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10688 -

Der 10 OOO-Mark-Schein

Groteske von Alartch Borax

Da hatte ich neulich einen funkelnagelneuen
10000-Mark-Schein glücklich erschwungen. Das
heißt, das Glück bestand in einer dreißigtägigen
Arbeitsleistung, die mir ein gütiges Geschick
hatte zukommen lassen. Einen Augenblick lang
war ich über seinen Besitz hoch — nein ge-
radezu toll erfreut — im nächsten Augenblick
hatte ich ihn nämlich schon anzubringen ver-
sucht — ja versucht, und dabei war meiner
großen Freude ein empfindlicher Stoß versetzt
worden.

Denn man darf sich heutzutage nicht von
dem Wahn befallen lassen, reich zu sein oder
gar auch nur Geld von entsprechendem Nenn-
werte zu besitzen, wenn man einen 10000er
auch noch so fest in Händen hält. Nein, man
ist zu bedauern, man ist arm, so arm wie eine
Kirchenmaus, solange man ihn nicht umge-
wechselt bekommen hat, und das soll einer
heute fertig bringen. Ich habe diese Heldentat
vollbracht und will sie erzählen. Aber die Ge-
schichte geht über Leichen! Ich warne Neu-
gierige.

Ich war also mit meinem Zehntausender
blitzschnell zum Hause hinaus und mit affen-
artiger Geschwindigkeit in den nächsten Flei-
scherladen gerannt. Der Metzger aber, kaum
meines Scheines gewahr werdend, schrie, in-
dem er nach einem gewaltigen Transchiermesser
griff: „Ich schneide dir den Hals ab!" Metzger
sind rohe Gesellen, sagte ich mir, find es von
jeher gewesen, und warf meine Hoffnung auf
den Bäckerladen gegenüber. Mit knapper Not
entging ich der Gefahr, von einem die Straße
durchsausenden Auto erfaßt und überfahren
zu werden. Atemlos verlangte ich ein Bröt-
chen, einen Brotlaib, ein Gebäck, ein Törtchen,
eine Torte — „Halt!" schreie ich im nächsten
Augenblick, denn eben noch durchfährt mich
rechtzeitig der Gedanke, daß der Kostenpunkt
einer Torte den ganzen mir zur Verfügung
stehenden Geldbetrag ausmachen würde. „Halt,"
schreie ich noch einmal, „ich wollte eigentlich
nur denZehntausender gewechselt haben." „Tut
mir leid," entgegnet mir die Bäckersfrau mit
sehr bitter enttäuschtem Gesicht. Sie hatte sich
schon gefreut, die Torte loszuwerden.

Aber ich war (im vierten Augenblick) schon
im Delikatessengeschäft daneben, wo mir die
hübsche Verkäuferin, während ich im fünften
Augenblick in einem Fischladen feilschte, er-
klärte, wegen eines Käschens nicht wechseln
zu können. Im sechsten Augenblick warf mich
ein Zigarrenfritze zum Laden hinaus. Ich sollte
ihn angeblich beschimpft haben. Ich wußte gar
nicht warum.

Der Wille, den Zehntausender unter allen
Umstünden und so bald wie möglich gewechselt

zu sehen, hatte in mir eine derartige Energie,
einen solch beispiellosen Eifer hervorgerufen,
daß ich wie unter dem Zwange einer fixen
Idee, einer tobsüchtigen Wut und einer uner-
müdlichen Geschwindigkeit (60 Kilometer in der
Minute!) meine aussichtslose Absicht fortsetzte.
Unter höchster Lebensgefahr, sowohl für mich
wie für alle die, die mir begegneten, durch-
raste ich die Straßen, riß die Türen auf und
schrie wie ein Besessener: „Können Sie einen
Zehntausend-Mark-Schein wechseln? Können
Sie??"

Als ich mich wieder auf gutmütigere Um-
gangsformen verlegte, mußte ich einsehen, daß
sie auch nichts nützten: ein Bankkassier bot mir
ein paar Ohrfeigen an, ein Juwelier drohte
mir, mich wegen Beleidigung zu verklagen, ein
Spielwarenhändler gab mir einen Fußtritt,
mit der Bemerkung, er würde nur 100000-
Mark-Scheine wechseln.

Das steigerte meine Raserei wieder aufs
neue in die wahnwitzigste Hitze. Nun begann
man nach mir, sobald man meiner ansichtig
wurde, mit allen möglichen Gegenständen zu
werfen, man hetzte Hunde auf mich, zuletzt
schoß man scharf. Nur der unbeschreiblichen
Geschwindigkeit meines Operieren?, für die es
keinen Vergleich gibt, konnte ich es zuschreiben,
keinen körperlichen Schaden davonzutragen.

Inzwischen war jedoch das Polizeipräsidium
von meinen die öffentliche Sicherheit gefähr-
denden Umtrieben benachrichtigt worden, und
schon durchstreiften verstärkte Aufgebote von
Schutzleuten die Straßen, mich zu fassen. Als
aber ihre Bemühungen nicht ausreichten, rückte
die Reichswehr aus mit Maschinengewehren,
schließlich mit Artillerie. Der Straßenbahn-
betrieb wurde eingestellt, sämtliche Läden ließen
ihre eisernen Rolläden herunter, ein fieberhaf-
tes Rennen und Jagen setzte unter der Bevöl-
kerung, besonders unter den Geschäftsleuten
ein: alle wollten ihre Habe noch rechtzeitig in
Sicherheit bringen. Ich mußte mich daher auf
dte Regierungsgebäude kaprizieren.

Als ich den Bahnhof mit fliegender Fahne
— ich hatte den Zehntausender auf einen unter-
wegs eroberten Spazierstock aufgepflanzt — im
Sturme nahm, entdeckte ich an allen Zugangs-

pforten meinen Steckbrief. Man warnte die
Bevölkerung vor mir, als einem Amokläufer.
Aber ein Blick auf die über meinen Häupten
stolz flatternde Fahne genügte, um meinen Mut
neu zu beflügeln. In tollkühnem Anprall durch-
brach ich im ersten Anlauf die siebengestaffelte
Verteidigungslinie des Gegners, drang in die
Vorhalle des Bahnhofs, erreichte einen Fahr-
kartenschalter, zog den diensttuenden Beamten
durch die Schalteröffnung heraus und stellte die
diktatorische Forderung, meinen Zehntausender
zu wechseln. Der Beamte schnappte noch einige-

mal nach Luft, fiel in Ohnmacht und blieb
wie ein Toter liegen.

Ich verließ ihn und wandte mich den Ver-
waltungsgebäuden zu. Aber das Gerücht meiner
Ankunft, das sich bereits wie ein Lauffeuer ver-
breitet hatte, hatte unter den Beamten eine
panikartige Flucht verursacht. Ich gewann wie-
der die freie Straße, die in schwerem Feuer
von Infanterie und Artillerie lag. Kugeln
pfiffen mir um die Ohren, als ich, den großen
Bahnhofplatz passierend, die Hauptstraße zu
gewinnen suchte. Sie war von Flach- und
Steilbahngeschossen bestrichen und in undurch-
dringlichen Pulverdampf gehüllt.

Unversehrt gelangte ich in eine Nebenstraße,
und bald darauf versetzte ich die Vorstädte in
Schrecken. Mein Schlachtruf hieß: „Wechseln
oder sterben!" Alles flüchtete in Keller, Boden-
kammern oder sonstige Verstecke. Mit der
vom Kugelregen zerfetzten Zehntausend-Mark-
Scheinfahne drang ich in Häuser, Schuppen,
Ställe, überall, wo sich was zum Angriff bot,
ein. Vergebens, denn alles floh aus dem wei-
testen Gesichtskreis.

Endlich, ich war nahe daran, die Hoffnung
aufzugeben und allen Mut zu verlieren, end-

lich, als ich nach meinem erfolglosen Sieges-
lauf ins Zentrum der Stadt zurückkehrte, wehte
auf dem Turm des Rathauses die weiße Fahne:
die Stadt kapitulierte! Der Oberbürgermeister
hatte, so stand unter der Aufschrift zu lesen,
die an einem Balkon angebracht worden war,
mir freien Abzug bei Bedingung sofortiger Ein-
stellung der Feindseligkeiten mit der Zusiche-
rung der Umwechslung meines Zehntausend-
Mark-Scheins zugestanden. Er zahlte mir eigen-
händig im Festsaal den Betrag aus.

Auf diese Weise kam ich zu Kleingeld. Tags
darauf aber war sein letzter Rest verbraucht.
Weil der Marksturz innerhalb der von mir
gelieferten Kämpfe und wohl auch unter dem
Eindruck meiner kriegerischen Okkupationen um
ein bedeutendes zugenommen hatte.

Ja, man hat einen lieben Kampf zu be-
stehen, um einen 10000-Mark-Schein umge-
wechselt zu bekommen. Gottlob komme ich nicht
oft in die Verlegenheit. . .

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