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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 49.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.8266#0403
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Die wahre Plattform des Leninismus

oder

Anerkennung

Zeichnung von 3. Obstner

Die fröhliche Weihnachtsbotfchaft aus Moskau

Der Rotfrontkämpfer Sebastian Zwiebelkopf befand sich
in einer heftigen seelischen Krise. Das „Ekki" hatte wieder
einmal einen der bereits periodisch erscheinenden Bann-
strahlen gegen irgendwelche gewohnheitsmäßigen Ketzer ge-
schleudert. Diesmal sah sich der Generalstab der Welt-
revolution ausnahmsweise genötigt, gegen die sogenannten
„rechten Abweichungen" Front zu machen. Vier Wochen
vorher hatten die „linken Abweichungen" daran glauben
müssen. Unmittelbar darauf hagelte es Verwünschungen
auf die „versöhnlerischen Elemente". Die Gruppe der „Li-
quidatoren" hatte übrigens auch bereits den Moskauer
Donnerkeil zu spüren bekommen. Von den „Ultralinken"
gar nicht zu reden. 3m Kopfe des armen Sebastian Zwiebel-
kopf sah es gar ttübe aus, was ohne weiteres zu begreifen
war. Die ewige Pilatusfrage: was ist Wahrheit? — ließ
deni braven Rotfrontkämpfer keine Ruhe niehr. Rechte
und linke Abweichungen waren geächtet; rechtes, linkes und
mittleres Zentrum desgleichen. Wo mochte die einzige,
reine, unverfälschte leninistische Linie zu finden sein? Se-
bastian Zwiebelkopf stöhnte. Rundfragen in seinem nächsten
Freundeskreis hatten ei» völlig negatives Resultat. Keiner
konnte den Weg zur Wahrheit weisen. Unserem Leiden war
zumute wie einein, der
über Sumpfgelände
wandert und dem —
schauderhaftes Gefühl
— bei jedem Schritt
der Boden unter den
Füßen zurückweicht.

Zn solchen Situati-
onen verfällt oft der
Merisch auf die ab-
sonderlichsten Zdeen.

Zwar sind unsere Bol-
schewisten prinzipien-
feste Gottesleugner, das
„religiöse Opium" kann
ihnen beileibe nichts an-
haben, aber in der fröh-
lichen Weihnachtszeit,
wo die harten Kanten
der Wirklichkeit unter
dem Schleier derMystik
etwas an Schärfe ver-
lieren, schließt auch die
Kommunistische Inter-
nationale ihren Se-
paratfrieden mit dem
Limmel. Friede auf
Erden! Sebastian Zwiebelkopf sehnte sich vor allem nach
Frieden in seiner stark beunruhigten Seele. Insofern war er


Der Dreher Kraute ll tollte nach SOjäbriger
Dienstzeit im Betrieb zum 1. Januar entlaßen
werden Line Woche vorher aber kam der Ob-
mann des Betriebsrats und meldete, daß Kraute
im Krankenbaute gettorben tei.

Da tagte der Chef: „So to, gettorben itt er’
Ja, leben Sie, der Kraute war tchon immer ein
anständiger TTlenfcb!“

Zwei Welten

Zeichnungen von

Lothar Reiz

„Nur eine Berntteinkette? Und nicht
den neuen Sportzweititzer, den ich mir
to tehr wünschte?" — „Ja, liebes
Kind, die Stillegung . . .!“

O du fröhliche . . .

Zeichnung von $ c r m a n n Gr 0 ih

„Wenn man io am Beiligabend die armen Leute liebt,
freut man lieh doch, daß man es geschafft hat!1'

also in der richtigen Weihnachtsstimmung. Man wird ver-
stehen, daß ihm unter solchen außergewöhnlichen Umständen
die plötzliche Erleuchtung kam, den Geist Lenins zu beschwören.

Die Behauptung, daß
Spiritismus und ma-
terialistische Geschichts-
auffassung sich schlecht
mit einander vertragen,
ist als echt mensche-
wistische These zu ent-
larven. Nach bolsche-
wistischer Dialektik gibt
es überhaupt keine Ge-
gensätze, die sich nicht
mit einander verein-
baren ließen. Bei Gott
und in Rußland ist
wirklich kein Ding un-
möglich . . .

Zwiebelkopf jeden-
falls tvar in einem
Stadium angelangtzwo
Vernunft und Wiffen-
schaft nichts mehr zu
sagen haben. Von der
neuen Idee über-
wältigt, ging er sogleich
ans Werk. Es wurde
ein geeignetes Medium
ausfindig gemacht, und
als Termin der spiritistischen Sitzung der vorletzte Abend vor
Weihnachten angesetzt. Unser materialistisch-spiritualistischer
Revolutionär konnte begreiflicherweise die Zeit kaum erwarten.
Seine Nerven drohten zu versagen. Um einer möglichen Katastrophe zu-
vorzukommen, tat er, was man in solchen Fällen eben zu tun pflegt: er goß
sich einen gehörig hinter die Binde. Nach diesen letzten Vorbereitungen
konnte die Geister-Revue beginnen.

Und sie begann. Nach dem üblichen Lokuspokns, der als bekannt vor-
ausgesetzt werden daff, meldete das Medium die Gesichtszüge vor
Enffetzen verzerrt das Erscheinen Thälmanns. Zwiebelkopf und
die übrigen Beisitzer protestierten. Der Oberbefehlshaber von Roffront
hätte zwar vor kurzem in einer etwas anrüchigen Affäre mitgewirkt, könnte
sogar in dieser Linsicht als intellektueller Urheber in Frage kommen, aber
daß er darum freiwillig aus dem Leben geschieden wäre, müßte als gänzlich
unleninistische Einstellung und außerdem als plumpe sozialverräterische
Geschichtsfälschung gebrandmarkt werden. Es dürfte also wohl ein be-
dauerlicher Jrrttrm vorliegen. Im übrigen gehörten kommunistische Partei-
skandale nicht vor ein ttanszendentales Forum, sondern vor die zuständige
Gerichtsinstanz.

Von medialer Seite wurde sofort eine beruhigende Erklärung abgegeben.
Infolge einer telepathischen Störung wäre der Name Thälmanns mit
demjenigen Leo Tolstois verwechselt worden, dessen Geist in Erdnähe
sei. Ob man sich seiner bedienen wollte? Das wurde bejaht und man

(Fortsetzung Seile 10)

„nanu, Vater, bloß n Kate?“
ITlutter, die flusfperrung .

»«Ja,

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