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der Föderierten" genügen, um alle Anklagen
niederzuschlagen. Die Kriegsgerichte arbeiteten,
wie immer, exakt und unbekümmert. Ungefähr
40000 Personen, darunter mehr als 1000
Frauen und 650 Kinder, deren jüngstes sieben
Jahre zählte, hatte man wegen der Teilnahme
am Aufstand verhaftet. Sie alle wurden als
gemeine, nicht als politische Verbrecher be-
handelt, 285 verurteilte man zum Tode, dar-
unter 8 Frauen, mehr als 7000, darunter 36
Frauen und ein Kind, wurden der „trockenen
Guillotine" Neukaledoniens überliefert. Vis
zum Jahre 1876 dauerten die Verhaftungen
und Verurteilungen.
knüttelung die geängstigte Bourgeoisie allent-
halben zu gegenrevolutionären Gewaltmaß-
regeln griff und daß die allgemeine Reaktion
auch die Arbeiter der Länder traf, die an der
Erhebung nicht beteiligt gewesen waren. Das
Beispiel der Kommune von 1871 aber rüttelte
das Proletariat aller europäischen Kultur-
staaten auf. Es fand Widerhall in Millionen
Herzen. Sozialistische Parteien bildeten sich an
Orten und in Ländern, die bisher vom Geiste
des proletarischen Emanzipationskampfes un-
berührt geblieben waren. Nicht niederdrückend,
sondern aufreizend und anfeuernd wirkte zu-
nächst das tragische Schicksal der Kommune,
innerungen an früher Geschehenes, und diese
Erinnerungen reizten zur Nachahmung und
führten die Geister auf Wege, welche Irrwege
sein mußten, weil geschichtliche Situationen
und Vorgänge sich niemals wiederholen und
sich nicht künstlich herbeiführen lassen.
In den Pariser Arbeitervierteln lebten da-
mals noch viele, die die Junikämpfe von 1843
mitgemacht hatten. Aber die Führer der Kom-
mune waren sich wohl bewußt, daß es jetzt,
23 Jahre später, um andere Ziele ging. Die
„Nationalwerkstätten" von 1843, in denen jedem
französischen Bürger vom Staat Arbeit und
Lohn geboten werden sollten, hatten, ihren
Die Prvllaimerung der Kommune vor dem Sladlyaus
Man rechnet, daß im ganzen 111000 Opfer
fallen mußten, bis die Reaktion befriedigt
war, bis das französische Bürgertum sich die
nötige Ruhe und Sicherheit vor den proleta-
rischen Befreiungsgelüsten verschafft zu haben
glaubte. Denn nicht nur um eine Befriedi-
gung des Rachegefühls handelte es sich, son-
dern man wollte vor allem abschreckend wir-
ken und der sozialistischen Arbeiterschaft ein
für allemal die Neigung zur Unbotmäßigkeit
gründlich vertreiben.
Fürs erste lag die Ruhe des Kirchhofs über den
Stätten, die den kühnen, hoffnungsfreudigen,
himmelstürmenden Aufstieg einer gewaltigen
proletarischen Erhebung gesehen hatten. Aber
aus den Gräbern der Opfer sproß eine Saat,
deren Früchte dem ruhebedürftigen Bürger-
tum verhängnisvoll werden sollten. Alle frühe-
ren Arbeiterrevolten hatten immer nur den
einen Erfolg gehabt, daß nach ihrer Nieder-
trotz der wahnwitzigen Beschimpfungen und
Verleumdungen, mit denen die gesamte bür-
gerliche Presse und Geschichtschreibung das
Andenken ihrer Helden und Dulder zu be-
schmutzen suchte.
Heute aber, nach fünfzig Jahren, drängt sich
uns die weitere Frage auf: Weshalb mußte
dieser Erhebungsversuch des Pariser Prole-
tariats ein solches Ende nehmen? Und wir
können die Frage beantworten, wenn wir nicht
nur die äußeren Vorgänge, wie ich sie eben
kurz skizzierte, sondern die tieferen Zusammen-
hänge des geschichtlichen Geschehens uns klar
vor Augen führen.
Nur auf dem Pariser Pflaster, dem klassischen
Boden der modernen Revolutionen, konnte eine
Erhebung wie die der Kommune damals von-
statten gehen. Aber dieses historische Milieu
war zugleich ein Verhängnis. Die Luft von
Paris erschien geschwängert von großen Er-
Nimbus als Allheilmittel aller sozialen Schä-
den bereits eingebüßt. Das kämpfende Prole-
tariat suchte jetzt nicht mehr Hilfe bei einer
wohlmeinenden Bourgeoisie, sondern es war
entschlossen, sich selber durch eigene Kraft zu
helfen und zu befreien. So konnte freilich diese
Klippe umschifft werden, und die Mitwirkung
alter ideologischer Achtundvierziger hat auf
den Gang der Kommuneerhebung kaum einen
Einfluß ausgeübt.
Eine andere, größere, heldenhaftere historische
Erinnerung beherrschte jetzt die Geister und
lenkte vielfach den Sinn der führenden Män-
ner. Das war die Erinnerung an die Kom-
mune von 1792, in der man mit Recht den
Glanz- und Gipfelpunkt der Großen Revo-
lution verehrte. Marat, Danton, Robespierre
und die Diktatur des. Wohlfahrtsausschusses
waren die Namen und Dinge, die in den Ge-
hirnen spukten und zur Nacheiferung ansporn-
der Föderierten" genügen, um alle Anklagen
niederzuschlagen. Die Kriegsgerichte arbeiteten,
wie immer, exakt und unbekümmert. Ungefähr
40000 Personen, darunter mehr als 1000
Frauen und 650 Kinder, deren jüngstes sieben
Jahre zählte, hatte man wegen der Teilnahme
am Aufstand verhaftet. Sie alle wurden als
gemeine, nicht als politische Verbrecher be-
handelt, 285 verurteilte man zum Tode, dar-
unter 8 Frauen, mehr als 7000, darunter 36
Frauen und ein Kind, wurden der „trockenen
Guillotine" Neukaledoniens überliefert. Vis
zum Jahre 1876 dauerten die Verhaftungen
und Verurteilungen.
knüttelung die geängstigte Bourgeoisie allent-
halben zu gegenrevolutionären Gewaltmaß-
regeln griff und daß die allgemeine Reaktion
auch die Arbeiter der Länder traf, die an der
Erhebung nicht beteiligt gewesen waren. Das
Beispiel der Kommune von 1871 aber rüttelte
das Proletariat aller europäischen Kultur-
staaten auf. Es fand Widerhall in Millionen
Herzen. Sozialistische Parteien bildeten sich an
Orten und in Ländern, die bisher vom Geiste
des proletarischen Emanzipationskampfes un-
berührt geblieben waren. Nicht niederdrückend,
sondern aufreizend und anfeuernd wirkte zu-
nächst das tragische Schicksal der Kommune,
innerungen an früher Geschehenes, und diese
Erinnerungen reizten zur Nachahmung und
führten die Geister auf Wege, welche Irrwege
sein mußten, weil geschichtliche Situationen
und Vorgänge sich niemals wiederholen und
sich nicht künstlich herbeiführen lassen.
In den Pariser Arbeitervierteln lebten da-
mals noch viele, die die Junikämpfe von 1843
mitgemacht hatten. Aber die Führer der Kom-
mune waren sich wohl bewußt, daß es jetzt,
23 Jahre später, um andere Ziele ging. Die
„Nationalwerkstätten" von 1843, in denen jedem
französischen Bürger vom Staat Arbeit und
Lohn geboten werden sollten, hatten, ihren
Die Prvllaimerung der Kommune vor dem Sladlyaus
Man rechnet, daß im ganzen 111000 Opfer
fallen mußten, bis die Reaktion befriedigt
war, bis das französische Bürgertum sich die
nötige Ruhe und Sicherheit vor den proleta-
rischen Befreiungsgelüsten verschafft zu haben
glaubte. Denn nicht nur um eine Befriedi-
gung des Rachegefühls handelte es sich, son-
dern man wollte vor allem abschreckend wir-
ken und der sozialistischen Arbeiterschaft ein
für allemal die Neigung zur Unbotmäßigkeit
gründlich vertreiben.
Fürs erste lag die Ruhe des Kirchhofs über den
Stätten, die den kühnen, hoffnungsfreudigen,
himmelstürmenden Aufstieg einer gewaltigen
proletarischen Erhebung gesehen hatten. Aber
aus den Gräbern der Opfer sproß eine Saat,
deren Früchte dem ruhebedürftigen Bürger-
tum verhängnisvoll werden sollten. Alle frühe-
ren Arbeiterrevolten hatten immer nur den
einen Erfolg gehabt, daß nach ihrer Nieder-
trotz der wahnwitzigen Beschimpfungen und
Verleumdungen, mit denen die gesamte bür-
gerliche Presse und Geschichtschreibung das
Andenken ihrer Helden und Dulder zu be-
schmutzen suchte.
Heute aber, nach fünfzig Jahren, drängt sich
uns die weitere Frage auf: Weshalb mußte
dieser Erhebungsversuch des Pariser Prole-
tariats ein solches Ende nehmen? Und wir
können die Frage beantworten, wenn wir nicht
nur die äußeren Vorgänge, wie ich sie eben
kurz skizzierte, sondern die tieferen Zusammen-
hänge des geschichtlichen Geschehens uns klar
vor Augen führen.
Nur auf dem Pariser Pflaster, dem klassischen
Boden der modernen Revolutionen, konnte eine
Erhebung wie die der Kommune damals von-
statten gehen. Aber dieses historische Milieu
war zugleich ein Verhängnis. Die Luft von
Paris erschien geschwängert von großen Er-
Nimbus als Allheilmittel aller sozialen Schä-
den bereits eingebüßt. Das kämpfende Prole-
tariat suchte jetzt nicht mehr Hilfe bei einer
wohlmeinenden Bourgeoisie, sondern es war
entschlossen, sich selber durch eigene Kraft zu
helfen und zu befreien. So konnte freilich diese
Klippe umschifft werden, und die Mitwirkung
alter ideologischer Achtundvierziger hat auf
den Gang der Kommuneerhebung kaum einen
Einfluß ausgeübt.
Eine andere, größere, heldenhaftere historische
Erinnerung beherrschte jetzt die Geister und
lenkte vielfach den Sinn der führenden Män-
ner. Das war die Erinnerung an die Kom-
mune von 1792, in der man mit Recht den
Glanz- und Gipfelpunkt der Großen Revo-
lution verehrte. Marat, Danton, Robespierre
und die Diktatur des. Wohlfahrtsausschusses
waren die Namen und Dinge, die in den Ge-
hirnen spukten und zur Nacheiferung ansporn-