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Allerlei aus Genua

Mit gewinnendem Lächeln streckte Lloyd
George feine Hände hin:

„'Well, Mister Wirth, wie geht's Deutsch-
land?"

Der Reichskanzler ließ die Mundwinkel hän-
gen: „Ach, — sprechen wir nicht darüber!"

Ein leuchtender Blick traf ihn: „Verlassen
Sie sich darauf: kein Wort soll darüber ge-
sprochen werden!" ^

Mit besonderer Herzlichkeit begrüßte Lloyd
George die anwesenden Vertreter der großen
Arbeiterorganisationen:

„Ihnen fällt im Rahmen unseres erhabenen
Werkes eine überaus wichtige, vielleicht die
wichtigste Aufgabe zu! Ganz zweifellos: nur
die Arbeit kann Europa retten! Oder wissen
Sie einen anderen Weg, unsere Dividenden-
erträge zu steigern?" ^

„Debattieren wir die internationale Anleihe
für Deutschland, meine Herren! Sie ist absolut
notwendig! Wovon soll Frankreich seine stei-
genden Heeresausgaben bestreiten?"

*

„Sie müssen Ihr Äußerstes tun, meine
Herren, das niedergebrochene Europa wieder
aufzurichten! Wir wissen sonst wirklich nicht,
wie sich der nächste Krieg rentieren soll!"



„Ehren Sie die Grundsätze der Humanität
und Gerechtigkeitsliebe, — es ist immer noch
das sicherste Geschäft!"



„Denken Sie nur," klagte ein Herr der deut-
schen Delegation einem Konferenzteilnehmer
sein Leid, „gestern ist mir hier in Genua meine
goldene Uhr abhanden gekommen!"

Sofort protestierte Barthou.

Er habe strikte Weisung, jedem Versuch, das
Versailler Problem aufzurollen, nachdrucklichst
entgegenzutreten. w.

Völkerversöhnung und Christentum

Dem sozialistische» Pfarrer Bieter in Berlin wurde
seine pazifistische Propagandatätigkeit voin vorgcletzlen
Superintendenten Raak untersagt, da „Weitsrieden und
Böikerversöhnung in sozialistischer Auffassung unverein-
bar init dem rvahren Christentum seien".

Hochwürden Raak erscheint der Bieter — Als
dogmenwidriges Ungeheuer. — Nun schön. In
traurigen Zeiten wie diesen — Soll jeglichen
Witz man sehr dankbar genießen. — Doch gebe
man gleichfalls dem Ernste die Ehre, Und
prüfe die falsche und wahre Lehre. — Die falsche,
die schlechte, die böse, korrupte Ist jene, die
sich in dem Bleier entpuppte! — Die braucht
man des nähern kaum mehr zu schildern, —
Verweilen wir gleich bei den freundlichen Bil-
dern. — Ich, der ich dies schreibe, ich sah einst
im Kriege Im Stacheldraht hängen, als
hänge die Fliege — Im Netze der Spinne, 'neu
braven Soldaten, — Die Schenkel zerrissen, zer-
fetzt von Granaten, — Und sah in den eisernen
Dornen ihn falten — Die Hände, die abgestor-
benen kalten, — Und hörte sie schreien, die
Lippen, die blassen: — „Warum, mein Gott,
hast du mich verlassen!" — Das war so ein
Bild, da faßt man sofort — Die reine Lehre,
das lautere Wort! —Da ward die approbierte
Wahrheit Mir demonstriert in lichter Klar-
heit! — Das, was Vernunft und Herz empört,
— Was in des Wahnsinns Reich gehört, —
Ein blutbefleckter Pfaffentrug, Ein irr- und
wirrer Kirchenspuk, — Unheimlich, schädlich
allem Land, — Das wird die reine Lehre ge-
nannt! w.

-- 10496 —■-

Maikäfer

Sine naturwissenschaftliche Skizze von Pa»

Es gibt verschiedene Arten von Maikäfern.
Keineswegs nur „Schuster" und „Müller", wie
die Schulkinder glauben. Schon am ersten Tage
des Mai bemerkt man überall ganze Scharen
auch von Schneidern, Tischlern, Schlossern,
Buchbindern, Nähmädchen usw usw., die fröh-
lich burrend ausflieqen und auf Straßen, Wiesen
und namentlich in den Wäldern umhersuminen.
Gemeinsam ist allen Maikäfern dieser Art die
rötliche Färbung — und zwar vom blässesten
Rosa bis zum purpurdunklen Rot. Während
der Wintermonate leben sie meist in dunklen,
engen Löchern und kommen wenig ans Licht,
nähren sich von Hering und Kartoffeln, wenn
sie solche haben, und warten mit Ungeduld
auf den Frühling, wo es junges Gemüse gibt.
Das wird ihnen jedoch wie alle besseren Sachen
größtenteils von einem Käfer anderer Art weg-
geschnappt. Dieser zeichnet sich durch seine her-
vorragende Gefräßigkeit aus und unterscheidet
sich vom roten Maikäfer auch dadurch, daß er
mit großem Getöse auf der Landstraße einher-
fliegt, riesige Staubwolken aufivirbelt und einen
betäubenden Gestank hinter sich läßt. Sein wissen-
schaftlicher Name ist Copophraga Schiebericus
(der schiebende Mistkäfer).

Die ärgsten Feinde des roten Maikäfers aber
sind die Maulwürfe. Diese sind bekanntlich mit

Blindheit geschlagen. Trotzdem oder des''
verzehrt ein ausgewachsener Maulwurf K
dem Frühstück seine zwei bis drei
ja, es kommt ihm gar nicht darauf M>,
roten Maikäfer sozusagen in einem ,
zu verschlingen. Auch Füchse, Marder
Igel stellen dem Maikäfer nach. Mit L>"
Gewalt, mit Fängen, Zähnen und Klauen lf
sie demselben zu Leibe. Sie schlingt
schlingen daran, werden aber niemals "
fertig.

Hier sehen wir den besten Beweis 1%
vielumforschte Unsterblichkeit des Mai'^
gefressen wird er jeden Tag, aber am
Morgen ist er noch vergnügt und munter
je zahlreicher seine gefräßigen Feinde i®e(
desto besser gedeiht er, während sich fcf)»11,
Füchse, Marder und dergleichen Raubst'''
ihm den Magen verdorben haben. Es
besondere Charakteristikum des roten '
käfers^ daß er sich in allen Situationen
giebig vermehrt. Das bemerkt man et>e'
sonders im Mai, wenn der große

giNNt. jM

Dann verkriecht sich der Marder vo^,
in seinen Schlupfwinkel, auch der MaU
wühlt sich tiefer in die Erde, und der ^
schleicht mit eingeklemmter Rute in seinen <
Sie alle haben den roten Maikäfer geflJ
Aber wo er in Massen auftritt, putzen fte
lich ihr gieriges Maul.

Wenn uns unser Schutzheiliger Lermes verläßt, haben wir aus Mangel an Zucl^
einen sauren 1922er zu erwarten.
 
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