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• 10698

Die Leilige Nacht

Von Friedrich Wendel

Es schrillte, aufjammernd, ein Tierschrei durch
die brütende Stille der Nacht. Die Schafe der
Herde, die regungslos in dunkler Menge bei-
sammengeschart standen, rückten noch dichter
zusammen, doch die Widder hoben aufmerksam
die Köpfe.

„Es ist Demaratos," sprachen die Hirten
untereinader, „es ist Demaratos, der einen
Wolf zerreißt! Hat wer einen Greis gesehen,
der einen Wolf mit ben Fäusten zu erwürgen
vermag?"

Sie brachen die Rede ab, denn Demaratos
tauchte auf aus dem Dunkel. Dicht an das
Lagerfeuer trat er, knickte in die Knie und
ergriff mit blutbedreckten Händen
ein Reisigstänglein, auf das er
des Wolfes Herz spießte, um es in
die Flammen zu halten. „Könnt'
ich so Roms Herz verbrennen zu
Asche!" schrie er laut auf. Jäh
brach er ab, stierte auf ben
verschrumpfenden Fleischklumpen
und warf ihn angeekelt in die
Glut des Feuers.

„Siebzig Jahre ist es her, De-
maratos, vergiß es, vergiß es,"
sagte begütigend Zacharias, an
Jahren so reich wie der Maze-
donier.

„Ich will nicht vergessen, Za-
charias, und ich kann nicht ver-
gessen. Ich kann nicht vergessen,
besonders die Worte, die jener
sprach: wer gibt uns Armen die
bessere Waffe?"

„Was ist das für ein Wort?

Ich höre es zum erstenmal von
deinen Lippen."

Doch Demaratos schwieg mür-
risch. Sie kannten des Alten selt-
same Art und fragten deshalb
nicht weiter.

Schritte kamen näher. An der
Lagerstätte erschienen Eleasar
und Kaleb und Jaffa und Mar-
kus, die die zweite Hälfte der
Nacht zu wachen hatten. Die Ab-
gelösten machten sich fertig, ihre
Behausung im nahen Dorfe auf-
zusuchen. Da sie gehen wollten,
reichte Eleasar ihnen einen Krug
Schafmilch und sprach: „Wenn
ihr in Bethlehem seid, so geht
in den Stall der zweiten Hütte
hinter dem Brunne», es ist ein
Kind geboren worden von einer
fremden Magd. Das liegt auf Stroh, und die
Mutter ist ärmer denn wir. Sorget für Kind
und Mutter um Gottes Lohn."

Wortlos nahm Demaratos das Gefäß und
schritt in die Nacht. Die anderen folgten, ohne
zu sprechen, über ihnen aber leuchteten die
Sterne.

Und sie kamen an die bezeichnete Hütte und
gingen zum Stall. Durch eine Fensterluke fiel
des Mondes bleiches Licht, und sie sahen in
der Krippe das Kindlein liegen, daneben auf
einem Bund Stroh die junge Mutter. In der
Ecke stand ein Mann, der sich zitternd in die
Hände blies. Sie waren alle ganz still, das
Kind, die Eltern und die Hirten. Der Nacht-
wind seufzte um die Wände des grauen, ärm-
lichen Raumes. „Wir bringen euch Milch,"
sagte Demaratos. Der Mann in der Ecke hob
das ausgemergelte Haupt, bewegte die Lippen,
schlurfte näher und nahm Demaratos den Krug
ab. Dann beugte er sich über die Wöchnerin:

Da wendete das Kind in der Krippe sein
Köpfchen ihm zu und sah ihn an aus selt-
samen Augen.

„O, ihr armen und hungernden Brüder,"
fuhr Demaratos fort, „wer gibt uns die bes-
sere Waffe?"

Da fing er den Blick des Kindes auf. Er
rutschte auf seinen schrundigen Knien an die
Krippe heran und sprach zu dem Kind, als
meine er, es verstehe jeden Hauch:

„Du wirst aufwachsen, Knäblein, das Leben
eines Armen zu führen. Du wirst hungern und
frieren und wirst nicht haben, wohin du dein
Haupt legen könntest, und weh wird dein Herz
werden von der großen Härte der Reichen.
Und du wirst ihm fluchen, dem bösen Reich-
tum, von dem alles Leid kommt, um dessen
steinerne Mauern die Klagen der
hungernden Kinder irren, vor
dessen Türen die Bettelnden har-
ren, ihm wirst du fluchen und
wirst versuchen, wie Tausende
um Tausende vor dir, die ver-
fluchten Mauern zu zerbrechen —
ach, daß dir gegeben würde die
bessere Waffe! Nimm nicht das
Schwert, Knäblein, es be-
trügt dich! O, daß einer käme,
der Pflug und Sichel und Ham-
mer und Richtmaß in die Hand
gäbe uns Armen, daß wir bauen
könnten den Acker und bauen
das Haus, um dessen Tisch wir
uns setzen könnten in einiger Ge-
meinde, Gleiche unter Gleichen,
daß nicht der Tränen mehr ge-
weint würden .. ."

So sprach des Spartakos Krie-
ger zu dem Kindlein und legte
das alte Haupt auf der Krippe
Bord und stöhnte tief auf.

Und es war still, und der Atem
der Armen um sie ging schwer.

Der Kindes Hand aber ging
wie kosend über das wirrsträhnige
Haar des Demaratos... .

Eine Weihnachtsbotschaft

Eine zweifache sogar. Denn sie
kommt sowohl aus Frankreich wie
Amerika: Man hat eine neue Art
von Bomben erfunden.

Ganz famose Bomben. Unge-
fährlich für den Absender. Bom-
ben, die allein ein kleines Flugzeug
bilden, drahtlos gelenkt werden
und auf ihren Engelsflügeln so
lange durch den geduldigen Luft-
raum schweben, bis der Mann daheim am elek-
trischen Funkapparat sie auf eine Stadt, ein
Dorf oder sonst ein Ziel niedergehen heißt. Er
braucht gar nicht hinzusehen; er kann alles be-
rechnen. Er sitzt am ivarmen Ofen, drückt auf
einen Knopf, und hundert Kilometer entfernt
von ihm entfaltet sich das prächtigste Feuerwerk.

Zwar war es bisher schon so, daß die gro-
ßen Lenker eines Krieges nicht allzunahe heran-
gingen, sondern das andern überließen. In
Zukunft wird die Sache sich noch viel ein-
facher abwickeln. Alles bleibt zu Hause. Das
Große Hauptquartier natürlich in bomben-
sicherem Unterstand. Die kriegführenden Län-
der schicken einander bei Tag und Nacht ge-
flügelte Granaten, bis das letzte Haus hüben
wie drüben in Trümmer liegt und der letzte
Mensch mit einem „Hurra!" verreckt ist.

Sobald nur noch die Großen Hauptquar-
tiere übrig sind, haben wir endlich „Friede
auf Erden!" p-

„Man hat uns Milch gebracht, Maria," sagte
er. Die Wöchnerin trank.

Die Hirten kauerten nieder. Und wieder war
cs ganz still. Draußen hatte der Wind znge-
nommen und ging wie der Atem der Zeit.

„So werden die Armen geboren," sagte Dc-
maratos bitter. Und Zacharias, um in einem
Gespräch Wärme der Herzen aufkommen zu
lassen, sagte: „Erzähle uns, Demaratos, was
ist's um das Wort, das du vorhin sprachst.
Es klang so seltsam das Wort: wer gibt uns
Armen die bessere Waffe?"

Nach einer Weile begann Demaratos: „Es
war eine Nacht wie diese, um die Zeit der
Wintersonnenwende, da fiel Spartakos, von
dem ich euch oft berichtet. Ich war noch ein
Knabe, da man aufstand wider Rom, aber

Französischer WeihnachMraum

Der Rhein, Frankreichs Strom und Deutschlands Grenze

das Schwert war nicht zu schwer meiner Hand.
Und wir konnten nicht bezwingen des Crassus
Legionen, und es kam die Nacht, in der der
Armen Hoffen versank. Wild ging die Schlacht,
Crassus triumphierte, und wir sahen die freien
Acker niemalen. Ich sah Spartakos fallen und
sah Greuel, wie sie nie begangen worden sind.
Und da ich über die Hügel floh, das junge
Leben zu retten, sah ich dies: Einer der Un-
seren stand zwischen Haufen Erschlagener und
hatte sein Schwert gefaßt und zerschlug es an
einem Stein und heulte und schrie: Es war
eine schlechte Waffe, die Spartakos uns gab!
Verflucht sei das Eisen, das die Armen betrog
und den Neichen zu Rom den Sieg gab!
Schlagt in Stücke, ihr Armen, die falsche
Waffe, das schlechte Eisen! Ihr Götter da
droben,wer gibt uns die bessereWaffe?"

Sie saßen regungslos, die Blicke ins Leere
gebohrt. Demaratos' Haupt aber lag auf seinen
Knien.
 
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