Der Komponist
Zeichnung von Karl Hol»
„Das kommt mir so bekannt vor, was ist das doch gleich?"
„Das ist Ihr berühmtes Elfen-Motiv, Meister, in der ursprünglichen Fassung von Mozart!"
Das Märchen vom starken Gottlieb
Don Gustav Junghans
Er wurde, wir Ihr alle wißt, im Hause ein«
armen Tagelöhners geboren. Sein Vater er-
hielt gerat»' soviel Lohn, daß er seinen und seiner
Familie Hungertod zugunsten eines scharffinni-
gen Brotherrn noch etwas hinauSjögern konnte.
Der starke Gottlieb hatte schon in der Wiege
Appetit für zwei Erwachsene und konnte als
Junge bereits kleinere Bäume entwurzeln. Der
Vater wurde daher blaß wie einKäse,als er stch sei-
nen Kindersegen betrachtete,und es trieb ihm die
Haare zu Berge, wenn er das Mittagessen der Fa-
milie im Mund sein«Sohn« verschwinden sah.
Darum sagte er nach einiger Zeit zu ihm:
„Mein lieber Sohn, geh' in die Welt und such'
Dir Arbeit und Verdienst; Kräfte hast Du ja
genug und Lust auch. Ich kann Dich nicht län-
ger bei mir behalten."
Gottlieb tat wie ihm geheißen, denn das tat
er immer.
So kam er auf seiner Wanderschaft zu einem
reichen Gutsbesitzer, den er um Arbeit fragte.
Dem Gutsbesitzer hüpfte das Herr im Leibe, als
er den starken Kerl sah und dachte: Der arbeitet
soviel, wir bundert meinesgleichen nicht arbei-
ten können. Dann gab er Gottlieb gleich den
Auftrag, Holz zu fällen. Gottlieb, der eine pracht-
volle Arbeitswut hatte, fällte allein einen hal-
ben Wald, spuckte sich in die Hände und sagte:
„Also, nun wollen wir mal anfangen!"
So stark war Gottlieb! Wenn Ihr die Augen
aufhaltet, könnt Ihr das übrigens jeden Tag
selbst feststellen.
Aber da er für hundert gearbeitet hatte,
konnte er abends auch für zehn essen. Als er da,
her eine Portion Essen nach der andern ver-
langte, begann der Gutsbefitzer mit rührender
und zu Herzen gehender Stimme von der furcht-
baren Not des Vaterlandes zu sprechen und daß
wir alle zusammenhaltro und uns einrichten
müßten und daß nur dadurch, daß wir alle unsere
Ansprüche herabsetzten, das geliebte Vaterland
gerettet werden könnte.
Gottlieb wußte zwar nicht recht, was derHerr
mit dem Vaterland meinte, aber er bewegte
die Worte in seinem Herzen und wurde so ge-
rührt, daß er laut zu heulen anfing und schluch-
zend dem Herrn die Hand schüttelte. Darauf
ging er hungrig zu Bett. DerHerr fuhr zu einem
Jagdbankett seiner StandeSgenosscn und sprach
mit ihnen die unverschämten Forderungen der
Knechte durch und daß sie empfindlich gedrückt
werden müßten.
Der starke Gottlieb bekam nun immer die
schwierigsten und gefährlichsten Arbeiten. Die
verfahrensten Sachen brachte er mit seiner un-
geheuren Kraft in Ordnung. Wenn er den Herrn
nach seinem Lohn fragte, so vertröstete ihn der
auf den Schluß des Jahres. Da Gottlieb durch
die erfinderische Organisation der göttlichen
Weltordnung nie recht satt wurde, glaubte er
an einer gewissen Hohlheit seiner Magrngegend
feststellen zu können, daß in absehbarer Zeit ein
Zustand eintreten mußte, in dem er nicht mehr
in der Lage war, die Not des Vaterland« ein-
gehend zu würdigen. Gottlieb, der den Tag über
schwer arbeitete, aß also am Abend das, was
er fand und gab damit seinem Herrn Gelegen-
heit, ganz aufrichtig und ungeheuchelt entrüstet
zu sein.
Also trachtete der Herr danach, Gottlieb auf
eine anständige Art und Weise loszuwerden —
natürlich ohne ihm den Lohn auSzahlrn zu
müssen. Auch war ihm Gottliebs Kraft im Laufe
der Zeit etwas unheimlich geworden, denn «
ist kein angenehmes Gefühl, einen ungeheuer
starken Kerl im Hause zu haben, wenn man den
Zeitpunkt herannahen fühlt, wo dieser starke
Kerl einsieht, daß man ihn ganz schaurig über's
Ohr gehauen hat.
Der Herr tat sich also mit seinen übrigen
Knechten zusammen, die vor Neid schon völlig
gelb geworden waren und immer auf der Seite
d« Herrn standen. Sie hätten nun Gottlieb
unfehlbar auf der Flucht erschossen, wenn er
das damals schon gegeben hätte, so aber ver-
suchten sie es, indem sie Gottlieb in die Teufels-
mühle schickten mit dem Auftrag, einen Sack
Korn durchmahlen zu lassen. „Denn", so sagte
der Herr, „wenn der starke Gottlieb zum Teufel
geht, dann können wir übrigen wenig-
stens Werte schaffen."
Der starke Gottlieb war aber so erbärmlich
begriffsstutzig, daß er das gar nicht verstand. Er
machte aus den Teufeln eine häßliche Masse,
mahlte sein Korn durch, kam zurück und ver-
langte sein Essen und seinen Lohn.
10
Zeichnung von Karl Hol»
„Das kommt mir so bekannt vor, was ist das doch gleich?"
„Das ist Ihr berühmtes Elfen-Motiv, Meister, in der ursprünglichen Fassung von Mozart!"
Das Märchen vom starken Gottlieb
Don Gustav Junghans
Er wurde, wir Ihr alle wißt, im Hause ein«
armen Tagelöhners geboren. Sein Vater er-
hielt gerat»' soviel Lohn, daß er seinen und seiner
Familie Hungertod zugunsten eines scharffinni-
gen Brotherrn noch etwas hinauSjögern konnte.
Der starke Gottlieb hatte schon in der Wiege
Appetit für zwei Erwachsene und konnte als
Junge bereits kleinere Bäume entwurzeln. Der
Vater wurde daher blaß wie einKäse,als er stch sei-
nen Kindersegen betrachtete,und es trieb ihm die
Haare zu Berge, wenn er das Mittagessen der Fa-
milie im Mund sein«Sohn« verschwinden sah.
Darum sagte er nach einiger Zeit zu ihm:
„Mein lieber Sohn, geh' in die Welt und such'
Dir Arbeit und Verdienst; Kräfte hast Du ja
genug und Lust auch. Ich kann Dich nicht län-
ger bei mir behalten."
Gottlieb tat wie ihm geheißen, denn das tat
er immer.
So kam er auf seiner Wanderschaft zu einem
reichen Gutsbesitzer, den er um Arbeit fragte.
Dem Gutsbesitzer hüpfte das Herr im Leibe, als
er den starken Kerl sah und dachte: Der arbeitet
soviel, wir bundert meinesgleichen nicht arbei-
ten können. Dann gab er Gottlieb gleich den
Auftrag, Holz zu fällen. Gottlieb, der eine pracht-
volle Arbeitswut hatte, fällte allein einen hal-
ben Wald, spuckte sich in die Hände und sagte:
„Also, nun wollen wir mal anfangen!"
So stark war Gottlieb! Wenn Ihr die Augen
aufhaltet, könnt Ihr das übrigens jeden Tag
selbst feststellen.
Aber da er für hundert gearbeitet hatte,
konnte er abends auch für zehn essen. Als er da,
her eine Portion Essen nach der andern ver-
langte, begann der Gutsbefitzer mit rührender
und zu Herzen gehender Stimme von der furcht-
baren Not des Vaterlandes zu sprechen und daß
wir alle zusammenhaltro und uns einrichten
müßten und daß nur dadurch, daß wir alle unsere
Ansprüche herabsetzten, das geliebte Vaterland
gerettet werden könnte.
Gottlieb wußte zwar nicht recht, was derHerr
mit dem Vaterland meinte, aber er bewegte
die Worte in seinem Herzen und wurde so ge-
rührt, daß er laut zu heulen anfing und schluch-
zend dem Herrn die Hand schüttelte. Darauf
ging er hungrig zu Bett. DerHerr fuhr zu einem
Jagdbankett seiner StandeSgenosscn und sprach
mit ihnen die unverschämten Forderungen der
Knechte durch und daß sie empfindlich gedrückt
werden müßten.
Der starke Gottlieb bekam nun immer die
schwierigsten und gefährlichsten Arbeiten. Die
verfahrensten Sachen brachte er mit seiner un-
geheuren Kraft in Ordnung. Wenn er den Herrn
nach seinem Lohn fragte, so vertröstete ihn der
auf den Schluß des Jahres. Da Gottlieb durch
die erfinderische Organisation der göttlichen
Weltordnung nie recht satt wurde, glaubte er
an einer gewissen Hohlheit seiner Magrngegend
feststellen zu können, daß in absehbarer Zeit ein
Zustand eintreten mußte, in dem er nicht mehr
in der Lage war, die Not des Vaterland« ein-
gehend zu würdigen. Gottlieb, der den Tag über
schwer arbeitete, aß also am Abend das, was
er fand und gab damit seinem Herrn Gelegen-
heit, ganz aufrichtig und ungeheuchelt entrüstet
zu sein.
Also trachtete der Herr danach, Gottlieb auf
eine anständige Art und Weise loszuwerden —
natürlich ohne ihm den Lohn auSzahlrn zu
müssen. Auch war ihm Gottliebs Kraft im Laufe
der Zeit etwas unheimlich geworden, denn «
ist kein angenehmes Gefühl, einen ungeheuer
starken Kerl im Hause zu haben, wenn man den
Zeitpunkt herannahen fühlt, wo dieser starke
Kerl einsieht, daß man ihn ganz schaurig über's
Ohr gehauen hat.
Der Herr tat sich also mit seinen übrigen
Knechten zusammen, die vor Neid schon völlig
gelb geworden waren und immer auf der Seite
d« Herrn standen. Sie hätten nun Gottlieb
unfehlbar auf der Flucht erschossen, wenn er
das damals schon gegeben hätte, so aber ver-
suchten sie es, indem sie Gottlieb in die Teufels-
mühle schickten mit dem Auftrag, einen Sack
Korn durchmahlen zu lassen. „Denn", so sagte
der Herr, „wenn der starke Gottlieb zum Teufel
geht, dann können wir übrigen wenig-
stens Werte schaffen."
Der starke Gottlieb war aber so erbärmlich
begriffsstutzig, daß er das gar nicht verstand. Er
machte aus den Teufeln eine häßliche Masse,
mahlte sein Korn durch, kam zurück und ver-
langte sein Essen und seinen Lohn.
10