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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 49.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.8266#0320
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das ander« keinen Haarwuchs hervor und beide
machen ausgezeichnete Geschäfte damit. Denn
wenn alle Deutschen bedaart und königstreu
wären, was würde aus den Haarwuchsmitteln
und der monarchistischen Propaganda? —
Uebrigeu«, wir sind hier gerade amNollendorf-
platz. Da drüben spielte die Piseatvrbühne."

.Was — in dieser pottnoblen Gegend,
dicht beimKursürstendamm ein revolutionäres
Theater?"

Verzeihung — das verstehen Sie nicht.
Das Kurfürstendammpublikum macht jedes
Theater mit. auch ein revolutionäres. Aber die
Leute haben einen starken
Verbrauch an Neuigkeiten
und so dauerte die Herr-
lichkeit nicht lange. Einer
von diesen vornehmen Re?
volulionäreii legte kürz-
lich sein vortreffliches
Lrbcnsxrogramm in den
Worten Nieder: »Für
den Proletarier
sterben; mit den
Hoch st kultivierten
leben!" Die Prole-
tarier waren natürlich
ganz entzückt von dieser
Hingabe und alle« ist so-
weit in bester Ordnung.

Nur über die Reihenfolge
streitet man sich noch her-
um: Die Proletarier ver-
langen. er solle zunächst
einmal für sie sterben,
während der betreffende
Literat auf dem Stand-
punkt steht, daß für ihn
als radikalen Pazifisten
nur der natürlich« Tod in
Frage käme."

»Ach so, ich verstehe",
sagte die Republik, .der
Mann will siebzig oder
achtzig Jahre mit den
Höchstkultivicrtcn leben,
dann auf dem Totenbett
die Hände falten und
sagen: .Seht, meine

Freunde, ich sterbe nun
für die Sache des Pro-
letariats!" und hierauf
sanft entschlafen?"

„Ungefähr so", sagte
der Führer.

„Sind das nun eigentlich Freunde oder
Feinde der Republik?"

„Weder — noch! Es sind ungefährliche,
nette, amüsante Burschen. Sie schmieden ihre
Donnerkeile und esse» nachher friedlich ihren
Gulasch. Schießen auch wohl mal mit ver-
gifteten Pfeilen — aber auch davon getroffen
zu werden, hat nichts Aufregendes, denn diese
Pfeile sind schlimmstenfalls in Nikotin oder
Morphium getaucht. — Wollen wir mal in
das elegante Restaurant da drüben schauen?
.Dorr ist der Stammtisch von einigen Indu-
striellen und es wird Sic lnteressieren —

„Aha. Da lerne ich also endlich einige

von meinen Feinden kennen. Uebrigens, was
mcinenSie? Soll ich inkognitohineingehcn?"

„Da Sie sonst eigentlich nur inkognito
kommen, würde ich Vorschlägen, abwechslungs-
halber einmal nicht inkognito zu sein. Es
wird den Leuten etwas ganz neues sein, wenn
Sie wirklich in Erscheinung treten."

Sie traten ein und begaben sich an einen
Tisch, um den mehrere seriös und verant-
wortungsvoll dreinschauendc Männer saßen.
Unnahbar. Würdevoll. Sie tranken Bur
gunder und rauchten g:ganrischc Zigarren.

„MeineHerren", sagte der juugeMann, „ich

Der Kgl. bayerische Grenzpfahl

nehme Gelegenheit, um Sie der Republik vor-
zustellcn. die sich auf einer Desichtigungsreise
durch Deutschland befindet."

Di« Herren nickten steif mit den Köpfen.
Noch unnahbarer, noch würdevoller.

»Unbeschadet unserer unüberbrückbaren Geg
ncrschaft", sagten die Herren, „begrüßen wir
Sie — ehem — begrüßen wir Sie. denn
wir wüiischen nicht, Meinungsverschieden-
heiten ins Persönliche gleiten zu lassen."

„Ich bitte Sie sogar darum, persönlich zu
werden". sagte die Republik, „vorausgesetzt, daß
Sie es Ihrer Veranlagung nach ''ein können
und nicht organisch daran verhindert sind."

Die Herren sahen sich einer Forderung gegen
über, die noch nie an sie gestellt war. Sie
lächelten etwas blöd und klopften dirAschevon
ihren Zigarren.

„Aber, meine Herren", sagte die Republik,
„Sie stehen vor Ihrer größten Feindin und
haben ihr nichts zu sagen?"

„Was heißt Feindin", sagte schließlich der
eine, „wenn wir nun schon mal so gemütlich
zusammen sitzen, also paffen Sie mal auf. ich
habe da ein Projekt, eine ganz große Sache,
wissen Sie, daraus läßt sich was machen undviel-
leicht können wir ins Geschäft kommen. Also —"
Bei diesen Worten ent-
schwand erst dieUnnahbar-
keit, dann die Steifheit
und dann die Würde aus
ihre» Gesichtern. Statt
dessen zog der Ausdruck
geschäftstüchtiger, fried-
licher, finanziellgehobener
Bäckermeister in dieTasel-
rundc ein und die Republik
wurde ein Opfer sprach-
losen Erstaunens und tief-
ster Verwunderung.

„Sind das die Leute,
die in der reaktionären
Presse di« furchtbaren
Hetzartikel gegen m>ch
schreiben?" flüsterte sie
ihrem Führer zu.

„Bezahlen, bezahlen —
nicht schreiben", erläu-
terte der junge Mann.

„Also die Sache ist die",
fing einer der Herren an.
„paffen Sie aus, wir wer-
den uns schon vertragen,
wir einigen uns auf —"
Die Republik kämpfte
mit einem leichten Un-
wohlsein. erhob sich und
schritt mit dem jungen
Mann hinaus.

„Das also", sagte sie.
„sind meine Feinde, die
unbeschadet unserer un-
überbrückbaren Gegner-
schaft mit mir Geschäfte
machen wollen?"

„Was wollen Sie?"
sagte der junge Mann.
„Sir baten sie doch, per-
sönlich zu werden."

„Pfui Deibel!" sagte die Republik.

„Gleichfalls", sagte der junge Mann. Und
dann gingen sie weiter.

Aus einem Tanzlokal klangen die Jazz-
rhythmen eines Schlagers.

„Was für ein Publikum mag da verkehren?"
fragte die Republik.

„Alles Mögliche! Söhne und Töchter wohl-
habender Leute, Angestellte mit Freundinnen,
kleine Mädchen, die sich hübsch angezogen
haben, Kokotten undsolche, dieessein möchten,
Arme und Reiche, alle« bunt durcheinander.
Wollen wir hineingehen?"

(Fortsetzung aus Seite S)

Zeichnung von Hellmut Peter

fA/X

„Das gibt es noch im zehnten Jahr der Republik? Das ilt doch Jehon die
äußerfte Grenze der Unvernunft!“

„Na, dös is die Grenz vom Bayerland!“

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