Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Deutschlands Ausverkauf

oder

95--Pfennig-Tage für Ausländer

„-Untern Linden, untern Linden gehn

spaziern die Mägdelei n—", summte Mister
Miller aus Neuyork. „Konfektion neu und wenig
getragen" (mehr das letztere), en gros und en
detail (vorwiegend das letztere), als er um die
Kanzler-Ecke Friedrichstraße-Unter den Linden
herumbog.

Mister Miller hatte vor einer Reihe von
Jahren als Alfred Müller den lästigen kaiser-
deutschen Staub von den Füßen geschüttelt
und sich aufgemacht nach dem Lande der Frei-
heit und der unbegrenzten Möglichkeiten, weil
er sich noch für viel zu jung hielt, sich von
einem zu erwartenden „Etwas" Papa titu-
lieren zu lassen. Alfred Müller arbeitete nicht
gern für sich, geschweige denn für zwei be-
ziehungsweise drei Personen-

Der amerikanisierte Miller putzte Schuhe,
verkaufte Zeitungen, war in einem Hotel als
Aufwascher tätig und putzte wieder Schuhe,
war ohne Arbeit, schob Kohldampf bis zur
Verdünnung und bis zu der Zeit, da die
Munitionsfabriken wie Pilze aus der Erde
schossen.

Von diesem Zeitpunkte an ging es „auf-
wärts" mit Mister Miller: er drehte Grana-
ten — für wen und gegen wen, das war ihm
Gottlieb Schulze.

Als Mister Miller im besten Verdienen war,
hörte das Granatendrehen aus. Die verdamm-
ten Deutschen hatten Schluß gemacht.

Mister Miller wurde Konfektionär. Das
heißt, er heiratete- eine Eva Lev mit dem oben-
erwähnten Konfektionsgeschäft. Da er sich es
leisten konnte, schloß er sich den Vereinigungen
der Deutschamerikaner und den Quäkern an,
um „drüben" den Kriegswaisen und anderen
durch den Krieg halbverhungerten Kindern zu
einigen Suppen zu verhelfen. Mister Miller
wußte, was zum guten Ton gehörte.

Und nun, da die „Luft rein" war, war er
wieder „hüben", um seinem geliebten Vater-
lande einen Besuch abzustatten, und um seinen
Verwandten zu zeigen, wie sehr zu unrecht sie
ihn damals als räudiges Schaf behandelt
hatten. —-

Aber jetzt erst inal zu Wertheim. Einige
Kleinigkeiten für feine Eva in Neuyork und
sein Konfektionsgeschäft sn gros und en detail
(aber mehr das letztere) gekauft.

„Goddam!" — Ist das ein internationales
Gedränge und Geschwadroniere bei Wert-
heim. Vor den Portalen Autos in langen
Reihen. Seine „Landsleute" von jenseits des
großen Teiches machen den größten Prozent-
satz aus.

Alles wird verlangt und gekauft: Braut-
und Baby-Ausstattungen (komplett), Kinder-
spielzeug, Strümpfe in allen Modefarben, Hem-
den für den Tag und für die Nacht, Kleider,
Hüte, Schuhe von Lack, Uhren, Ringe, Perlen,
Ledertaschen, Koffer, Pelze, seidene „duft'ge"
Unterwäsche, Bücher für den - Bücherschrank,
Schreibmaschinen, Briefbeschwerer, Geldkas-
setten, Rechenmaschinen.

Berechnend und abwägend macht Mister
Miller seine Geschäfte. Summa summarum:
Neunzigtausendfünfhundert deutsche Reichs-
mark. In neuen, fast noch druckfeuchten Zehn-
tauseudern wird die Rechnung beglichen. Die
Adresse angegeben. Ins Auto. Zurück in das
Hotel. Das Tagwerk für heute ist getan.

Wichtige Frage: Wie wird der Abend an-
genehm totgeschlagen? Schauspielhaus? Nicht
gerade mein Fall. Oper? No, erst recht nicht.
Etwas Knalliges muß es sein! Operette? Geht

1067b

Der Valutastarke

„Deutschland in Not? Konsense! Das reine
Schlaraffenland ist es für unsereinen."

schon eher. Kabarett? Nackttünze? Das ist fein
Fall. Mister Miller schnalzt mit der Zunge
und stäubt sich die Jmportenasche vom tadel-
los auf Taille gearbeiteten Jakett. -

Im Hotel wird's ihm zu langweilig. In
ein Cafe. Berlin-Westen. Russen-Kolonie.
Die Sprache russisch. Russisch die Firmen-
schilder und Ankündigungen. Auf jedem Tische
liegt der „Rrrul". Die „Ober" flitzen, hetzen,
jagen.

Sekt bestellt sich Mister Miller. Alkohol! Ah!
Wie das prickelt. „Drüben ist das Zeug ver-
pönt. Auf dem Papier — ja — wohl. Aber
immerhin. Ein angenehmes Gefühl, öffentlich
das Zeug trinken zu können. Wenn jetzt so
ein heruntergekommener „Freund" oder „Be-
kannter" von ehemals kommen würde und
ihn so sitzen sähe —! —!

Die Abendzeitungen: Dollar in den Nach-
mittagsstunden 8600. Mister Miller reibt sich
die Tagediebpfoten: Das Geschäft macht sich!

Ins Hotel zurück. Tollette für die Kabarett-
vorstellung machen.

„Goddam! War das eine Nacht!" — Der
Schädel brummt. Der Rücken schmerzt. Wenn
das seine „geliebte" Eva „drüben" wüßte!

Passiv

„Nanu, Hugo, haste jeboxt?"
„Nee, ick nich — der andere."

Ein kaltes Bad. Eine Anzahl kalte Duschen.
Die Lebensgeister kehren zurück. Die Zeitung.
Dollar 9000. Großartig -—

Ein Herr verlangt dringend Mister Mille-
zu sprechen.

Mister Miller „läßt bitten".

Den Besuch hat er nicht erwartet! Der Herr
erinnert ihn an seine Vaterschaft. Goddam!
Der Herr kommt in amtlicher Eigenschaft von
irgendeinem Amt. Der Sprößling ist dreizehn
Jahre alt. Mister Miller kann die Vaterschaft
nach vorgelegten Akten nicht leugnen. Mister
Miller sagt zu allem Ja und Amen. Mister
Miller haben die Lebensgeister wieder ver-
lassen. Innerhalb der dreizehn Jahre ist eine
schöne Summe herangewachsen. Grund genug
zum Lebensgeister — verlassen! Mister Miller

verspricht, verspricht-Bier Wochen lang

ist Mister Miller noch in Deutschland. „Bis
dahin ist alles geregelt."

Der Beamte entfernt sich. Mister Miller
klingelt.

„Die Rechnung. Ich reise heute noch!"

Ein Lastauto fährt vor. Mister Miller-
Sachen werden verladen. Mister Miller ist
reisefertig.

„Der Dampfer der United States Lines fährt
in zwei Tagen." So lautet die Antwort der
Geschäftsstelle der United States Lines, Berlin
XV. 8, Unter den Linden 1.

Auf der Treppe trifft er mit seinem Neffen
zusammen, der ihn „besuchen" und sich nach
seinem „Befinden erkundigen" will.

„Komm in drei Tagen wieder. Wichtige ge-
schäftliche Reise nach — nach — Leipzig. Un-
aufschiebbar."

„Kann ich hier für dich inzwischen etwas
tun, lieber Onkel?"

„No. Danke. All's well. God bye."-

Das Auto rattert, und weg ist der „liebe
Onkel aus Amerika".

Kurz vor der Abfahrt des Dampfers kaust
sich Mister Miller das „Hamburger Frem-
denblatt". Ein Blick — er hat, was er sucht!
Dollar 9500.

„Goddam!" So ein Pech! Was hätte er da
nicht noch kaufen können, wenn nicht die Er-
innerung an das „Etwas" dazwischen gekom-
men wäre!-—

Wenn Mister Miller „drüben" ist, wird er
zwei Dinge tun: erstens auf das sremden-
feindliche Deutschland schimpfen — zweitens
erzählen, wie billig die Deutschen leben und
wie unrecht ihre Klagen sind. . . .

Ernst Fischer von Gnandstein

vor der Kielenlchiläkröte

neumann ging in das flquarium.

Und er lah llch hier mit Staunen um.
endlich aber »and, als ob er bete,
voller flndacht er vor jener Kröte,
vle ein Schild auf ihrem Kücken trägt
Und gelegentlid) auch Eier legt.

„Vater," sprach fr au neumann ftill und heiter,
„Steh nicht Löcher ln den voden, komme melier!"

„pah mal Achtung, Mutter veumann! Nämlich:
vieles Her gilt allgemein als dänillch.

Doch ich finde, es versteht das Vieh
vrefflich vationalökonomie.

Venn es löfte — höre, was ich tage! —

Gar und gänzlich die lozlale frage.

Und es packt Sewundrung mich und Veld.
Mutter, wären wir bloß ersi lo weit!"

„)a, warum, roiefo, weshalb denn, Mann?"
„weil es achtzehn Monat hungern kann!!"

van
 
Annotationen