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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0239
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10365

Politik

Und steckt die Karre tief im Dreck
Und strauchelt Roß und Reiter,

Und will der Gaul nicht mehr vom Fleck,
Me Hilst man da sich weiter?

Der Rutscher flucht in seinen Bart
Und strammt den breiten Nacken:

Ist keiner da zu guter Fahrt
Die Rarre anzupacken?

lfe, Sozi! Lieh, schon naht ein paar
Und greifen in die Speichen,

Allmählich aus dem Kaviar
Scheint das Gefährt zu weichen.

Und ist sie aus dem Grus und Mus
Auf festes Land geschoben,

Dann gehn die Sozis fein zu Fuß —

Oie andern sitzen oben.

Ls hat halt alles seinen Zweck!

Auch hier bei diesem Karren:

Die einen ziehn ihn aus dem Dreck,

Die andern wolln drauf fahren. Pan

Gerechtigkeit

Von Ernst Preczang

Temal Ben, der große Weife, faß vor seiner
Höhle in der kleinen Oase Kyd und schaute
in die Wüste, die weite, sandbrennende Wüste
hinaus. Vor langen, langen Jahren, als ihm
sein Weib untreu geworden war und sein
Freund, der Sultan, einen Gelehrten enthaup-
ten ließ, weil er auch den Sklaven eine Seele
zusprach, war Temal Ben verzweiflungsvoll
in die Wüste geflüchtet, um in der Nachbar-
schaft von Löwen, Schakalen und Hyänen sein
eigenes Geschlecht zu vergessen und über den
Sinn des Daseins nachzudenken. Sein Antlitz
war faltig, sein Haar weiß geworden, und
der Bart reichte ihm bis ans Knie. Er nährte
sich von den Kokosnüssen, die von den Palmen
fielen, von Kräutern und Gräsern, die an der
kleinen Quelle emporsproßen, und hielt Zwie-
sprach mit den Schlangen, die sich auf den:
Gestein seiner Höhle sonnten. Weitab lag die
Karawanenstraße, und nur selten hatte sich der
Fuß eines anderen Menschen hierher verirrt.
Temal Ben sah am Morgen die Sonne über
den Rand der Wüste aufsteigen, sah sie ihren
großen Bogen über das Himmelsgewölbe be-
schreiben und sah sie am Abend weit hinten
im Sandmeer versinken. Er hörte das Bellen
der Schakale in der Nacht, lauschte dem leisen
Flüstern der Quelle, und der Palnren im Winde
und dem Rauschen des Wolkenwassers zur Re-
genzeit. Aber eine menschliche Stimme hörte
er nicht, es sei denn seine eigene, die zuweilen
in lauter Rede aus seinem Innern hervorbrach.

Und nun, da er wieder vor der Höhle saß
und sein äußeres Auge auf das unendliche
Sandmeer zu seinen Füßen blickte, während
das innere suchend wie immer nach dem Sinn
dieses Daseins forschte, nun nahte sich ihm ein
Mensch.

Er trug keine sichtbare Last und ging doch
mit gebeugtemHaupte und vorgeneigten Schul-
tern wie unter einem schweren Gewicht.

„Was suchst du hier?" rief Temal Ben.

„Hilf mir! Durst trieb mich in die Wüste,
Durst treibt mich hierher."

Und Temal Ben führte ihn zur Quelle, er-
quickte ihn und sprach: „Durst trieb dich in
die Wüste, sagtest du. Erkläre mir,das rätsel-
hafte Wort."

„Hast du je von der großen Stadt gehört,
wo die weißen Mauern in zahllosen Reihen
im Sonnenlicht glänzen? Von den menschen-

wimmelnden Gassen, vom Hofe des Sultans
und den prächtigen Basaren? Dort lebte ich,
arbeitete und studierte und glaubte an ein
gutes, gerechtes Leben. Aber je älter ich wurde,
desto öfter bemerkte ich, daß das Recht ge-
bogen wurde. Und du kennst wohl das alte
Wort, daß die Gerechtigkeit bricht, wenn man
sie biegt. Wie oft sah ich sie zerbrechen unter den
plumpen Händen der Menschen! Der Richter

setzte ihr den Fuß in den Nacken, der Sultan
enthauptete sie, und das Krämervolk verkaufte
sie um einen halben Silberling. Und die sie
rein im Herzen trugen und ihr nachzuleben
trachteten, wurden verhöhnt und beschimpft
und weggestoßen vomTische desLebens. Hinter-
list und Gemeinheit verfolgten sie, und die
Lebensklugen grinsten dazu und duckten sich
vor der Macht des Unrechts. Sieh, als ich dies
wieder sah, packte Verzweiflung mich, und ich
floh in die Wüste. Mich dürstete nach Gerech-
tigkeit.

Temal Ben senkte das Haupt und sprach:
„Es ist noch so wie damals..."

Und der Fremdling fragte: „Sage mir, wo
ist die Gerechtigkeit?"

„Ich weiß es nicht." Temal Ben hob das
Haupt empor und wies über die weite Fläche
des grauen Sandes hinweg: „Geh, suche sie.
Wandere von Morgen bis Abend, wandere
deinen geraden Weg, höre nicht auf den Spott,
nicht auf das Schimpfen der Leute. Irgendwo
muß sie zu finden sein."

„Irgendwo muß sie zu finden sein." Der
Fremde stand auf mit leuchtenden Augen. „Hab
Dank." Und er schritt geradeswegs von dannen.

Jahre vergingen und Temal Ben lebte wie
vorher. Er trank aus der Quelle, aß Kräuter
und Nüsse und grübelte über den Sinn des
Daseins nach. Und es kam ein Abend, da ihn
frühe Müdigkeit überwältigte und er an der
Quelle einschlief.

Der Mond stand schon über der Wüste und
übergoß sie mit silbernem Licht. Eine Hand
berührte die Schulter des Schlafenden.

Temal Ben öffnete die Augen und sah den
Fremdling in zerrissenen Kleidern an der Quelle
niedersinken und durstig trinken.

„Hast du sie gefunden?" fragte Temal. „Ich
spüre, daß mein Herz langsamer schlägt und
daß die bewegenden Geister aus meinem Blut
entweichen. In dem Gebäude meiner Gedanken
fehlt noch ein Stein. Bringst du ihn, dann
steht es herrlich vollendet da. Sprich, hast du
sie gefunden?"

Der Fremde schüttelte den Kopf und stützte
ihn in beide Hände: „Ich wunderte gerades-
wegs um die Erde, wie du mir geheißen, und
fand das Wort. Überall — in unzähligen Spra-
chen. Aber ich fand nicht die dazu gehörige Tat.
An allen Orten handelten sie mit ihr wie der un-
redliche Kaufmann, der mehrere Preise für seine
Ware hat. Und die besten betrogen sich selber."

„So bleibt das Gebäude meiner Seele un-
vollendet zurück." Temal Ben nahm aus seinem
Kleid einige beschriebene Blätter. „Lies sie und
bewahre sie auf. Groß ist der Sinn des Lebens
und herrlich über die Maßen. Ohne Gerechtig-
keit aber ist er ein buntes, spielendes Nichts."

Das Haupt Temal Bens sank zurück in den
Schoß des Fremden. Und er erhob noch einmal
die Stimme: „Ohne Gerechtigkeit sind wir nicht
besser denn Schakal und Hyäne, ist unser Leben
Wüste und trockener Sand. Wie herrlich singst
du, Quelle der grünen Oase!"

So starb Temal Ben.

Und der andere begrub ihn und ward sein
Erbe.

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