10599
Bayerische Erholung
„Gönnen Sie sich gar keine Erholung beim Steinklopfen?"
„Doch, i tu ab und zu auf die Saupreußen schimpfen!"
Lobelspäne
In London schwand das Renommee
Des Hohen Rats, Das Komitee
Vom Horneberger Schießen
Ließ grüßen
Die Konferenzen folgen schnell
Wie Pferde auf dem Karussell;
Nur ist kein Ziel zu sehen
Beim Drehen.
Europa zeigt ein neues Bild:
Des Mittelalters Faustrecht gilt,
Vom zwanzigsten Jahrhundert
Bewundert!
■k
Vor hundert Jahren wurden die ersten ägyptischen Hieroglyphen
entziffert. Wie lange wird man an den Rätseln des Versailler Friedens
herumbuchstabieren müssen? *
Es tobt wie unter Nikolaus
Der Blutrausch sich in Moskau aus.
Man war nicht kommunistisch.
Man war da echt zaristisch.
Es bräunt' sich selbst der Schande Mal
Das vorgeschobne Tribunal
Der russischen Diktatoren —
Das Echo murmelt: Toren.
Das Todesurteil, das ihr jetzt
In Haß und Hetze durchgesetzt,
Ist eine blinde Rache:
Es trifft auch —eure Sache.
★ '
„Der Jacob ist auch nicht mehr so billig," seufzte meine Aujuste.
„Ich will auch nich den billijen Jacob voin Mühlendamm," erklärte
ick, „sondern den Wahren Jacob."
Dein getreuer Säge, Schreiner.
Die schlechte Zeit
Mein Kaufmann ist ein braver Mann,
Voll biedrer Frömmigkeit,
And er verflucht so ost er kann.
Die heut'ge schlechte Zeit.
Wohl nie hat er mich überzeugt.
Trotz aller Worte List,
Doch jetzt gesteh' ich tiefgebeugt.
Daß er im Rechte ist!
And wie mir die Erleuchtung kam?
Es war so einfach, ach, —
Den Zucker, den ich von ihm nahm,
Wog ich zu Lause nach.
Da Hab' auch ich die Zeiten hier
Verflucht mit gutem Grund,
Denn an dem Kilo fehlte mir
Genau ein viertel Pfund! — Willy Bünger
Verlust und Deckung
Die ganze Stadt sprach davon, daß Klaus
Hinrich Sartorius am Wend in der Straßen-
bahn seine Geschäftsmappe mit zirka 750000
Mark Inhalt habe liegen lassen.
Am nächsten Morgen traf ihn ein Bekannter
und bemitleidete ihn.
„Lassen Se man," sagte Sartorius, „eben
bin ich dabei, sie mir wieder zu holen!"
„Nun, da haben wir ja einen Weg. Ich will
auch zum Fundbureau."
„Zum Fundbureau?" sagte der würdige
Sartorius, „nee, zum Fundbureau will ich
nich, der Weg ist mir zu weit, zur Börse
gehe ich . . ." tV.
Lieber Jacob!
Et is 'n wahrer Sejen, bet wir dunnemals
im November nich unfern Adel abjeschafft je-
habt haben. Denn erstens jetzt det ieberhaupt
nich, weil der richtije Adel, ebentso wie de rich-
tije Dummheet, eenen von Jeburt anjeboren is
un immer wieder durchschlägt. Wenn de eenen
Käsekopp zum Professor ernennst, denn bleibt
er trotzdem een Dämelack, un wenn de eenen
Edelmann aus 'ne alte durchwachsene Familje
det „von" streichen tust, denn ändert det nischt
an seine sonstijen Vorziege. Diese sind nich
auszurotten un bestehen besonders aus be-
gnadigte Jeistesjaben un jute Sitten. Wat de
Jeistesjaben anbetrcfft, so haben wir diese bis
zu'n NovembeL in de verschwendcrischte Weise
jenossen, indem det de janze deitsche Diplo-
matie sich aus'n Adel zusammensetzte. Wo
wären wir aber, lieber Jacob, wenn wir diese
Diplomatie nich jehabt hätten? Iber die juten
Sitten brauche ick keen Wort nich verlieren,
denn die stoßen eenen allenthalben von selber
in't Ooge. Wer jedient hat, der kennt se von
Kasernenhof, un det iebrije Volk lernt ihnen
uff de Friedrichstraße kennen, besonders in de
Ajrarierwoche, wo der richtije durchwachsene
ländliche Adel in seine edelsten Erscheinungen
ufftritt. Mit Recht verlangt der deitsche Edel-
mann, det seine Sitten for de jesamte Unter-
tanenschaft vorbildlich sollen sind. Zum Bei-
spiel, mein Freund Edeward hat mir Rind-
vieh jeschimpft. Denn haue ick ihm in de Fresse
un derf keenen Anspruch erheben, det de an-
wesende Oogenzeijen mir deswegen for keen
Rindvieh, sondern for'n Kavalier estimieren.
Im Jejenteil, et kann leicht sind, det der
Budiker mir rausschmeißt un ick in't janze
schles'sche Viertel blamiert bin. Wenn aber
een Adelijer eenen anderen Rindvieh schimpft,
denn sehen se sich jeder eenen Zilinder uff un
fahren beede in zwee verschiedene Droschken
erster Jiete in Jrunewald oder in de Jumpfern-
heide un schießen sich uff Kommando jejenseitig
in de Plauze oder ooch zwee Lecher in de Atmo-
sphäre. Un wenn det jeschehen is, denn is
det Rindvieh uff eenmal keen Rindvieh nich
mehr, sondern een in de Plauze jeschossener
Ehrenmann. Oder een anderes Beispiel: Een
schwerer Junge aus de eenfachen Stände will
eenen um die Ecke bringen, um ihm de Uhr
un det Portemonnö zu klauen. Denn befer-
dert er ihm eenfach un formlos in't Jenseits
un wird wejen Raubmord zum Tode ver-
urteilt. Wenn aber een Edelmann sich eenen
seine Frau aneignen un ihm zu diesem Zweck
det Jas abdrehen will, denn nimmt er sich
noch 'n zweeten mit, un se lootsen beede den
Betreffenden an 'n verschwiegenen Ort, wo
se ihn kalt machen un jleich bejraben. Diese
Tat is keen Raubmord nich, vastehste, son-
dern een Ehrenpunkt mit teedlichen Ausjang
un wird von 'n Präsidenten des Oberkriegs-
jerichts unter de Amnestie jerechnet. Darum
sage ick, wenn det Volk sich unfern Adel zum
Vorbild nehmen wirde, denn wirden nich halb
so ville schwere Jungen, dafor aber doppelt so
ville Kavaliere in de Welt rumloofen. Schon
alleen aus diesem kriminalstatistischen Jrnnde
muß der Adel uns janz entschieden erhalten
bleiben.
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,
an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Zur gefälligen Beachtung!
Redaktionelle Einsendungen können im Falle der
Richtannahinc nur zurückgesandt werden, wenn Rück-
porto bcigefügt ist! Die Redaktion
RedaktionSschlub 22. August 1922,
Bayerische Erholung
„Gönnen Sie sich gar keine Erholung beim Steinklopfen?"
„Doch, i tu ab und zu auf die Saupreußen schimpfen!"
Lobelspäne
In London schwand das Renommee
Des Hohen Rats, Das Komitee
Vom Horneberger Schießen
Ließ grüßen
Die Konferenzen folgen schnell
Wie Pferde auf dem Karussell;
Nur ist kein Ziel zu sehen
Beim Drehen.
Europa zeigt ein neues Bild:
Des Mittelalters Faustrecht gilt,
Vom zwanzigsten Jahrhundert
Bewundert!
■k
Vor hundert Jahren wurden die ersten ägyptischen Hieroglyphen
entziffert. Wie lange wird man an den Rätseln des Versailler Friedens
herumbuchstabieren müssen? *
Es tobt wie unter Nikolaus
Der Blutrausch sich in Moskau aus.
Man war nicht kommunistisch.
Man war da echt zaristisch.
Es bräunt' sich selbst der Schande Mal
Das vorgeschobne Tribunal
Der russischen Diktatoren —
Das Echo murmelt: Toren.
Das Todesurteil, das ihr jetzt
In Haß und Hetze durchgesetzt,
Ist eine blinde Rache:
Es trifft auch —eure Sache.
★ '
„Der Jacob ist auch nicht mehr so billig," seufzte meine Aujuste.
„Ich will auch nich den billijen Jacob voin Mühlendamm," erklärte
ick, „sondern den Wahren Jacob."
Dein getreuer Säge, Schreiner.
Die schlechte Zeit
Mein Kaufmann ist ein braver Mann,
Voll biedrer Frömmigkeit,
And er verflucht so ost er kann.
Die heut'ge schlechte Zeit.
Wohl nie hat er mich überzeugt.
Trotz aller Worte List,
Doch jetzt gesteh' ich tiefgebeugt.
Daß er im Rechte ist!
And wie mir die Erleuchtung kam?
Es war so einfach, ach, —
Den Zucker, den ich von ihm nahm,
Wog ich zu Lause nach.
Da Hab' auch ich die Zeiten hier
Verflucht mit gutem Grund,
Denn an dem Kilo fehlte mir
Genau ein viertel Pfund! — Willy Bünger
Verlust und Deckung
Die ganze Stadt sprach davon, daß Klaus
Hinrich Sartorius am Wend in der Straßen-
bahn seine Geschäftsmappe mit zirka 750000
Mark Inhalt habe liegen lassen.
Am nächsten Morgen traf ihn ein Bekannter
und bemitleidete ihn.
„Lassen Se man," sagte Sartorius, „eben
bin ich dabei, sie mir wieder zu holen!"
„Nun, da haben wir ja einen Weg. Ich will
auch zum Fundbureau."
„Zum Fundbureau?" sagte der würdige
Sartorius, „nee, zum Fundbureau will ich
nich, der Weg ist mir zu weit, zur Börse
gehe ich . . ." tV.
Lieber Jacob!
Et is 'n wahrer Sejen, bet wir dunnemals
im November nich unfern Adel abjeschafft je-
habt haben. Denn erstens jetzt det ieberhaupt
nich, weil der richtije Adel, ebentso wie de rich-
tije Dummheet, eenen von Jeburt anjeboren is
un immer wieder durchschlägt. Wenn de eenen
Käsekopp zum Professor ernennst, denn bleibt
er trotzdem een Dämelack, un wenn de eenen
Edelmann aus 'ne alte durchwachsene Familje
det „von" streichen tust, denn ändert det nischt
an seine sonstijen Vorziege. Diese sind nich
auszurotten un bestehen besonders aus be-
gnadigte Jeistesjaben un jute Sitten. Wat de
Jeistesjaben anbetrcfft, so haben wir diese bis
zu'n NovembeL in de verschwendcrischte Weise
jenossen, indem det de janze deitsche Diplo-
matie sich aus'n Adel zusammensetzte. Wo
wären wir aber, lieber Jacob, wenn wir diese
Diplomatie nich jehabt hätten? Iber die juten
Sitten brauche ick keen Wort nich verlieren,
denn die stoßen eenen allenthalben von selber
in't Ooge. Wer jedient hat, der kennt se von
Kasernenhof, un det iebrije Volk lernt ihnen
uff de Friedrichstraße kennen, besonders in de
Ajrarierwoche, wo der richtije durchwachsene
ländliche Adel in seine edelsten Erscheinungen
ufftritt. Mit Recht verlangt der deitsche Edel-
mann, det seine Sitten for de jesamte Unter-
tanenschaft vorbildlich sollen sind. Zum Bei-
spiel, mein Freund Edeward hat mir Rind-
vieh jeschimpft. Denn haue ick ihm in de Fresse
un derf keenen Anspruch erheben, det de an-
wesende Oogenzeijen mir deswegen for keen
Rindvieh, sondern for'n Kavalier estimieren.
Im Jejenteil, et kann leicht sind, det der
Budiker mir rausschmeißt un ick in't janze
schles'sche Viertel blamiert bin. Wenn aber
een Adelijer eenen anderen Rindvieh schimpft,
denn sehen se sich jeder eenen Zilinder uff un
fahren beede in zwee verschiedene Droschken
erster Jiete in Jrunewald oder in de Jumpfern-
heide un schießen sich uff Kommando jejenseitig
in de Plauze oder ooch zwee Lecher in de Atmo-
sphäre. Un wenn det jeschehen is, denn is
det Rindvieh uff eenmal keen Rindvieh nich
mehr, sondern een in de Plauze jeschossener
Ehrenmann. Oder een anderes Beispiel: Een
schwerer Junge aus de eenfachen Stände will
eenen um die Ecke bringen, um ihm de Uhr
un det Portemonnö zu klauen. Denn befer-
dert er ihm eenfach un formlos in't Jenseits
un wird wejen Raubmord zum Tode ver-
urteilt. Wenn aber een Edelmann sich eenen
seine Frau aneignen un ihm zu diesem Zweck
det Jas abdrehen will, denn nimmt er sich
noch 'n zweeten mit, un se lootsen beede den
Betreffenden an 'n verschwiegenen Ort, wo
se ihn kalt machen un jleich bejraben. Diese
Tat is keen Raubmord nich, vastehste, son-
dern een Ehrenpunkt mit teedlichen Ausjang
un wird von 'n Präsidenten des Oberkriegs-
jerichts unter de Amnestie jerechnet. Darum
sage ick, wenn det Volk sich unfern Adel zum
Vorbild nehmen wirde, denn wirden nich halb
so ville schwere Jungen, dafor aber doppelt so
ville Kavaliere in de Welt rumloofen. Schon
alleen aus diesem kriminalstatistischen Jrnnde
muß der Adel uns janz entschieden erhalten
bleiben.
Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,
an'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Zur gefälligen Beachtung!
Redaktionelle Einsendungen können im Falle der
Richtannahinc nur zurückgesandt werden, wenn Rück-
porto bcigefügt ist! Die Redaktion
RedaktionSschlub 22. August 1922,