► • lu70U
Unter Schiebern
„Denken Sie sich, mein Kleiner kann alle seine Weihnachtsgeschenke aus dem Kopfe aufzählen.
Jst's nicht der wahre Gedächtniskünstler?"
Märchen
In bißchen freier Bearbeitung von P. E.
Die Sterntaler
Es war einmal ein armes Mädchen, das
hieß Germania. Es war so arm, daß es kein
Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen,
und nichts mehr als die Kleider auf dem Leibe
und ein kleines Stückchen Brot.
Als es seines Weges ging, begegnete ihm
ein Junker, der sprach: „Gib mir das Brot.
Du hast es betrügerischerweise noch vor dem
neuen Preisaufschlag erworben."
Es reichte ihm das Brot und ging weiter.
Da traf es einen Wucherer, der sagte: „Gib
mir Rock und Mütze; du hast es viel zu billig
gekauft." Und da er sie bedrohte, gab sie es her.
Als das arme Mädchen nun nur noch das
Hemd anhatte, dachte es: „Der liebe Gott wird
schon helfen." Aber da kam die Ententekom-
mission und nahm ihm auch das Hemd fort.
Da fror es jämmerlich. Aber es dachte: „Der
liebe Gott wird schon helfen! Vielleicht läßt
er Sterntaler oder Dollars regnen." Aber statt
des lieben Gotts kam eine Botschaft herunter
gefallen vom Himmel; darin stand die Ein-
ladung zu einer neuen Konferenz. Da es sich
damit aber nicht mehr retten konnte, erfror
das arme Mädchen.
Vom Fischer und syner Fru
Es wör mal een Fischer un syne Fru, de
waanten tosammen in'n Pißputt, dicht an de
See. Un de Fischer angelt enen groten Butt
herut, de was verzaubert. „Mann," säd de
Fru, „wünsch dir, daß ich Besitzer aller Aktien
werde."
Der Mann wullt nich recht, aber dann güng
he nach der See un sprach:
„Maantje, Maantje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
Mhne Fru, de Jlsebill,
Alle Aktien haben will."
Da köm de Butt un säd: „Ga man hen. Se
hett sie all!"
Da gang de Mann hen, un syne Fru wohnt
in 'nen groten stenern Palast voll Gold un
Kronlüchters un Bedeenters.
Aber se säd: „Mann, ich will auch alle Ein-
nahmen der-Agrarier haben."
Da güng he nach der See un sprach:
„Maantje, Maantje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
Mhne Fru, de Jlsebill,
Den versteckten Reichtum will."
Da köin de Butt un säd: „Ga man hen.
Se hett ihn all." ,
Da gäng de Mann hen, un syne Fru wollt'
schier ersticken in allem Geld. Aber se was
nich tofreden un säg: „Mann, ich will wie
der Hugo Stinnes werden."
Da güng he nach der See un sprach:
„Maantje, Maantje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
Mhne Fm, de Jlsebill,
Hugo Stinnes werden will."
„Wat will se??" säd de Butt. „Äe is woll
verrückt? Wenn se noch hätt'Kaiser oder Papst
werden wollen! Aber Stinnes — bat es
toveel!!"
Un se waanten wedder in dem alten Pißputt.
Rapunzel
Es war einmal ein schönes Mädchen, das
wurde von seiner Stiefmutter in einem hohen
Turm gehalten.
Da rief eines Nachts eine Stimme: „Ra-
punzel, Rapunzel, laß dein Haar herunter!"
Sie fragte „Warum?"
Da sagte die Stimme: „.Ich kaufe Haare
zu den höchsten Preisen, hundert Gramm für
dreihundert Mark!"
Da ließ Rapunzel ihr Haar herunter, ver-
kaufte es und kaufte sich für den Erlös von
der Stiefmutter frei.
Tischlein, deck dich
Es war einmal ein Gesell namens Kuntze.
Dem hatte ein Mtien-Zauberer allerlei schöne
Zauberworte verraten.
Wenn er das Maul aufriß und „Tischlein,
deck dich!" schrie, stand vor ihm der Tisch
voller herrlicher Dinge. Und wenn er rief:
„Esel, streck dich!" so streckte sich der deutsche
Esel geduldig und ließ sich alle Lügen auf-
packen. Und wenn er brüllte; „Knüppel aus
dem Sack!" so fuhr der Knüppel aus dem
Sack und auf die Köpfe aller derer, die eine
andere Ansicht hatten.
So lebte er lange Jahre herrlich und in
Freuden, bis er in das Reich des noch mäch-
tigeren oberschlesischen Zauberers kam. Als er
hier wieder schrie: „Knüppel aus dem Sack!"
fuhr der Knüppel herum und verprügelte ihn
selber. So ergeht es den Knüppel-Kuntzes.
Schlaraffenland
Es war einmal ein Land, da kostete eine
Zigarre 7 Pf. und ein Anzug 60 Mk. und ein
Pfund Fleisch 80 Pf. und ein Dreierbrötchen
wahrhaftig bloß einen Dreier und ein Sechser-
käse bloß einen Sechser.
Und in diesem Lande gaben die Kühe be-
reitwillig Milch für Kinder und Greise her,
und die Hühner legten Eier und verschlossen
ihre Hinterteile nicht für den Armen.
Aber das alles ist lange her. Denn
eines Tages kam die böse Fee Valuta und in
ihrem Gefolge viele böse Wuchergeister und
verhundert- und vertausendfachten die Preise.
Und weder Kuh noch Huhn sahen sich nach den
Bedürftigen um. Und die gebratenen Schweine
liefen nur noch in die Schlemmerstätten, wo
die dicken Bäuche sitzen.
Und ehe die böse Fee und ihr Gefolge nicht
davongejagt sind, kehrt das Schlaraffenland
nicht wieder!
Münchhausen
Der Baron Münchhausen sprach: „Nun will
ich Ihnen, meine Herren, erzählen, welches
Abenteuer ich mit den wilden Enten hatte —"
Aber da hielten sich alle die Ohren zu:
„Wenn wir Enten hören wollen, brauchen wir
bloß unsere häusliche Generalanzeiger-Presse
zu lesen. Da gibt's viel fettere."
Da schwieg der Lügenbaron beschämt, und so
kann ich euch diese Geschichte nicht erzählen...
Volksparteiler
Wir haben die Republik bejaht:
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Kein Lerrscher, kein Fürst, kein Potentat! —
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Wir Liberalen stützen den Staat!
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Ein Volk: ob Prolet, ob Aristokrat!
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Der Junker klatscht und der Demokrat.
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Lerr Stresemann zirkelt das Quadrat —
Im Grabe wendet sich Freiligrath... p-
Das Thema
Der Redner war ins Quasseln gekommen.
Er schrie begeistert: „Nicht ungeduldig wer-
den, deutsche Männer und Frauen! Einst wird
kommen der Tag, an dem Deutschland alles
Leid überwunden haben wird! Warten können
— daraus kommt's an! Was sind denn Jahr-
zehnte, was sind Jahrhunderte in der Ge-
schichte? Atemzüge sind's! Und bedenken Sie
immer, auch unsere Kinder, unsere Enkel wollen
sich einmal betätigen!"
„Worüber spricht denn der Redner?" fragte
einer, der eben gekommen war.
„Er spricht über die Mark-Stabilisierung,"
ward ihm zur Antwort.
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„Denken Sie sich, mein Kleiner kann alle seine Weihnachtsgeschenke aus dem Kopfe aufzählen.
Jst's nicht der wahre Gedächtniskünstler?"
Märchen
In bißchen freier Bearbeitung von P. E.
Die Sterntaler
Es war einmal ein armes Mädchen, das
hieß Germania. Es war so arm, daß es kein
Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen,
und nichts mehr als die Kleider auf dem Leibe
und ein kleines Stückchen Brot.
Als es seines Weges ging, begegnete ihm
ein Junker, der sprach: „Gib mir das Brot.
Du hast es betrügerischerweise noch vor dem
neuen Preisaufschlag erworben."
Es reichte ihm das Brot und ging weiter.
Da traf es einen Wucherer, der sagte: „Gib
mir Rock und Mütze; du hast es viel zu billig
gekauft." Und da er sie bedrohte, gab sie es her.
Als das arme Mädchen nun nur noch das
Hemd anhatte, dachte es: „Der liebe Gott wird
schon helfen." Aber da kam die Ententekom-
mission und nahm ihm auch das Hemd fort.
Da fror es jämmerlich. Aber es dachte: „Der
liebe Gott wird schon helfen! Vielleicht läßt
er Sterntaler oder Dollars regnen." Aber statt
des lieben Gotts kam eine Botschaft herunter
gefallen vom Himmel; darin stand die Ein-
ladung zu einer neuen Konferenz. Da es sich
damit aber nicht mehr retten konnte, erfror
das arme Mädchen.
Vom Fischer und syner Fru
Es wör mal een Fischer un syne Fru, de
waanten tosammen in'n Pißputt, dicht an de
See. Un de Fischer angelt enen groten Butt
herut, de was verzaubert. „Mann," säd de
Fru, „wünsch dir, daß ich Besitzer aller Aktien
werde."
Der Mann wullt nich recht, aber dann güng
he nach der See un sprach:
„Maantje, Maantje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
Mhne Fru, de Jlsebill,
Alle Aktien haben will."
Da köm de Butt un säd: „Ga man hen. Se
hett sie all!"
Da gang de Mann hen, un syne Fru wohnt
in 'nen groten stenern Palast voll Gold un
Kronlüchters un Bedeenters.
Aber se säd: „Mann, ich will auch alle Ein-
nahmen der-Agrarier haben."
Da güng he nach der See un sprach:
„Maantje, Maantje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
Mhne Fru, de Jlsebill,
Den versteckten Reichtum will."
Da köin de Butt un säd: „Ga man hen.
Se hett ihn all." ,
Da gäng de Mann hen, un syne Fru wollt'
schier ersticken in allem Geld. Aber se was
nich tofreden un säg: „Mann, ich will wie
der Hugo Stinnes werden."
Da güng he nach der See un sprach:
„Maantje, Maantje, Timpe Te,
Buttje, Buttje in de See,
Mhne Fm, de Jlsebill,
Hugo Stinnes werden will."
„Wat will se??" säd de Butt. „Äe is woll
verrückt? Wenn se noch hätt'Kaiser oder Papst
werden wollen! Aber Stinnes — bat es
toveel!!"
Un se waanten wedder in dem alten Pißputt.
Rapunzel
Es war einmal ein schönes Mädchen, das
wurde von seiner Stiefmutter in einem hohen
Turm gehalten.
Da rief eines Nachts eine Stimme: „Ra-
punzel, Rapunzel, laß dein Haar herunter!"
Sie fragte „Warum?"
Da sagte die Stimme: „.Ich kaufe Haare
zu den höchsten Preisen, hundert Gramm für
dreihundert Mark!"
Da ließ Rapunzel ihr Haar herunter, ver-
kaufte es und kaufte sich für den Erlös von
der Stiefmutter frei.
Tischlein, deck dich
Es war einmal ein Gesell namens Kuntze.
Dem hatte ein Mtien-Zauberer allerlei schöne
Zauberworte verraten.
Wenn er das Maul aufriß und „Tischlein,
deck dich!" schrie, stand vor ihm der Tisch
voller herrlicher Dinge. Und wenn er rief:
„Esel, streck dich!" so streckte sich der deutsche
Esel geduldig und ließ sich alle Lügen auf-
packen. Und wenn er brüllte; „Knüppel aus
dem Sack!" so fuhr der Knüppel aus dem
Sack und auf die Köpfe aller derer, die eine
andere Ansicht hatten.
So lebte er lange Jahre herrlich und in
Freuden, bis er in das Reich des noch mäch-
tigeren oberschlesischen Zauberers kam. Als er
hier wieder schrie: „Knüppel aus dem Sack!"
fuhr der Knüppel herum und verprügelte ihn
selber. So ergeht es den Knüppel-Kuntzes.
Schlaraffenland
Es war einmal ein Land, da kostete eine
Zigarre 7 Pf. und ein Anzug 60 Mk. und ein
Pfund Fleisch 80 Pf. und ein Dreierbrötchen
wahrhaftig bloß einen Dreier und ein Sechser-
käse bloß einen Sechser.
Und in diesem Lande gaben die Kühe be-
reitwillig Milch für Kinder und Greise her,
und die Hühner legten Eier und verschlossen
ihre Hinterteile nicht für den Armen.
Aber das alles ist lange her. Denn
eines Tages kam die böse Fee Valuta und in
ihrem Gefolge viele böse Wuchergeister und
verhundert- und vertausendfachten die Preise.
Und weder Kuh noch Huhn sahen sich nach den
Bedürftigen um. Und die gebratenen Schweine
liefen nur noch in die Schlemmerstätten, wo
die dicken Bäuche sitzen.
Und ehe die böse Fee und ihr Gefolge nicht
davongejagt sind, kehrt das Schlaraffenland
nicht wieder!
Münchhausen
Der Baron Münchhausen sprach: „Nun will
ich Ihnen, meine Herren, erzählen, welches
Abenteuer ich mit den wilden Enten hatte —"
Aber da hielten sich alle die Ohren zu:
„Wenn wir Enten hören wollen, brauchen wir
bloß unsere häusliche Generalanzeiger-Presse
zu lesen. Da gibt's viel fettere."
Da schwieg der Lügenbaron beschämt, und so
kann ich euch diese Geschichte nicht erzählen...
Volksparteiler
Wir haben die Republik bejaht:
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Kein Lerrscher, kein Fürst, kein Potentat! —
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Wir Liberalen stützen den Staat!
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Ein Volk: ob Prolet, ob Aristokrat!
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Der Junker klatscht und der Demokrat.
Lerr Stresemann zitiert Freiligrath.
Lerr Stresemann zirkelt das Quadrat —
Im Grabe wendet sich Freiligrath... p-
Das Thema
Der Redner war ins Quasseln gekommen.
Er schrie begeistert: „Nicht ungeduldig wer-
den, deutsche Männer und Frauen! Einst wird
kommen der Tag, an dem Deutschland alles
Leid überwunden haben wird! Warten können
— daraus kommt's an! Was sind denn Jahr-
zehnte, was sind Jahrhunderte in der Ge-
schichte? Atemzüge sind's! Und bedenken Sie
immer, auch unsere Kinder, unsere Enkel wollen
sich einmal betätigen!"
„Worüber spricht denn der Redner?" fragte
einer, der eben gekommen war.
„Er spricht über die Mark-Stabilisierung,"
ward ihm zur Antwort.