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10628

Schicksalsfrage

Lloyd Georg-Gretchen: „Ponicars liebt mich — von Lerzen
mit Schmerzen — gar nicht-"

Normal

Herr Generaldirektor Bergmann schwärmt
für Sozialhygiene und hat bei seinen Aktio-
nären die Anstellung eines Werkarztes durch-
gesetzt. Der Mann nahm alsbald eine Unter-
suchung der Belegschaft vor, deren Ergebnis
er in den Worten zusammenfaßte: „Die ge-
samte Belegschaft ist unterernährt!"

Herr Generaldirektor Bergmann verfehlte
nicht, dies Gutachten der nächsten Aktionär-
versammlung vorzulegen. Nur drückte er den
Befund in etwas anderen Worten aus:

„Nach ärztlicher Feststellung ist der Ernäh-
rungszustand der Belegschaft normal!"

Gegen die Schlemmerei

Aus dem „Palais lumineux“, in dem man
allabendlich die Bourgeoisie Deutschlands unter
der Last des Friedensvertrags zusammenbrechen
sieht, flogen neulich innerhalb einer halben
Stunde heraus:

1. Die zwölfjährige Gemeindeschülerin Grete
Schulz, die Streichhölzer feilzubieten versuchte,

2. die 62jührige Sozialrentnerin Luise Leh-
mann, die um ausgekochten Kaffeegrund nach-
zufragen erschienen war,

3. der zu 70 Prozent erwerbsbeschränkte
Kriegsinvalide Fritz Lemke und

4. dessen Krücken.

Das fiel auf, und interessierte Leute fragten
den Inhaber des „Palais lumineux" nach Grund
und Ursach.

„Bitte," erklärte der, „bitte: dem Ärgernis
erregenden und widerlichen Treiben in den
Schlemmergaststätten soll Einhalt geboten
werden!" w.

TJnvetwüß'ufgtt Jöptmiämud

(Ed liegt bit ffjufunft ßöd oerfdtleiert,

Tlab niemand weiß, motjin bad füßrt,

'Wenn Dbrat unb Jfleifcl) fieß fo verteuert
Unb fid) fein Elrm gut ßilfe rtitjrt.

Ulan fließt und Langfam an die 'Jbforte,
10o bie Uergmeiflung grinfenb winft,
Droß all bet Jiraft* unb Droßungdworte■,
Don denen jebed @d}mofßlatt fünft.

Da fcfjweift bet EÖlid bed Qbicbermanned
jfinauf gu fe'med Jiaifetd Uilb,

<Et feufgt ßeflemmt: Dtur biefet fann ed,
<£Di ift’d, bet alle Diäte füllt.

<EDi wirb bie Düngetfäufle geigen
Unb ßautDoincare aufd Jößt, .

Dann wirb ber JItarffurd mieber fteigen,
Unb ed wirb fjetrütfj wie guuor.

Ferdinand Madlinger

Vom Zucker

August Bunke, Zucker en gras, zog sich mit
fünfzig Millionen ins Privatleben zurück und
übergab seinem Altesten das Geschäft.

„Man wird deine Tätigkeit anfeinden, mein
Kind," sagte er, „man wird dir sagen, es sei
ein Skandal, die armen Leute auszupowern.
Gib nichts darauf! Die Leute, die so sprechen,
haben keine Ahnung, wie die Dinge wirklich
liegen. Bedenke immer, wenn du die Preise
erhöhst, daß das arme Volk dadurch ja gar
nicht betroffen wird. Das arme Volk leistet sich
keinen Zucker. Dafür hat dein Vater gesorgt.
Du brauchst keine Bedenken zu haben!"

Die moralische Lenne

Drei Fabeln von Ernst Preczang

Da krähte ein junger Hahn im Hühnerstall'
dem konnte der Morgen nie zeitig genug
kommen. In der allerersten schwachen Dämme-
rung schon erhob er seine helle Stimme. Die
alte Henne hätte gern noch ein wenig in ihrer
Ecke auf der Stange genickt; darum grollte
sie ärgerlich: „Halt deinen vorlauten Schnabel,
du Kiekindiewelt! Aber, wie junge Geschöpfe
nun einmal sind: der Hahn hörte nicht auf sie.
Mitten in der Nacht schmetterte er sein gellen-
des Kikeriki hinaus. „Das wird dir übel be-
kommen, du Gör!" sagte die Henne. „Du störst
die Herrschaften im Schlafe. Laß dich warnen!"
Er ließ sich aber nicht warnen, krähte nur noch
srecheb und lauter als vorher. Eines Morgens
griff eine grobe rote Hand in den Stall hinein,
holle den jungen Hahn heraus und drehte ihm
so schnell das Genick herum, daß sein lustiger
Morgengruß in einem jähen Röcheln erstarb.

„Hab' ich's nicht gesagt?" Die alte Henne
rollte mit den Augen, hob die Pfote und
mahnte die anderen, die zitternd auf den
Stangen saßen: „Seid bescheiden!"

*

Der Besitzer des Hühnerstalles besaß zwar
Reichtümer, aber noch mehr Sparsamkeit. Ihn
ärgerte das teure Korn, und je höher es im
Preise stieg, desto weniger Futter streute er.
Da verloren die Hühner die Lust am Eier-
legen. Je geringer ihre Rationen wurden, desto
mehr schränkten sie die Produktion ein. Na-
mentlich eine der jüngeren Hennen erklärte
trotzig, das nächste Ei werde erst dann ihren
Körper verlassen, wenn sie sich wieder einmal
wirklich sattgegessen habe. „Wie kannst du so
lästerlich reden!" gackerte die alte Henne. „Wir
sind zum Eierlegen in die Welt gesetzt und
haben unsere Pflicht bis zum letzten Atemzuge
zu erfüllen! Die junge Henne verharrte dennoch
i» ihrer Verstocktheit. Bis eine grobe rote Hand
zornig unter das Geflügel fuhr und es kreischend
und gackernd auseinanderstob. Nur das trotzige
Huhn war gefangen; es mußte noch in der-
selben Stunde sterben.

„Hab' ich's nicht gesagt?" Die alte Henne
erhob die Pfote und rollte mit den Augen:
„Seid fleißig!" ^

Sie selber gedieh trotz der spärlichen Fütte-
rung; denn sie wußte aus langer Erfahrung,
wo es die größten Käfer und dicksten Regen-
würmer gab. Sie scharrte von Sonnenauf- bis
Sonnenuntergang und wurde fett und beleibt
dabei.

Eines Tages hielt die Köchin Umschau unter
den Hühnern nach einem guten Sonntags-
braten und lockte sie mit einem heuchlerischen
„Putt putt, meine lieben Hühnerchens, putt
putt" heran. Die jüngeren blieben in einiger
Entfernung stehen. Nur die alte Henne nahte
sich vertrauensvoll. „Ja," sagte die Köchin,
„du bist die beste, du hast was auf den Rip-
pen" und packte zu. Die alte Henne zappelte
erst ein wenig; dann verhielt sie sich ganz still
und ergeben. Ja, als schon das blanke Messer
über ihrem Kopse funkelte, versuchte sie noch
die Pfote zu heben, rollte matt mit den Augen
und röchelte mit ersterbender Stimme: „Seid
gehorsam!"

Und wie alles im Leben seinen gerechten
Lohn findet, so geschah es auch ihr. Als der
Herr des Hühnerstalles beim Sonntagsbraten
saß und gerade jene Keule abknabberte, die
sie so oft warnend erhoben hatte, troff ihm
das Fett aus den Mundwinkeln, und er stöhnte
genußbegeistert: „Ein prächtiges, ein wirklich
anständiges Huhn!"
 
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