10157
Mutter, uns hungert!
„Mutter, uns hungert" —
Ach, Kinder, ihr wißt es, die Not ist groß,
Und Vater ist lange schon arbeitslos.
Die Unterstützung, das bißchen Geld,
Es reicht nicht weit hin in der teuren Welk.
Doch wartet, es kommt ja bald andere Zeit
Mit Hülle und Fülle. Drum seid gescheit! —
Die Kinder warten.
„Mutter, uns hungert" —
So wartet doch, Kinder, bald ist's erreicht.
Zwar langsam, doch sicher der Markkurs steigt,
Und ist er erst oben, dann seid fidel:
Das Ausland schickt uns dann Korn und Mehl.
Dann kriegt ihr Kuchen und Knödel und Brei,
Drum wartet, lieb'Kinder, bald ist's vorbei-
Die Kinder warten —
„Mutter, uns hungert" —
So seid doch geduldig und seht nicht bang,
Die Tage werden schon wieder lang.
Schon sät der Landmann und kriegt viel Geld,
Wenn er recht frühe Termine hält,
Und steigt dann das Brot auch, wie jedes Ding,
Es gebe der Himmel, daß ich's erschwing' —
Die Kinder warten--
„Mutter, uns hungert"-
So dünn und schwach
Zittert die Bitte der Mutter nach-—
Die Zeiten vergehen, die Worte mit ihr,
Die Hoffnung ist eine gar lose Tür.
Die Mutter, sie bettet die Kindlein ein:
Geht schlafen, und morgen wird's anders sein!
Und es ward auch anders — die schwere Not
Sie war geendet — die Kinder tot! P. Riedel
Das Hünengrab
Es ist ein großes, seitlich geöffnetes Grab,
das dicht an der See liegt und von dem die
Sage geht, daß der hier begrabene Hüne üch
an jedem tausendsten Todestag materialisiere
und für einen Tag lebendig in seinem großen
steinernen Riesensarg hocke. Hierher war in
seinen letzten Ferien auch der bekannte Ethno-
loge Professor Friedrich Wilhelm Teutobald
Lehmann gepilgert, der, wie man sieht, einen
echt germanischen Namen, daneben aber leider
dunkles Haar und eine gebogene Nase besitzt.
Der Tag war sehr heiß. Professor Lehmann
hatte gebadet und gedachte nun das Ange-
nehme mit dem Nützlichen zu verbinden, indem
er an der offenen Seite des Grabes in die
kühle, dunkle Höhle stieg, um hier ein kleines
Mittagschläfchen zu halten. Er hatte es sich
kaum bequem gemacht, als seltsame Töne ihn
beunruhigten. Halb war's ein Schnarchen, halb
ein unwirsches, drohendes Gemurmel. Pro-
fessor Lehmann, der in den letzten Krieg mit
kühnen Leitartikeln eingegriffen hat, ist nicht
feige. Immerhin erschrak er ein wenig und
fragte mit beherzter Stimme: „Wer da?"
„Juden raus!" grollte es im fürchterlichsten
Bierbaß.
„Sie irren sich — wer Sie auch sein mögen.
Ich bin völkisch bis auf die Knochen . . ."
Ein schreckliches Gelächter antivortete ihm.
„Entschuldigen Sie, aber —"
„Sei ruhig, Jud! Störe nicht den Frieden
meines Grabes, in das man mich heute vor
dreitausend Jahren, als es noch echte Ger-
manen gab, gebettet hat. Was dringst du hier
ein, elende Kreuzung aus dreierlei Blut?"
„Ich kann Ihnen meine Mitgliedskarte vom
völkischen Verein zeigen."
„Ein echter deutscher Mann trägt das Haken-
kreuz angeboren auf seinem Hintern_" Und
nun erhob sich in bläulichem Geisterglanz eine
Gestalt und schrie: „Hurra, hurra, hurra!"
Wer will es Professor Lehmann verdenken,
daß er entsetzt aus dem Hünengrab flüchtete,
um sein Erlebnis zu erzählen?
Ortskundige verwiesen auf den dicken Stu-
denten Bierdimpfl, der im Hünengrab seine
Mittagsrast zu halten gewohnt und spaßhaft
veranlagt sei.
Aber Professor Lehmann 'als vorsichtiger
Mann hat es doch für geraten erachtet, als
unauslöschliche Legitimation ein großes Haken-
kreuz auf seine rechte Hinterbacke tätowieren
zu lassen. Er hofft, daß es sich auf seine zu-
künftigen Kinder vererbt. Pec.
Briefkasten
H. I., Schwerin. HterdteQuinteffenzJhres Loreley-
gcdichts:
Mögen sich die Schelme streiten.
Es begeifern ohne End'I
Immer bleibt's für alle Zeiten
Unvergänglich Monument.
I. P., Hannover. Gutgemeint ist Ihr Gedicht, aber
nützen wird es nichts. Wir setzen die Schlutzverse hierher:
ES harren wichtige Dinge
Der Lösung, drum endet den Streit,
Steckt ein die blitzende Klinge,
Die Hand zur Eintracht bereit.
Das ist den „Brüdern" schon oft, aber leider ohne Er-
folg gesagt worden.
H. S., Nürtingen. Sie hätten den Brief an eine
Tageszeitung, nicht an uns adressieren sollen. Wenn
der „Glaube an Gott und Christus" wirklich allgemein
in der Welt tn Ihrem Sinns geherrscht hätte, wäre
der Krieg mit seinen Folgen unmöglich gewesen.
Die Kaiserbilder
Wer sie sieht, der wundert
sich: sie hängen verstaubt und
bespannen in einer Dorfschenke
und bilden den Versammlungs-
platz der Fliegen, die bekannt-
lich keine Ehrfurcht kennen. Sie
spazieren ohneScheu und Scham
anf der ordengeschmückten Brust
Wilhelms, auf dem Spitzen-
kragen Augustens, aus seiner
Denkerstirn und ihre» Wangen
herum. Es macht ihnen gar
nichts aus, einen Klecks oder
auch mehrere direkt auf die
Nasenspitzen der allerhöchsten
Herrschaften zu setzen, und auch
die Goldumrahmung der Bil-
der wird von ihnen mit regel-
losen Verzierungen geschmückt.
Früher hat man die Bilder zu-
weilen sorgfältig abgerieben;
denn in dieser Dorsschenke wal-
tet eine junge, saubere und tat-
kräftige Frau, die alles übrige
blitzblank erhält — auch heute
noch, nur die Bilder nicht. Es
hat aber seinen Grund, wie
ein Gast erzählte. Es gibt in
diesem Hause einen alten, sehr
alten, und einen jungen Wirt:
Vater und Sohn. Der Sohn
war im Kriege. Stocklonserva-
tiv ging er hinein, rot kam er
wieder nach Hause. Der Vater
hängt zäh am Allen. Das gibt
oft böses Blut im Hause. Auch
der Bilder wegen, die der Sohn
gleich am ersten Tagenachseiner
Heimkunst auf den Boden be-
Oer Uartoffelwucherer
„Sieh, an«, meine Hoffnung erfüllt sich, - dar Pfund Kartoffeln kostet jetzt bereits
45 Pfennig und wird von Woche zu Woche teurer. Unser Vorrat
bringt uns einen schönen Sätzen Seid ein."
fördern wollte. Der Vater ver-
bot dem Sohne, die Bilder
irgendivie zu berühren. Dies
Verbot befolgen der junge Wirt
und seine Frau buchstäblich.
Jeder Besen, jeder Putzlappen
hütet sich mit peinlicher Vor-
sicht, den Fürstlichkeiten in Öl-
druck nahezukommen. Die gro-
ßen Vierecke an der Wand sind
neutrales Land und gänzlich
den Fliegen und Spinnen über-
lassen. Nun ist's, als ob die
Zeit selber hier webt: sie über-
malen, überspinnen, marmo-
rieren die Majestäten. Die
Leiche eines großen blauen
Brummers hängt iin Spinnen-
netz vor dem linken Herrscher-
auge Wilhelms, eine breite aus-
gcsogene Motte baumelt unter
der Frisur Augustens — und
bald wird kein Mensch mehr
ergründen können, wer und was
eigentlich in diesem schwarz-
gefleckten Goldrahmcn ver-
sunken ist.
Ein ahnungsvoller Engel
Ein int Berliner Vorort Wittenau
ansässiger Techniker hat eine Wün-
schelrute zur Entdeckung ver-
borgener kommunistischer
Waffe »tag er konstruiert.
Major E f ch e r i s ch protestiert
gegen die Anwendung des Jnstru-
ments, da es noch nicht genügend
erprobt sei und keinerlei Sicherheit
dafür biete, daß es nur auf kom-
inu n i sti sch e Waffenlager reagieren
werde.
Mutter, uns hungert!
„Mutter, uns hungert" —
Ach, Kinder, ihr wißt es, die Not ist groß,
Und Vater ist lange schon arbeitslos.
Die Unterstützung, das bißchen Geld,
Es reicht nicht weit hin in der teuren Welk.
Doch wartet, es kommt ja bald andere Zeit
Mit Hülle und Fülle. Drum seid gescheit! —
Die Kinder warten.
„Mutter, uns hungert" —
So wartet doch, Kinder, bald ist's erreicht.
Zwar langsam, doch sicher der Markkurs steigt,
Und ist er erst oben, dann seid fidel:
Das Ausland schickt uns dann Korn und Mehl.
Dann kriegt ihr Kuchen und Knödel und Brei,
Drum wartet, lieb'Kinder, bald ist's vorbei-
Die Kinder warten —
„Mutter, uns hungert" —
So seid doch geduldig und seht nicht bang,
Die Tage werden schon wieder lang.
Schon sät der Landmann und kriegt viel Geld,
Wenn er recht frühe Termine hält,
Und steigt dann das Brot auch, wie jedes Ding,
Es gebe der Himmel, daß ich's erschwing' —
Die Kinder warten--
„Mutter, uns hungert"-
So dünn und schwach
Zittert die Bitte der Mutter nach-—
Die Zeiten vergehen, die Worte mit ihr,
Die Hoffnung ist eine gar lose Tür.
Die Mutter, sie bettet die Kindlein ein:
Geht schlafen, und morgen wird's anders sein!
Und es ward auch anders — die schwere Not
Sie war geendet — die Kinder tot! P. Riedel
Das Hünengrab
Es ist ein großes, seitlich geöffnetes Grab,
das dicht an der See liegt und von dem die
Sage geht, daß der hier begrabene Hüne üch
an jedem tausendsten Todestag materialisiere
und für einen Tag lebendig in seinem großen
steinernen Riesensarg hocke. Hierher war in
seinen letzten Ferien auch der bekannte Ethno-
loge Professor Friedrich Wilhelm Teutobald
Lehmann gepilgert, der, wie man sieht, einen
echt germanischen Namen, daneben aber leider
dunkles Haar und eine gebogene Nase besitzt.
Der Tag war sehr heiß. Professor Lehmann
hatte gebadet und gedachte nun das Ange-
nehme mit dem Nützlichen zu verbinden, indem
er an der offenen Seite des Grabes in die
kühle, dunkle Höhle stieg, um hier ein kleines
Mittagschläfchen zu halten. Er hatte es sich
kaum bequem gemacht, als seltsame Töne ihn
beunruhigten. Halb war's ein Schnarchen, halb
ein unwirsches, drohendes Gemurmel. Pro-
fessor Lehmann, der in den letzten Krieg mit
kühnen Leitartikeln eingegriffen hat, ist nicht
feige. Immerhin erschrak er ein wenig und
fragte mit beherzter Stimme: „Wer da?"
„Juden raus!" grollte es im fürchterlichsten
Bierbaß.
„Sie irren sich — wer Sie auch sein mögen.
Ich bin völkisch bis auf die Knochen . . ."
Ein schreckliches Gelächter antivortete ihm.
„Entschuldigen Sie, aber —"
„Sei ruhig, Jud! Störe nicht den Frieden
meines Grabes, in das man mich heute vor
dreitausend Jahren, als es noch echte Ger-
manen gab, gebettet hat. Was dringst du hier
ein, elende Kreuzung aus dreierlei Blut?"
„Ich kann Ihnen meine Mitgliedskarte vom
völkischen Verein zeigen."
„Ein echter deutscher Mann trägt das Haken-
kreuz angeboren auf seinem Hintern_" Und
nun erhob sich in bläulichem Geisterglanz eine
Gestalt und schrie: „Hurra, hurra, hurra!"
Wer will es Professor Lehmann verdenken,
daß er entsetzt aus dem Hünengrab flüchtete,
um sein Erlebnis zu erzählen?
Ortskundige verwiesen auf den dicken Stu-
denten Bierdimpfl, der im Hünengrab seine
Mittagsrast zu halten gewohnt und spaßhaft
veranlagt sei.
Aber Professor Lehmann 'als vorsichtiger
Mann hat es doch für geraten erachtet, als
unauslöschliche Legitimation ein großes Haken-
kreuz auf seine rechte Hinterbacke tätowieren
zu lassen. Er hofft, daß es sich auf seine zu-
künftigen Kinder vererbt. Pec.
Briefkasten
H. I., Schwerin. HterdteQuinteffenzJhres Loreley-
gcdichts:
Mögen sich die Schelme streiten.
Es begeifern ohne End'I
Immer bleibt's für alle Zeiten
Unvergänglich Monument.
I. P., Hannover. Gutgemeint ist Ihr Gedicht, aber
nützen wird es nichts. Wir setzen die Schlutzverse hierher:
ES harren wichtige Dinge
Der Lösung, drum endet den Streit,
Steckt ein die blitzende Klinge,
Die Hand zur Eintracht bereit.
Das ist den „Brüdern" schon oft, aber leider ohne Er-
folg gesagt worden.
H. S., Nürtingen. Sie hätten den Brief an eine
Tageszeitung, nicht an uns adressieren sollen. Wenn
der „Glaube an Gott und Christus" wirklich allgemein
in der Welt tn Ihrem Sinns geherrscht hätte, wäre
der Krieg mit seinen Folgen unmöglich gewesen.
Die Kaiserbilder
Wer sie sieht, der wundert
sich: sie hängen verstaubt und
bespannen in einer Dorfschenke
und bilden den Versammlungs-
platz der Fliegen, die bekannt-
lich keine Ehrfurcht kennen. Sie
spazieren ohneScheu und Scham
anf der ordengeschmückten Brust
Wilhelms, auf dem Spitzen-
kragen Augustens, aus seiner
Denkerstirn und ihre» Wangen
herum. Es macht ihnen gar
nichts aus, einen Klecks oder
auch mehrere direkt auf die
Nasenspitzen der allerhöchsten
Herrschaften zu setzen, und auch
die Goldumrahmung der Bil-
der wird von ihnen mit regel-
losen Verzierungen geschmückt.
Früher hat man die Bilder zu-
weilen sorgfältig abgerieben;
denn in dieser Dorsschenke wal-
tet eine junge, saubere und tat-
kräftige Frau, die alles übrige
blitzblank erhält — auch heute
noch, nur die Bilder nicht. Es
hat aber seinen Grund, wie
ein Gast erzählte. Es gibt in
diesem Hause einen alten, sehr
alten, und einen jungen Wirt:
Vater und Sohn. Der Sohn
war im Kriege. Stocklonserva-
tiv ging er hinein, rot kam er
wieder nach Hause. Der Vater
hängt zäh am Allen. Das gibt
oft böses Blut im Hause. Auch
der Bilder wegen, die der Sohn
gleich am ersten Tagenachseiner
Heimkunst auf den Boden be-
Oer Uartoffelwucherer
„Sieh, an«, meine Hoffnung erfüllt sich, - dar Pfund Kartoffeln kostet jetzt bereits
45 Pfennig und wird von Woche zu Woche teurer. Unser Vorrat
bringt uns einen schönen Sätzen Seid ein."
fördern wollte. Der Vater ver-
bot dem Sohne, die Bilder
irgendivie zu berühren. Dies
Verbot befolgen der junge Wirt
und seine Frau buchstäblich.
Jeder Besen, jeder Putzlappen
hütet sich mit peinlicher Vor-
sicht, den Fürstlichkeiten in Öl-
druck nahezukommen. Die gro-
ßen Vierecke an der Wand sind
neutrales Land und gänzlich
den Fliegen und Spinnen über-
lassen. Nun ist's, als ob die
Zeit selber hier webt: sie über-
malen, überspinnen, marmo-
rieren die Majestäten. Die
Leiche eines großen blauen
Brummers hängt iin Spinnen-
netz vor dem linken Herrscher-
auge Wilhelms, eine breite aus-
gcsogene Motte baumelt unter
der Frisur Augustens — und
bald wird kein Mensch mehr
ergründen können, wer und was
eigentlich in diesem schwarz-
gefleckten Goldrahmcn ver-
sunken ist.
Ein ahnungsvoller Engel
Ein int Berliner Vorort Wittenau
ansässiger Techniker hat eine Wün-
schelrute zur Entdeckung ver-
borgener kommunistischer
Waffe »tag er konstruiert.
Major E f ch e r i s ch protestiert
gegen die Anwendung des Jnstru-
ments, da es noch nicht genügend
erprobt sei und keinerlei Sicherheit
dafür biete, daß es nur auf kom-
inu n i sti sch e Waffenlager reagieren
werde.