10653
Der Umsturz
aus der Froschperspektive
Sin Interview des ehemaligen Landwehrmannes
Nikolaus Klotzhuber.
Die Herausgabe von Kriegserinnerungen
von höchstchargierten Herrschaften, die in den
letzten Jahren so stark eingerissen hat, daß alle
Senffabriken ob dieser unlauteren Konkurrenz
sich vom Bankrott bedroht sehen, hat auch uns
veranlaßt, ein Redaktionsmitglied zu einem
Augenzeugen der Novembervorgänge in der
Heimat zu entsenden, dem ehemaligen Land-
wehrmann Nikolaus Klotzhuber, um aus dem
Mund eines ganz niedrig Chargierten einiges
über die Ursachen des 9. November zu erfahren.
Klotzhuber war als Gefreiter an einem stell-
vertretenden Generalkommando angestellt, in
einer deutschen Residenzstadt, dem Sitz vieler
militärischer und ziviler Behörden. Es ent-
wickelte sich zwischen unserem Ausfrager und
Ktotzhuber folgendes Gespräch.
Aus frag er: „Sie haben doch sicher auch,
da Sie unter den gemeinen Soldaten staken,
etwas von dem Dolchstoß verspürt, der letzten
Endes Schuld war an unserem militärischen
Zusammenbruch? Möchten Sie mir nicht dar-
über etwas sagen?"
Klotzhuber: „Recht gern! Den ersten Dolch-
stoß in mein vaterländisches Herz verspürte
ich, als ich auf das Generalkommando versetzt
wurde und da eine Anzahl Offiziere sah, die,
lrotzdem sie ebensogut kv. waren wie viele
Mannschaften, doch noch keinen Tag im Felde
zugebracht hatten. Weiter Dolchstöße folgten,
als diese Bureaustrategen nacheinander sogar
das Eiserne Kreuz umgehängt bekamen und
es mit mehr Stolz zur Schau trugen als je
einer, der es sich im Schützengraben erwarb.
Wünschen Sie noch mehr davon zu hören?"
Ausfrager: „Nein, danke. Nun wüßte ich
aber noch gern, ob Sie nichts von Propa-
ganda gemerkt haben, Propaganda durch Wort
oder Tat, von Erregung von Mißvergnügen
inbezug auf den Dienst und solche Sachen."
Klotzhuber: „Natürlich. Solche destruktive
Propaganda, die den „wundervollen Geist von
1914" zermürbte, wurde ganz offen getrieben,
zum Beispiel alle zehn Tage beim Löhnungs-
appell. Da kam ein übel gelauntes Leutnänt-
chen und pfiff uns gestandene Männer an wie
Lausbuben. Unsere Ehrenbezeugungen waren
ihm nicht stramm genug, unsere Uniformen
nicht fein genug im Stand, unser Benehmen
nicht militärisch genug. Einmal wurde ein Dieb
gesucht. Der Betreffende hatte eine Granat-
splitternarbe am Kops. Jeder von uns mußte
daher vor dem grünen Leutnäntchen seinen
Kopf entblößen, ob er etwa der Dieb sei. So
behandelte man achtbare Kaufleute, Beamte,
Handwerker, die meist Familienväter waren,
und denen der Verdacht des Diebstahls die
Schamröte ins Gesicht trieb. Diese Propaganda
wirkte geradezu verheerend unter den Mann-
schaften. Eine Zeitlang bestand in der Gar-
nison der Befehl, daß die Mannschaften über-
haupt nicht auf dem Bürgersteig der Haupt-
straße gehen durften, sondern auf dem Fahr-
damm, von wo ans sie alle Ehrenbezeugungen
vor den vielen Offizieren zu machen hatten.
Ein Landsturmmann erhielt einen Rüffel, weil
er mit einem .Frauenzimmer' am Arm auf der
Straße gesehen wurde. Es half ihm nichts,
daß er betonte, es sei seine. Frau gewesen.
Der Rüffel blieb bestehen und der Ausdruck
.Frauenzimmer' auch. Wünschen Sie noch mehr
der Art?"
Ausfrager: „Danke. Ich bin jetzt schon
einigermaßen im Bilde. Nur eines dürfte ich
vielleicht noch wissen. Haben Sie nie vor dem
9. November schon eine starke Gärung und
Widersetzlichkeit in der Mannschaft bemerkt?"
Klotzhuber: „Das kann ich nicht leugnen.
Ich habe einmal einen ganz schlimmen Fall
erlebt. Da war ein Rechtsanwalt von etwa
vierzig Jahren namens Tercs. Der hatte eines
Tages fürchterlichen Durchfall. Er hatte am
Abend vorher in der Kaserne zu viel Marme-
lade gegessen, weil er gemäß der Aufforde-
rung des Kaisers ,zu Stahl werden' wollte.
Nun waren da, entsprechend der unüberbrück-
baren Kluft zwischen Mann und Offizier, zwei
verschiedene Aborte. Der eine trug die In-
schrift: .Nur für Herren', der andere .Für
Mannschaften'. Tercs hatte nicht mehr Zeit,
darüber nachzudenken, daß ihm beim Militär
das Prädikat.Herr' durchaus nicht zukam, und
er schlüpfte eben in das näher gelegene Kabi-
nett für „Herren". Als er wieder herauskam,
fand er vor der Tür wartend den Gymna-
siasten Mampe, seines Zeichens — Leutnant.
Sofort herrschte dieser den Rechtsanwalt
Tercs an: .Was haben Sie hier zu suchen?
Können Sie nicht lesen? Ich werde Sie mel-
den!' Der Rechtsanwalt besah sich den Jüng-
ling und bemerkte in total disziplinwidrigen:
Tonfall: .Ich bin mindestens schon so lang
ein Herr wie Sie. Im übrigen — schwäbischen
Gruß!' Das war am 8. November 1918 abends.
Der Leutnant hat den Rechtsanwalt nicht ge-
meldet, denn am nächsten Tag, dem 9. No-
vember, kam Mampe nicht aufs Bureau. Nun
hatte er Durchfall bekommen! Und später kam
er bloß noch in Zivil. Und er wurde sogar
recht nett zu Tercs, denn dieser war inzwischen
Soldatenrat geworden und mußte dem Gym-
nasiasten Mampe die Urlaubsscheine unter-
schreiben. -- Soll ich noch mehr erzählen?"
Au sfr a g er: „Nein, danke. Es genügt vorerst.
Ein andermal vielleicht wieder. Guten Tag!"
Oenk an den 9. November
weiht du noch, clah wir einlt ketten rerlchlagen
Damals am 9. November?
Nah wir clie Nöte der Freiheit lahn tagen
Damals am 9. November?
weiht du, clatz damals, als kielen clie Kronen,
Zitternd lich bargen die wuchernden Drohnen
Damals am 9. November?
wenn lie nun wieder die laichen dir leeren.
Denk an den 9. November!
wenn lie did) lchinden und wenn lie dich scheren.
Denk an den 9. November!
wenn lie nun wieder das Brot dir verteuern,
Leitartikelnde phralen dir leiern.
Denk an den 9. November!
wollt' doch der weiten der wuchrer nicht blühen
Damals am 9. November;
Punker und >obber, lie krochen aul knien
Damals am 9. November!
Und da war keiner, der nicht es begriffen,
welchen der MZrlche die wallen gepfiffen
Damals am 9. November!
Denk an den lag, da der Bürger parierte.
Denk an den 9. November!
Denk an den lag, da kein Schieber lid) rührt«.
Denk an den 9. November!
pein'gen auls Blut dich die prelle, die dreilten,
Sdjaffe du Ordnung mit spürbaren faulten,
wie damals am 9. Novemberl w.
Der November
Der November ist ein Uuglücksmonat für
den Monarchismus. 1918 die Revolution, und
im November 1922 wird die monarchistische
Sache die Heirat Wilhelms II. erleiden.
Demokratisierung
In der Verwaltung sollte seit langem mit
der Demokratisierung begonnen werden. End-
kam ein neuer Vorgesetzter, der anordnete, daß
die Herren Beamten, wenn sie etwas vorzu-
tragen hätten, bei ihm links eintreten sollten.
Alles staunte über diesen deutlichen und ener-
gischen Ruck.
Am anderen Tage aber wurde bekannt ge-
geben, es sei nur deshalb vor dem Herrn links
anzutreten, weil er auf dem rechten Ohr taub sei.
Logisch
Fromme Tante: „Wer fleißig betet, den
erhört der liebe Gott."
Kleiner: „Gelt, Tante, da beteten in diesem
Jahr die Regenschirmfabrikanten be-
sonders fleißig?"
Das verpönte Dalum
Hofrat von G. erzählte neulich an seinem
Stammtisch: „Wir haben daheim eine Kaffe
angelegt, in die jeder 10 Mark Strafe zahlen
muß, der bei uns zu Hause den 9. November
ausspricht." __
Allerseelen
Hoch in nebelgrauen Lüften
Wegematt die Schneegans schreit.
All des Sommers goldne Sonnen
Sind so fern und sind so weit.
Und zur alten Erde wieder
Senkt sich nieder Blatt für Blatt,
Dass sie nun genug der Decken
Für das grosse Sterben hat.
W. Lennemann
Alle Neune am 9. November!
Der Umsturz
aus der Froschperspektive
Sin Interview des ehemaligen Landwehrmannes
Nikolaus Klotzhuber.
Die Herausgabe von Kriegserinnerungen
von höchstchargierten Herrschaften, die in den
letzten Jahren so stark eingerissen hat, daß alle
Senffabriken ob dieser unlauteren Konkurrenz
sich vom Bankrott bedroht sehen, hat auch uns
veranlaßt, ein Redaktionsmitglied zu einem
Augenzeugen der Novembervorgänge in der
Heimat zu entsenden, dem ehemaligen Land-
wehrmann Nikolaus Klotzhuber, um aus dem
Mund eines ganz niedrig Chargierten einiges
über die Ursachen des 9. November zu erfahren.
Klotzhuber war als Gefreiter an einem stell-
vertretenden Generalkommando angestellt, in
einer deutschen Residenzstadt, dem Sitz vieler
militärischer und ziviler Behörden. Es ent-
wickelte sich zwischen unserem Ausfrager und
Ktotzhuber folgendes Gespräch.
Aus frag er: „Sie haben doch sicher auch,
da Sie unter den gemeinen Soldaten staken,
etwas von dem Dolchstoß verspürt, der letzten
Endes Schuld war an unserem militärischen
Zusammenbruch? Möchten Sie mir nicht dar-
über etwas sagen?"
Klotzhuber: „Recht gern! Den ersten Dolch-
stoß in mein vaterländisches Herz verspürte
ich, als ich auf das Generalkommando versetzt
wurde und da eine Anzahl Offiziere sah, die,
lrotzdem sie ebensogut kv. waren wie viele
Mannschaften, doch noch keinen Tag im Felde
zugebracht hatten. Weiter Dolchstöße folgten,
als diese Bureaustrategen nacheinander sogar
das Eiserne Kreuz umgehängt bekamen und
es mit mehr Stolz zur Schau trugen als je
einer, der es sich im Schützengraben erwarb.
Wünschen Sie noch mehr davon zu hören?"
Ausfrager: „Nein, danke. Nun wüßte ich
aber noch gern, ob Sie nichts von Propa-
ganda gemerkt haben, Propaganda durch Wort
oder Tat, von Erregung von Mißvergnügen
inbezug auf den Dienst und solche Sachen."
Klotzhuber: „Natürlich. Solche destruktive
Propaganda, die den „wundervollen Geist von
1914" zermürbte, wurde ganz offen getrieben,
zum Beispiel alle zehn Tage beim Löhnungs-
appell. Da kam ein übel gelauntes Leutnänt-
chen und pfiff uns gestandene Männer an wie
Lausbuben. Unsere Ehrenbezeugungen waren
ihm nicht stramm genug, unsere Uniformen
nicht fein genug im Stand, unser Benehmen
nicht militärisch genug. Einmal wurde ein Dieb
gesucht. Der Betreffende hatte eine Granat-
splitternarbe am Kops. Jeder von uns mußte
daher vor dem grünen Leutnäntchen seinen
Kopf entblößen, ob er etwa der Dieb sei. So
behandelte man achtbare Kaufleute, Beamte,
Handwerker, die meist Familienväter waren,
und denen der Verdacht des Diebstahls die
Schamröte ins Gesicht trieb. Diese Propaganda
wirkte geradezu verheerend unter den Mann-
schaften. Eine Zeitlang bestand in der Gar-
nison der Befehl, daß die Mannschaften über-
haupt nicht auf dem Bürgersteig der Haupt-
straße gehen durften, sondern auf dem Fahr-
damm, von wo ans sie alle Ehrenbezeugungen
vor den vielen Offizieren zu machen hatten.
Ein Landsturmmann erhielt einen Rüffel, weil
er mit einem .Frauenzimmer' am Arm auf der
Straße gesehen wurde. Es half ihm nichts,
daß er betonte, es sei seine. Frau gewesen.
Der Rüffel blieb bestehen und der Ausdruck
.Frauenzimmer' auch. Wünschen Sie noch mehr
der Art?"
Ausfrager: „Danke. Ich bin jetzt schon
einigermaßen im Bilde. Nur eines dürfte ich
vielleicht noch wissen. Haben Sie nie vor dem
9. November schon eine starke Gärung und
Widersetzlichkeit in der Mannschaft bemerkt?"
Klotzhuber: „Das kann ich nicht leugnen.
Ich habe einmal einen ganz schlimmen Fall
erlebt. Da war ein Rechtsanwalt von etwa
vierzig Jahren namens Tercs. Der hatte eines
Tages fürchterlichen Durchfall. Er hatte am
Abend vorher in der Kaserne zu viel Marme-
lade gegessen, weil er gemäß der Aufforde-
rung des Kaisers ,zu Stahl werden' wollte.
Nun waren da, entsprechend der unüberbrück-
baren Kluft zwischen Mann und Offizier, zwei
verschiedene Aborte. Der eine trug die In-
schrift: .Nur für Herren', der andere .Für
Mannschaften'. Tercs hatte nicht mehr Zeit,
darüber nachzudenken, daß ihm beim Militär
das Prädikat.Herr' durchaus nicht zukam, und
er schlüpfte eben in das näher gelegene Kabi-
nett für „Herren". Als er wieder herauskam,
fand er vor der Tür wartend den Gymna-
siasten Mampe, seines Zeichens — Leutnant.
Sofort herrschte dieser den Rechtsanwalt
Tercs an: .Was haben Sie hier zu suchen?
Können Sie nicht lesen? Ich werde Sie mel-
den!' Der Rechtsanwalt besah sich den Jüng-
ling und bemerkte in total disziplinwidrigen:
Tonfall: .Ich bin mindestens schon so lang
ein Herr wie Sie. Im übrigen — schwäbischen
Gruß!' Das war am 8. November 1918 abends.
Der Leutnant hat den Rechtsanwalt nicht ge-
meldet, denn am nächsten Tag, dem 9. No-
vember, kam Mampe nicht aufs Bureau. Nun
hatte er Durchfall bekommen! Und später kam
er bloß noch in Zivil. Und er wurde sogar
recht nett zu Tercs, denn dieser war inzwischen
Soldatenrat geworden und mußte dem Gym-
nasiasten Mampe die Urlaubsscheine unter-
schreiben. -- Soll ich noch mehr erzählen?"
Au sfr a g er: „Nein, danke. Es genügt vorerst.
Ein andermal vielleicht wieder. Guten Tag!"
Oenk an den 9. November
weiht du noch, clah wir einlt ketten rerlchlagen
Damals am 9. November?
Nah wir clie Nöte der Freiheit lahn tagen
Damals am 9. November?
weiht du, clatz damals, als kielen clie Kronen,
Zitternd lich bargen die wuchernden Drohnen
Damals am 9. November?
wenn lie nun wieder die laichen dir leeren.
Denk an den 9. November!
wenn lie did) lchinden und wenn lie dich scheren.
Denk an den 9. November!
wenn lie nun wieder das Brot dir verteuern,
Leitartikelnde phralen dir leiern.
Denk an den 9. November!
wollt' doch der weiten der wuchrer nicht blühen
Damals am 9. November;
Punker und >obber, lie krochen aul knien
Damals am 9. November!
Und da war keiner, der nicht es begriffen,
welchen der MZrlche die wallen gepfiffen
Damals am 9. November!
Denk an den lag, da der Bürger parierte.
Denk an den 9. November!
Denk an den lag, da kein Schieber lid) rührt«.
Denk an den 9. November!
pein'gen auls Blut dich die prelle, die dreilten,
Sdjaffe du Ordnung mit spürbaren faulten,
wie damals am 9. Novemberl w.
Der November
Der November ist ein Uuglücksmonat für
den Monarchismus. 1918 die Revolution, und
im November 1922 wird die monarchistische
Sache die Heirat Wilhelms II. erleiden.
Demokratisierung
In der Verwaltung sollte seit langem mit
der Demokratisierung begonnen werden. End-
kam ein neuer Vorgesetzter, der anordnete, daß
die Herren Beamten, wenn sie etwas vorzu-
tragen hätten, bei ihm links eintreten sollten.
Alles staunte über diesen deutlichen und ener-
gischen Ruck.
Am anderen Tage aber wurde bekannt ge-
geben, es sei nur deshalb vor dem Herrn links
anzutreten, weil er auf dem rechten Ohr taub sei.
Logisch
Fromme Tante: „Wer fleißig betet, den
erhört der liebe Gott."
Kleiner: „Gelt, Tante, da beteten in diesem
Jahr die Regenschirmfabrikanten be-
sonders fleißig?"
Das verpönte Dalum
Hofrat von G. erzählte neulich an seinem
Stammtisch: „Wir haben daheim eine Kaffe
angelegt, in die jeder 10 Mark Strafe zahlen
muß, der bei uns zu Hause den 9. November
ausspricht." __
Allerseelen
Hoch in nebelgrauen Lüften
Wegematt die Schneegans schreit.
All des Sommers goldne Sonnen
Sind so fern und sind so weit.
Und zur alten Erde wieder
Senkt sich nieder Blatt für Blatt,
Dass sie nun genug der Decken
Für das grosse Sterben hat.
W. Lennemann
Alle Neune am 9. November!