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10626

Du musst, wenn alles stürzt, auf deinem Stolz bestehen!
Verrat, Verkauf wird glatt an dir zerbrechen,
Verleumdungen wie schwarzer Wind verwehen,

Die Toten werden zu dir aus den Gräbern sprechen.

Die Fahnen werden sich wie Abendwolken bauschen,

Die aufblühn nach den sturmdurchkämpflen Tagen,

Die Helden werden wie die grossen Meere rauschen
Und dumpf mit ihrem Blut an deine Seele schlagen.

Zu leicht, mein Freund, isfs, immerfort zu steigen,

Im Angesicht den Tanz'von schönen Sternen,

Du wirst im Absturz, wenn die Sphären schweigen,

Den Sinn der Welt begreifen lernen.

^ ÜBERSCHLAG

Von MAX BARTHEL

Die Adler steigen auf zum Licht mit erzenem Gefieder,
Der Hunger stösst sie auf das Leichenfeld der Erde,

Doch sie erheben sich und steigen immer wieder,

Dass den Verzweifelten ein grosses Schauspiel werde.

Wir zerren herrisch an der Hungerschlinge
Und kämpfen mit dem Schicksal, das uns meistert,

V/ir hämmern unsern Schädel an die Rätsel aller Dinge:
Wir wollen wissen, was uns hoch begeistert!

Es wird wie wir mit nackter Haut geboren!

Wir reissen es heraus aus seinen Purpurhüllen!

Die Riegel springen kreischend von den letzten Toren:

Du hörst die Engel und die Teufel schamlos brüllen.

Beethoven-Sonate

Nach einer wahren Begebenheit (aber wirklich I)
von Friedrich Wendel

Allegro

Vor zwanzig Jahren war einmal ein Mann
non eigener Art, einer, dem- des Deutschen
Reiches Herrlichkeit allzu stinkig geworden war,
so daß er sich in seiner Mansarde von der ver-
ehrlichen Umwelt abschloß und sich und feinem
Ideal lebte, wie man so zu sagen pflegt. Die-
ses Ideal war Beethoven, den er mit einer
Meisterschaft zu spielen verstand, die zwar be-
triebsamen Konzertagenten hin und wieder ein
schönes Stück Geld, ihm selber aber nichts der-
gleichen eintrug.

Der Mann bedankte sich schließlich dafür,
als Kanarienvogel der besseren Gesellschaft
fungieren zu sollen, und kam natürlich her-
unter. In seiner Mansarde stand schließlich
außer einer vom Müllplatz bezogenen Feld-
bettstelle nur noch der ideal schöne Steinway-
Flügel, den-zu halten er hungerte und darbte.

Aber der Tag kam, an dem festgestellt wurde,
daß dieser Flügel im Sinne der deutschen Pfän-
dungsbestimmungen nicht mehr als beruflich
nötiges Inventar anzusehen war und somit der
Pfändung verfiel. Daß der Mann ans Knien
den Gerichtsvollzieher bat, ihm das Instru-
ment zu lassen, kann nur als Beweis seiner
Weltfremdheit angesehen werden.

Als nun derFlügel fortgetragen wurde, brach
dem Manne etwas im Innern, er ging auf
und davon und ward Landstreicher, Stromer,

Bruder Grün

Penner, wie man zu sagen pflegt, ein Ver-
lorener, ein notorisch Arbeitsscheuer, ein In-
dividuum, wie man zu sagen pflegt.

Intermezzo

Im Herbst des Jahres 1921 nahm sich der
Bauernhofbesitzer Emil August Veelbrägen zu
Kaserow in Hinterpommern zehn Zigarren-
kisten voll Hundertmarkscheine unter den Arm
und erstand in einer ihm empfohlenen Hand-
lung der Provinzialhauptstadt einen Steinway-
Flügel.

Als Zimmerschmuck.

Denn mit dem Reichtum ist den deutschen
Bauern auch das ästhetische Bedürfnis ge-
kommen.

Der Flügel stand da, wurde viel bewundert,
und Emil August Veelbrägen bekam manche
Neider.

Gespielt wurde nicht auf dom Flügel. Oder
doch, manchmal: wenn Veelbrägen besoffen
nach Hause kam und zu den diversen National-
hymnen sich die Begleitung mit dem rechten
Finger zusammensammelte.

Adagio

Im Sommer 1922 kam der oben erwähnte
Mann durch Kaserow und klopfte schnorrender-
weise auch an Veelbrägens Tür.

Man reichte ihm eine Gabe. Er erblickte den
Flügel, bat, das Instrument betrachten zu
dürfen, trat näher, stutzte über verschiedene
Schnitzereien und erkannte in dem Flügel jenen,
der ihm einst gepfändet worden war.

Er ließ sich ergriffen nieder, die Hände zuck-
ten in die Tasten und aufklang Beethovens
Sonate Pathötique mit ihren lodernden, stür-
menden Klängen, mit ihrem Adagio, das den
Dreck der Welt vergessen machen kann.

Als er geendet, schlug er die Hände vors
Antlitz und weinte bitterlich.

Finale

Da der Bauernhofbesitzer Emil August Veel-
brägen ihn also weinen, sah, trat er auf den
Fremdling zu und sagte:

„Worüm hulst du denn?"

Jener, mehr für sich als für die ihn um-
gebenden Kaffern, begann seine und des In-
strumentes seltsame Geschichte zu erzählen.

Als er geendet, sagte Veelbrägen:

„Tjä wenn man nix kann, wardt man ook
nix! Wat — bat fall Klavierspeelen west sin?
Sühst, wenn du würklich harst speelen künnt,
har'k di för de Jören bi mi in Lohn un Brot
nahmen, öwer so — dat was ja 'n Quark, wat
du speelt hest! Maak, dat du wider kümmst,
Landströger!"

Klappte den Flügel zu, schloß den Deckel
ab und steckte den Schlüssel ins Portemonnaie.

Kreisblätter

Die preußische Regierung will es sich nicht
mehr gefallen lassen, daß die Kreisblätter die
amtlichen Bekanntmachungen, die sie an der
Spitze bringen müssen, im weiteren Text ver-
hohnepiepeln. Nun winden Verleger und Re-
dakteure sich sowohl in Gewissens- wie Ge-
schäftsnöten. DerKriegerverein und der deutsch-
nationale Heringshändler Teutobald Schulze
drohen mit Abbestellung und Jnseratenentzug.
Der Bauer Friedrich Wilhelm Lehmann er-
klärt, seine Ferkel in einem republikanischen
Blatt nicht zum Verkauf ausbieten zu können,
und der Pastor Gottfried Sanftleben „bedauert
aufrichtig, die auf wirklich christlicher Grund-
lage beruhenden Sonntagsbetrachtungen ein-
stellen zu müssen". Die Oberlehrerin Jungfrau
Amalie Süßkind schreibt: „Eine weitere Ver-
öffentlichung meiner Liebeslyrik an einem sol-
chen Ort müßte ich als eine Entweihung meiner
tiefsten Seelengeheimnisse empfinden." Junker
von Großschnut schickte bloß eine Postkarte:
„Schlappschwänze!" Dazu sagt das Blatt:
„Wir sind ein Kreisblatt. Ein Kreis ist rund.
Die Erde ist es auch und die Weltgeschichte
ebenfalls. Wir gehen also einfach im Kreise
mit den Zeitläuften und bitten alle unsere
verehrten Leser, Mitarbeiter und Gönner, fest
davon überzeugt zu sein, daß wir auch im
Falle einer Wandlung der politischen Verhält-
nisse wieder an der richtigen Stelle stehen wer-
den! Der Kreis ist wie gesagt rund. Warum
nicht auch ein Kreisblatt??" p.

Der Amtsschimmel

Das zähe Vieh überdauert alle Regierungsformcn.
 
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