohl unten durch?

Ach wo. Sie lebt noch keck.

Wie in der Zeit, der guten.

Läßt sich famos drauf tuten.
Indessen: hat's noch Zweck? Eec.

Das richtige Ressort

Der verflossene Wilhelm macht Ansprüche
auf Schlösser und Millionen. Das preußische
Justizministerium hat sich damit beschäftigt
— ein ganz falsches Ressort.

Wilhelm hat seine Ansprüche bei der Un-
fallversicherung anzumclden.
 
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