Karl Legten, der Gewerkschafter
In zwei 'großen Hccrsüulrn hat sich der
Vormarsch der deutsche»Arbeiterklasse aus
der Zeit ihres ersten Erwachens zu selbstän-
digem Denken undHandcl» vollzogen: ein-
mal in der p o l i t i sch e n Bewegung, die
durch das Wirken der Sozialdemokratie
charakterisiert wird; zum anderen in der
Gewerkschaftsbewegung, die den
wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter
unmittelbar zu dienen sucht.
Die gcwerkschaftlicheBewegungist kaum
jüngeren Datums als die politische. Aber
ihr einzigartiger Aufschwung und ihre
innere Kräftigung datieren doch Hauptfach-
o
\
gestellten der Arbeiterbewegung als einen
Mann zu bezeichnen, der „sich von den Ar-
beitergroschen mäste!
Im Herbst 1890 fiel das Schandgesetz,
das die Arbeiterbewegung zwölf Jahre
lang geknebelt hatte. Neue Entwicklungs-
Möglichkeiten taten sich auf. Die Fach-
verbände — noch gespalten in lokale und
zentrale Organisationen — mußten sich
auf die neue Epoche umstellen. Eine Kon-
ferenz der Gewerkschaften wurde nach
Jugendbildnis tegiens
lich seit dem Fall des Sozialistengesetzes
und dem ihm unmittelbar folgenden Zu-
sammenschluß der losen Fachvereine in der
Gencralkommission der Gewerkschaften
Deutschlands. Mit diesem Zusammen-
schluß und mit dem kämpfercichen Vor-
dringen der Gewerkschaften bleibt der
Name Karl Legiens untrennbar ver-
bunden.
Karl Legten stammte aus dem Osten
des Reiches. In Marienburg in West-
preußen war er am I. Dezember 1861 zur
Welt gekommen. Zu früh für den kleinen
Erdenbürger starben seine Eltern. Der
Verwaiste wurde im Waisenhausc erzogen
und dann zu einem Drechsler in die Lehre
gegeben, damit er während fünf langer
Jahre in die Geheimnisse
des Berufes sich vertiefe.
Nach Beendigung dieser
langen Lehrzeit ging er als
Zwanzigjähriger, wie es da-
mals noch des Handwerks
Brauch, aus die Wander-
schaft. Er arbeitete bald
hier, bald dort, kam vom
Osten des Reiches nach dem
Süden und Westen, und
schließlich landete er in
Hamburg — 1886 — das
damals schon eine ver-
gleichsweise starke Arbeiter-
bewegung hatte.
Ein Jahr vorher war er
bereits in Frankfurt a. M.
der sozialdemokra-
tischen Partei bei-
getreten. In Hamburg
widmete er sich, wovon ein
heute noch vorhandenes
Diplom Kunde gibt, mit
Ernst und Erfolg der
Karl Legten
Turnerei. Aber er trat auch bald im
Fachverein der Drechsler mit hingebendem
Eifer und organisatorischer Begabung, mit
großer Sachkunde, verbunden mit innerer
Ruhe, hervor. Als dann 1887, nicht zuletzt
auf sein Betreiben, der Zusammenschluß
der örtlichen Drechsler-Fachvereine zu
einem Verbände vollzogen wurde, ward
K a r l L e g i e n der erste Vorsitzende dieser
neuen Zentralorganisation. Erst 26 Jahre
alt, hatte er auf diesem Posten Gelegenheit,
durch ganz Deutschland zu reisen und in
Besprechungen und größeren Versammlun-
gen seine agitatorischen und organisato-
rischen Fähigkeiten zu erproben. Die mühe-
volle Arbeit war zunächst ehrenamtlich.
Erst vom Jahre 1889 ab konnte dafür eine
Entschädigung von siebenhundert Mark im
Jahre ausgcwvrfen werden, also rund
58,00 Mark im Monat oder nicht ganz
13.50 Mark in der Woche! Diese kümmer-
liche Entschädigung hinderte natürlich die
Soldschreiber des Unternehmertums nicht
daran, auch Legien wie alle anderen An-
6hren-ürkunde des Hamburger ITIänner-üurnvereins
vom Jahre 1872 für Karl Legien
Legien als Dreißigjähriger
Berlin berufen, um Richtlinien für ge-
meinsames Vorgehen zu beraten. Auch
Karl Legien nahm als Vorsitzender
des Fachvercins der Drechsler an der Kon-
ferenz teil. Er legte ibr einen ausgear-
beitetcn Oraanisationsplan vor, der die
Zusammenfassung von Verbänden ver-
wandter Berufe zu Unionen und die gegen-
seitige Unterstützung bei Lohnkämpf-n vor-
sah. Zwar konnte sich die Konferenz bei
dem damaligen Stande derOrganisationen
noch nicht entschließen,diesem weitqreifen-
denPlane zuzustimmcn, aber sie ist trotzdem
für die Entwickelung der Gewerkschaften
von überragender Bedeutung geworden.
Sic setzte ein besonderes Komitee ein, das
den Namen „Gencralkommission der Ge-
werkschaften Deutsch lands"
erhielt und bestimmt war,
die schwachen Verbände mit
Rat und Materialien zu
unterstützen und die ge-
meinsamen Interessen aller
Gewerkschaften wahrzu-
nehmcn.
Karl Legien wurde
Vorsitzender dieser neuen
und wichtigen Kommis-
sion. Er ist cs bis zu sei-
nem Tode — 26. De-
zember 1920 — geblieben.
Mehr als 30 Jahre hat er
an der Spitze der Bewegung
gestanden, die heute allge-
mein anerkannt ist in ihrer
kulturellen, wirtschaftlichen
und sozialen Bedeutung,
die aber in ihren Anfängen
schwer ringen mußte, um
sich Geltung zu verschaffen.
Nicht nur, daß das kapi-
talistische Unternehmertum
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In zwei 'großen Hccrsüulrn hat sich der
Vormarsch der deutsche»Arbeiterklasse aus
der Zeit ihres ersten Erwachens zu selbstän-
digem Denken undHandcl» vollzogen: ein-
mal in der p o l i t i sch e n Bewegung, die
durch das Wirken der Sozialdemokratie
charakterisiert wird; zum anderen in der
Gewerkschaftsbewegung, die den
wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter
unmittelbar zu dienen sucht.
Die gcwerkschaftlicheBewegungist kaum
jüngeren Datums als die politische. Aber
ihr einzigartiger Aufschwung und ihre
innere Kräftigung datieren doch Hauptfach-
o
\
gestellten der Arbeiterbewegung als einen
Mann zu bezeichnen, der „sich von den Ar-
beitergroschen mäste!
Im Herbst 1890 fiel das Schandgesetz,
das die Arbeiterbewegung zwölf Jahre
lang geknebelt hatte. Neue Entwicklungs-
Möglichkeiten taten sich auf. Die Fach-
verbände — noch gespalten in lokale und
zentrale Organisationen — mußten sich
auf die neue Epoche umstellen. Eine Kon-
ferenz der Gewerkschaften wurde nach
Jugendbildnis tegiens
lich seit dem Fall des Sozialistengesetzes
und dem ihm unmittelbar folgenden Zu-
sammenschluß der losen Fachvereine in der
Gencralkommission der Gewerkschaften
Deutschlands. Mit diesem Zusammen-
schluß und mit dem kämpfercichen Vor-
dringen der Gewerkschaften bleibt der
Name Karl Legiens untrennbar ver-
bunden.
Karl Legten stammte aus dem Osten
des Reiches. In Marienburg in West-
preußen war er am I. Dezember 1861 zur
Welt gekommen. Zu früh für den kleinen
Erdenbürger starben seine Eltern. Der
Verwaiste wurde im Waisenhausc erzogen
und dann zu einem Drechsler in die Lehre
gegeben, damit er während fünf langer
Jahre in die Geheimnisse
des Berufes sich vertiefe.
Nach Beendigung dieser
langen Lehrzeit ging er als
Zwanzigjähriger, wie es da-
mals noch des Handwerks
Brauch, aus die Wander-
schaft. Er arbeitete bald
hier, bald dort, kam vom
Osten des Reiches nach dem
Süden und Westen, und
schließlich landete er in
Hamburg — 1886 — das
damals schon eine ver-
gleichsweise starke Arbeiter-
bewegung hatte.
Ein Jahr vorher war er
bereits in Frankfurt a. M.
der sozialdemokra-
tischen Partei bei-
getreten. In Hamburg
widmete er sich, wovon ein
heute noch vorhandenes
Diplom Kunde gibt, mit
Ernst und Erfolg der
Karl Legten
Turnerei. Aber er trat auch bald im
Fachverein der Drechsler mit hingebendem
Eifer und organisatorischer Begabung, mit
großer Sachkunde, verbunden mit innerer
Ruhe, hervor. Als dann 1887, nicht zuletzt
auf sein Betreiben, der Zusammenschluß
der örtlichen Drechsler-Fachvereine zu
einem Verbände vollzogen wurde, ward
K a r l L e g i e n der erste Vorsitzende dieser
neuen Zentralorganisation. Erst 26 Jahre
alt, hatte er auf diesem Posten Gelegenheit,
durch ganz Deutschland zu reisen und in
Besprechungen und größeren Versammlun-
gen seine agitatorischen und organisato-
rischen Fähigkeiten zu erproben. Die mühe-
volle Arbeit war zunächst ehrenamtlich.
Erst vom Jahre 1889 ab konnte dafür eine
Entschädigung von siebenhundert Mark im
Jahre ausgcwvrfen werden, also rund
58,00 Mark im Monat oder nicht ganz
13.50 Mark in der Woche! Diese kümmer-
liche Entschädigung hinderte natürlich die
Soldschreiber des Unternehmertums nicht
daran, auch Legien wie alle anderen An-
6hren-ürkunde des Hamburger ITIänner-üurnvereins
vom Jahre 1872 für Karl Legien
Legien als Dreißigjähriger
Berlin berufen, um Richtlinien für ge-
meinsames Vorgehen zu beraten. Auch
Karl Legien nahm als Vorsitzender
des Fachvercins der Drechsler an der Kon-
ferenz teil. Er legte ibr einen ausgear-
beitetcn Oraanisationsplan vor, der die
Zusammenfassung von Verbänden ver-
wandter Berufe zu Unionen und die gegen-
seitige Unterstützung bei Lohnkämpf-n vor-
sah. Zwar konnte sich die Konferenz bei
dem damaligen Stande derOrganisationen
noch nicht entschließen,diesem weitqreifen-
denPlane zuzustimmcn, aber sie ist trotzdem
für die Entwickelung der Gewerkschaften
von überragender Bedeutung geworden.
Sic setzte ein besonderes Komitee ein, das
den Namen „Gencralkommission der Ge-
werkschaften Deutsch lands"
erhielt und bestimmt war,
die schwachen Verbände mit
Rat und Materialien zu
unterstützen und die ge-
meinsamen Interessen aller
Gewerkschaften wahrzu-
nehmcn.
Karl Legien wurde
Vorsitzender dieser neuen
und wichtigen Kommis-
sion. Er ist cs bis zu sei-
nem Tode — 26. De-
zember 1920 — geblieben.
Mehr als 30 Jahre hat er
an der Spitze der Bewegung
gestanden, die heute allge-
mein anerkannt ist in ihrer
kulturellen, wirtschaftlichen
und sozialen Bedeutung,
die aber in ihren Anfängen
schwer ringen mußte, um
sich Geltung zu verschaffen.
Nicht nur, daß das kapi-
talistische Unternehmertum
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