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Schöne Seelen
Wir hatten uns zu einer Studiengesellschast
zusammengetan, deren Zweck die Untersuchung
der sozialistisch hochbedeutsamcn Frage war,
ob das Schiebertum bereits um alles Scham-
gefühl gekommen sei oder ob es noch einen
letzten Rest davon sich bewahrt habe. Die Ge-
sellschaft verfügte über ausreichende Geldmittel,
um sauberste Experimentalproben vornehmen
zu können. Die Ergebnisse ihrer Forschungen
fielen über alle Erwar-
tung lehrreich aus.
Unser erstes Versuchs-
objekt war Frau Lola
Breitensträter, die Gat-
tin d es Exp ertkaufmanns
Egon Breitensträter,
eines Mannes, dessen
tägliches Einkommen auf
120000bis IMOOOMark,
je nach Bedarf und Ar-
beitsneigung, festgestellt
wurde.
Wir wandten uns an
Frau Lola Breitensträter
mit folgendem Schrei-
ben: „Hochverehrte gnä-
dige Frau! Die unter
der Bezeichnung .Soziale
Nothilfe' zusammenge-
schlossene unterzeichneke
Vereinigung hat sich zur
speziellenAufgabe gesetzt,
in das traurige Leben
unterernährter Kinder
durch Vorführung von
Mode-Revuen einen hei-
teren Lichtstrahl zu sen-
den. Sie bittet Euer
Edelgeboren ergebenst,
diese Bestrebungen durch
gütige persönliche Vor-
führung der Kleider-
schätze Euer Edelgeboren
unterstützen zu helfen.
Wirdenken unsdieSache
so, daß gnädige Frau an
näher zu bezeichnenden
Abenden im Kreise für-
würdig befundener, aus-
gewählter Proletarier-
kinder in den neuesten
Toiletten, möglichst mit
angehefteten Preiszet-
teln, sich zu bewegen
die große Güte haben
möchten. Der Zweck, den
wir dabei verfolgen, ist
ein doppelter: Einmal
wird den Kindern armer
Eltern ein Blick in das
Reich der Freude und
Grazie ermöglicht, zum
andern wird durch die Einrichtung der sinn-
fällige Beweis geliefert, wie durch die gültige
Wirtschaftsform Wohlstand und Behaglichkeit
erzielt wird für die, die sich zu diesem System
bekennen."
Frau Lolo Breitensträter antwortete, obwohl
der deutschen Orthographie nicht mächtig, in
einem Schreiben, das nur als enthusiastisch
zustimmende Antwort gedeutet werden konnte.
Wir glaubten bereits, den Fall Lolo Breiten-
sträter abgeschlossen zu den Akten legen zu
können, als Herr Egon Breitensträter auf un-
serem Bureau erschien, wütend den an seine
Gattin gerichteten Brief schwenkte und die
präzise Frage an uns richtete, ob wir ihn und
seine Frau zu verkohlen die Absicht hätten.
Die Unterhaltung drohte peinlichen Charakter
anzunehmen, und erst, als wir Herrn Egon
Breitensträter für das jedesmalige Auftreten
seiner Gemahlin 260000 Mark boten, fand
das Gespräch eine freundlichere Wendung und
einen beide Parteien befriedigenden Abschluß.
Zum ersten der für die fingierten Mode-
Revuen festgesetzten Abende fand sich Frau
Lolo Breitensträter pünktlich ein. Wir klärten
die Dame, da uns das Experiment als abge-
schlossen erschien, über die Mystifikation aus.
Wirth: „Fragt sich nur, wer zahlen soll?"
Lille: „Der da:!"
Am nächsten Morgen wiederum erschien
Herr Egon Breitensträter. „Sie haben", be-
gann er, „mittels meiner Frau Beweise für
die angebliche Schamlosigkeit der bessersituier-
ten Kreise sammeln wollen, das soll Sie teuer
zu stehen kommen!" Wir deuteten den Nach-
satz seiner Rede in der einzig möglichen und,
wie sich erwies, richtigen Weise und fragten
nach der Höhe verlangter Summe. Er nannte
eine Ziffer, zwar hoch, aber angemessen dem
Wert des vorzüglichen Materials, das er dar-
stellte. Wir zahlten also und sagten: „Wir
danken Ihnen, Herr Breitensträter!" Er horchte
auf und fragte: „Wofür?" „Belieben Sie zu
folgen," führten wir aus, „Ihre Gattin erbot
sich, armen Kindern die Pracht ihrer LuxuS-
kleidung vorzuführen. Darin lag die erste
Schamlosigkeit. Sie kamen hinter die Ange-
legenheit und verlangten — sagen wir, ein
Honorar. Zweite Schamlosigkeit. Darauf er-
preßten Sie Schweigegeld, Schweigegeld für
das Verschweigen eigener Schamlosigkeit —
das war die dritte Schamlosigkeit. Wir sind
Ihnen zu tiefgefühltem Dank verpflichtet!"
„So, na schön," sagte Herr Egon Breiten-
sträter da, „nun passen Sie mal auf. Beide
Raten, die ich bisher von Ihnen erhielt, ge-
hörten sozusagen zur
Technik des Ganzen. Ich
spielte Ihnen in die
Hände. Was Sie zahl-
ten, waren die Unkosten
Ihres Experiments. Das
Experiment hat Sie be-
friedigt, was mir Ihre
Dankesworte bestätigen.
Zwar bin ich schamlos,
aber Sie bekommen den
Beweis meiner Scham-
losigkeit doch nicht um-
sonst! Für meine ver-
ständnisvolle Mitarbeit
verlange ich jetzt die ei-
gentliche Entschädigung,
alles andere fällt unter
den Begriff Spesen!"
„Herr Breitensträter,
das ist die vierte Scham-
losigkeit", sagten wir, und
es grauste uns.
„Entzückend," fiel er
uns da ins Wort, „dann
war also, was ich so-
eben ausführte, für Sie
wiederum willkommenes
neues Material! Neues
Material — neue Spe-
sen! SchreibenSie Ihren
Scheck! Wir fangen von
vorne an!" Uns blieb
nichts anderes übrig, als
zu zahlen und die Ge-
neralentschädigung aus-
zuwerfen.
„Nach Ihrem System",
erlaubten wir uns dabei
zu beinerken, „würde es
Ihnen, Herr Breiten-
sträter, gelingen, Ihre
Schamlosigkeiten zu einer
unversiegbaren Renten-
quelle zu gestalten!"
„Es — würde?? —
gelingen?" fragte Herr
Breitensträter mit son-
derbarer Betonung zu-
rück, „wie seltsam welt-
fremdSiedoch sind,meine
Herren!"
Er strich das Geld ein,
stülpte den Zylinder auf die Wülste seines
Nackens und verließ uns. vv.
Stinnes
Stinnes ist auf dem Wege, der populärste
Mann Deutschlands zu werden. Heute hörte
ich, wie eine Mutter ihren unartigen Rangen
drohte: „Gleich sind ihr artig, sonst wird euch
Stinnes aufkaufen!" Maro
Auch richtig
„Papa, wie heißt auf französisch Unver-
nunft?"
„Poincarö."
Die Drückeberger
Wirth: „Es ist also klar, daß gezahlt werden muß, nicht wahr, meine Lerren?"
Alle: „Natürlich!"
Schöne Seelen
Wir hatten uns zu einer Studiengesellschast
zusammengetan, deren Zweck die Untersuchung
der sozialistisch hochbedeutsamcn Frage war,
ob das Schiebertum bereits um alles Scham-
gefühl gekommen sei oder ob es noch einen
letzten Rest davon sich bewahrt habe. Die Ge-
sellschaft verfügte über ausreichende Geldmittel,
um sauberste Experimentalproben vornehmen
zu können. Die Ergebnisse ihrer Forschungen
fielen über alle Erwar-
tung lehrreich aus.
Unser erstes Versuchs-
objekt war Frau Lola
Breitensträter, die Gat-
tin d es Exp ertkaufmanns
Egon Breitensträter,
eines Mannes, dessen
tägliches Einkommen auf
120000bis IMOOOMark,
je nach Bedarf und Ar-
beitsneigung, festgestellt
wurde.
Wir wandten uns an
Frau Lola Breitensträter
mit folgendem Schrei-
ben: „Hochverehrte gnä-
dige Frau! Die unter
der Bezeichnung .Soziale
Nothilfe' zusammenge-
schlossene unterzeichneke
Vereinigung hat sich zur
speziellenAufgabe gesetzt,
in das traurige Leben
unterernährter Kinder
durch Vorführung von
Mode-Revuen einen hei-
teren Lichtstrahl zu sen-
den. Sie bittet Euer
Edelgeboren ergebenst,
diese Bestrebungen durch
gütige persönliche Vor-
führung der Kleider-
schätze Euer Edelgeboren
unterstützen zu helfen.
Wirdenken unsdieSache
so, daß gnädige Frau an
näher zu bezeichnenden
Abenden im Kreise für-
würdig befundener, aus-
gewählter Proletarier-
kinder in den neuesten
Toiletten, möglichst mit
angehefteten Preiszet-
teln, sich zu bewegen
die große Güte haben
möchten. Der Zweck, den
wir dabei verfolgen, ist
ein doppelter: Einmal
wird den Kindern armer
Eltern ein Blick in das
Reich der Freude und
Grazie ermöglicht, zum
andern wird durch die Einrichtung der sinn-
fällige Beweis geliefert, wie durch die gültige
Wirtschaftsform Wohlstand und Behaglichkeit
erzielt wird für die, die sich zu diesem System
bekennen."
Frau Lolo Breitensträter antwortete, obwohl
der deutschen Orthographie nicht mächtig, in
einem Schreiben, das nur als enthusiastisch
zustimmende Antwort gedeutet werden konnte.
Wir glaubten bereits, den Fall Lolo Breiten-
sträter abgeschlossen zu den Akten legen zu
können, als Herr Egon Breitensträter auf un-
serem Bureau erschien, wütend den an seine
Gattin gerichteten Brief schwenkte und die
präzise Frage an uns richtete, ob wir ihn und
seine Frau zu verkohlen die Absicht hätten.
Die Unterhaltung drohte peinlichen Charakter
anzunehmen, und erst, als wir Herrn Egon
Breitensträter für das jedesmalige Auftreten
seiner Gemahlin 260000 Mark boten, fand
das Gespräch eine freundlichere Wendung und
einen beide Parteien befriedigenden Abschluß.
Zum ersten der für die fingierten Mode-
Revuen festgesetzten Abende fand sich Frau
Lolo Breitensträter pünktlich ein. Wir klärten
die Dame, da uns das Experiment als abge-
schlossen erschien, über die Mystifikation aus.
Wirth: „Fragt sich nur, wer zahlen soll?"
Lille: „Der da:!"
Am nächsten Morgen wiederum erschien
Herr Egon Breitensträter. „Sie haben", be-
gann er, „mittels meiner Frau Beweise für
die angebliche Schamlosigkeit der bessersituier-
ten Kreise sammeln wollen, das soll Sie teuer
zu stehen kommen!" Wir deuteten den Nach-
satz seiner Rede in der einzig möglichen und,
wie sich erwies, richtigen Weise und fragten
nach der Höhe verlangter Summe. Er nannte
eine Ziffer, zwar hoch, aber angemessen dem
Wert des vorzüglichen Materials, das er dar-
stellte. Wir zahlten also und sagten: „Wir
danken Ihnen, Herr Breitensträter!" Er horchte
auf und fragte: „Wofür?" „Belieben Sie zu
folgen," führten wir aus, „Ihre Gattin erbot
sich, armen Kindern die Pracht ihrer LuxuS-
kleidung vorzuführen. Darin lag die erste
Schamlosigkeit. Sie kamen hinter die Ange-
legenheit und verlangten — sagen wir, ein
Honorar. Zweite Schamlosigkeit. Darauf er-
preßten Sie Schweigegeld, Schweigegeld für
das Verschweigen eigener Schamlosigkeit —
das war die dritte Schamlosigkeit. Wir sind
Ihnen zu tiefgefühltem Dank verpflichtet!"
„So, na schön," sagte Herr Egon Breiten-
sträter da, „nun passen Sie mal auf. Beide
Raten, die ich bisher von Ihnen erhielt, ge-
hörten sozusagen zur
Technik des Ganzen. Ich
spielte Ihnen in die
Hände. Was Sie zahl-
ten, waren die Unkosten
Ihres Experiments. Das
Experiment hat Sie be-
friedigt, was mir Ihre
Dankesworte bestätigen.
Zwar bin ich schamlos,
aber Sie bekommen den
Beweis meiner Scham-
losigkeit doch nicht um-
sonst! Für meine ver-
ständnisvolle Mitarbeit
verlange ich jetzt die ei-
gentliche Entschädigung,
alles andere fällt unter
den Begriff Spesen!"
„Herr Breitensträter,
das ist die vierte Scham-
losigkeit", sagten wir, und
es grauste uns.
„Entzückend," fiel er
uns da ins Wort, „dann
war also, was ich so-
eben ausführte, für Sie
wiederum willkommenes
neues Material! Neues
Material — neue Spe-
sen! SchreibenSie Ihren
Scheck! Wir fangen von
vorne an!" Uns blieb
nichts anderes übrig, als
zu zahlen und die Ge-
neralentschädigung aus-
zuwerfen.
„Nach Ihrem System",
erlaubten wir uns dabei
zu beinerken, „würde es
Ihnen, Herr Breiten-
sträter, gelingen, Ihre
Schamlosigkeiten zu einer
unversiegbaren Renten-
quelle zu gestalten!"
„Es — würde?? —
gelingen?" fragte Herr
Breitensträter mit son-
derbarer Betonung zu-
rück, „wie seltsam welt-
fremdSiedoch sind,meine
Herren!"
Er strich das Geld ein,
stülpte den Zylinder auf die Wülste seines
Nackens und verließ uns. vv.
Stinnes
Stinnes ist auf dem Wege, der populärste
Mann Deutschlands zu werden. Heute hörte
ich, wie eine Mutter ihren unartigen Rangen
drohte: „Gleich sind ihr artig, sonst wird euch
Stinnes aufkaufen!" Maro
Auch richtig
„Papa, wie heißt auf französisch Unver-
nunft?"
„Poincarö."
Die Drückeberger
Wirth: „Es ist also klar, daß gezahlt werden muß, nicht wahr, meine Lerren?"
Alle: „Natürlich!"