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Teuerungszeit-Beispiel
„Papa, was ist eigentlich eine Sensation?"
„Na, wenn zum Beispiel heutzusage ein
Fettauge auf der Suppe schwimmt."
Potsdam
Ein holländischer Postbeamter, der Pots-
dam besuchte, nahm in seinem Notizbuche eine
Reihe von Grüßen an den deutschen Exkron-
prinzen mit, die von Potsdamer Postbeflissenen
auf ihren brennenden Wunsch dort eingetragen
wurden. Es waren „ehrfurchtsvolle", „herz-
liche", „treudeutsche" — namentlich „treu-
deutsche" — Grüße an die „Kaiserliche Hoheit",
in einem Falle sogar an „Eure Majestät".
Majestät war Fritze Willem zwar nicht, ist
er auch nicht, aber wir hoffen das Beste, lieber
Leser. In Potsdam gibt man die Hoffnung so
leicht nicht auf.
Potsdam ist nämlich eine Stadt für sich.
Es hat ein holperiges Pflaster, aber glatte
Gesichter. Zahlreicher als an irgendeinem an-
deren Ort der Welt. Es hat schöne Parks und
Gewächshäuser, in denen seltsame Pflanzen ge-
züchtet werden. Und es hat Schlösser, in denen
seit Jahrhunderten eine besondere
Spezies Menschen gezüchtet wird:
Männer, denen kein Bart wächst
und keine eigene Gesinnung; Frauen,
deren Seele dauernd im Hofknix ver-
harrt.
Die Darwinsche Theorie von der
Anpassung der Arten könnte in Pots-
dam erdacht sein. Hier entwickelte
sich zum Beispiel der menschliche
Bückling in ausgeprägter Schönheit.
Er charakterisiert sich durch eine
merkwürdige Eigenschaft: je höher
die Türen sind, die er passiert, desto
tiefer bückt er sich. Und da es in
Potsdam sehr hohe Türen gibt, sank
Generation um Generation tiefer
zusammen.
Auf diese Weise kam ein Geschöpf
zustande, das im Kreuz einen einge-
frorenen Flitzbogen trägt. Die Augen
lugen ehrfurchtsvoll und untertänig
nach oben und sind allmählich bis
dicht unter die Haargrenze gerutscht.
AufdieseWeise verschwand die Stirn,
die als Hirnwand ohnehin überflüs-
sig geworden war, da der Schädel
nur noch einen Begriff: „treudeutsch"
beherbergt. Darunter -versteht der
menschliche Bückling die andächtige
Anbetung Potsdamer Schloßgötzen
— auch wenn sie abwesend sind.
Es ist schade, daß die Revolution
die weitere Entwicklung dieses inter-
essanten Naturphänomens. unter-
brach. Wer nach Potsdam kommt,
sollte nicht versäumen, sich die noch
vorhandenen Prachtexemplare.des
treudeutschen Bücklings eingehend
anzuschauen. Sie werden bald nur
noch in den Museen zu sehen sein
— in geräuchertem Zustande na-
türlich. p.
Augsburg, Gera, Nürnberg
(Sehr frei nach Schiller)
O O
Drei Worte nenn' ich euch, klar und rein.
Sie klingen von Munde zu Munde.
Aus, Sozialisten, schließt die Neih'n!
Wer wollte nicht beim Werke sein.
Bei diesem heiligen Bunde?
Rur einer steht auf einsamer Flur:
Der grollende, schmollende Ledebour.
In Augsburg, Gera, Nürnberg ward
Der Bund der Arbeitsgenossen
Zum Bund der Kampfgenossen und harrt
Der entscheidenden Stunde der Gegenwart.
Die Phalanx wurde geschlossen —
Nur einer blieb draußen in der Natur:
Der murrende, knurrende Ledebour.
Er weiß der Zeiten Arzenei:
Er hat cs sich selber bescheinigt
And — Hokuspokus, eins, zwei, drei —
Die große Ledcbourpartei
Nun in sich selber vereinigt!
Falls nicht durch „einstimmigen" Beschluß
Sie bald sich selber — spalten muß. Aha
Reineke Fuchs verboten
Auf einen Zentrumsantrag hin wurde Goethes.Reineke Fuchs" als unmoralisch
und kirchenfeindlich aus den Danziger Schulbiblioiheken entfern«.
Geistige Arbeiter
„Zahlen Sie mehr," sagte der unglückliche
Dichter zum Verleger, „der Brotpreis wird im
Januar auf 100 Mark steigen!"
„Ja, was denn, das wird Sie doch nicht
berühren. Bis dahin sind Sie doch längst ver-
hungert!"
Der Zweimarkschein
Es war im „Klub 1920", einer Auslese und
Vereinigung nur allertüchtigster Bürgertugend.
Herr Palleske hatte sehr gut gegessen.
Er erhob sich mühsam und wandte sich zum
gehen. Plötzlich schien ihm etwas eingefallen
zu sein. Er blieb stehen, zog die mehrpfündige
Brieftasche, blätterte und blätterte in den Tau-
sendmarkscheinen, kopfschüttelnd, leise mur-
melnd. Schließlich rvandte er sich an die an-
wesenden Klubmitglieder:
„Sagt mal, Kinder, hat nich eener 'n Zivee-
markschein bei sich?"
Man sah nach. Man durchstöberte die Mil-
lionenbeträge der Taschen, man blätterte und
blätterte — Tausendmarkscheine wie Schnee-
flocken, kein Zweimarkschein!
„Verflucht," sagte Herr Palleske,
„ick mich nämlich uff so 'neu Alters-
hilfen-Rummel-ach Quatsch,
bleib' ick eben hier!"
Anker Schiebern
„Nu, was is, man hat Sie ja so
lange nicht gesehen!"
„Ich war sechs Monate lang ver-
reist!"
„Nanu, hat man Ihnen denn
keine — Bewährungsfrist zusprechen
wollen?"
Reineke blickte noch einmal zum Danziger Ratsturm, sbreitet,
„Bin ich", sprach er, „nicht mehr der Schalk, der Lachen ver-
Wo ein kerniges Lerz nur schlug an kräftige Nippen?
Sündhaft soll ich sein, hoho, und Verderber der Jugend?
Nicht mal Isegrimm hat, der Wolf, mich also geschmähet.
Als er zur Klage mich rief vor Nobel, den König.
Latte das Goethe erlebt, der mir Ansterblichkeit schenkte!
Sind die Menschen denn heute so zimperlich worden?
Oder juckt gar das Fell den übermütigen Pfäfflein?
Übrigens möchte ich mir noch diese Frage erlauben:
Laben die Danziger wirklich nicht andere Sorgen?"
Nationalökonomie
Der Agrarier dozierte:
„Proleten wundern sich über fort-
gesetzte Steigerung der Lebensmittel-
preise. Finde äußerst komisch das!
Nehmen Sie zum Beispiel Fleisch-
preise. Rind- und Schweinefleisch is
ihnen zu teuer, also koofen se 't nich.
Was geschieht nu aber? Wir setzen
unser Vieh nich ab, der Export is
ooch man soso, wir sehen uns also
gezwungen, et selber zu fressen.
Keine angenehme Sache das, ver-
sichere Sie, diese Überfütterung!
Wie is det nu aber, wenn wir bet
Zeug schon selber schlucken müssen,
mit dem Schadenersatz? Hä? Ver-
zichten will und kann keen Mensch!
Da werden also die Kosten uff det
bisken Vieh, wat zu Markte kommt,
geschlagen. Bedeutet Verteuerung,
natürlich, sehr richtig! Aber haben
wir die Schuld??
Nu weiter. Halten Se immer daran
fest, daß wir sozusagen zur Überernäh-
rung gezwungen sind. Marienbad is
de Folge, kostet aber Draht. Sollen
wir Marienbad aus eigener Tasche
bezahlen? Woso? Kann keen Mensch
verlangen, also ruff mit de Preise.
Weiter! Marienbad ist keene Er-
holung, weeß Jott nich. Also wird
Erholungsreise nötig. Wissen Sie,
ivat Reisen kosten? Na also, denn
reden Se nich über Fleischpreise!
Nu aber noch det Wichtigste! Sinkt
der Massenkonsum unserer Artikel,
is der allgemeine Rückgang der Agrar-
produktion die Folge. Land genug is
da, wird aber nich ausgenützt. Folge:
Ausfall sürunser Portemonnaie! Wer
solide rechnet, muß ooch den Ausfall
uff de der Preise schlagen. Und wir
rechnen alle sehr solide!
Haben Sie 't bejriffen ? Sie haben 't
nich bejriffen? Schadet nich, Haupt-
sache, wir bejreifen et!" w.
Teuerungszeit-Beispiel
„Papa, was ist eigentlich eine Sensation?"
„Na, wenn zum Beispiel heutzusage ein
Fettauge auf der Suppe schwimmt."
Potsdam
Ein holländischer Postbeamter, der Pots-
dam besuchte, nahm in seinem Notizbuche eine
Reihe von Grüßen an den deutschen Exkron-
prinzen mit, die von Potsdamer Postbeflissenen
auf ihren brennenden Wunsch dort eingetragen
wurden. Es waren „ehrfurchtsvolle", „herz-
liche", „treudeutsche" — namentlich „treu-
deutsche" — Grüße an die „Kaiserliche Hoheit",
in einem Falle sogar an „Eure Majestät".
Majestät war Fritze Willem zwar nicht, ist
er auch nicht, aber wir hoffen das Beste, lieber
Leser. In Potsdam gibt man die Hoffnung so
leicht nicht auf.
Potsdam ist nämlich eine Stadt für sich.
Es hat ein holperiges Pflaster, aber glatte
Gesichter. Zahlreicher als an irgendeinem an-
deren Ort der Welt. Es hat schöne Parks und
Gewächshäuser, in denen seltsame Pflanzen ge-
züchtet werden. Und es hat Schlösser, in denen
seit Jahrhunderten eine besondere
Spezies Menschen gezüchtet wird:
Männer, denen kein Bart wächst
und keine eigene Gesinnung; Frauen,
deren Seele dauernd im Hofknix ver-
harrt.
Die Darwinsche Theorie von der
Anpassung der Arten könnte in Pots-
dam erdacht sein. Hier entwickelte
sich zum Beispiel der menschliche
Bückling in ausgeprägter Schönheit.
Er charakterisiert sich durch eine
merkwürdige Eigenschaft: je höher
die Türen sind, die er passiert, desto
tiefer bückt er sich. Und da es in
Potsdam sehr hohe Türen gibt, sank
Generation um Generation tiefer
zusammen.
Auf diese Weise kam ein Geschöpf
zustande, das im Kreuz einen einge-
frorenen Flitzbogen trägt. Die Augen
lugen ehrfurchtsvoll und untertänig
nach oben und sind allmählich bis
dicht unter die Haargrenze gerutscht.
AufdieseWeise verschwand die Stirn,
die als Hirnwand ohnehin überflüs-
sig geworden war, da der Schädel
nur noch einen Begriff: „treudeutsch"
beherbergt. Darunter -versteht der
menschliche Bückling die andächtige
Anbetung Potsdamer Schloßgötzen
— auch wenn sie abwesend sind.
Es ist schade, daß die Revolution
die weitere Entwicklung dieses inter-
essanten Naturphänomens. unter-
brach. Wer nach Potsdam kommt,
sollte nicht versäumen, sich die noch
vorhandenen Prachtexemplare.des
treudeutschen Bücklings eingehend
anzuschauen. Sie werden bald nur
noch in den Museen zu sehen sein
— in geräuchertem Zustande na-
türlich. p.
Augsburg, Gera, Nürnberg
(Sehr frei nach Schiller)
O O
Drei Worte nenn' ich euch, klar und rein.
Sie klingen von Munde zu Munde.
Aus, Sozialisten, schließt die Neih'n!
Wer wollte nicht beim Werke sein.
Bei diesem heiligen Bunde?
Rur einer steht auf einsamer Flur:
Der grollende, schmollende Ledebour.
In Augsburg, Gera, Nürnberg ward
Der Bund der Arbeitsgenossen
Zum Bund der Kampfgenossen und harrt
Der entscheidenden Stunde der Gegenwart.
Die Phalanx wurde geschlossen —
Nur einer blieb draußen in der Natur:
Der murrende, knurrende Ledebour.
Er weiß der Zeiten Arzenei:
Er hat cs sich selber bescheinigt
And — Hokuspokus, eins, zwei, drei —
Die große Ledcbourpartei
Nun in sich selber vereinigt!
Falls nicht durch „einstimmigen" Beschluß
Sie bald sich selber — spalten muß. Aha
Reineke Fuchs verboten
Auf einen Zentrumsantrag hin wurde Goethes.Reineke Fuchs" als unmoralisch
und kirchenfeindlich aus den Danziger Schulbiblioiheken entfern«.
Geistige Arbeiter
„Zahlen Sie mehr," sagte der unglückliche
Dichter zum Verleger, „der Brotpreis wird im
Januar auf 100 Mark steigen!"
„Ja, was denn, das wird Sie doch nicht
berühren. Bis dahin sind Sie doch längst ver-
hungert!"
Der Zweimarkschein
Es war im „Klub 1920", einer Auslese und
Vereinigung nur allertüchtigster Bürgertugend.
Herr Palleske hatte sehr gut gegessen.
Er erhob sich mühsam und wandte sich zum
gehen. Plötzlich schien ihm etwas eingefallen
zu sein. Er blieb stehen, zog die mehrpfündige
Brieftasche, blätterte und blätterte in den Tau-
sendmarkscheinen, kopfschüttelnd, leise mur-
melnd. Schließlich rvandte er sich an die an-
wesenden Klubmitglieder:
„Sagt mal, Kinder, hat nich eener 'n Zivee-
markschein bei sich?"
Man sah nach. Man durchstöberte die Mil-
lionenbeträge der Taschen, man blätterte und
blätterte — Tausendmarkscheine wie Schnee-
flocken, kein Zweimarkschein!
„Verflucht," sagte Herr Palleske,
„ick mich nämlich uff so 'neu Alters-
hilfen-Rummel-ach Quatsch,
bleib' ick eben hier!"
Anker Schiebern
„Nu, was is, man hat Sie ja so
lange nicht gesehen!"
„Ich war sechs Monate lang ver-
reist!"
„Nanu, hat man Ihnen denn
keine — Bewährungsfrist zusprechen
wollen?"
Reineke blickte noch einmal zum Danziger Ratsturm, sbreitet,
„Bin ich", sprach er, „nicht mehr der Schalk, der Lachen ver-
Wo ein kerniges Lerz nur schlug an kräftige Nippen?
Sündhaft soll ich sein, hoho, und Verderber der Jugend?
Nicht mal Isegrimm hat, der Wolf, mich also geschmähet.
Als er zur Klage mich rief vor Nobel, den König.
Latte das Goethe erlebt, der mir Ansterblichkeit schenkte!
Sind die Menschen denn heute so zimperlich worden?
Oder juckt gar das Fell den übermütigen Pfäfflein?
Übrigens möchte ich mir noch diese Frage erlauben:
Laben die Danziger wirklich nicht andere Sorgen?"
Nationalökonomie
Der Agrarier dozierte:
„Proleten wundern sich über fort-
gesetzte Steigerung der Lebensmittel-
preise. Finde äußerst komisch das!
Nehmen Sie zum Beispiel Fleisch-
preise. Rind- und Schweinefleisch is
ihnen zu teuer, also koofen se 't nich.
Was geschieht nu aber? Wir setzen
unser Vieh nich ab, der Export is
ooch man soso, wir sehen uns also
gezwungen, et selber zu fressen.
Keine angenehme Sache das, ver-
sichere Sie, diese Überfütterung!
Wie is det nu aber, wenn wir bet
Zeug schon selber schlucken müssen,
mit dem Schadenersatz? Hä? Ver-
zichten will und kann keen Mensch!
Da werden also die Kosten uff det
bisken Vieh, wat zu Markte kommt,
geschlagen. Bedeutet Verteuerung,
natürlich, sehr richtig! Aber haben
wir die Schuld??
Nu weiter. Halten Se immer daran
fest, daß wir sozusagen zur Überernäh-
rung gezwungen sind. Marienbad is
de Folge, kostet aber Draht. Sollen
wir Marienbad aus eigener Tasche
bezahlen? Woso? Kann keen Mensch
verlangen, also ruff mit de Preise.
Weiter! Marienbad ist keene Er-
holung, weeß Jott nich. Also wird
Erholungsreise nötig. Wissen Sie,
ivat Reisen kosten? Na also, denn
reden Se nich über Fleischpreise!
Nu aber noch det Wichtigste! Sinkt
der Massenkonsum unserer Artikel,
is der allgemeine Rückgang der Agrar-
produktion die Folge. Land genug is
da, wird aber nich ausgenützt. Folge:
Ausfall sürunser Portemonnaie! Wer
solide rechnet, muß ooch den Ausfall
uff de der Preise schlagen. Und wir
rechnen alle sehr solide!
Haben Sie 't bejriffen ? Sie haben 't
nich bejriffen? Schadet nich, Haupt-
sache, wir bejreifen et!" w.