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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0120
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10246

Die GrdnungszeUe

Rennst du das Land, wo stolz die Orgesch blüht,
wo jeder patriote abgebrüht,
wo Rowdytum regiert und Frömmelei,

Und wo ein jeder Note vogelfrei?

Dahin, dahin

Tat Ludendorff der Große schleunigst ziehn.

Nennst du das Land? Die Farbe ist blau-weiß,
Und feine Herrn vergießen blut'gen Schweiß,
wenn sie die Ordnungszelle fester baun,

Nus der sie höhnend auf Europa schaun.

Dahin, dahin

Schielt wittelsbach im schäb'gen Hermelin.

Nennst du das Land? Ts lastet darauf schwer
Ein heimlich, nein, ein unheimliches Heer.

Treu auf der wacht die Ordnungsflinte Knallt,
Doch, wohlverstanden, aus dem Hinterhalt.
Dahin, dahin

Ist jetzt gerichtet jedes Spießers Sinn.

Nennst du das Land? Dort gibt's 'ne Polizei,
Die regt sich ganz entsetzlich auf dabei,

Sucht nach dem Mörder grimmigen Gesichts,
Nur, leider Gottes — finden tut sie nichts.
Dahin, dahin

Nommt Frau Justitia nur als Dienerin.

Sieht so die oielgerühmte Ordnung aus,

Schmeißt sie das Volk wohl bald zum Tempel 'raus,

Mitsamt den Escherichen allzuhauf —

Ganz Deutschland atmet dann erst richtig auf.

Dahin, dahin

Ist sonst des Friedens spärlicher Gewinn. v-- wahr- I«°°b

Doch anders es zuweilen kimmt, —

Nun, da der Thor ist eingestimmt.

Wird hoffentlich Herrn Stegerwald

Der Marsch geblasen — aber bald! 933.

„Ein neues Lied, ein besseres Lied..

Na, Gott sei Dank, wir haben sie,

Hurra, die neue Melodie!

Es lauscht entzückt der Spießer Chor,

Im Nackenwulst spitzt sich das Ohr.

Der erste, der da predigte.

Von AEG erledigte,

War Rathenau, der da befand:

„Man" lebt zu fett im deutschen Land.

Die Harfe rauschte stärker bald
Im Arme des Herrn Stegerwald,

Des Seffelsitz — wieso? wovon? —
Gepolstert mit Syndetikon.

In allen Schichten — Harste der —

Mutz werden man bescheidener.

Es schallt und hallt der Stegerwald:

Den Magenriemen eng geschnallt I

Soweit man dies ergründen kann:

Das „man" — das ist der Arbeitsmann!
Er mästet sich, das geht doch »ich,

Er lebt zu fett, verstehst du mich!



Das ist das Lied, das unbedingt
In aller Bäuche Tiefe dringt.

In vielen deutschen Seelen singt.
In allen Kassen widerklingt I

Ein Interview

Die Anwesenheit des indischen Dichters und Philo-
sophen Rabindranath Tagore in Deutschland hat be-
sonders bei den Deutschnationalen lebhaftes Interesse
ausgelöst. Eine Königshymne von ihm ist zwar nicht
bekannt, und die ostelbische Schweinezucht hat von ihni
noch keine Anregungen erhalten, aber es stellte sich her-
aus, daß Tagore adlig ist. Von altem Adel. Von einem
so bejahrten Uradel, daß selbst die Quitzows und Hohen-
zollern wie bürgerliche Waisenkinder dagegen erscheinen.
Wollte er sich eine Ahnengalerie aufbauen, so würde die
Berliner Siegesallee sich daneben wie ein abgehacktes
Hundeschwänzchen ausnehmen.

Infolgedessen warf sich der deutschnationale Journa-
list Friedrich Wilhelm v. Pampel (verarmter Adel) be-
geistert in die nächste Autodroschke, spitzte im Fahren
sechs Bleistifte und drang bei Tagore ein.

„Um das Wichtigste vorwegzunehmen," sagtePampel,
„mit dem Adel hat es doch feine Nichtigkeit?"

„Der Adel", erwiderte Tagore, „ist eine Eigenschaft
der Seele. Er heiligt den Menschen und verbindet ihn
bewußt mit der Natur, mit Tier und Pflanze. Denn
auch diese sind heilig."

„Ausgezeichnet! Genau das, was wir immer wieder
betonen: der Adel ist heilig, Tier und Pflanze sind hei-
lig; der preußische Rittergutsbesitzer ist die Synthese
davon; denn er hat alles beieinander, er betreut und
arrondiert es und strebt nach immer größerer Vollkom-
menheit. Ihn darin zu stören, ihn zu beschränken —läßt
sich das ethisch rechtfertigen?"

„Zwang ist unsittlich, wenn —"

„Weiß schon, was Sie sagen wollen: gwangswirt-
schast ist unsittlich, Höchstpreise sind unsittlich, Steuern
auf den Grundbesitz sind unsittlich, die ganze Republik

— pfui Teufel — ist unsittlich. Dagegen finden wir höchste
Sittlichkeit in — ?"

„Sittlich ist die Verachtung des Kleinlichen und Klei-
nen, die Abwehr des Hindernden und Quälenden, sitt-
lich vor allem ist die Beherrschung der Welt — durch
Selbstbeherrschung."

„Famos, Herr Kollege! Ganz famos! Verachtung
der Kleinen — Plebs —, fröhliche Lebensauffassung

— gutes Frühstück, hahaha —, Beherrschung der Welt-
feudale Regierung! Herr v. Tagore, mehr brauche ich
nicht. Sie lehren ja nicht nur das geschriebene, sondern
auch das ungeschriebene deutschnationale Programm,
das wieder eine bessere Welt aufbauen wird."

„Die Welt kann nur durch Opfer, durch selbstlose
Opfer jedes einzelnen, durch Opfer ohne Maß gebessert
werden—"

„He? Wie?!" Herr v. Pampel erblaßte, sprang ec-
schrecken auf, steckte den Bleistift ein, empfahl sich eilig
und schrieb unter Fortlassung der letzten Äußerung :

„... Zuletzt begann der greise Gelehrte und Dichter,
der die ewigen Wahrheiten unserer Partei im fernen
Indien vertritt, in der Ursprache seines Landes, im
Sanskrit, zu reden. Hier konnte unser Berichterstatter
nicht mehr folgen_" Pa»

Spießers Erlösung

Ha, endlich wieder schlägt die Stunde,

Da mir der Himmel heiter blaut.

O, sei gegrüßt, du hehre Kunde:

Das Bier wird stärker eingebraut I

Laßt die Entente drauflosmarschiecen.

Bis ihr der Helm vom Schädel taut.

Mich kann es nicht mehr alterieren —

Das Bier wird stärker eingebraut.

Der Hauswirt schimpft, es schimpft der Mieter,
Es schimpft, wer neue Häuser baut.

Mir ist es gänzlich egaliter-
Das Bier wird stärker eingebraut.

Bin Monarchiste im Prinzipe,

Doch wer die Politik versaut,

Ist mir jetzt schnuppe, schnurz und piepe —

Das Bier wird stärker eingebraut.

Behaglich rinnt's durch mein Gedärme,

Auch wenn der Pole Schlesien klaut.

Kalt läßt mich selbst die Hundstagswärme —
Das Bier wird stärker eingebraut. Pec.
 
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