10650 -
Eine Lauptmann-Ehrung
Szene: Direklionszimmer eines deutschen Theaters
Direktor (liest eifrig im Kurszettel; als es
klopft blättert er zu den Thcaternachrichten zurück):
Herein!
Dramaturg (schüchtern): Herr Direktor, ich
niache darauf aufmerksam —
Direktor: Will das Personal wieder Zu-
lage? Ausgeschlossen,
Dramaturg: Nein. Es handelt sich nur
darum, daß der größte deutsche Dramatiker
Gerhart Hauptmann im November seinen
sechzigsten Geburtstag feiert.
Direktor: Schön. Schicken mir ihm eine
Glückwunschkarte.
Dramaturg: Das genügt nicht, Herr Di-
rektor. Wir müssen ihn durch die Aufführung
eines seiner Werke an seinem Geburtstag ehren.
Direktor: Ich verstehe immer Aufführung?
Dramaturg (eingeschüchtert): Es ist die all-
gemeine Meinung.
Direktor: Meine Aktionäre denken anders.
Sie wollen Prozente und keine Dichterehrungen.
Dramaturg: Unser Winterprogramm stellt
die Pflege der deutschen Literatur in Aussicht.
Wir müssen ein Werk von Hauptmann bringen.
Direktor: Na schön. Schlagen Sie eins vor.
Dramaturg (erleichtert): Wie wäre es mit
feinem Erstlingswerk „Vor Sonnenaufgang"?
Direktor: Wo gegen den Alkoholismus ge-
predigt wird? Nichts zu machen. Wissen Sie
denn nicht, daß Herr Goldhaber, unser Geld-
geber, im Vorstand des Spiritusrings sitzt??
Dramaturg: Dann vielleicht „Einsame
Menschen"?
Direktor: Wo der Darwinismus als eine
selbstverständliche Sache hingestellt wird? Nee,
mein Lieber, ich stamme nicht vom Affen ab
— Sie vielleicht .. .
Dramaturg (zuckt schmerzlich zusammen, saßt
sich langsam): Dann vielleicht das nächste „Die
Weber"?
Direktor (fährt auf): Da können wir ja
gleich das Kommunistische Manifest vorlesen
lassen oder den Aufruf der V.S.P.D.! Nee,
Berehrtester, Parteipolitik wird an meiner
Bühne nicht getrieben.
Draniaturg: Aber es ist doch als gewal-
tige Dichtung anerkannt.
Direktor: Von mir nicht! Ich stehe mich
mit Fabrtkanten gut. Die Webergewerkschaft
kommt nicht in mein Theater.
Dramaturg: Es gibt ja auch noch andere
Werke von ihm. Wie wäre es mit „Kollege
Crampton"?
Direktor: Wo ein Akademieprofessor als
verbummelter Saufbruder hingestellt wird?
Sollen wir die Professoren vor den Kopf
stoßen, he?
Dramaturg: Dann wäre noch das pracht-
volle Lustspiel „Biberpelz".
Direktor: Haha, wo ein Amtsvorsteher mit
juristischer Vorbildung von einer ordinären
Waschfrau reingelegt wird? Wollen Sie denn
durchaus alle nationalgesinnten Kreise vor
den Kopf stoßen?? Da sagen sie nur noch
„Hanneles Himmelfahrt", wo der Stifter der
christlichen Religion sich um ein zerlumpter
Armenhauskind bemüht, oder gleich „Florian
Geyer", wo jedem, der sich ein bißchen unter-
drückt fühlt, das Recht aus Revolution ge-
lehrt wird. Nee, da würden die Proteste der
zahlungsfähigen und daher nationalgesinnten
Kreise nur so hageln.
Dramaturg (erschöpft): Aber „Die versun-
kene Glocke" ginge doch?
Direktor: Viel zu heidnisch: Ja, wenn der
Glockengießer zum Schluß einer anständigen
Religionsgemeinschaft beiträte! Das ist übri-
gens eine Idee. Schlagen Sie sie doch mal
Ihrem Hauptmann vor. Dann ginge es viel-
leicht.
Dramaturg (spricht nur noch leise): Mit
„Fuhrmann Herrschet" und „Rose Bernd" wäre
es dann wohl auch nichts?
Direktor: Zu ordinäre Gesellschaft. Ein
Fuhrmann, der sich aufhängt, und ein Frauen-
zimmer, das sich auf offener Bühne verführen
läßt, ist nichts für unser Publikum.
Dramaturg (mit letzter Hossuung): Aber
„Kaiser Karls Geißel" — da ist doch gute Ge-
sellschaft! Ein historischer Kaiser —
Direktor: — der sich in ein Bauernmäd-
chen verliebt, jawohl. Wir sollen uns wohl mit
unserem monarchistisch eingestellten Stamm-
publikum Überwerfen! Nee, lassen Sie sich sauer
einkochen init Ihren Vorschlägen.
Dramaturg (dem Weinen nahe): Aber etwas
müssen wir doch tun??
Direktor: Tun wir ja auch! Ich werde
Ihnen sagen, was. Wir geben zur Feier des
Tages ein expressionistisches Stück. Das ver-
steht keiner und jeder glaubt darum, es sei
wirklich was dran. Oder noch besser „Die
lustige Witwe". Da amüsiert sich jeder und
ist doch in guter Gesellschaft.
Dramaturg (verzweifelt): Aber das hat doch
mit Hauptmann nichts zu tun!!
Direktor: Na, dann können wir ja dem
Hauptmann ein Freibillet schicken. Da hat er
auch was davon . . . Sorgen Sie aber dafür,
daß es in die Presse kommt! (Er wendet sich
wieder dem Kurszettel zu.) P- E.
☆
Entsage dem flchtstundentag!
Cs lcheint, als ob ein trübes Nhnen
Die Sphären des Profits befällt;
Die Herren an der Seine mahnen
Und fordern dringlicher ihr Geld.
Cs geht ein Bönen durch die Raffen,
Bis ob fie müßten haare lallen,
fils ob die Zeit nun fei vorbei
Der schlauen Drückebergerei.
Da nun bewährter Brauch auch künftig
l;n Lande lieh bewähren mag.
So lei. Prolet, nicht unvernünltig
Und opfre den flchlltundentag!
Du mußt ihn endlich dir verkneifen
Und mußt vor allem dies begreifen:
Du fchiugft den Krieg der Induitrie,
nun, bitte, zaßle auch für fie!
Sei froh, daß von verfäuinten Stunden
(Dier fahr im Krieg halt du gelchwänztl!)
Der Herren Güte dich entbunden.
6s wär' nur recht, wenn du ergänz»
Die dort entgangenen Prozente-
Die Logik llt's der Schieberrente.
Sie triumphiert, Prolet, und drum
Rapiere sie und lerne um! w.
Eine Lauptmann-Ehrung
Szene: Direklionszimmer eines deutschen Theaters
Direktor (liest eifrig im Kurszettel; als es
klopft blättert er zu den Thcaternachrichten zurück):
Herein!
Dramaturg (schüchtern): Herr Direktor, ich
niache darauf aufmerksam —
Direktor: Will das Personal wieder Zu-
lage? Ausgeschlossen,
Dramaturg: Nein. Es handelt sich nur
darum, daß der größte deutsche Dramatiker
Gerhart Hauptmann im November seinen
sechzigsten Geburtstag feiert.
Direktor: Schön. Schicken mir ihm eine
Glückwunschkarte.
Dramaturg: Das genügt nicht, Herr Di-
rektor. Wir müssen ihn durch die Aufführung
eines seiner Werke an seinem Geburtstag ehren.
Direktor: Ich verstehe immer Aufführung?
Dramaturg (eingeschüchtert): Es ist die all-
gemeine Meinung.
Direktor: Meine Aktionäre denken anders.
Sie wollen Prozente und keine Dichterehrungen.
Dramaturg: Unser Winterprogramm stellt
die Pflege der deutschen Literatur in Aussicht.
Wir müssen ein Werk von Hauptmann bringen.
Direktor: Na schön. Schlagen Sie eins vor.
Dramaturg (erleichtert): Wie wäre es mit
feinem Erstlingswerk „Vor Sonnenaufgang"?
Direktor: Wo gegen den Alkoholismus ge-
predigt wird? Nichts zu machen. Wissen Sie
denn nicht, daß Herr Goldhaber, unser Geld-
geber, im Vorstand des Spiritusrings sitzt??
Dramaturg: Dann vielleicht „Einsame
Menschen"?
Direktor: Wo der Darwinismus als eine
selbstverständliche Sache hingestellt wird? Nee,
mein Lieber, ich stamme nicht vom Affen ab
— Sie vielleicht .. .
Dramaturg (zuckt schmerzlich zusammen, saßt
sich langsam): Dann vielleicht das nächste „Die
Weber"?
Direktor (fährt auf): Da können wir ja
gleich das Kommunistische Manifest vorlesen
lassen oder den Aufruf der V.S.P.D.! Nee,
Berehrtester, Parteipolitik wird an meiner
Bühne nicht getrieben.
Draniaturg: Aber es ist doch als gewal-
tige Dichtung anerkannt.
Direktor: Von mir nicht! Ich stehe mich
mit Fabrtkanten gut. Die Webergewerkschaft
kommt nicht in mein Theater.
Dramaturg: Es gibt ja auch noch andere
Werke von ihm. Wie wäre es mit „Kollege
Crampton"?
Direktor: Wo ein Akademieprofessor als
verbummelter Saufbruder hingestellt wird?
Sollen wir die Professoren vor den Kopf
stoßen, he?
Dramaturg: Dann wäre noch das pracht-
volle Lustspiel „Biberpelz".
Direktor: Haha, wo ein Amtsvorsteher mit
juristischer Vorbildung von einer ordinären
Waschfrau reingelegt wird? Wollen Sie denn
durchaus alle nationalgesinnten Kreise vor
den Kopf stoßen?? Da sagen sie nur noch
„Hanneles Himmelfahrt", wo der Stifter der
christlichen Religion sich um ein zerlumpter
Armenhauskind bemüht, oder gleich „Florian
Geyer", wo jedem, der sich ein bißchen unter-
drückt fühlt, das Recht aus Revolution ge-
lehrt wird. Nee, da würden die Proteste der
zahlungsfähigen und daher nationalgesinnten
Kreise nur so hageln.
Dramaturg (erschöpft): Aber „Die versun-
kene Glocke" ginge doch?
Direktor: Viel zu heidnisch: Ja, wenn der
Glockengießer zum Schluß einer anständigen
Religionsgemeinschaft beiträte! Das ist übri-
gens eine Idee. Schlagen Sie sie doch mal
Ihrem Hauptmann vor. Dann ginge es viel-
leicht.
Dramaturg (spricht nur noch leise): Mit
„Fuhrmann Herrschet" und „Rose Bernd" wäre
es dann wohl auch nichts?
Direktor: Zu ordinäre Gesellschaft. Ein
Fuhrmann, der sich aufhängt, und ein Frauen-
zimmer, das sich auf offener Bühne verführen
läßt, ist nichts für unser Publikum.
Dramaturg (mit letzter Hossuung): Aber
„Kaiser Karls Geißel" — da ist doch gute Ge-
sellschaft! Ein historischer Kaiser —
Direktor: — der sich in ein Bauernmäd-
chen verliebt, jawohl. Wir sollen uns wohl mit
unserem monarchistisch eingestellten Stamm-
publikum Überwerfen! Nee, lassen Sie sich sauer
einkochen init Ihren Vorschlägen.
Dramaturg (dem Weinen nahe): Aber etwas
müssen wir doch tun??
Direktor: Tun wir ja auch! Ich werde
Ihnen sagen, was. Wir geben zur Feier des
Tages ein expressionistisches Stück. Das ver-
steht keiner und jeder glaubt darum, es sei
wirklich was dran. Oder noch besser „Die
lustige Witwe". Da amüsiert sich jeder und
ist doch in guter Gesellschaft.
Dramaturg (verzweifelt): Aber das hat doch
mit Hauptmann nichts zu tun!!
Direktor: Na, dann können wir ja dem
Hauptmann ein Freibillet schicken. Da hat er
auch was davon . . . Sorgen Sie aber dafür,
daß es in die Presse kommt! (Er wendet sich
wieder dem Kurszettel zu.) P- E.
☆
Entsage dem flchtstundentag!
Cs lcheint, als ob ein trübes Nhnen
Die Sphären des Profits befällt;
Die Herren an der Seine mahnen
Und fordern dringlicher ihr Geld.
Cs geht ein Bönen durch die Raffen,
Bis ob fie müßten haare lallen,
fils ob die Zeit nun fei vorbei
Der schlauen Drückebergerei.
Da nun bewährter Brauch auch künftig
l;n Lande lieh bewähren mag.
So lei. Prolet, nicht unvernünltig
Und opfre den flchlltundentag!
Du mußt ihn endlich dir verkneifen
Und mußt vor allem dies begreifen:
Du fchiugft den Krieg der Induitrie,
nun, bitte, zaßle auch für fie!
Sei froh, daß von verfäuinten Stunden
(Dier fahr im Krieg halt du gelchwänztl!)
Der Herren Güte dich entbunden.
6s wär' nur recht, wenn du ergänz»
Die dort entgangenen Prozente-
Die Logik llt's der Schieberrente.
Sie triumphiert, Prolet, und drum
Rapiere sie und lerne um! w.