10638
Drei Märchen
aus Tausendundeine Nacht
Neu bearbeitet von P. E.
Mi Mustapha und die vierzig Räuber
In einer Stadt Kleinasiens lebte einst ein
reicher Mann namens Ali Mustapha. Er tat
keinem Menschen etwas Böses und gedachte,
bis ans Ende seiner Tage in Frieden zu leben.
Aber eines Tages kam eine Räuberhorde,
überfiel die Stadt und raubte und plünderte
alles aus. Die Räuber ivaren von fremdarti-
gem Aussehen und sprachen allerlei unbe-
kannte Sprachen, die Allah in
seinem Zorn erfunden hat.
Nur das Wort „Zivilisation"
wurde von einem gelehrten Prie-
ster des öfteren gehört. Und ein
großer Grimm erhob sich gegen
die „Zivilisation", die offenbar
die Göttin der schurkischen Räu-
ber war.
Vierzig Tage und Nächte trau-
erte Mustapha in Sack und Asche
über den Verlust seines und seiner
Brüder Guts. Dann begab er sich
mit seinem mageren Esel, den die
Räuber geringschätzig verschmäht
hatten, in den Wald, um Holz
für die Küche zu holen.
Da sah er in der Ferne eine
Staubwolke und in derselben eine
Schar Reiter. Schnell jagte er
seinen Esel von dannen und klet-
terte auf einen Baum.
Kaum saß er oben, als die
Reiter heransprengten und unter
dem Baum abstiegen. Es waren
ihrer vierzig bis an die Zähne
bewaffnete Leute, in denen Ali
Mustapha zu seinem Schrecken
die. Räuber von neulich wieder-
erkannte.
Sie gingen auf einen großen
Felsen zu, der dem Versteck Ali
Mustaphas gegenüberlag. Bor
dem Felsen standen sie still und
riefen laut: „Mohammed, öffne!"
Darauf tat sich der Felsen auf
und Ali Mustapha sah Schätze
vor sich ausgebreitet, von deren
Anblick seine Augen geblendet
wurden. Es war die Beute, die
die fremden Räuber im ganzen
Lande gemacht hatten, da der
Kalif ein kranker Mann war und
sie nicht abwehrte.
Der Lauscher erkannte auch die
Schätze, die man seiner Stadt
geraubt hatte, und sah das goldene Horn, das
man der Moschee abgenommen, wieder. Er
nahm sich vor, den Zauberspruch der Räuber
zu wiederholen, wenn sie den Rücken gekehrt
hätten. Bald traten die Räuber wieder heraus,
riefen: „Mohammed, schließe zu!" und ritten
davon.
Sofort war Ali Mustapha vom Baum herab
und rief: „Mohammed, öffne!" Nur rief er
es viel lauter und in der Sprache Mo-
hammeds!
Da riß der Felsen auseinander und offen-
barte seine Schätze. Ali Mustapha aber ritt
eilends nach Hause und holte die Städter
herbei, die sich mit festen Knütteln bewaff-
neten. Dann begaben sie sich in die Höhle,
die sich auf den Zauberspruch zutat.
Und am nächsten Tage wurden die Räuber,
als sie wiederkamen, von den ergrimmten
Städtern überfallen und so jämmerlich zer-
bläut, daß sie das Wiederkommen vergaßen
und auf das goldene Horn verzichteten.
Geschichte vom Fischer und dem Geist
Es lebte vor vielen Jahren am Ufer des
Meeres ein armer Fischer, der kümmerlich vom
Ertrag seines Gewerbes lebte. Nur ein Erb-
stück — ein Gebetteppich aus Smyrna — den
er immer bei sich trug, war ein Wertgegen-
stand seiner bescheidenen Habe.
Eines Tages begab er sich wie gewöhnlich
an den Strand und warf sein Netz aus. Als
er es wieder heraufzog, fand er statt der Fische
eine griechische Weinflasche darin, die fest ver-
schlossen und mit dem heiligen Paragraphen-
zeichen versiegelt war.
In der Flasche aber saß ein kleines, beschei-
denes Männchen, das ihn kläglich anschrie:
„Laß mich heraus! Laß mich heraus!"
„Wer bist du?" fragte der Fischer.
„Ein verzauberter Mensch!" schrie es aus
der Flasche. „Mir ist prophezeit worden, wenn
ich auf dem Smyrnateppich eines armen
Fischers knien darf, bin ich gerettet."
Der.Fischer zögerte noch. Da winselte das
Männchen: „Ich will dich herrlich belohnen
und dir nützlich sein und auch bei der Arbeit
helfen."
„Wirst du mir auch nichts Böses tun, wenn
ich dich heraus und auf meinen Smyrnateppich
lasse?" fragte der Fischer, der viel von bösen
Geistern gehört hatte.
Aber das Männchen schwor ihm bei dem
heiligen Paragraphenzeichen ewige Freund-
schaft. Es wurde vom Fischer befreit und auf
den Smyrnateppich gestellt.
Und allsogleich nahm es eine erschreckend
hohe Gestalt an und drang drohend auf den
Fischer ein: „Ich bin ein mächtiger Zauberer
und hinter mir steht ein noch viel Mächtigerer.
Ich werde dich zertreten, du Wurm!"
Ängstlich fiel der Fischer in die Knie. „Wer
bist du, daß du dich nicht an das hochheilige
Paragraphenzeichen gebunden fühlst?"
„Erzittere! Ich bin der Zauberer Kon-
stantin und mich beschützt der noch mäch-
tigere Zauberer John Bull!"
Da nahm der Fischer all seinen Mut zu-
sammen und sagte: „Ich kann
nicht glauben, daß du derselbe
bist, der in der griechischen Wein-
flasche Platz hatte."
Der böse Zauberer lachte. „Ich
will dir meine Macht zeigen."
Und er schrumpfte zusammen und
kroch in die Flasche zurück.
„Siehst du nun, was ich alles
kann?"
„Jawohl," sagte der Fischer
und stopfte eilends den Korken
drauf und machte zu dem hei-
ligen Paragraphensiegel noch ein
eigenes dazu. Denn sicher ist sicher.
Und wie der überlistete Zau-
berer nun auch bat und drohte,
der Fischer warf die Flasche im
weiten Bogen in das Meer, dar-
aus sie gekomnien war.
„Begnüge dich fernerhin mit
deiner engen griechischen Wein-
flasche, du Gernegroß!" sagte er
dabei vergnügt. „Und auf deinen
mächtigeren Beschützer John Bull
pfeife ich."
Und er war fortan befreit von
diesem faulen Zauber.
Die 1002. Nacht
In der 1002. Nacht begann
Scheherazade wiederum zu er-
zählen.
Da sagte der Sultan: „Liebes
Kind, du beginnst mich zu lang-
weilen."
Scheherazade fiel erschreckt auf
die Knie, denn sie dachte, daß
nun ihr Hals verfallen sei. „Du
warst doch bisher mit mir zu-
frieden, o Herr?"
„Ja," sagte der Sultan, „da
war ich noch nicht so verwöhnt
und ich mußte mich mit deinen
Geschichten von Geistern, Zau-
berern und Abenteuern begnü-
gen. Aber jetzt hat's geschnappt. Ich kenne
jetzt ganz andere Wunder." Der Sultan strich
seinen Bart und fuhr fort: „Ich habe mir vom
Großwesir die Zeitungen der Fremden vor-
lcsen lassen, da stehen ganz andere Wunder
drin. Dort haben sie einen Gott, mächtiger als
all deine Geister. Der ist weitab, durch Meere
getrennt, und nimmt den Leuten in der Ferne
das Fleisch vom Teller und das Kleid vom
Leibe und das Holz aus dem Ofen. Und seine
Priester haben dicke Bäuche. Aber die Hungern-
den und Frierenden mästen diese Bäuche weiter-
hin, anstatt daß sie diesem fernen fürchterlichen
Gott entsagen und einen anderen nehmen. Der
Gott heißt Dollar," schloß der Sultan. „Aber
ich will dir verzeihen, daß du von diesen Wun-
dern nichts weißt. Ich habe sie selber anfangs
nicht geglaubt."
Er machte sie zu seiner Gemahlin, und sie las
ihm fortan aus den Zeitungen der Fremden vor.
Kapuk geschlagen
Das Sevres-Porzellan ist kaput. Auch andere Stücke aus der Enlenle-
Manufaklur werden ihre Zerbrechlichkeit erweisen.
Drei Märchen
aus Tausendundeine Nacht
Neu bearbeitet von P. E.
Mi Mustapha und die vierzig Räuber
In einer Stadt Kleinasiens lebte einst ein
reicher Mann namens Ali Mustapha. Er tat
keinem Menschen etwas Böses und gedachte,
bis ans Ende seiner Tage in Frieden zu leben.
Aber eines Tages kam eine Räuberhorde,
überfiel die Stadt und raubte und plünderte
alles aus. Die Räuber ivaren von fremdarti-
gem Aussehen und sprachen allerlei unbe-
kannte Sprachen, die Allah in
seinem Zorn erfunden hat.
Nur das Wort „Zivilisation"
wurde von einem gelehrten Prie-
ster des öfteren gehört. Und ein
großer Grimm erhob sich gegen
die „Zivilisation", die offenbar
die Göttin der schurkischen Räu-
ber war.
Vierzig Tage und Nächte trau-
erte Mustapha in Sack und Asche
über den Verlust seines und seiner
Brüder Guts. Dann begab er sich
mit seinem mageren Esel, den die
Räuber geringschätzig verschmäht
hatten, in den Wald, um Holz
für die Küche zu holen.
Da sah er in der Ferne eine
Staubwolke und in derselben eine
Schar Reiter. Schnell jagte er
seinen Esel von dannen und klet-
terte auf einen Baum.
Kaum saß er oben, als die
Reiter heransprengten und unter
dem Baum abstiegen. Es waren
ihrer vierzig bis an die Zähne
bewaffnete Leute, in denen Ali
Mustapha zu seinem Schrecken
die. Räuber von neulich wieder-
erkannte.
Sie gingen auf einen großen
Felsen zu, der dem Versteck Ali
Mustaphas gegenüberlag. Bor
dem Felsen standen sie still und
riefen laut: „Mohammed, öffne!"
Darauf tat sich der Felsen auf
und Ali Mustapha sah Schätze
vor sich ausgebreitet, von deren
Anblick seine Augen geblendet
wurden. Es war die Beute, die
die fremden Räuber im ganzen
Lande gemacht hatten, da der
Kalif ein kranker Mann war und
sie nicht abwehrte.
Der Lauscher erkannte auch die
Schätze, die man seiner Stadt
geraubt hatte, und sah das goldene Horn, das
man der Moschee abgenommen, wieder. Er
nahm sich vor, den Zauberspruch der Räuber
zu wiederholen, wenn sie den Rücken gekehrt
hätten. Bald traten die Räuber wieder heraus,
riefen: „Mohammed, schließe zu!" und ritten
davon.
Sofort war Ali Mustapha vom Baum herab
und rief: „Mohammed, öffne!" Nur rief er
es viel lauter und in der Sprache Mo-
hammeds!
Da riß der Felsen auseinander und offen-
barte seine Schätze. Ali Mustapha aber ritt
eilends nach Hause und holte die Städter
herbei, die sich mit festen Knütteln bewaff-
neten. Dann begaben sie sich in die Höhle,
die sich auf den Zauberspruch zutat.
Und am nächsten Tage wurden die Räuber,
als sie wiederkamen, von den ergrimmten
Städtern überfallen und so jämmerlich zer-
bläut, daß sie das Wiederkommen vergaßen
und auf das goldene Horn verzichteten.
Geschichte vom Fischer und dem Geist
Es lebte vor vielen Jahren am Ufer des
Meeres ein armer Fischer, der kümmerlich vom
Ertrag seines Gewerbes lebte. Nur ein Erb-
stück — ein Gebetteppich aus Smyrna — den
er immer bei sich trug, war ein Wertgegen-
stand seiner bescheidenen Habe.
Eines Tages begab er sich wie gewöhnlich
an den Strand und warf sein Netz aus. Als
er es wieder heraufzog, fand er statt der Fische
eine griechische Weinflasche darin, die fest ver-
schlossen und mit dem heiligen Paragraphen-
zeichen versiegelt war.
In der Flasche aber saß ein kleines, beschei-
denes Männchen, das ihn kläglich anschrie:
„Laß mich heraus! Laß mich heraus!"
„Wer bist du?" fragte der Fischer.
„Ein verzauberter Mensch!" schrie es aus
der Flasche. „Mir ist prophezeit worden, wenn
ich auf dem Smyrnateppich eines armen
Fischers knien darf, bin ich gerettet."
Der.Fischer zögerte noch. Da winselte das
Männchen: „Ich will dich herrlich belohnen
und dir nützlich sein und auch bei der Arbeit
helfen."
„Wirst du mir auch nichts Böses tun, wenn
ich dich heraus und auf meinen Smyrnateppich
lasse?" fragte der Fischer, der viel von bösen
Geistern gehört hatte.
Aber das Männchen schwor ihm bei dem
heiligen Paragraphenzeichen ewige Freund-
schaft. Es wurde vom Fischer befreit und auf
den Smyrnateppich gestellt.
Und allsogleich nahm es eine erschreckend
hohe Gestalt an und drang drohend auf den
Fischer ein: „Ich bin ein mächtiger Zauberer
und hinter mir steht ein noch viel Mächtigerer.
Ich werde dich zertreten, du Wurm!"
Ängstlich fiel der Fischer in die Knie. „Wer
bist du, daß du dich nicht an das hochheilige
Paragraphenzeichen gebunden fühlst?"
„Erzittere! Ich bin der Zauberer Kon-
stantin und mich beschützt der noch mäch-
tigere Zauberer John Bull!"
Da nahm der Fischer all seinen Mut zu-
sammen und sagte: „Ich kann
nicht glauben, daß du derselbe
bist, der in der griechischen Wein-
flasche Platz hatte."
Der böse Zauberer lachte. „Ich
will dir meine Macht zeigen."
Und er schrumpfte zusammen und
kroch in die Flasche zurück.
„Siehst du nun, was ich alles
kann?"
„Jawohl," sagte der Fischer
und stopfte eilends den Korken
drauf und machte zu dem hei-
ligen Paragraphensiegel noch ein
eigenes dazu. Denn sicher ist sicher.
Und wie der überlistete Zau-
berer nun auch bat und drohte,
der Fischer warf die Flasche im
weiten Bogen in das Meer, dar-
aus sie gekomnien war.
„Begnüge dich fernerhin mit
deiner engen griechischen Wein-
flasche, du Gernegroß!" sagte er
dabei vergnügt. „Und auf deinen
mächtigeren Beschützer John Bull
pfeife ich."
Und er war fortan befreit von
diesem faulen Zauber.
Die 1002. Nacht
In der 1002. Nacht begann
Scheherazade wiederum zu er-
zählen.
Da sagte der Sultan: „Liebes
Kind, du beginnst mich zu lang-
weilen."
Scheherazade fiel erschreckt auf
die Knie, denn sie dachte, daß
nun ihr Hals verfallen sei. „Du
warst doch bisher mit mir zu-
frieden, o Herr?"
„Ja," sagte der Sultan, „da
war ich noch nicht so verwöhnt
und ich mußte mich mit deinen
Geschichten von Geistern, Zau-
berern und Abenteuern begnü-
gen. Aber jetzt hat's geschnappt. Ich kenne
jetzt ganz andere Wunder." Der Sultan strich
seinen Bart und fuhr fort: „Ich habe mir vom
Großwesir die Zeitungen der Fremden vor-
lcsen lassen, da stehen ganz andere Wunder
drin. Dort haben sie einen Gott, mächtiger als
all deine Geister. Der ist weitab, durch Meere
getrennt, und nimmt den Leuten in der Ferne
das Fleisch vom Teller und das Kleid vom
Leibe und das Holz aus dem Ofen. Und seine
Priester haben dicke Bäuche. Aber die Hungern-
den und Frierenden mästen diese Bäuche weiter-
hin, anstatt daß sie diesem fernen fürchterlichen
Gott entsagen und einen anderen nehmen. Der
Gott heißt Dollar," schloß der Sultan. „Aber
ich will dir verzeihen, daß du von diesen Wun-
dern nichts weißt. Ich habe sie selber anfangs
nicht geglaubt."
Er machte sie zu seiner Gemahlin, und sie las
ihm fortan aus den Zeitungen der Fremden vor.
Kapuk geschlagen
Das Sevres-Porzellan ist kaput. Auch andere Stücke aus der Enlenle-
Manufaklur werden ihre Zerbrechlichkeit erweisen.