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Am Heiligabend kam Mister Roß, in Firma
Roß u. Co., in Hamburg an. Er hatte geschäft-
lich in Deutschland zu tun und da es wohl
dreißig Jahre her war, seit er zuletzt ein echte«
deutsches Weihnachtsfcst mitgemacht hatte,
wurde er sentimental und statt in sein Hotel,
beschloß er, zunächst auf den Weihnachtsmarkt
zu gehen. Er überließ c« einem der Hotel-
diener, die den Anlegekai umlagerten, sein
Gepäck zu besorgen und lenkte seine rüstigen
Schritte zur Altstadt.
Bald schon umgab ihn der Trubel bunten
Lebens. Wunderkerzen warfen tausend locken-
de Sterne in das Dunkel, bunte Glaskugeln
flimmerten imLichtzitterndcrKarbidflammcn
und die Schreie der Spielwaren- und Leb-
kuchenhändlcr umbrandcten sein Ohr.
Schlackerschnee fiel und wurde zu grauem
Matsch, ehe er den Boden erreichte. Ein
Knabe baute sich vor Mister Roß auf und bot
ihm ein Paket Kerzen zum Kauf an. Er sah
die dünnen Kleider des Blaugefrorenen und
gab ihm ein Geldstück. DerKnabe, aus Furcht,
er müsse das unerwartete Geschenk zurückge-
ben, bedankte sich kaum und eilte fort. Eine
alte Frau saß am Wege und verkaufte Engels-
haar. Er gab auch dieser Frau eine Kleinig-
keit, aber unangenehm berührt von all diesen
ElendSgesichtern und dieser Geschäftigkeit, die
demWeihnachtSfestc, bas in seiner Erinnerung
lebte, alle Poesie nahm, verließ er den Trubel
und stand gar bald in einer dunklen Gaffe.
Trunkene umlärmtrn ihn. Ein Weib sprach
ihn an und begann zu schimpfen, als er, ohne
sie anzuhören, weiterging. Plötzlich tauchten
zwei Männer vor ihm auf und vertraten ihm
den Weg. Er wollte sich an ihnen vorbei-
schieben, da zischte der eine ihn an: „Her mit
der Marie, oder..."
Mister Roß versuchte einen Kinnhaken an-
zubringen, doch da hatte er von dem andern
bereits einen Schlag in der Magengrube sitzen,
daß er taumelte. Ein Schlag auf den Schädel
nahm ihm den Rest seiner Besinnung.
Eine Ewigkeit verging, bis er wieder zu sich
kam. Ein dumpfer Schmerz im Schädel er-
innerte ihn an das Geschehene. Er betastete
seinen Körper. Die Brieftasche fehlte und
als er genauer fühlte, merkte er, daß man ihm
auch die Kleider ausgezogen und in die Lum-
pen dessen gesteckt hatte, der ihn überfallen.
Mit innerem Ekel stellte er das fest. Dann
tastete er sich aus dem Winkel, in den man
ihn geschleppt, auf die Straße heraus. Es
war sehr kalt.
Mühsam arbeitete Mister Roß sich vorwärts.
Endlich traf er einen Schutzmann. Der war-
tete nicht erst, bis er ihm feinen Fall vortrug,
sondern fuhr ihn in einem Ton, der gemütlich
sein sollte, an: „Na, Männeken, wo willst du
denn hin? Hast wohl keine Bleibe, was?"
„Ich bin beraubt worden", versuchteMister
Roß seine Situation zu erklären.
Aber der Schutzmann sagte nur: .Mach
keinen Schmuß. Du suchst eine Bleibe, nicht
wahr? Na, dann komm mit."
Sie betraten das Wachtlokal. Einer der
andern Wachtleute drehte sich auf seiner Prit-
sche herum und fragte: „Was bringst du denn
da für eine Nummer?"
„Armer Deubel. Hat keine Bleibe. Gib
ihm eine warme Zelle."
Der Beamte stand auf, nahm ein Schlüssel-
bund von der Wand und ging auf den Ameri-
kaner zu. „Komm mit. Haste Kohldampf?
Da. nimm das Stück Brot mit. Don uns
ißt's doch heute keiner mehr." Dann schob
er ihn in eine Zelle.
Endlich wurde es Morgen. Ein Schlüssel-
bund rasselte, die Zellentür öffnete sich. „Alles
raustreten zum Eimer entleeren", hallte eine
Stimme über den Flur. Mister Roß verließ
seine Zelle. „Na los, wirds bald," brüllte ein
Beamter ihn an, .meinst wohl, ich trag dir
den Eimer noch nach?" Damit drückte er dem
Erstaunten den Aborteimer in die Hand. Mister
Roß entleerte ihn und ließ frisches Wasser hin-
einlausen. Dann gabs für jeden, der die Nacht
im Arrest verbracht hatte, ein Stück Brot und
in einer flachen Schale eine warme Brühe, die
Kaffee genannt wurde.
Ein Beamter nahm seine Personalien auf.
Wieder machte Mister Roß den Versuch, seinen
Fall zu erzählen. Schon gut, sagte der Beamte,
wo geboren?
Roß nannte den Namen einer deutschen Stadt.
„So? Ich denke. Sie wären Amerikaner?"
Der Weihnachtseinkauf
Zeichnung von Willibald Krain
„Sie Kuben ein Paket verloren, kierr!"
„Vielen Dunk! Ausgerechnet das goldene
Armband für meine Frau! Und nun kann
ich Dir nicht einmal ein Crinkgeld geben,
mein Junge — keine Rand hab’ ich frei!“
„Ich wohne in New Aork!"
„New Dork? Sie meinen wohl das Neger-
dorf? Oder gibt's in St. Pauli jetzt eine
Kneipe, die so heißt?"
„New York, habe ich gesagt", antwortete
Mister Roß.
„Nun, meinetwegen New Aork", sagte der
Beamte lächelnd, „bis Mittag kennen wir dich
doch, alter Freund. Und wehe dir, wenn du
geschwindelt hast!"
Man führte ihn in seine Zelle zurück und ließ
ihn warten. Lange nach Mittag kam ein Be-
amter in seine Zelle und sagte: „Sie können
gehen. Es liegt nichts gegen Sie vor. Aber
melden Sie sich heute rechtzeitig obdachlos.
Morgen früh ist nochmal Bescherung. Hier
können wir nichts für Sie tun.'
.Ich habe noch eine Anzeige zu erstatten."
„Anzeige? Das ist aber gut. Eine Anzeige.
So, so. Na, dann geh'« Sie mal die nächste
Treppe hoch. Wenn Sie rauskommen, recht«.
Erster Gang link«, Zimmer 89."
Aber Zimmer 89 war an Sonn- und Feier-
tagen und Sonnabends nachmittags ge-
schloffen. Also stieg Mister Roß die Treppen
wieder hinunter. Aber ba er seine Anzeige ja
auch noch nach den Feiertagen machen konnte,
beschloß er, jetzt erst mal in sein Hotel zu
gehen, nach seinen Koffern zu sehen, ein Bad
zu nehmen und sich umzuziehen.
Endlich stand er vor der prunkvollen Ein-
gangshalle des Hotels, dessem Hausdiener er
gestern seine Koffer anvertraut hatte. Er ging
durch die große Drehtüre. Schon schlug ihm
die angenehme Wärme des Vorraumes ent-
gegen, da hielt der Portier ihn fest. „He, Sie,
wo wollen Sie hin?"
„Ich wohne hier."
Der Portier lachte. „Das erzählen Sie
Ihrer Großmutter, aber nicht mir."
„Lassen Sie mich vorbei. Ich muß den
Direktor sprechen."
„Mensch, nun werden Sie bloß nicht frech.
Das Asyl für Obdachlose ist zwei Straßen
weiter."
Leute begannen sich anzusammeln, — sie
schimpften über die anmaßende Art der Vaga-
bunden.
Mister Roß war es peinlich, im Mittel
punkt dieses Auflaufs zu stehen, und ging fort.
Er überlegte, wie es ihm gelingen könne, an
dem Portier vorbei in das Hotel zu kommen,
aber das schien unmöglich zu sein. Er mußte
telephonieren, aber selbst dazu fehlte ihm die
Möglichkeit, da er keinen Pfennig in der
Tasche hatte.
Mühselig, von den Passanten bemitleidet
oder belächelt, torkelte er durch die Straßen
der Stadt. Es dunkelte schon und da und
dort flammten hinter den Fenstern die Lichter
eine« Weihnachtsbaumes auf. Er hörte die
Stimmen singender Menschen, aber er war
ausgeschlossen von ihrem Glück. Und warum?
Nur weil ein Mensch, der sich vermutlich in
der gleichen Situation befunden hatte, wie er
sich jetzt befand, ihm die Kleider geraubt
hatte, deren Besitz allein die Teilnahme an
all der Glückseligkeit dieses Festes der Freude
und Liebe möglich machte. Bitterkeit floß in
seine Gedanken, aber es war nicht mehr die
Bitterkeit gegen den, der ihn beraubt.sondern
die Bitterkeit gegen eine Welt, die den
Menschen, der in schlechten Kleidern geht,
ausschlicßt von ihrem Licht.
Allmählich verlöschten die Weihnachts-
bäume. Die Stimmen des Abends schwiegen.
Die Nacht kam. In einem Häuserwinkel fand
er kurzen Schlaf, aus dem ein alter Straßen-
feger ihn lange nach Mitternacht weckte.
„Mensch", sagte der, „du frierst ja tot.
Komm, trink erst mal einen warmen Schluck
Kaffee. So, das tut gut. Und hier ist auch
noch eine Stulle. Und nun warte mal. Wir
sind gleich fertig. Dann gehen wir nach Hause.
Hast ja doch noch keine Bleibe für die Nacht."
MisterRoß versuchte wieder seineGcschichte
zu erzählen.
„Laß man," sagte der Straßenarbeiter,
„hat uns allen mal besser gegangen. Aber nun
sind wir alt. Hast auch schon deine Fünfzig
auf dem Buckel, was? Na, nun komm." Sie
betraten ein kleines Haus am Rande der
Stadt. Die Haustür knarrte. „Pst," sagte
der Arbeiter, „meine Alte schläft. Braucht
nicht zu wissen, wen ich ihr da mitbringc,
sonst steht sie erst aus und kocht Kaffee und all
so'n Schmuß. Da hast du ein paar Decken
und wenn du auf mußt, stoß den Weihnachts-
baum nicht um." (Fortsetzung Seite 10)
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Am Heiligabend kam Mister Roß, in Firma
Roß u. Co., in Hamburg an. Er hatte geschäft-
lich in Deutschland zu tun und da es wohl
dreißig Jahre her war, seit er zuletzt ein echte«
deutsches Weihnachtsfcst mitgemacht hatte,
wurde er sentimental und statt in sein Hotel,
beschloß er, zunächst auf den Weihnachtsmarkt
zu gehen. Er überließ c« einem der Hotel-
diener, die den Anlegekai umlagerten, sein
Gepäck zu besorgen und lenkte seine rüstigen
Schritte zur Altstadt.
Bald schon umgab ihn der Trubel bunten
Lebens. Wunderkerzen warfen tausend locken-
de Sterne in das Dunkel, bunte Glaskugeln
flimmerten imLichtzitterndcrKarbidflammcn
und die Schreie der Spielwaren- und Leb-
kuchenhändlcr umbrandcten sein Ohr.
Schlackerschnee fiel und wurde zu grauem
Matsch, ehe er den Boden erreichte. Ein
Knabe baute sich vor Mister Roß auf und bot
ihm ein Paket Kerzen zum Kauf an. Er sah
die dünnen Kleider des Blaugefrorenen und
gab ihm ein Geldstück. DerKnabe, aus Furcht,
er müsse das unerwartete Geschenk zurückge-
ben, bedankte sich kaum und eilte fort. Eine
alte Frau saß am Wege und verkaufte Engels-
haar. Er gab auch dieser Frau eine Kleinig-
keit, aber unangenehm berührt von all diesen
ElendSgesichtern und dieser Geschäftigkeit, die
demWeihnachtSfestc, bas in seiner Erinnerung
lebte, alle Poesie nahm, verließ er den Trubel
und stand gar bald in einer dunklen Gaffe.
Trunkene umlärmtrn ihn. Ein Weib sprach
ihn an und begann zu schimpfen, als er, ohne
sie anzuhören, weiterging. Plötzlich tauchten
zwei Männer vor ihm auf und vertraten ihm
den Weg. Er wollte sich an ihnen vorbei-
schieben, da zischte der eine ihn an: „Her mit
der Marie, oder..."
Mister Roß versuchte einen Kinnhaken an-
zubringen, doch da hatte er von dem andern
bereits einen Schlag in der Magengrube sitzen,
daß er taumelte. Ein Schlag auf den Schädel
nahm ihm den Rest seiner Besinnung.
Eine Ewigkeit verging, bis er wieder zu sich
kam. Ein dumpfer Schmerz im Schädel er-
innerte ihn an das Geschehene. Er betastete
seinen Körper. Die Brieftasche fehlte und
als er genauer fühlte, merkte er, daß man ihm
auch die Kleider ausgezogen und in die Lum-
pen dessen gesteckt hatte, der ihn überfallen.
Mit innerem Ekel stellte er das fest. Dann
tastete er sich aus dem Winkel, in den man
ihn geschleppt, auf die Straße heraus. Es
war sehr kalt.
Mühsam arbeitete Mister Roß sich vorwärts.
Endlich traf er einen Schutzmann. Der war-
tete nicht erst, bis er ihm feinen Fall vortrug,
sondern fuhr ihn in einem Ton, der gemütlich
sein sollte, an: „Na, Männeken, wo willst du
denn hin? Hast wohl keine Bleibe, was?"
„Ich bin beraubt worden", versuchteMister
Roß seine Situation zu erklären.
Aber der Schutzmann sagte nur: .Mach
keinen Schmuß. Du suchst eine Bleibe, nicht
wahr? Na, dann komm mit."
Sie betraten das Wachtlokal. Einer der
andern Wachtleute drehte sich auf seiner Prit-
sche herum und fragte: „Was bringst du denn
da für eine Nummer?"
„Armer Deubel. Hat keine Bleibe. Gib
ihm eine warme Zelle."
Der Beamte stand auf, nahm ein Schlüssel-
bund von der Wand und ging auf den Ameri-
kaner zu. „Komm mit. Haste Kohldampf?
Da. nimm das Stück Brot mit. Don uns
ißt's doch heute keiner mehr." Dann schob
er ihn in eine Zelle.
Endlich wurde es Morgen. Ein Schlüssel-
bund rasselte, die Zellentür öffnete sich. „Alles
raustreten zum Eimer entleeren", hallte eine
Stimme über den Flur. Mister Roß verließ
seine Zelle. „Na los, wirds bald," brüllte ein
Beamter ihn an, .meinst wohl, ich trag dir
den Eimer noch nach?" Damit drückte er dem
Erstaunten den Aborteimer in die Hand. Mister
Roß entleerte ihn und ließ frisches Wasser hin-
einlausen. Dann gabs für jeden, der die Nacht
im Arrest verbracht hatte, ein Stück Brot und
in einer flachen Schale eine warme Brühe, die
Kaffee genannt wurde.
Ein Beamter nahm seine Personalien auf.
Wieder machte Mister Roß den Versuch, seinen
Fall zu erzählen. Schon gut, sagte der Beamte,
wo geboren?
Roß nannte den Namen einer deutschen Stadt.
„So? Ich denke. Sie wären Amerikaner?"
Der Weihnachtseinkauf
Zeichnung von Willibald Krain
„Sie Kuben ein Paket verloren, kierr!"
„Vielen Dunk! Ausgerechnet das goldene
Armband für meine Frau! Und nun kann
ich Dir nicht einmal ein Crinkgeld geben,
mein Junge — keine Rand hab’ ich frei!“
„Ich wohne in New Aork!"
„New Dork? Sie meinen wohl das Neger-
dorf? Oder gibt's in St. Pauli jetzt eine
Kneipe, die so heißt?"
„New York, habe ich gesagt", antwortete
Mister Roß.
„Nun, meinetwegen New Aork", sagte der
Beamte lächelnd, „bis Mittag kennen wir dich
doch, alter Freund. Und wehe dir, wenn du
geschwindelt hast!"
Man führte ihn in seine Zelle zurück und ließ
ihn warten. Lange nach Mittag kam ein Be-
amter in seine Zelle und sagte: „Sie können
gehen. Es liegt nichts gegen Sie vor. Aber
melden Sie sich heute rechtzeitig obdachlos.
Morgen früh ist nochmal Bescherung. Hier
können wir nichts für Sie tun.'
.Ich habe noch eine Anzeige zu erstatten."
„Anzeige? Das ist aber gut. Eine Anzeige.
So, so. Na, dann geh'« Sie mal die nächste
Treppe hoch. Wenn Sie rauskommen, recht«.
Erster Gang link«, Zimmer 89."
Aber Zimmer 89 war an Sonn- und Feier-
tagen und Sonnabends nachmittags ge-
schloffen. Also stieg Mister Roß die Treppen
wieder hinunter. Aber ba er seine Anzeige ja
auch noch nach den Feiertagen machen konnte,
beschloß er, jetzt erst mal in sein Hotel zu
gehen, nach seinen Koffern zu sehen, ein Bad
zu nehmen und sich umzuziehen.
Endlich stand er vor der prunkvollen Ein-
gangshalle des Hotels, dessem Hausdiener er
gestern seine Koffer anvertraut hatte. Er ging
durch die große Drehtüre. Schon schlug ihm
die angenehme Wärme des Vorraumes ent-
gegen, da hielt der Portier ihn fest. „He, Sie,
wo wollen Sie hin?"
„Ich wohne hier."
Der Portier lachte. „Das erzählen Sie
Ihrer Großmutter, aber nicht mir."
„Lassen Sie mich vorbei. Ich muß den
Direktor sprechen."
„Mensch, nun werden Sie bloß nicht frech.
Das Asyl für Obdachlose ist zwei Straßen
weiter."
Leute begannen sich anzusammeln, — sie
schimpften über die anmaßende Art der Vaga-
bunden.
Mister Roß war es peinlich, im Mittel
punkt dieses Auflaufs zu stehen, und ging fort.
Er überlegte, wie es ihm gelingen könne, an
dem Portier vorbei in das Hotel zu kommen,
aber das schien unmöglich zu sein. Er mußte
telephonieren, aber selbst dazu fehlte ihm die
Möglichkeit, da er keinen Pfennig in der
Tasche hatte.
Mühselig, von den Passanten bemitleidet
oder belächelt, torkelte er durch die Straßen
der Stadt. Es dunkelte schon und da und
dort flammten hinter den Fenstern die Lichter
eine« Weihnachtsbaumes auf. Er hörte die
Stimmen singender Menschen, aber er war
ausgeschlossen von ihrem Glück. Und warum?
Nur weil ein Mensch, der sich vermutlich in
der gleichen Situation befunden hatte, wie er
sich jetzt befand, ihm die Kleider geraubt
hatte, deren Besitz allein die Teilnahme an
all der Glückseligkeit dieses Festes der Freude
und Liebe möglich machte. Bitterkeit floß in
seine Gedanken, aber es war nicht mehr die
Bitterkeit gegen den, der ihn beraubt.sondern
die Bitterkeit gegen eine Welt, die den
Menschen, der in schlechten Kleidern geht,
ausschlicßt von ihrem Licht.
Allmählich verlöschten die Weihnachts-
bäume. Die Stimmen des Abends schwiegen.
Die Nacht kam. In einem Häuserwinkel fand
er kurzen Schlaf, aus dem ein alter Straßen-
feger ihn lange nach Mitternacht weckte.
„Mensch", sagte der, „du frierst ja tot.
Komm, trink erst mal einen warmen Schluck
Kaffee. So, das tut gut. Und hier ist auch
noch eine Stulle. Und nun warte mal. Wir
sind gleich fertig. Dann gehen wir nach Hause.
Hast ja doch noch keine Bleibe für die Nacht."
MisterRoß versuchte wieder seineGcschichte
zu erzählen.
„Laß man," sagte der Straßenarbeiter,
„hat uns allen mal besser gegangen. Aber nun
sind wir alt. Hast auch schon deine Fünfzig
auf dem Buckel, was? Na, nun komm." Sie
betraten ein kleines Haus am Rande der
Stadt. Die Haustür knarrte. „Pst," sagte
der Arbeiter, „meine Alte schläft. Braucht
nicht zu wissen, wen ich ihr da mitbringc,
sonst steht sie erst aus und kocht Kaffee und all
so'n Schmuß. Da hast du ein paar Decken
und wenn du auf mußt, stoß den Weihnachts-
baum nicht um." (Fortsetzung Seite 10)
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