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- 10640

Ein Theaterabend

Wilhelm Tel! wird gegeben. Ich habe den
letzten Platz in einer Reihe neben einem dicken
Pfeiler erwischt. Mir zur Rechten sitzt ein Men-
schenpaar, das mir durch seine gleichmäßige
Korpulenz besonders auffällt.

Das Schauspiel hat bereits begonnen, da
vernehme ich neben mir plötzlich ein harmo-
nisches Schnarchen.

„Dem Friedlichen gewährt man gern den
Frieden",

spricht Tell gerade zum Stauffacher, als sich
meinen Augen ein liebliches Bild häuslicher
Eintracht bietet: Mein dicker Nachbar nickt mit
dem aufgedunsenen Kopf iminer vornüber, wäh-
rend sie den ihrigen schwersällig auf die Brü-
stung gelegt hat. Und wiederum der Tell:
„Sie werden endlich doch von selbst ermüden!"

Bald geht der zweite Aufzug in Szene. Bei
den Worten AttinghausenS:

„Erlaubt, daß ich nach altem Hausgebrauch..."

überzeugt mich das bekannte Geräusch zu mei-
ner Rechten, daß das Pärchen auch diesen Auf-
zug abschnarcht.

Dann fällt der Vorhang zum dritten Aus-
zug. Da das Programm „Pause" verzeichnet,
möchte ich einen Sprung in die Erfrischungs-
hallemachen. Doch wenn Stauffacher auch eben
noch sagte: „Jetzt gehe jeder seines Weges
still", hier ist mir das unmöglich. Denn links
ist der dicke Pfeiler und rechts sitzt das an-
dächtig schlafende Paar. In meiner Verzweif-
lung stelle ich beiderseits einige Belebungsver-
suche an. Vergeblich! Ein anhaltendes Brem-
sen, dann Fortsetzung. . . rrrha .. . rrrha . . .
— Bald geht die Glocke, und es steigt der
dritte Aufzug. Das brave Pärchen aber schläft
sein bezahltes Billett weiter ab. Ich fange

bereits an, mich an das monotone, sägenartige
Geräusch zu gewöhnen.

„Ich helfe mir schon selbst. Geht, gute Leute!"

spricht da der Tell, als mich der plötzlich auf-
schreckende Ruck meines Nachbars aufblicken
läßt. Er ist erwacht, wirft einen hastig ver-
störten Blick auf seine goldene Taschenuhr und
bläst dann erschrocken: „Du Olle, das Stück
ist gleich aus, ich hole die Garderobe!" — Er-
gibt ihr einen Knuff, und als sie sich bewegt,
eilt er hinaus. Sie aber hat wohl nicht recht
begriffen, beugt sich wieder vornüber und ■..
rrrha. . . schläft weiter, den Schlaf des Ge-
rechten. Eine Weile, und:

„Mir wird Gott helfen",
der dritte Aufzug ist zu Ende.

Ich bin gerade dabei, zu überlegen, ob er
mir auch aus meiner beklemmenden Enge hel-
fen wird, da naht sich mir der Retter in Ge-
stalt des Türschließers. Er versetzt meiner nach-
barlichen Schläferin einen gelinden Rippen-
stoß und brüllt ihr gleichzeitig ins Ohr: „Bitt'
schön, erheben Sie sich, Ihr.Beischläfer" war-
tet schon mit der Garderobe." Bei dem letzten
Wort schreckt sie wie elektrisiert auf und flieht
hinaus.

Beim vierten Aufzug aber ist das Pärchen
fort. Wie von einem Alp befreit, atme ich
auf, denn:

„Ich sah's mit Augen an,ihr könnt mir's glauben,
's ist alles so geschehn, wie ich euch sagte."

Wie mir nachträglich der Türschließer erklärt,
hat sich der männlichePartner des Schlafpaares
in seiner Verschlafenheit in der Zeit versehen,
und so sind beide in dem festen Glauben heim-
spaziert, die ganzen fünf Aufzüge bereits ab-
geschnarcht zu haben!

Ja, man muß doch auch für seine Bildung
etwas tun_ Willy Bünger

ZeitungSnot

Im deutschen Blätterwald stöhnt es. Einige
röcheln nur noch. Da und dort liegen die Leichen
hingestreckt — gefällt vom Ansturm der wahn-
sinnig gewordenen Papierpreise. Aber das hi!°1
nicht. Wir müssen durch diesen Gesundungs-
prozeß hindurch.

Die öffentliche Meinung war entartet. Je-
der konnte auf seine Art schimpfen und es
drucken lassen. Das zerklüftete die Nation. Dce
Holzstoff- und Papierfabrikanten haben die mo-
ralische Aufgabe übernommen, diesem unleid-
lichen Zustand einen edlen Dreh zu geben:
sie werden das Vaterland zu nationaler Eini-
gung und die öffentliche Meinung auf ein
höheres Niveau führen.

Zunächst werden sie die Preise steigern. Dann
werden sie die Preise erhöhen. Und nach der
Erhöhung werden sie einen Aufschlag folgen
lassen, dem sich eine Steigerung und Erhöhung
anschließen wird.

Die stärksten Eichen im deutschen Blätter-
wald werden und sollen! — ächzend dahin-
sinken. Reihenweise sollen sie fallen. Nur eine
soll übrigbleiben: die „D. N. Z." (Deutsche
Normal-Zeitung).

Stinnes wird sie herausgeben, Lensch wird
sie redigieren. Die Regierung wird ignoriert.
Die Parteien werden ignoriert. Die Entente
wird ignoriert. Alle Dinge, Institutionen und
Vorfälle, die das Volk beunruhigen könnten,
existieren einfach nicht mehr. Jeder Leitartikel
wird eine moralische Abhandlung sein über
das Thema: „Genügsamkeit und Arbeitslust
sichern ein hohes Alter."

Sämtliche Nationalsorgen nimmt Stinnes
auf sich. Das Volk kann in Ruhe arbeiten.
Die öffentliche Meinung ist nicht mehr zer-
klüftet. Hungertode werden nicht registriert.
Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn
Deutschland auf diese Weise nicht endlich be-
ruhigt würde. ,, p-

Kleinasien in Brand

Dank Allahs Lilfe und zumal
Der tiefen Weisheit der Entente,

Die, was dies Feuer anbelangt,

Im Anschuldsschmuck natürlich prangt,

Brennt's also glücklich wieder mal.

Viel Funken fliegen hin und her.

And manches Schaf im eignen Land,
Dem Gott versagte den Verstand,
Denkt, wenn das kam' zu neuem Brand,

Wie äußerst hoffnungsreich das war'!

Ach ja, das ist des Schafes Art:

Es zeigt von Grütze keine Spur
And will ins Flammenmeer retour.

Ob auch ihm Leides widerfuhr.

Ob auch das Fell versengt ihm ward...

Die Radikalen

Jetzt, wo die Einigung von Nürnberg Tat-
sache geworden ist, will ich erzählen, was mir
neulich mit Emil Spiesecke und August Dö-
sicke passiert ist, die beide immer so sehr radikal
waren. Sie saßen in ihrer Stammdestille.
Dösicke wies auf die geliebte „Morgenpost"
und sagte: „Se wollen sich also wirklich eenijen.
Wat nu't"

Und Spiesecke: „Weeste wat? Denn jehn
wa eben dissen Winter öfters in de Ring-
käinpfe!" w.

Frau Multimillionär Grünhuber sagte neu-
lich: „Meine Kinder sind alle sehr fromm,
trotzdem sie schon wissen, daß der Stifter
der christlichen Religion arm war."
 
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