Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0055
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
10181 -

o Das Postamt o

Bon Tobias

Der große indische Dichter Rabindranath
Tagore, dessen Drama „Das Postamt" gegen-
wärtig auf der Berliner Volksbühne gespielt
wird, hielt sich dieser Tage in der deutschen
Reichshauptstadt aus. Unser Berliner Vertreter
hatte Gelegenheit, ihn zu sprechen und ihn
nach seinen Reifeeindrücken zu befragen.

Da ich den Berlinern — erzählte der poetische
Inder — durch niein „Postamt" bekannt ge-
worden bin, so drängte es mich, nun auch meiner-
seits ein Berliner Postamt kennenzulernen. Ich
besuchte zu diesem Zweck ein im Zentrum der
Stadt gelegenes, wo das lebhafteste geschäft-
liche Treiben sich konzentriert. Aber grenzen-
los war mein Erstaunen. Statt eine Anstalt
zu finden, die gleich unseren indischen Post-
ämtern dem weltlichen Verkehre dient, lernte
ich eine Stätte heiliger Andacht und stiller
Vußübung kennen.

In den Wänden des Raumes erblickte mein
Auge zwölf verglaste Gebetnischen, von denen
zehn verschlossen waren. Man sagte mir, diese
würden nie geöffnet, wenigstens könnten auch
die ältesten Leute der Stadt sich nicht ent-
sinnen, es jemals erlebt zu haben. Da erinnerte
ich mich unseres heimischen Totentempels zu
Bangalur, der auch nur einmal in der Neu-
jahrsnacht jeder Jahrhundertwende seine heil!
gen Altäre erschließt, und ich freute mich von
Herzen, hier im fremden Lande einem mir wohl-
vertrauten, geheimnisvoll frommen Brauche zu
begegnen.

Vor jeder der beiden geöffneten Nischen aber
harrte in einer schier endlosen Kette die Schar
der Andächtigen, einer hinter dem anderen,

und immer neue traten hinzu und schlossen sich
schweigend an. Die vor der einen Nische stan-
den, hielten beschriebene rötlichgelbe Papier-
karten in der Hand, auf denen wohl die Sün-
den verzeichnet standen, die sie hier beichten
und büßen wollten. Die vor der anderen Nische
trugen Päckchen verschiedener Größe, ich ver-
mute mit Opfergaben gefüllt für die zürnende
Gottheit. Banges Schweigen der Erwartung
herrschte in dem heiligen Raum. Nur hin und
wieder erklang das Hüsteln eines alten Mannes
oder das Lallen eines Säuglings, den die Mutter
auf ihrem Arm mit sich trug.

Aufs tiefste aber ergriff mich der Anblick der
beiden Fakire, die hinter den Glasscheiben der
zwei Gebetnischen saßen. Sie waren noch von
jugendlichem Alter, aber sie hatten, wie ich
voll Ehrfurcht gewahrte, die schwersten aller
aszetischen Vußübungen auf sich genommen.
Der eine rechnete unaufhörlich geheimnisvolle
Zahlenreihen zusammen, die in einem magi-
schen Buche verzeichnet standen, unermüdlich,
immer wieder, erst von oben nach unten, dann
von unten nach oben. Der andere aber war
in die verzückte Betrachtung seines rechten
Daumennagels versunken, und nichts regte
sich an ihm. Man wußte nicht, ob er noch
lebte oder schon zu Brahma eingegangen war.
Ich habe unseren heiligen Fakir von Kadira-
bad gesehen, der seit sechsundzwanzig Jahren
den Blick auf seinen Bauchnabel gerichtet hat
und zu dem die Gläubigen von weither pil-
gern, um durch seine Berührung von alle»
Sünden gereinigt zu werden. Aber ich gestehe,
daß ich bei ihm nicht diesen Grad von seliger
Weltentrücktheit und Selbstvergessenheit wahr-
genommen habe wie bei dem Postfakir in
Berlin.

Endlich, es mochte eine Stunde vergangen
sein, erwachte der Fakir aus seiner Verzückung.
Sein strenger Blick musterte die Schar der ver-
sammelten Büßerund Büßerinnen, dann stellte
er schweigend eine Tafel vor das Fenster, auf
der die Worte standen: „Vorübergehend ge-
schlossen." Zur selben Minute klappte auch
der zählende Fakir sein Zauberbuch zu und
tat desgleichen.

Wehklagen schallten, auch Verwünschungen
wurden laut, während die Menge sich zer-
streute. Ich verstand die einzelnen Worte nicht,
aber es schien mir, als ob die Unglücklichen
ihr Geschick bejammerten, wieder ungetröstet
und unbefreit vom Thron der Gnade scheiden
zu müsse«, und als ob sie ihre Sündhaftigkeit
anklagten, die es den gewissenhaften Priestern
unmöglich machte, ihnen die Segnungen ihrer
Religion zuteil werden zu lassen und die Last
von ihnen zu nehmen.

Erschüttert und doch zugleich weihevoll be-
seligt verließ ich die heilige Stätte. Welch ein
Volk, diese Deutschen! Welche hingebende
Glaubenszuversicht und welches übermensch-
liche Maß von ausharrender Geduld! Ihr
Bild wird mir erbauend und stärkend vor die
Seele treten, wenn ich wieder daheim vor der
Lotosblume knie. Ein solches Volk kann nicht
untergehen, Brahina schütze und segne es.

Ursache und Wirkung

A. : „Wie kommt es denn, daß Erzberger
jetzt so wenig spricht.?"

B. : „Wissen Sie denn nicht, daß er er-
krankt ist?"

A. : „Nee. Woran denn?"

B. : „An Lippenfellentzündung."

Nächstenliebe

* Sein Ideal ❖

Agrarier-Zirkus

Die christliche Gefinnungs-
festigkeit mancher Frommen wird
so häufig in Zweifel gezogen,
daß wir heute einmal ein ivirk-
lich leuchtendes Beispiel selbst-
loser Christenpflicht vorführen
wollen. Der frühere Bureaudirek-
tor der Berliner Stadtsynode
war von einem Bureaudiener
verklagt worden, weil er der Ehe-
frau und Tochter des letzteren
allzu liebreich begegnet sein sollte,
als man ihin den Kaffee ans Bett
brachtet Ein liebloses Schöffen-
gericht verurteilte ihn dafür zu
fünfzig Mark Strafe. Dies war
recht billig, sollte man meinen,
überhaupt bei der heutigen Va-
luta. Dennoch legte neben dem
Kläger auch der Verknackte Be-
rufung ein. Anscheinend deshalb,
weil ihm die Strafe zu niedrig
war. Denn es kam folgender
Vergleich zustande:

„Der Angeklagte bestreitet
nach wie vor, der Tochter und
der Ehefrau des Klägers in ihrer
weiblichen Ehre zu nahe getreten
zu sein. In jedem Falle bedauert
er die Vorkommnisse und zahlt
an den Privatkläger eine Buße
von 1500 Mark und übernintmt
die Gerichtskosten."

Welche Vorkommnisse be-
dauert nun eigentlich der Herr
Bureaudirektor?

Es ist ja gar nichts vorgekom-
men, wie im Vergleich zu lesen ist.

Stinner: „Meine Arbeiter haben den Tarif gekündigt: — na, wir haben
die Drgefch nicht zum Llohfangcn gegründet."

Die Agrarier versammelten
sich nerckich wieder in einem
Berliner Zirkus. Sie wellen gern
dort. Erstens, weil da heimat-
liche Pferdeluft weht; zuin
andern, well hier equilibristische
Halsbrechereien am Platze sind;
zum dritten, weil da arlch der
dümmste Clown beklatscht wird,
und zum vierten, iveil das Haus
hoch genug ist, um das Maul
drei Etagen iveit aufzureißen,
ohne daß die Decke einstürzt. Es
ivaren, um mit Fritz Reuter zu
reden, wieder verfluchte „Pater-
jotten" beieinander. Der preu-
ßische Landwirtschaftsminister
Braun und Minister Severing
ivurdeu, da sie keine Paterjollen,
sondern Sozialisten sind, mit
dröhnenden Worten um die Ecke
gebracht. Jeder Landwirt, der
ein „sozialistisches Schweine-
blatt" liest (Bezeichnungen aus
der Tierwelt waren besonders
beliebt), soll boykottiert werden.
Alsdann sangen sie aus zotti-
ger Mannesbrust „Deutschland,
Deutschland über alles". Und
wenige Tage später stand in der
„Deutschen Tageszeitung" ein
Inserat:

Vorarbeiter mit zirka fünfzehn
Leuten gesucht; bevorzugt werden
polnische Landarbeiter—

Deutschland, Deutschland über
alles.

Verfluchte Paterjotten!
 
Annotationen