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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0026
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10152

❖ Internationales ❖

Die Arbeit stöhnt in allen Zungen.

Kein Grenzpfahl wehrt dem Hungerschwert.
Wo seine Geißel Krieg geschwungen,

Hockt schwarze Not am kalken Herd.

Die Flaggen wehn in bunten Farben.

Die Phrase trabt auf hohem Gaul.

Der Krüppel kühlt die heißen Narben.

Dem Patrioten brennt das Maul.

Gefräßig rafft der Erde Schätze
Der Wucherer in den langen Darm
Und pfeift vergnügt auf die Gesetze,
Auf Richter und auf Zollgendarm.

Ach, Ethik ist für kleine Leute,

Die Armut nur Moral erbaut,

Die Schieber jagen fest nach Beute,
Den Völkern zieht man ab die Haut.

Daß endlich uns Erlösung werde
Vom patriotischen Dudelsack!

Nur zwei Nationen trägt die Erde:

Die Schaffer und das Mammonspack! Pan.

Gstelbische Sozialisierung

wat, sprach der Junker, sozialisieren?

Doch nich mein portmonnäl>l

Uff meiner Ulitsche, da will I ch rejiere»!

ver eine baut, der andre kaut den Ulee.

So war es immer, und so soll er bleiben.
Jeneigt nur war ich allenfalls
ver Klljemeinheit gratis zu verschreiben
von meinem dicken Uopp das Jiinseschmalz.
wenn alle denken so wie ick,
vann leben sie wie lsans im Jliick.
vrum, Uinder, kommt und holt euch dreist
Soviel ihr wollt von meinem Jeist. —

va kamen sie von fern und nah,

Um diese Spende zu rekognoszieren,
voch als man sie so'recht besah —
was gab's denn da zu sozialisieren?

Er war nischt da.

ik

Vereinfachte Rechtspflege

Das bayerische Amtsgericht in Freising hat zwei
nationalistische Studenten, die des Mordversuchs
an einem ehemaligen Neichswehrsoldaten beschuldigt
waren, zu je 250 Mark Geldstrafe verurteilt, den von
ihnen Überfallenen dagegen «egen Verdachts des fahr-
lässigen Falscheides in Haft genommen.

Dieses Verfahren gibt einen vortrefflichen Fingerzeig
zur Vereiufachung unserer gesamten Strafrechtspflege.
Da es bekanntlich bei Kriminalfällen sehr häufig vor--
kommt, daß die Täter nicht ermittelt oder aus Gründen
des allgemeinen Staatswohls nicht verhaftet werden
können, während die Opfer des Verbrechens dem Gericht
fast immer zur Verfügung stehen, so empfiehlt es sich in
Zukunft, sich einfach an die Opfer zu halten und diese
wegen irgendeines Delikts der Bestrafung zuzuführen.
Der Nachweis einer Straftat dürfte einem erfahrenen
Richterkollegium niemals Schwierigkeiten bereiten und
der ergebnislose Ausgang von Kriminalprozeffen, der
immer ein schlechtes Licht auf die Iuflizpflege wirft, wird
auf diese Weise bequem und sicher vermiede».

Arminius

&

Das Defizit der Eisenbahn

Es war zu der Zeit, als die Eisenbahner befchlosseu
hatten, in den Streik zu treten, falls die Regierung ihre
Forderungen nicht bewilligen sollte. Ich fuhr in einem
Abteil dritter Klasse auf der Strecke Dresden-Leipzig.
Es war natürlich, daß dieRedeayfden drohenden Streik
kam. Ganz besonders lebhaft beteiligte sich ein mir
gegenübersitzender wohlgenährter Herr an der Debatte.
Dabei stritt er sehr erregt jede Berechtigung der Lohn-
forderungen ab, weil nach seiner Ansicht von den Eisen-
bahnbeamten und Arbeitern überhaupt nichts mehr ge-
leistet würde. In einer viertelstündigen Rede suchte er
uns davon zu überzeugen, daß gegenwärtig auf der
Eisenbahn eine Lotterwirtschaft herrsche. „Wem also

verdanken wir das ungeheure Defizit im Staatshaus-
halt?^ mit dieser Frage krönte er seine Ausführungen,
um dann fortzufahren: „Einzig und allein" — hier
wurde er unterbrochen; denn es kam der Schaffner, um
die Fahrkarten zu kontrollieren. Leider konnte er auch
späterhin den angefangenen Satz nicht vollenden, da sich
tzerausstellte, daß er nur eine Fahrkarte vierter Klasse
besaß und er infolgedessen das Abteil sofort verlassen
mußte. So ist es bis heute noch unbekannt geblieben,
wer an dem Defizit der Staatseisenbahn schuld ist.

EW

Bürgertum und Sozialisierung

Bekanntlich gilt das deutsche Bürgertum als ein
Gegner der Sozialisierung. Daß diese Meinung
auf einem Irrtum beruht, hat eine Umfrage ergeben,
die wir au die markantesten Vertreter natio-
nalen bürgerlichen Geistes gerichtet haben. Ihr
Resultat beweist, daß man in diesen Kreisen keineswegs
engherzig ist, sondern für gewisse Gebiete, die bisher
der öffentlichen Bewirtschaftung entzogen waren, eine
Sozialisierung beziehungsweise weitgehende Gewinn-
beteiligung durchaus gelten lassen will. Wir geben
einige charakteristische Berliner Gutachten im Wortlaut
wieder:

August Lehmann,EeheimerEngroshändler:

„Von das bißchen Geld, was Unsereiner nicht hat ins
Ausland flüchten können, knöpfen sie einem hier noch
das letzte ab. Ich meine nicht die Steueronkels, denn
diese können einem gewiegten Geschäftsmann Gott sei
Dank nichts anhaben. Ich denke vielmehr an die Nacht-
lokale, wo man für eine lausige Pulle Sekt 560 Mark
berappen muß, was man ja als Kavalier gerne tut, es
einem aber in die Seele schmerzt, daß dieses schöne Geld
nicht der Allgemeinheit zugute kommt. Daher befürworte
ich Sozialisierung der Nachtlokale von halb 12 Uhr
an und hoffe, daß der Staat dann auch ein Einsehen
haben und für eine bessere Qualität der Nackttänze-
rinnen sorgen wird. Was mir da neulich wieder in dem
Lokal am Bayerischen Platz vor Augen gekommen ist,
das war derartig schauderhaft, daß ich schon beinahe
bedauerte, nicht zu Hause bei meiner Alten geblieben
zu sein."

Willy Meyer, Realgymnasiast! „Von Soziali-
sierung halte ich im allgcnieinen nichts, weil sie eine
revolutionäre Angelegenheit und ein Dolchstoß von
hinten ist. Dagegen bin ich ein überzeugter Anhänger
der Stinnesscheu Gewinnbeteiligung. Ich sitze bereits
das zweite Jahr auf Quarta und habe keine Aussicht,
zu Ostern auf Tertia zu kommen, obgleich ich Vorsitzen-
der derDeutsch-völkischenSchiilervereinigung bin. Unter
dem Borwande, daß ich in allen Unterrichtsfächern das
Prädikat „Ungenügend" habe, wollen meine Lehrer in
eine Versetzung nicht einwilligen. Diesem Übelstande,
unter dem die meisten meiner Gesinnungsgenossen zu
leiden haben, kann meines Erachtens nur dadurch ab-
geholfeu werden, daß man den Lehrern ein persönliches
Interesse au den Versetzungen einräumt. Und zwar

kann das nur durch Gewinnbeteiligung geschehen.
Mein Vater sagte neulich, er würde gerne 1000 Mark
zahlen, wenn ich zu Ostern nach Tertia käme. Ebenso
denken, wie ich bestimmt weiß, zahlreiche andere Väter
deutsch.völkischcr Söhne. Wenn nun diese 1000 Mark
pro Kopf der versetzten Schüler an die Lehrer der be-
treffenden Klaffe verteilt würden, so hätten diese einen
wesentlich stärkeren Anreiz zum Versetzen, und der
Staat hätte außerdem den Vorteil, daß er dem Lehrer-
personal nicht fortwährend die Gehälter aufzubessern
brauchte."

Fräulein Hildegard Müller, Rentiere: „Ein
Gebiet, das dem freien Spiel der Kräfte unter keinen
Umständen länger überlassen bleiben darf, sondern
dringend nach staatlicher Bewirtschaftung verlangt, ist
das der Eheschließung. Ein edeldenkendes Mäd-
chen, das seit zwei Jahrzehnten im neunundzwanzigsten
Lebensjahre steht, kann angesichts des heutigen unge-
zügelten Konkurrenzkampfes keinen Mann bekommen,
wenn nicht der Staat energisch eingreift. Ich spreche
aus persönlicher Erfahrung! Meine letzte Hoffnung
war die politische Betätigung. Nach dem 9. November
trat ich sofort in die Deutschnationale Partei ein, mußte
aber die Erfahrung machen, daß die männlichen Mit-
glieder des Wahlvereins an ihre Lebensgefährtinnen
pekuniäre Anforderungen stellen, denen ich nicht ent-
sprechen konnte. Dann bekehrte ich mich zur Christlichen
Volkspartei, um schon nach kurzer Wirksamkeit schmerz-
lich enttäuscht feststellen zu miissen, daß ich den Jeu
trumshercen — unter uns gesagt — nicht beleibt genug
war. Nun bin ich zu dem Resultat gekommen, daß nur
der Staat helfen kann. Und ich meine, in einer Zeit,
wo man den Familien ohne weitere Bedenken gwangs-
mieter in die Wohnung setzt, dürfte es auch keine
Schwierigkeiten machen, hartnäckige Junggesellen mit
Zwangsgattinnen zu belegen."

Emil Sumte, zurzeit Plötzensee, Zelle 4:M>:
„Sozialisieren is Quatsch. Aber in eene Hinsicht kennte
ick mir doch mit befreinden. nämlich inbetreff von det
Ausbaldowern. MeNfchenskind, Sie jlooben janiä).
«at det heitzudage for Schwitz kostet! Frieher wußte
eener, det in de Irunewaldvilla wat zu holen und tii't
Scheuneuviertel Essig is. Aber steigste heite bei'n Kom-
merzienrat ein, denn hat det Aas allens nach Holland
verschoben un in'n Kassenschrank liejen zwee Rauch-
würste un een Fotojrafiealbum. Während sich dajejen
in Berlin dl und O unbekannte Quartiere befinden, wo
du mit eenen Jciff deine hundert Mille in Jold kleben
hast. Hier kennte der Staat wat machen, wenn er unfern
Berufszweig 'n bißken entjejen käme. De Pollezei is ja
nu zu dämlich, die weeß selber nicht, wo wat is. Aber
ick kenne andere Beamtenkatejorien, die janz jenau
unterrichtet sind — ei weil — und mit deren Unter-
stitzung sich eene Sozialisierung des Erkundijungs-
dienstes for jeschäftliche Ielejenheiten tiptop orjani
sieren ließe. Et brauchte nich for naß zu find: Wir sind
jerne bereit, von unfern Umsatz dieselben Luxussteiern
zu berappen, die der Staat jetzt von de sonstije kinsl-
lerische Tätigkeit erheben tut." Tobias
 
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