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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 38.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.6706#0249
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10375

Julklapp

Skizze Won Ernst Preczang

„Liebe ist stärker denn Tod. . . . Wer die
rechte Liebe hat, achtet sein Leben gering—"

Weiter ivußte Hein Thiessen aus der Heilig-
abendpredigt nichts mehr. Aber dies wußte er
bestimmt, und nun wollte es nicht in ihm ver-
stummen. Es wurde zur Melodie und sang
mit dem Schneewind, der in den Kiefern hin-
term Hause und im Schilsdach der kleinen
Fischerkate raschelte, um die Wette.

Vater Thiessen hatte sich eine Pfeife ange-
zündet und sich in den strohgeflochtenen Lehn-
stuhl ain Ofen gesetzt. Mutter Thiessen saß
auf der Bank und sah zuweilen besorgt nach
dem Feuer, schob ein paar Soden Torf nach
und ivandte sich wieder ihrem Strickstruinpf
zu. Die sechsjährige Eva bemühte sich, einer
Puppe das Bilderbuch plausibel zu machen,
und ihr Bruder Hein, ein strammer Kerl ffon
neunzehn Jahren, kaute an der kalten Stum-
melpfeife und sah alle zehn Minuten nach dein
Wetter.

Das ging nun schon eine Stunde so. Zwei-
mal hatte inzwischen die Glocke der Haus-
tür angeschlagen. Eine verstellte Stimme rief:
„Julklapp!" und ein Päckchen flog an die
Stubentür. Und ehe die kleine Eva sie auf-
geklinkt hatte, war die Haustür schon wieder
zugeschlagen, und ein Lachen verklang im Wind.
Hein Thiessen sah kaum hin, wenn sie das
Papier öffneten; er hatte kein Ohr für ihr
Raten, wer denn wohl der Spender gewesen
sein könne. Er steckte nur immer wieder die
Hand in die Jackentasche und streichelte da
etwas Weiches und Seidenes. Und er sah
Doris Harmsen in diesem prächtigen bunten
Brusttuch mit ihin tanzen — unten beim Hecht-
wirt, wo es am zweiten Feiertag ganz gewiß
wieder hoch herging. Und vielleicht blickte
sie ihn dann nicht so hochmütig an wie
beim letztenmal, als er sie in der Nacht
nach ihrer Insel hinüberruderte und
schüchtern um eine kleine Beloh-
nung bat.

„Wer mi hebben will, de mutt
erst wiesen, datt ick em wat
wert Mit." Ja, wie sollte
er's zeigen! Er hatte nun
die Ersparnisse eines
ganzen Jahres dran-
gewendet und ihr
einen Julklapp ge-
kauft, der sich wohl
sehen lassen konnte.

Aber —

Hein Thiessen trat
wieder einmalvor die
Haustür und blickte
in das Schneetrei-
ben. Wenn der Wind
einmal verebbte und
Hein seine blauen Wasseraugen etwas an-
strengte, sah er den dunklen Strich der Fichten-
schonung mit einem schmalen weißen Streifen
darüber am Strande der Insel, und auch
die Häuser des kleinen Dorfes glaubte er zu
erkennen und wenigstens ein Licht, das na-
türlich aus Doris Harmsens Stube kam. Ja,
sie wartete auf seinen Julklapp, das war
gewiß. . ..

„Was läufst du egal in den Stiefeln herum?"
brummte Vater Thiessen. „Das wird heut nicht
mehr anders. Wart man, bis die Bucht zuge-
froren ist."

Hein war heut nicht für Späße; er ivandte
unwillig den Kopf.

Die Mutter sah besorgt voin Strickstruinpf
auf: „Wenn du was vorhast, Hein, denn kannst

du das rvoll bei gutem Wetter besorgen."
Hein zog die Schäfte der Wasserstiefel bis
an den Bauch, reckte sich auf und horchte auf
den Wind, auf das Meer, auf die Kiefern.
Sie alle sangen: „Wer die rechte Liebe hat,
achtet sein Leben gering." Er langte sich Öl-
jacke und Olhut vom Haken: „Ich kuck mal
nach dem Boot, Badding."

„Nich nötig!" . . . Aber Hein war schon
hinaus.

„Wenn er bloß keine Dummheiten macht,
Badding!" Mutter Thiessen hielt den Atein
an. Im Schornstein gab es einen Puff ivie
ein Böllerschuß, und die Wetterfahne schrie
kreischend auf. „Er hat's mit der Doris,
glaub ich."

Drüben im Jnseldorf schlug's zehn. Mutter
Harmsen klappte die Bibel zu, legte die Brille
fort und erhob sich mühsam: „Es ist wieder
mal Zeit, zur Koje zu gehen, Doris. Du
schläfst ja schon!"

„Nein, Mudding," Doris schrak auf, „ich
Hab' man bloß so vor nüch hin gedacht —

Dat de Wind so weiht und de See so getht.

Und daß der liebe Weihnachtsmann
Nicht übers große Wasser kann...

Die Hausglocke schlug an.

Dann raschelte etwas an der Stubentür,
und eine männliche, halb keuchende, halb
jauchzende Stimme schrie: „Julklapp, Doris!"

Die Haustür krachte zu. Doris und ihre
Mutter standen mit erschrockenen Augen in der
Stube — und draußen mußte wohl einer durch

den Herzausschnitt des Fensterladens blinzeln,
denn eS lachte dort ganz unbändig.

Da sprang Doris mit eins vor die Haus-
tür und schrie in den Wind:

„Hein, Hein, bist doch bei dem Wetter mit
dem Boot gekommen?!"

Ein Lachen antwortete: „Mit'm Luftballon,
Doris." Sie konnte eine beschneite Gestalt zum
Strande hinuntereilen sehen.

„Hein, Hein!" Sie lief hinterher.

Aber Hein stieß schon das Boot ab, als sie
untenankam, und jauchzte: „übermorgen tanzen
wir, Doris!" * *

Eine Stunde später nahm Vater Thiessen
seinen Sohn unten am Strande mit einem
schweren Donner-
wetter in Empfang.
ErpackteihnamKra-
gen und transpor-
tierte ihn init großer
Beschleunigung nach
oben und durch die
Haustür: „Julklapp,
Mudding!"

„Jung, Jung, was
machst du einem für
Sorgen!" Sie um-
halste ihn zitternd.
„Ja," bruminte Va-
ter Thiessen, „so seid
ihr Weibers nu. Ei-
gentlich müßte man
ihm das Fell versoh-
len — und du drückst
ihm noch einen aus,
daß er man wieder
da ist. Wird sich wohl
da drüben auch schon
'n Süßen geholt ha-
ben."

„Nee, Badding."
Hein warf die trie-
fende Oljacke ab und
lachte überdas ganze
Gesicht. „Aber über-
morgen fahr ich sie
nich wieder umsonst
rüber. Ganz gewiß!"

Lieber Wahrer Jacob!

Baron v. R. hat sich mit einer jüdischen
Millionärin verlobt, die nicht abgeneigt ist,
zum Christentum überzutreten. Gestern kommt
der glückliche Bräutigam in höchster Aufregung
zur Braut: „Liebe Rosalie, du mußt dich so
rasch wie möglich taufen lassen, ich muß näch-
stens in unseren! Verein eine Rede gegen die
Juden halten." ^

In der Kaschemme liest Geldschrankknacker
Ede, der stolz ist auf seinen Ruf als schwerer
Junge, allerlei von Oberschlesien. „Jott," seufzt
er neiderfüllt, „wat bin ick doch 'n Waisenknabe
jejen diesen Korfanty!"

•k

Herr Krause, eifriger Monarchist, wird Vater
von Drillingen. „Na ja," ruft er wütend,
„so etwas kann auch nur in dieser verfluch-
ten Republik Vorkommen!"

k

Im Honoratiorenzimmer des Dorfwirts-
hauses sitzen die reichsten Bauern beieinander.
Man spricht von den glänzenden Kartoffel-
geschäften. „Wißt ihr," scherzt der Waldhof-
bauer, „wir sollten die Preise für alle Lebens-
mittel so hoch treiben, daß die Sozialdemo-
kraten verhungern müssen, dann iväre die
soziale Frage gelöst." m.

„Meinst du, daß er noch rüber ivill?"
Thiessen lachte aus. „Denn muß er sich
schon in eine Aalhaut nähen lassen, Mud-
ding. Wer jetzt ein Boot zu Wasser kriegt, der
kann was. Und wer damit rüberkommt, hat
den Deubel im Leib."

Indessen ivar Hein in den Schuppen ge-
gangen, hatte sich die Korkiveste angelegt, ein
paar kräftige Ruderstangen auf die Schulter
genommen und war an den Strand hinab-
»gestiegen.
 
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