Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 49.1928

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8266#0399
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
zerren? Müssen Sie denn auf
allen Gebräuchen, die unserm
Äerzen teuer sind, herumtreten?"

„Ganz und gar nicht, Lerr
Pastor!" erwiderte der nächt-
liche Besucher. „Ich finde Ihre
Predigt entzückend, nur sagen
Sic mir, wann kommen Sie
eigentlich auf das Christentum
zu sprechen?"

„Warten Sie doch die Zeit ab!"

„O, bitte sehr!" murmelte der
Geist der christlichen Lehre höflich,

„wissen Sie, Sie müssen ent-
schuldigen, aber wenn man seit
2000 Jahren darauf wartet, ein-
mal in Aktion Uu treten, dann
wird man etwas ungeduldig.

Könnten Sie z. B. nicht einmal
mehr an den Kern der Weih-
nacht Herangehen und das ro-
manfische Beiwerk fortlassen?"

Pastor Kruse rang verzweifelt
die löände:

„Aber bester Geist," rief er
aus, „was bleibt denn da noch
übrig?" — Er grübelte heftig.

„Wissen Sic," sagte er dann,

„ich werde von dem Christgeist
als von dem Geist der Ver-
söhnung sprechen, wie?"

„Ausgezeichnet!" nickte der
Geist, und Kruse schrieb nach
einigem Nachdenken:

„Die großen Segnungen des
Versöhnungsgedankens, der in
allen christlichen Teilen der Be-
völkerung lebt, erfahren tagtäglich immer mehr Menschen am
eigenen Leibe —"

„Jawohl," stimmte der Geist zu, „vor kurzem erfuhren das
230 000 im Ruhrgebiet!"

„Fangen Sie schon wieder an?" rief Pastor Kruse erregt.
„Soll ich vielleicht die Klassenhetzc in die Religion tragen?
Wäre das Volksgemeinschaft? Wäre das Versöhnung?"

„Verzeihen Sie," entgegncte der Geist, „ich war in einem

Zrrtum befangen, ich wußte nicht,
daß Sic unter Volksgemeinschaft
und Versöhnung verstehen, wenn
ein Teil des Volkes sich mit
seineni von Zeit zu Zeit prolon-
gierten Äungertodc aussöhnen
soll."

„Was wollen Sie eigentlich?"
fuhr der erregte Pastor fort,
„Sie machen sich lustig über
meine Schneelandschaft, Sie
mäkeln an dem Weihnachts-
baum, verhohnepiepeln die Glas-
kugeln junt> das Glockengeläut,
Sie lassen kein gutes Laar am
ganzen Weihnachtsfest ja,
wie soll denn nach Ihrer Ansicht
eine Predigt aussehen?"

„Ungefähr so soll sie aus-
sehen : Nach den Leberlieferungen
wurde heute vor 1928 Jahren
Jesus Christus, ein Zimmer-
mannssohn, geboren. Er lebte
als Proletarier und schuf eine
Religion der Güte, der Mensch-
lichkeit und des Friedens. Dafür
wurde er im dreißigsten Jahre
seines Lebens gekreuzigt. And
von dieser Zeit an verbreiteten
sich seine Anhänger durch die
Lande und schlugen seine Lehre
täglich tausendmal ans Kreuz —
bis auf den heutigen Tag!"

Als der Geist der christlichen
Lehre das gesagt hatte, sprang
er schnell beiseite und entwischte
gerade noch knapp dem Tinten-
faß, das der etwas unruhig veranlagte Pastor mit lutherischem
Temperament nach ihm geworfen hatte.

„Ich geh' ja schon," rief er noch einmal zurück, „denn wenn
Sie bis heute ohne mich ausgekommen sind, dann werden
Sie cs ja wohl auch künftig!"

And in Ruhe schrieb Pastor Kruse seine Weihnachtspredigt
weiter. GustavZunghans

*

So sind die Ansichten verschieden!

Zeichnung non Bruno G r a n o h

„Dicie herrlichen Gelchenke! Du biii wirklich großzügig,
lieber Freund!“

„Cja — und dabei behaupten meine fierren Angestellten
das Gegenteil, weil ich diesmal keine Weihnachtsgratifikation
habe zahlen können!“

Der Weihnachtsmann

„Papa! Ist der Weihnachtsmann alt
oder jung?" - „Alt, sehr alt." — „Wie
alt mag er denn ettva sein?" — Der
Papa erwidert in einer poetischen Auf-
wallung: „Uralt, mein Junge! Acber
tausend Jahre!" — Fritzchen sagt er-

staunt: „Donnerwetter! Daß sie den
noch nicht abgebaut haben!"

Das kluge Kind

Irma hat eine Puppenstube zu Weih-
nachten bekommen.

„Wie gefällt sie dir," fragt die Mama.

„Och, soweit ganz hübsch, aber du
solltest mal Bücher über neue Wohnungs-
kultur lesen."

„? ? ?"

„Na ja, ist doch wahr, man verschenkt
doch 1928 nicht mehr Puppenstuben im
Gründerstil!"

3
 
Annotationen