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Die Valuta unserer Moral

Nicht allein der deutsche Geldwert hat einen
schwindelndenAbsturz genommen, mit der deut-
schen Moral ist es ebenso gegangen. Wie für
das Geld die Mark, so gaben für die Moral
die Sprichwörter des Volkes den Kursstand
an. Beide sind heute ihres Wertes großen-
teils verlustig gegangen, so daß ihr wirklicher
Wert hinter ihrem Nennwert bedeutend zurück-
bleibt. „Ehrlich währt am längsten." So durfte
man einst sagen und— glauben. Heute währt
unehrlich am längsten oder Schieben, Wuchern,
überfordern, Betrügen. Auch Schmieren und
Schmierenlassen währt reichlich lange. — „Un-
recht Gut gedeiht nicht?"' Daß ich nicht lache!
Wenn man sieht, wie die Revolutionsgewinn-
ler und Valutaschwindler Fett ansetzen, wie
ihre Damen in Perlen und Brillanten gehen,
wie sie wohnen und fr—essen, da erhält man
weiß Gott nur den Eindruck, daß man vom
Unrechten Gut sehr wohl gedeihen kann. —
„Ohne Fleiß kein Preis." Das allerkomischste
Sprichwort in unserer Zeit des gesteigerten
und zusammengeballten Kapitalismus. Der
Neichsfinanzminister in seiner professoralen
Naivität hat gemeint, „wer nicht direkt am Pro-
duktionsprozeß beteiligt ist, sieht dem Hunger-
tod entgegen". Wie mögen die Kuponabschnei-
der und Börsenspekulanten gelacht haben zu
dieser These! Freilich, ohne den Fleiß der Arbei-
tenden kein Preis für die Besitzenden, so ausge-
legt gilt es. - Geben soll seliger sein denn
Nehmen? Ich finde, daß dann auffallend we-
nige Menschen darauf erpicht scheinen, sich
diese Seligkeit zu verschaffen. Man
braucht nur zu den Bauern zu gehen
und ihnen etwas abzukaufen, um
zu erfahren, worin sie die höhere
Seligkeit erblicken, im Geben oder
im Nehme». — „Wo die Not am
größten, da ist Gott am nächsten?"

Da mag sich nur niemand drauf
verlassen.

In gewisser Beziehung mag der
Spruch allerdings seine Berechti-
gung haben. Wenn wir unsere
Milchkühe abgeliefert haben, sind
unsere armen Kinder freilich in der
höchsten Not, und der liebe Gqtt ist
ihnen daun insofern am nächsten,
als er sie sehr rasch als kleine Engel-
chen zu sich holen wird.

Wenn man alle die Dinge im
deutschen Vaterland betrachtet, wie
sie geworden sind, dann bleibt nur
ein Sprichwort noch bei seiner alten
zutreffenden Gültigkeit: Der Krieg
ist der Vater von all diesen Dingen!

Pankraz Bittermaul

Parlamentarische Geschütze

In der preußischen Landesver-
saininlung hat einer von links einen
reaktionären Redner, der für die
schiebenden Hohenzollern sprach,
mit einem Papierbällchen beworfen.
Fürchterliche Entrüstung rechts.
Moralische Hypertrophie im Blau-
blut. Entsetzter Adel. Schreckliche
Anklagen aus tiefgefühltester Ethik
in der Pastorenpresse. Stierwütiger
Ansturm der Leithammel in allen
reaktionären Papieren.

Diese Herren tun so etwas näm-
lich nicht. Nein. Sie werfen nicht
mit Papierbällchen. Sie schmeißen
Stinkbomben. ep.

* 3m Nebel ❖

Sin müder Spätnovembertag
Spinnt VSmmerschieier um Flur und Pag,
vie Flur steht kahl, des Nachtreifs Naub.
ver fierbstwind raschelt im welken taub.

Sin Bahndamm schiebt sich grau und grad
Durch kahle Felder und Wintersaat,
vier Schienenzeilen — das singt und klingt,
wenn Räderrollen von fernher dringt.

vier Schienenzeilen — das sprüht und klirrt,
wenn's sausend und brausend darüber schwirrt,
vier Schienenzeilen den Bahndamm entlang,

Sie schillern so kalt, so glatt und so blank.

Und auf dem Bahndamm, in einer Uelh',

Mit ijacke und Spaten hantieren drei.

Ueich ist die Arbeit an Schweiß und Müh.

Ver Sag ist Hrau und die Nacht kommt früh.

Und singen die Schienen, und rollt es von weit,
Dann springen die drei vorsichtig beiseit'.

Und erst wenn der 3ug ist vorübergebraust,

Führt wieder hacke und Spaten die Faust.

Wohl schüttelt es jeden, doch keiner spricht,

Drückt's auch das Herz wie ein Bleigewicht:

Und trifft's dich nicht heut, so trifft's dich doch bald ...
vier Schienenzeilen so glatt und so kalt!

Ss knirscht der Nies, und es klirrt der Stahl,

Als font's Ubertönen die innere ffluol!

Noch ehe die Nacht sich breitet aufs Feld,

Oer Schaden mutz wieder sein hergestellt.

Und dichter und zäher der Nebel braut,

Sr hemmt jede Aussicht, er dämpft jeden Laut.

Fünf Schritt voneinander ... das hört kaum und steht,
wie links und wie rechts der Nachbar sich müht.

Und plötzlich: da geistern rot und rund
Zwei Siebter. .. . Sin Fauchen aus Niesenmund . . .
Sin langer Pfiff ... Noch ist es ja Jett!
vie Arbeiter stolpern entsetzt beiseit'. .. .

vorbei das Rollen, das rote Geleucht —

Nur ganz in der Ferne noch faucht es und keucht.
Und dann verflattert auch dieser Saut...

Rings Nebel, der dichter und dichter braut.

Und an des Dammes Suhcrstem Ran»,
va kauern zwei. Hand hält die Hand,

Ss fliegt der Atem, bleich das Gesicht,

Ein Röcheln, ein Gurgeln. ... voch keiner spricht.

Und dann erheben sich langsam die zwei.

wo ist der dritte?_wir waren doch drei?

Sie rufen, ver Ruf ohne Antwort verhallt.

Sie suchen. Sie haben gefunden ihn bald.

Auf kalter Schiene die blutige Stirn,

Aus Schädsitrümmern hervor quillt das Hirn.

Vas war nun des freudlosen Lebens Lauf? ...

Sie stehen, sie seufzen, fle heben ihn auf.

wie schwer auch die Fütze, die Unochen wie matt:
Sie tragen den Tote» hinein in die Stadt.

Sie melden den Fall, ver Vorsteher flucht.

Dann wird die Sache verhört und gebucht.

Für Menschenleben gibt's rasch Ersatz.

Ein anderer füllt nächsten Tages den Platz.

Es rollen die Illge den Bahndamm entlang.
Es klirrt die hacke. Im Nebel. . .. wie lang?

Max Sichler

Die heilige Gans

Ein pommerschcr Pfarrer verklagte eine Arbeiterin auf Lieferung einer
„Einsegnungsgans"

Ich predige im Gotteshaus
And segne eure Käufe,

Dagegen bitte ich mir aus
Die Gänse, die Gänse!

Ich reiß euch ans demPfuhl des Leids
Und eurer Süudcnjauche,

Dafür gebühret andrerseits
Ein Braten meinem Bauche.

Vom EhristuSwort, das uns erquickt.
Will ich euch liebreich sagen.

And wen» ihr mir die Gans nicht schickt.
Dann nmß ich euch verklagen.

Doch leiht ihr mir ein willig Ohr,
Springt einst des Himmels Riegel,
And eure Seele fährt empor
Auf eine,» Gänseflügel. Pec.

Scheidemanns Reichtum

Es muß endlich einmal die ganze
Wahrheit heraus. Was die bürger-
liche Presse über Scheidemanns
Reichtum schreibt, ist noch nicht mal
die halbe.

Genosse Scheidemann hat nicht 36,
sondern 360 Villen. Daher unsere
Wohnungsnot! Er schläft jede Nacht
in einer anderen, deshalb will er
noch fünf dazukanfen. Sein bares
Vermögen (zur Hälfte in Gold, zur
anderen Hälfte in Nickeln) über-
steigt das gesamte deutsche Natio-
nalvermögen um ein Beträchtliches.
Er verbraucht aber auch was! Mit
<^klarz hat er zu einein Frühstück
für 28 Millionen Mark Frankfurter
Würstchen verzehrt — den Senf nicht
mitgerechuct.

Seinen unerhörten Schlemmer-
festen gegenüber sind die römischen
Bacchanalien die reine Volksküche.
Knusprig gebratene Nachtigallen-
herzen sind Scheidemanns Lieb-
lingsspeise. Darauf ist auch die Ab-
nahme unserer lieben gefiederten
Sänger zurückzuführen. Das Tollste
aber geschieht nach den Soupers.
Dann müssen in Not geratene Prin-
zessinnen ehemals regierender Häu-
ser Nackttänze vor ihm aufführen!!
Daß er die Möbel zu seinen 360
Villen sich durch nächtlichen Ein-
bruch in königliche Schlösser besorgt
hat, ist bekannt. Weniger bekannt
dürfte es sein, daß er auch eine
Königskrone mitgenommen hat.
Diese benützt er als Nachtmütze.
Wir könnten noch mehr sagen, aber
glaubhaft läßt sich das alles gar
nicht schildern.

Und dies ist die Wahrheit. Wenn
auch eine unglaubliche. Pnn
 
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