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Als Vater lebte und starb
Von Max Banhel
Wenn der Wanderer nach langen Jahren
wieder einmal die Wege der Kindheit geht,
bleibt er mitten im Wandern erstaunt stehen.
In seiner Erinnerung wuchsen wilde Berge,
brüteten dumpfe Taler, endlos dehnten sich
damals die Wege, und in den schwarzen Wäl-
dern saß das Grausen. Nun aber sind die Berge
sanfte Hügel geworden, die Täler blühend, die
Wälder lieblich. Die Landschaft, die seine Kin-
derseele mit Grausen füllte, liegt jetzt gebän-
digt zu seinen Füßen.
Wir waren erwachsen und gingen im Ge-
spräch noch einmal die Wege der Kindheit.
Das waren die alten dunklen Wege „Arbeit
und Kampf um den Bissen Brot", das dumpfe
Tal „Verstümmelte Kindheit", der Wald
„Schwere Arbeit", aber schon leuchteten die
Sterne „Laßt uns hoffen" und „Trotz alledein"
der stürmischen Jugend.
Der eine Kamerad war ein Schübling, der
in Nizza aufgegriffen war und nun über Genua,
Neapel, Brindisi nach Triest in seine Heimat
abgeschoben ivurde. Er war jung, kaum acht-
zehn Jahre alt, hoch aufgeschossen, mit ver-
bittertem Mund und struppigem Haar, das
nach allen Himmelsrichtungen wirbelte, große
Arbeiterfäuste, die deine Hand quetschten, wenn
der Kamerad dich begrüßte.
Wir konnten nicht schlafen und standen am
Heck des Schiffes in der unendlichen brausen-
den Wüste des Meeres, ergriffen und begeistert
von der Gewalt der sich brechenden Wellen,
deren Täler und Berge wuchteten und phos-
phorn aufglühten.
„Nizza ist schön, begann der Schübling, die
Niviera ist ein blühender Garten, aber hinter
den Landstreichern sind sie scharf her. Mit
Hunden werden nachts die Gebüsche abge-
sucht. Mich haben sie so gefunden. Wenn dich
die Polizei in den Händen hat, bist du ver-
loren. Sie machen kurzen Prozeß. Ich saß vier
Wochen wegen Vagabondage und wurde dann
abgeschoben."
„Was willst du tun?" fragte ich. „In Triest
werden sie dich greifen und ins Arbeitshaus
stecken."
„Weiß ich, mein Lieber," antivortete er, „aber
in Brindisi baue ich ab, verblühe, mache mich
unsichtbar. Mein Lehrer hat mir immer prophe-
zeit, daß ich einmal am Galgen enden werde."
Jonas, mein Wanderkamerad, lachte. „Tröste
dich, ich soll ja auch einmal im Zuchthaus
enden. Die Lehrer sind böse Propheten, mein
Lieber. Erzähle, warum du an den Galgen
sollst."
„Das ist bald erzählt," antwortete der andere,
„wir waren arm, darum also. Einmal wurde
in der Schule eine Statistik nach den Berufen
unserer Väter angelegt. Die Väter der anderen
Kinder arbeiteten iin Kontor, in der Fabrik, sie
waren Gartnereibesitzer, Großbauern, Schutz-
leute oder Beamte. Nur mein Vater war nichts.
Er war ein lungenkranker arbeitsloser Stein-
metz, dem der feine Sandstaub die Lunge zer-
fressen hatte. Also ,Wo arbeitet dein Vater?'
fragte der Lehrer. Mein Vater sucht Arbeit,'
antwortete ich. .Womit?' fragte der Lehrer, der
mich nicht liebte, .mit dem Opernglas oder
dem Schubkarren?' Die Kinder lachten herz-
los. Ich, voll Scham und Wut, antwortete.Mit
seiner zerfressenen Lunge, Herr Lehrer!'"
„Und da wünschte er dich an den Galgen?"
fragte Jonas.
„Da wünschte er mir den Galgen!" ant-
wortete der Schübling. „Seht," fuhr er fort,
„so ist das Leben. Als ich aus der Schule kam,
starb mein Vater. Nun gut, wir lassen uns nicht
unterkriegen, wir haben eine dicke, geduldige
Haut, aber in einem hatte der Lehrer doch recht!
Schubkarren und Opernglas! Da fährt der
Arme und Kranke auf einem Karren sein
Elend durch die Stadt, die zerfressene Lunge,
die großen Enttäuschungen des Lebens, das
kleine Bündel Hoffnung, den großen Packen
schmerzlichen Verzicht. Da aber ist der reiche
Mann, der Satte und Gesunde, der Sichere,
der Lächelnde, er hat alles, er hört alles, er
sieht alles, und was seinem scharfen Raub-
tierblick dennoch entgehen sollte, er findet es
dennoch, denn er hat die schärfsten Gläser der
Welt, denen nichts verborgen bleibt: Zeit
und Geld."
„Ich will erzählen," begann Jonas, „warum
mir das Zuchthaus prophezeit wurde. Es ist
auch so eine Geschichte wie die deine, Kame-
rad, sinnlos, episodenhaft, die einen aber durch
das ganze Leben verfolgt.
Meine größte, heftigste Kindersehnsucht war,
einmal nicht mehr in Lumpen und geflickten
Kleidern herumzulaufen; ich malte mir aus,
am Morgen aufzustehen, auch innerlich ein
neuer Mensch, mit einem Lied zu erwachen
— es gibt solche Morgen, in denen du die
Welt verklärt vor dir liegen siehst — also auf-
zusteben, die alten Lumpeir mit spitzen Fingern
anzufassen und in das Feuer zu werfen, singend
dabei, eine unbekannte Melodie geht dir immer
durch das Herz, und nun ziehst du neue Klei-
der an. Das Hemd duftet nach Sonne imd
Wind, die Schuhe knarren und riechen nach
jungen Pferden, die Strümpfe schmeicheln sich
nm deine Füße, der Anzug macht dich nach-
denklich und feierlich, so schön ist er. Und immer
geht dir die summende Honigmelodie durchs
Herz. Ich habe mir das hundertmal, tausend-
mal ausgedacht, wenn ich im letzten Traum
lag und der Tag sich entschleierte. Aber ich
bekam nie neue Kleider.
Mittelstand
„Wenn wir auch nichts zu essen und anzuziehen
haben, — Arbeiter find wir deswegen
doch noch lange nicht."
Eine Tante schickte einmal getragene Klei-
der, die für ihre Kinder zu schlecht, für uns
aber zu schön waren, für mich war ein Anzug
dabei, nicht schlecht, nicht gut, aber der erste
in meinem Leben, mit dem ich stolz zur Schule
wandert«. Der Lehrer — es gibt immer einen
Schüler in der Klasse, der den Haß des Lehrers
zu ertragen hat — der Lehrer also höhnte:
.Nun, Jonas, ihr habt wohl geerbt?' Ich las
damals schon die Arbeiterzeitungen und sagte:
.Nein, Herr Lehrer, geerbt haben wir nicht,
aber enterbt sind wir.' Er machte ein ver-
dutztes Gesicht. .Wieso enterbt?' Er wußte
ganz genau, was ich meinte. Ich blieb stumm.
.Nun, willst du antworten?' drohte er. .Weil
wir arm sind,' sagte ich tapfer und sah ihn
an." Jonas schwieg und sah auf das, weiße
Licht des Leuchtfeuers, das suchend über die
aufgewiegelten Wogen ging.
„Weiter," sagte der Schübling, „weiter."
„Was weiter? Das ist alles. Der Lehrer
prophezeite mir das Zuchthaus, weil ich so
frech geantwortet hatte."
„Ich habe an der Riviera alte Männer ge-
sehen," begann der Schübling von neuem, „die
siebzig, achtzig und noch mehr Jahre alt waren.
Ich denke an meinen Vater, der vierzigjährig
an der Schwindsucht starb.
Wenn in den alten Geschichten die Helden
starben, die Ritter, die Prinzen, die Könige
und Kaiser, hüllten sie sich in ihre purpurnen
Gewänder und versammelten ihre Knechte und
Mägde, segneten oder verfluchten, straften oder
belohnten.
Mein Vater starb auf dem Bett der armen
Leute, keiner kam, der ihm diente und die
Schmerzen linderte Er lag ruhelos und keu-
chend, den Tod vor Augen in der einsamen
Kaminer, er schickte uns von seinem Lager, er
wollte einsam sterben wie ein Tier, das sich
in die blaue Wildnis der Wälder verkriecht
und das Ende heranrauschen hört.
Ehe er aber starb, blühte er noch einmal auf.
Als aber der Herbst mit seinen Regenschauern
einsetzte, legte der kranke Mann sich wieder auf
das Folterbett und löschte aus. In der ersten
Herbstnacht starb er.
Ich bin einmal iin Traum gestorben und
habe jetzt keine Angst mehr vor dem Tod. Wir
saßen warm und eng im Zimmer an dem
runden Tisch, versöhnlich und ohne Angst und
Haß. Wir hatten gegessen und getrunken,
über uns spielte ein Klavier, durch die Decke
tropfte die Musik in unsere Herzen, die Lampen
waren gelöscht, nur Lichter brannten. An die
Fenster trommelte der Regen, man hörte den
Sturm heulen. Es war die große feierliche
Stunde der Ruhe und Sammlung über das
Herz gekommen. Du hast deine Arbeit getan,
deine Pflicht erfüllt, du bist müde und aus-
geruht zugleich, du bist wunschlos und träume-
voll. Nun werden die Lichter ausgelöscht, du
siehst sie friedevoll verglühen, zuletzt siehst du
nur noch die feurigen Köpfchen der Dochte,
du hörst nichts mehr, kein Gespräch, keine
Musik, die Gesichter sind alle verlöscht wie die
Kerzen, nur Nacht ist noch, friedvolle, samtene,
warme, mütterliche, in die du selig dein Haupt
bettest und wunschlos vergehst.
Als mein Vater starb, wußte ich noch nicht,
daß der Tod beseligend sein kann. Wir weinten
und schrien, als der Tote mit wächsernem
Gesicht und erstarrten, staunenden Augen nach
der Zimmerdecke sah und den Mund ein wenig
ungläubig verzogen hatte.
Das Begräbnis mar die übliche pompöse und
kalte Technik, Menschen mit Erde zuzuschaufeln.
Nach dem Amen drückte der Pfarrer jedem von
uns die Hand, sah uns aus schwarzen, feuchten
Augen an und verschwand.
Als Vater lebte und starb
Von Max Banhel
Wenn der Wanderer nach langen Jahren
wieder einmal die Wege der Kindheit geht,
bleibt er mitten im Wandern erstaunt stehen.
In seiner Erinnerung wuchsen wilde Berge,
brüteten dumpfe Taler, endlos dehnten sich
damals die Wege, und in den schwarzen Wäl-
dern saß das Grausen. Nun aber sind die Berge
sanfte Hügel geworden, die Täler blühend, die
Wälder lieblich. Die Landschaft, die seine Kin-
derseele mit Grausen füllte, liegt jetzt gebän-
digt zu seinen Füßen.
Wir waren erwachsen und gingen im Ge-
spräch noch einmal die Wege der Kindheit.
Das waren die alten dunklen Wege „Arbeit
und Kampf um den Bissen Brot", das dumpfe
Tal „Verstümmelte Kindheit", der Wald
„Schwere Arbeit", aber schon leuchteten die
Sterne „Laßt uns hoffen" und „Trotz alledein"
der stürmischen Jugend.
Der eine Kamerad war ein Schübling, der
in Nizza aufgegriffen war und nun über Genua,
Neapel, Brindisi nach Triest in seine Heimat
abgeschoben ivurde. Er war jung, kaum acht-
zehn Jahre alt, hoch aufgeschossen, mit ver-
bittertem Mund und struppigem Haar, das
nach allen Himmelsrichtungen wirbelte, große
Arbeiterfäuste, die deine Hand quetschten, wenn
der Kamerad dich begrüßte.
Wir konnten nicht schlafen und standen am
Heck des Schiffes in der unendlichen brausen-
den Wüste des Meeres, ergriffen und begeistert
von der Gewalt der sich brechenden Wellen,
deren Täler und Berge wuchteten und phos-
phorn aufglühten.
„Nizza ist schön, begann der Schübling, die
Niviera ist ein blühender Garten, aber hinter
den Landstreichern sind sie scharf her. Mit
Hunden werden nachts die Gebüsche abge-
sucht. Mich haben sie so gefunden. Wenn dich
die Polizei in den Händen hat, bist du ver-
loren. Sie machen kurzen Prozeß. Ich saß vier
Wochen wegen Vagabondage und wurde dann
abgeschoben."
„Was willst du tun?" fragte ich. „In Triest
werden sie dich greifen und ins Arbeitshaus
stecken."
„Weiß ich, mein Lieber," antivortete er, „aber
in Brindisi baue ich ab, verblühe, mache mich
unsichtbar. Mein Lehrer hat mir immer prophe-
zeit, daß ich einmal am Galgen enden werde."
Jonas, mein Wanderkamerad, lachte. „Tröste
dich, ich soll ja auch einmal im Zuchthaus
enden. Die Lehrer sind böse Propheten, mein
Lieber. Erzähle, warum du an den Galgen
sollst."
„Das ist bald erzählt," antwortete der andere,
„wir waren arm, darum also. Einmal wurde
in der Schule eine Statistik nach den Berufen
unserer Väter angelegt. Die Väter der anderen
Kinder arbeiteten iin Kontor, in der Fabrik, sie
waren Gartnereibesitzer, Großbauern, Schutz-
leute oder Beamte. Nur mein Vater war nichts.
Er war ein lungenkranker arbeitsloser Stein-
metz, dem der feine Sandstaub die Lunge zer-
fressen hatte. Also ,Wo arbeitet dein Vater?'
fragte der Lehrer. Mein Vater sucht Arbeit,'
antwortete ich. .Womit?' fragte der Lehrer, der
mich nicht liebte, .mit dem Opernglas oder
dem Schubkarren?' Die Kinder lachten herz-
los. Ich, voll Scham und Wut, antwortete.Mit
seiner zerfressenen Lunge, Herr Lehrer!'"
„Und da wünschte er dich an den Galgen?"
fragte Jonas.
„Da wünschte er mir den Galgen!" ant-
wortete der Schübling. „Seht," fuhr er fort,
„so ist das Leben. Als ich aus der Schule kam,
starb mein Vater. Nun gut, wir lassen uns nicht
unterkriegen, wir haben eine dicke, geduldige
Haut, aber in einem hatte der Lehrer doch recht!
Schubkarren und Opernglas! Da fährt der
Arme und Kranke auf einem Karren sein
Elend durch die Stadt, die zerfressene Lunge,
die großen Enttäuschungen des Lebens, das
kleine Bündel Hoffnung, den großen Packen
schmerzlichen Verzicht. Da aber ist der reiche
Mann, der Satte und Gesunde, der Sichere,
der Lächelnde, er hat alles, er hört alles, er
sieht alles, und was seinem scharfen Raub-
tierblick dennoch entgehen sollte, er findet es
dennoch, denn er hat die schärfsten Gläser der
Welt, denen nichts verborgen bleibt: Zeit
und Geld."
„Ich will erzählen," begann Jonas, „warum
mir das Zuchthaus prophezeit wurde. Es ist
auch so eine Geschichte wie die deine, Kame-
rad, sinnlos, episodenhaft, die einen aber durch
das ganze Leben verfolgt.
Meine größte, heftigste Kindersehnsucht war,
einmal nicht mehr in Lumpen und geflickten
Kleidern herumzulaufen; ich malte mir aus,
am Morgen aufzustehen, auch innerlich ein
neuer Mensch, mit einem Lied zu erwachen
— es gibt solche Morgen, in denen du die
Welt verklärt vor dir liegen siehst — also auf-
zusteben, die alten Lumpeir mit spitzen Fingern
anzufassen und in das Feuer zu werfen, singend
dabei, eine unbekannte Melodie geht dir immer
durch das Herz, und nun ziehst du neue Klei-
der an. Das Hemd duftet nach Sonne imd
Wind, die Schuhe knarren und riechen nach
jungen Pferden, die Strümpfe schmeicheln sich
nm deine Füße, der Anzug macht dich nach-
denklich und feierlich, so schön ist er. Und immer
geht dir die summende Honigmelodie durchs
Herz. Ich habe mir das hundertmal, tausend-
mal ausgedacht, wenn ich im letzten Traum
lag und der Tag sich entschleierte. Aber ich
bekam nie neue Kleider.
Mittelstand
„Wenn wir auch nichts zu essen und anzuziehen
haben, — Arbeiter find wir deswegen
doch noch lange nicht."
Eine Tante schickte einmal getragene Klei-
der, die für ihre Kinder zu schlecht, für uns
aber zu schön waren, für mich war ein Anzug
dabei, nicht schlecht, nicht gut, aber der erste
in meinem Leben, mit dem ich stolz zur Schule
wandert«. Der Lehrer — es gibt immer einen
Schüler in der Klasse, der den Haß des Lehrers
zu ertragen hat — der Lehrer also höhnte:
.Nun, Jonas, ihr habt wohl geerbt?' Ich las
damals schon die Arbeiterzeitungen und sagte:
.Nein, Herr Lehrer, geerbt haben wir nicht,
aber enterbt sind wir.' Er machte ein ver-
dutztes Gesicht. .Wieso enterbt?' Er wußte
ganz genau, was ich meinte. Ich blieb stumm.
.Nun, willst du antworten?' drohte er. .Weil
wir arm sind,' sagte ich tapfer und sah ihn
an." Jonas schwieg und sah auf das, weiße
Licht des Leuchtfeuers, das suchend über die
aufgewiegelten Wogen ging.
„Weiter," sagte der Schübling, „weiter."
„Was weiter? Das ist alles. Der Lehrer
prophezeite mir das Zuchthaus, weil ich so
frech geantwortet hatte."
„Ich habe an der Riviera alte Männer ge-
sehen," begann der Schübling von neuem, „die
siebzig, achtzig und noch mehr Jahre alt waren.
Ich denke an meinen Vater, der vierzigjährig
an der Schwindsucht starb.
Wenn in den alten Geschichten die Helden
starben, die Ritter, die Prinzen, die Könige
und Kaiser, hüllten sie sich in ihre purpurnen
Gewänder und versammelten ihre Knechte und
Mägde, segneten oder verfluchten, straften oder
belohnten.
Mein Vater starb auf dem Bett der armen
Leute, keiner kam, der ihm diente und die
Schmerzen linderte Er lag ruhelos und keu-
chend, den Tod vor Augen in der einsamen
Kaminer, er schickte uns von seinem Lager, er
wollte einsam sterben wie ein Tier, das sich
in die blaue Wildnis der Wälder verkriecht
und das Ende heranrauschen hört.
Ehe er aber starb, blühte er noch einmal auf.
Als aber der Herbst mit seinen Regenschauern
einsetzte, legte der kranke Mann sich wieder auf
das Folterbett und löschte aus. In der ersten
Herbstnacht starb er.
Ich bin einmal iin Traum gestorben und
habe jetzt keine Angst mehr vor dem Tod. Wir
saßen warm und eng im Zimmer an dem
runden Tisch, versöhnlich und ohne Angst und
Haß. Wir hatten gegessen und getrunken,
über uns spielte ein Klavier, durch die Decke
tropfte die Musik in unsere Herzen, die Lampen
waren gelöscht, nur Lichter brannten. An die
Fenster trommelte der Regen, man hörte den
Sturm heulen. Es war die große feierliche
Stunde der Ruhe und Sammlung über das
Herz gekommen. Du hast deine Arbeit getan,
deine Pflicht erfüllt, du bist müde und aus-
geruht zugleich, du bist wunschlos und träume-
voll. Nun werden die Lichter ausgelöscht, du
siehst sie friedevoll verglühen, zuletzt siehst du
nur noch die feurigen Köpfchen der Dochte,
du hörst nichts mehr, kein Gespräch, keine
Musik, die Gesichter sind alle verlöscht wie die
Kerzen, nur Nacht ist noch, friedvolle, samtene,
warme, mütterliche, in die du selig dein Haupt
bettest und wunschlos vergehst.
Als mein Vater starb, wußte ich noch nicht,
daß der Tod beseligend sein kann. Wir weinten
und schrien, als der Tote mit wächsernem
Gesicht und erstarrten, staunenden Augen nach
der Zimmerdecke sah und den Mund ein wenig
ungläubig verzogen hatte.
Das Begräbnis mar die übliche pompöse und
kalte Technik, Menschen mit Erde zuzuschaufeln.
Nach dem Amen drückte der Pfarrer jedem von
uns die Hand, sah uns aus schwarzen, feuchten
Augen an und verschwand.