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10652 .

Der Befehl an die Sonne

Von Ernst Preczang

Der Schah von Ked-el-mir liebte es, sich
abends an träumerischer Musik und am Tanze
feingliedriger, kostbar geschmückter Frauen zu
vergnügen. Das tat er halbe Nächte hindurch,
und erst,'wenn ihn: das Haupt vor tieser Mü-
digkeit auf die Brust sank, endete Spiel und
Tanz.

So kam es, daß der Herrscher bis weit in
den Tag hinein schlief und seine Wesire, die
mit ihm regieren wollten, warten ließ. Das
verdroß die Minister. Denn wenn sich der Schah
erhob, waren sie schon wieder müde und muß-
ten mit Gewalt das Gähnen unterdrücken.
Den Schah aber verdroß es, daß ihn die Sonne
oft im besten Schlummer störte; er stand wi-
derwillig aus und begab sich in mißmutiger
Laune an die Regierungsgeschäfte und seufzte
tief unter der Last seines Amtes. Und weil
das Regieren so unter der Unlust und Mü-
digkeit aller Beteiligten geschah, begann das
Volk unzufrieden zu werden.

Der Großwesir wagte es, trotzdem es ihm am
Halse juckte, dem Schah einige Andeutungen
zu machen.

Der rief: „Man soll mich ausschlafen lassen!
Die Weisheit der Könige gedeiht nur nach
langem Schlummer."

„Niemand stört dich, Großmächtigster."

„Doch. Die Sonne. Sorge dafür, daß sie
nicht eher aufgeht, bis mein Schlaf beendet
ist! Führe meinen Befehl aus."

Da steckten die Wesire furchtsam die Köpfe
zusammen, berieten und fertigten schließlich
einen Befehl aus, den sie siegelten, unter-
schrieben und der Sonne zeigten von Auf- bis
Untergang.

Sie kehrte sich nicht daran, sondern ging
ihre alten Wege.

Die Wesire berieten von neuem drei Tage
und drei Nachte und sandten dann reitende
Boten zu allen heiligen Männern und allen
Zauberern mit dem Befehl, den Himmel zu
beschwören. Aber auch das nützte nichts. Die
Sonne blieb hartnäckig auf ihrer gewohnten
Bahn, ohne sich um den Schlaf des Herrschers
zu kümmern.

Die Wesire schwitzten Blut und Wasser. Und
als sie keinen andern Ausweg mehr sahen,
boten sie im Geheimen hundert Pfund Goldes
aus für den, der die Sonne in ihrem Laufe
hemmen würde.

Nun lebte in Ked-el-mir ein deutscher Tisch-
lergeselle mit Namen Willibald Krause. Der
meldete sich und versprach, die Frage zu lösen.
Doch müsse er in aller Heimlichkeit, das heißt,
ohne daß ihn der Herrscher bemerke, an den
Fenstern des Palastes arbeiten dürfen. Das
war leicht zu arrangieren. Und schon nach
wenigen Tagen trat der Großwesir vor den
Schah und sagte: „Großmächtigster Gebieter!
Bon morgen an wird die Sonne in dem Au-
genblick aufgehen, da du es befiehlst. Habe
nur die Gnade und drücke auf diesen Knopf
über deinem Lager, und die Sonne wird dir
sofort gehorchen."

Als der Schals am folgenden Tage erwachte,
umfing ihn tiefe Dunkelheit. Er war sehr er-
staunt, denn das war ihm überhaupt noch
nicht vorgekommen. Endlich aber entsann er sich
des Knopfes, sagte: „Ich befehle der Sonne,
aufzugehen!" und drückte auf den kleinen Hebel.
Und siehe da: ein leises Rasseln ertönte, und
das Zimmer war mit Tageshelle erfüllt. Die
Sonne stand leuchtend am Himmel, und der
Schah erhob sich in strahlender Laune.

Buch die Wesire atmeten auf; sie machten
es sich jetzt recht bequem auf den Kissen und

Auf der Preisleiter

Der Wahre Jacob
steht weit hinter seinen Konkurrenten
zurück, aber (wohlgemerkt I) nur
— im Preis.

setzten sich erst in Positur, wenn sie es raffrl»
hörten. Ja, nun regierten alle darauf los, daß
es eine Lust war.

Nur das Volk war nicht zufrieden. Das
Volk von Ked-el-mir murrte, wenn es a»
Palast vorüberging, und es drohte, wenn es
zu Hause war. „Unser Recht schläft," sagte
es. „Wir müssen es wecken."

Eines Tages wollte der Kameltreiber Haflan
eine Klage gegen den reichen Kaufmann Abu-
heddin Vorbringen. Er ging zur Morgenstunde
in den Palast des Schahs, um direkt mit die-
sem zu reden, und vollführte einen derartigen
Lärm, daß der Schah erwachte und den Ruhe-
störer an sein Lager zu bringen befahl.

„Was unterstehst du dich! Mitten in der
Nacht dringst du hier ein?"

„Herr", Hassan neigte tief die Stirn, „e?
ist heller, lichter Tag. Die Sonne steht hoch
am Himmel."

„Du lügst, Sohn eines Hundes! Es ist Nacht
und die Sonne wartet »reines Befehls."

„Herr," Hassan neigte sich wieder, „nur im
Palast deiner Herrlichkeit ist es noch Nacht.
Wir aber, das Volk, schaffen schon an die vier
Stunden bei Tageslicht."

Der Schah war entrüstet. Er rief: „So be-
fehle ich denn der Sonne, aufzugehen!" drückte
auf den Knopf über seinem Lager, ein leises
Rasseln ertönte und es ward hell. „Siehst du
es nun, du Lügner, wem sie gehorcht?" Und
er ließ Hassan die Bastonade geben.

Daraufhin aber sammelte sich Volk an, viel
Volk, das drohend die Fäuste erhob und im-
mer mehr anschwoll, düster und gewaltig wie
eine riesige Gewitterwolke.

Im Palast steckten die Wesire zitternd die
Köpfe zusammen, bebten am ganzen Leibe und
fragten einander: „Was sollen wir tun?. . .
Man rufe den fremden Tischler!"

Willibald Krause kam und sagte: „Das Volk
ist zornig, weil die Sonne im Hause des Herr-
schers zu spät aufgeht."

Der Großwesir ergriff ihn beschwörend bei
den Händen: „Wir bieten dir tausend Pfund
Goldes und sechs weiße Kamele, wenn du es
niachst, daß die Sonne in den Hütten zu glei-
cher Zeit erscheint wie im Palast."

„Sehr einfach. Entfernen wir die Jalousien
von den Fenstern des Schahs."

„Unmöglich! Der Herrscher kann sich nicht
nach dem Volke richten. Es war stets umge-
kehrt, und so muß es bleiben. Wir bieten dir
zweitausend Pfund Goldes und zwölf weiße
Kamele, wenn du es machst, daß —"

Hier lachte Willibald Krause so laut, daß
es durch den ganzen Palast dröhnte: „Nein,
meine Herren. Es war nicht schwer, den Aus-
blick des Schahs zu vernageln. Aber um das
ganze Volk zu vernageln, dazu reichen sämt-
liche Wälder des Landes nicht aus."

Lachend ging er. Die Wesire krochen ganz
in sich zusammen. Schläge dröhnten gegen
das Haus.

Die Gewitterwolke entlud sich und zerstörte
die Jalousien des Palastes.

Vom Rathenau-Prozeß

Im Rathenau-Prozeß fiel es allgemein auf,
daß der Saal, in dem der Staatsgerichtshof
zum Schutze der Republik tagt, noch immer
von zwei überlebensgroßen Kaiferbildern „ge-
schmückt" wird. Ein hoher Richter, darüber
befragt, antwortete schmunzelnd: „Ja, die
Kaiserbilder sind derart in die Vertäfelung
eingelassen, daß sie bisher aus Sparsamkeits-
gründen leider. . . Gott sei Dank nicht ent-
fernt werden konnten." H. Maro
 
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