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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0047
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10173

Chemische Untersuchung

Die Zeit, der große Chemiker,

Wirst die Parteien manchmal in den Mörser
Und stampft und reibt, um so zu prüfen
Den Widerstand der prahlenden Substanzen.
O weh, die hier ist weich wie Blei,

Und jene bröckelt leicht wie rostiges Eisen,
Die eine bricht wie sprödes Zinn,

Wie Blech biegt sich die andre hin und her,
Und selten zeigt fiel; eine blank wie Gold.

Glüht nun gar Feuer unter allen Tiegeln,
Dann zischt's und brodelt's wie inZexenkesseln,
Und manches aufgeblasene Volumen
Dampft kochend auf und ist im Nu entwischt.
Die Zeit, der große Chemiker,

Streicht lächelnd sich den Bart und sagt:

»Na also! Qualm und Asche. Weiter, nichts.«

Schreckliche Zeiten

Skizze von Pan

Herr Max Barbusch hatte, um sei» Früh-
stück besser zu verdaue», einen kleinen Spazier-
gang im Park geniacht und kam nun heim.
Gemessenen Schrittes, ivie einer', denr kein
Ilhrzeigcr befiehlt, überquerte er den Strnßcn-
damm und ging der Haustür zu. Richtiger
gesagt: dem Portal. Denn Herr Barbusch
ivohnte in einem sehr noblen Hause, das noch
dazu ihm selber gehörte. Vor dem Portal aber
blieb er ein Weilchen stehen, betrachtete an-
dächtig den bronzenen Löwenkopf der Portier -
glocke und las noch andächtiger die darüber
stehende Schrift, die in ernsten, weißen Buch-
staben auf schwarzem Marmorschilde verkün-
dete, daß dieser Aufgang „nur für Herrschaf-
ten" bestimmt sei. Barbusch hob noch stolzer
als vorher den Kopf auf dem gedrungenen,
etwas gekrümmten'Oberkörper,
sah sich nach der Straße um und
zog die Glocke. Die Tür, bedient
von unsichtbaren Händen, sprang
auf. Barbusch trat ein und nickte
nüteinemvornehmenBeugendes
Hauptes dem aus seiner unter-
irdischen Klause heraufgrüßen-
den Pförtner zu, während der
dicke, behandschuhte Zeigefinger
der Rechten flüchtig an den glän-
zenden Zylinderhut tippte.

Er hatte noch nicht den ersten
Treppenpodest erreicht, als ein
grelles Läuten der Portierglocke
seine ernste Stimmung störte.

Die Haustür wurde nufgestoßen,
und ein Mann stürzte eilig herein
und die Treppe hinauf.

Barbusch sagte „Halt!" und
hob den Arm wie ein Signal-
mast der Eisenbahn.

Auch der Portier kam aus
seiner Kabine geeilt: „He da!

Wohin?"

„Nanu?" Ter Fremde sah
lachend bald den Portier, bald
Barbusch au.

Dieser musterte den Eindring-
ling scharf: „Hm." Verschossener
Paletot, Gummikragen, schäbi-
ger Schlips, abgegriffene Hm
krempe... na, also eine Herr-
schaft aus keinen Fall.

„Wohin!"

„Wer wird denn so neugierig
sein?" Der andere lächelte.

„Ich bin der Wirt!" Barbusch
geriet in Erregung. „Das hier
,is mein Eigentum—"

Der Fremde zuckte gleichmütig die Achseln:

„Also, wenn es Sie interessiert: zu Doktor
Hartmann, zwei Treppen, llnd nun machen
Sie, bitte, Platz. Ich Hab' keine, Zeit zu ver-
lieren. Sonst schnappt mir womöglich wieder
ei» anderer die Stellung weg."

„Ach so. Arbeet suchen Se. . . jewiß die
Schreiberstelle, was? Denn müßten Se doch
ooch lesen können."

„Ich trau's mir zu, Herr... Herr..."

„Barbusch is mein Name, und dies is
inein Haus, und hier is der Aufjang bloß für
Herrschaften, wie da unten jroß und breit zu
lesen is."

„Barbusch? Der andere trat näher. „Herr-
je, wir kennen uns doch?"

„Ick habe nich das Verjnügen, und ick sage
noch einmal —"

„Aber Barbusch, Mensch. Sie haben uns
doch früher immer die Briketts gebracht.
Mäusler heiß ich. Großer Weg 14, Hof vier
Treppen. Erinnern Sie sich?"

Der Portier lächelte verstohlen.

Und der Hauswirt schrie mit rotem Kops:
„Det tut alles nischt zur Sache, verstehen Se?
Ick sage Ihn', det Se uff die Vordertreppe
nischt zu suchen haben, damit basta!"

Mäusler zog eine komisch verzweifelte Miene.
„So weit wie Sie Hab' ich's nicht gebracht.
Mit dem Federhalter allein macht man keine
Kriegsgewinne."

Mit Barbuschs Selbstbeherrschung war's
vorbei. Er schrie noch lauter als vorher: „So
wat Hab' ick mir nie erlaubt, verstehen Se,
als ick noch in Ihren Stand war. Niemals!
Ick wußte, wat sich jehöri! Und nu machen
Se, det Se runterkommen. Sie jehör'n uff
de Hintertreppe!"

Mäusler hatte sich blitzschnell an Barbusch
vorbeigedrückt und stand schon eine halbe

Treppe höher. „Es fehlt mir zu solchen Um-
wegen heute wirklich die Zeit, Herr Barbusch.
Außerdem sind das sehr veraltete Ansichten,
die Sie da produzieren. . . . Mahlzeit, Herr-
schaft!" Er lachte und war verschwunden.

„Wat. .. wat . . . wat sagt er?" Barbusch
wandte sich an den Portier.

Der grinste über das ganze Gesicht: „Alte
Ansichten," sagt er. „Det kommt bloß von die
Revolutschon, Herr Barbusch. Früher gab's
so was nicht." .

Barbusch drohte mit der Faust hinauf:
„Den koof ich mir doch noch. . . . Die ver-
fluchte Revolutschon!"

Schwanengesang

Das Berliner Reaktionsorgan „Die Post" geht ein.

Schon trägt den Sarg man in die Stube.
Bald schmeißt mich altes Rabenaas
Der Schinder in die düstre Grube,

And ich bin nichts als Würmerfraß.

Ich möchte vor Verzweiflung plärren.
Obwohl ich schon im Leben roch.

Ich diente treu verschiednen Leeren,

And was sie wollten, tat ich doch.

Ob Äerr von Stumm, ob sonst ein Ritter,
Ob über, unter, auf dem Strich —

Zu keinem war ich spröd und bitter.

And wer gut zahlte, hatte mich.

Die neuen geistigen Waffen

Ben Akiba hat nicht recht; alles ist noch
nicht dagewesen. Er hat zum Beispiel nicht mit
der deutschnationalen Intelligenz gerechnet, die
ganz neue geistige Waffen gegen die Sozial-
demokratie erfunden hat. Wirk
lich! In einem Königsbergcr
Lokal haben sie dem preußischen
Kultusminister den Hut gestoh-
len und die bezaubernde Helden-
tat mit Jndianertänzen auf der
Straße gefeiert, als hätten sie
den Skalp des Genossen Haenisch
erwischt. Sie können es sich näm-
lich gar nicht vorstellen, daß
einer die Grütze im Kopf und
nicht im Hut hat, und daß es
iveniger auf die Behauptung
als vielmehr auf das Gehirn
ankommt.

In Kassel haben sie dem Ge-
nossen Scheidemann, der aus-
gegangen war, die Haustür ver
nagelt, weil es ihnen peinlich
war, allein vernagelt zu sein.
Scheidemanns Kops konnten sie
nicht kriegen, seinen Hut auch
nicht, darum machten sie sich an
die unschuldige Haustür.

Reaktionäre Blätter schmun-
zeln zu diesen erhebenden Be-
weisen jugendlicher Tatfreudig-
keit; denn der intellektuelle Nach-
wuchs des bisherigen Kalibers
erscheint gesichert. Führerquali-
täten offenbaren sich hier. Wenn
die Ertüchtigung der deutsch-
nationalen Lausejungen so fort-
schreitet, wird es nie an Per-
sönlichkeiten mangeln, die da§
denkbar größte Quantum von
Albernheit, Dämlichkeit und
Frechheit in sich vereinen. Sonst
wäre ja auch die ganze reaktio
näre Bande aufgeschmissen.

Sowjet-Rußland und die sozialistische Republik Georgien

Pie volschewiki: „Halt, ergebe dich, — wir Neben dich zum Kressen!"
 
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