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10479 . •

Warum - darum!

„Warum sind Sie auf Rathenau so schlecht zu sprechen, Herr
Stinnes?"

„Weil er nicht mein junger Mann werden wollte."

Lobelspäne

Des> Schornsteins dunkle Raucheswolke
Verdüstert nicht den ersten Mai:

Der eine Tag gehört dem Volke,

An diesem Tage ist es frei.

Herr Fabrikant in dumpfem Schweigen
Blickt finster auf den Maienzug.

Und auch des Dollars lieblich Steigen
Gewährt an Tröstung nicht genug.

Des Arbeitsvolkes Mai-Verschwörung
Sieht er mit jährlich stärkrcm Haß ■—
Frau Fabrikant sagt voll Empörung:

„Ja, dürfen denn die Leute das??"

Tie Natur ist grün. Uns wird angesichts der Steuern aber grün
und blau vor den Augen. ^

Forsch rückt' die Kommission heran
Mit neu geflochtnen Peitschen.

Auf paar Milliarden kommt's nicht an
Bei Deutschen.

Man steht in süßen Wahnes Bann:

Man braucht bloß Fach beordern.

Auf paar Milliarden kommt's nicht an
Beim Fordern.

Auf Erde» nicht, auf Wolkenbahn
Solche Ideen wandern.

Auf paar Milliarden kommt's nicht an
Bei andern. ^

„Alles neu macht der Mai." Nur die Geldgier der goldenen
Internationale bleibt unveränderlich.

Im Schwielowforst entdeckte mein Jüngster das erste Maiglöckchen.
„Laß es um Jotles willen stehn," sagte ick. „Sonst kriegt v. Kaehne

noch'nen neuen Waffenschein." , ~~T .

' ' ’ Dem getreuer Sage, Schremer.

Erwachende Bayern

Die bayrischen Rechtsputschisten haben mit
flammender Entrüstung davon Kenntnis ge-
nommen, daß man sie der Reichsfeiudschast
verdächtigt. In Wahrheit haben sie bisher in
harmlosem Schlummer gelegen und erst jetzt
aus gerechter Empörung heraus den „Bund
der erwachenden Bayern" gegründet. Auch
dieser Bund will nicht das Reich auflösen, son-
dern es im Gegenteil zu einer festeren Einheit
zusammenschließen. Natürlich ist ihm das Hemd
näher als der Rock, darum will er zunächst die
bayrische Krone aus dem Müll hervorsuchen,
sie reparieren und einem geliebten Landesvater
auf die Locken setzen. Aber sobald dies gelungen
ist, wird er mit Vehemenz die neue Reichs-
gründung betreiben, indem er die umliegenden
Staaten mit Einschluß Preußens dem bayri-
schen Reiche eingliedert. Dann haben wir ein
einiges Vaterland. Wer diesen Plan bekämpft,
ist ein Reichsfeind und muß auf den geraden
Weg geführt werden. Will er diese Straße
nicht gehen, so bringt man ihn um die Ecke.

Astronomische Zahlen

Es war in einem Vortrag über Astronomie.
Der Vortragende wollte uns die riesigen Ent-
fernungen im Sternenraum klar machen. Er
sprach von dem Mond, der „nur" 38 400 Kilo-
meter von uns entfernt sei, von der Venus mit
ihren 40 Millionen Kilometer, von der Sonne
mit ISO Millionen Kilometer, und er berech-
nete das Maß des „Lichtjahres" auf 9‘/ü Bil-
lionen Kilometer. „BedenkenSie nun," schloß er,
„daß wir bis zum Stern Kapella im Fuhrmann
70 solcher Lichtjahre gebrauchen und bis zur

Milchstraße gar 4000, dann werden Sie sehen,
daß es sich hier um Zahlen handelt, die weit
über unsere menschlichen Begriffe gehen. . . ."
In diesem Augenblick rief eine tiefe Baßstimme:
„I wo, das ist alles noch jar nischt gegen die
Zahlen, die die Entente von uns fordert!!"

Lieber Jacob!

Mit unjestillte Wehmut denke ick in diese
Tage zurick an de jlicklichen Zeiten, wo wir
unter den tatkräftijen Beistand der wilhel-
mineschen Obrigkeet dem Weltfeiertag der Ar-
beet besehen bersten, wo uff jeden Festjenoffen
immer zwee Blaue kamen un bei unsere Aus-
flieje in't Jriene rejelmäßig mehr Spitzel wie
Maikeeber anjetroffen wurden. Mit diese Je-
uisse is et jetz Essig. Det deitsche Proletariat
steht am ersten Mai einsam un verwaist da
un is janz uff sich alleene anjewiesen. Massen-
versammlungen finden statt, aber keener is da,
der se uffleest. Un wat helft mir de scheenste rote
Fahne, wenn se nachher »ich konfisziert wird?

Anjesichts von diese bedauerliche Situazion
kann eenen bloß det Bewußtsein treesten, det
ja det Ziel, dem zu Ehren der erste Mai ur-
springlich jejründet wurde, inzwischen erreicht
worden is. Dem Achtstundentag haben wir,
un de Jnternazionalität des Proletariats hat
sich zu eenen unjeahnten Blictezustand vervoll-
kvmmt. Statt eene Jnternazjonale haben wir
ihre drei oder vier, un wenn de Spaltungen
in den Kommunismus sich weiter so fruchtbar
beweisen wie bisher, denn is, wenn diese wer-
ten Zeilen in Deine Hände kommen, det erste
halbe Dutzend vielleicht schon voll. Ja, wir
erleben sojar det schmeichelhafte Schauspiel,
det det Birjertuin sich det Proletariat zum
Muster nimmt un ebentfalls in Jnlernazjo-

nalismus macht. Ick meene den Velkerbund,
der in diese traurijen Zeiten det eenzigste Er-
eignis is, wo man wirklich uffrichtijen Herzens
lachen derf. Wenn im iebrijen weder de prole-
tareschen Intern azjonalen noch ooch der kapita-
listesche Velkerbund ihr heechstes Ziel, de all-
jenieene, jleiche un pollezeilich jesicherte Ver-
briederung bis jetz erreicht haben, denn kann
se det keener »ich iebelnehmen, denn det liegt
an de Valutaverhältnisse. Det der Friede mang
de Arbeeter noch »ich zustande jekommeir is,
hängt mit de Verschiedenheet des jeistijen Va-
tutastandes zusammen, un det wir noch immer
keenen Weltfrieden nich haben, is eene Folje der
papierenen Valulannterschiede. Zum Beispiel
las ick neilich in de Zeitung, det an de neie
lothringsche Jrenze de Franzosen ihre Ziejen
zu den deitschen Bock rieberschicken, weil der
det Jeschäft vermittels den niedrijen Mark-
kurs biüijer besorjen tut als wie de franzeesche
Bock. Bei uns aber uff de Friederichstraße wim-
melt et von franzeesche, englische un ameri-
kanesche Böcke, weil et for die hier wohlfeiler is
als wie zu Hause. Det muß natierlich init de
Zeit beeses Blut Machen, und so firchte ick, det
ooch de diesjährije Maifeier de alljemeene in-
ternazjonale Solidarität villeicht noch nich zu-
stande bringen wird. Aber wat nich is, wird
werden, un et kann sind, det et uff eenmal un-
verhoffter kommt, als wie mancher denken tut.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetrcier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Zur gefälligen Beachtung!

Redaktionelle Einsendungen können im Falle der
Richtaunahme nur znriickgcsand« werde», wenn Rück-
porto beigefiigt ist! Die Redaktion

Redakttönsschluß 4. April 1922
 
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